Die Kunstliteratur

Ein Handbuch zur Quellenkunde der Neueren Kunstgeschichte

von Julius Schlosser

1924 Kunstverlag Anton Schroll & Co. Ges. M. B. H. in Wien

Karl Vossler Zugeeignet

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Werter Freund!

Es hat seinen wohlerwogenen Grund, wenn ich gerade Ihnen dieses Buch darbringe, trotz aller seiner Mängel — ich weiß genau, was ich sage —, und trotzdem wir, obwohl beide »Philologen«, auf so verschiedenen Gebieten tätig sind. Denn aus Ihren Schriften, die ich seit vielen Jahren aufmerksam verfolge, spricht ein Geist zu mir, dem ich mich irgendwie verwandt fühle und der mir in meinem engeren »Fache« selten, fast niemals, entgegentritt; so habe ich aus ihnen nicht nur Genuß, sondern reichste Belehrung und Förderung geschöpft. Ich muß Ihnen aber mit knappen Worten die Geschichte dieses Buches erzählen; sie gehört zu ihm, wie zu jeglichem Problem des Denkens; niemand hat uns dies ja so eindringlich eingeschärft, wie unser großer gemeinsamer, auch zu unserer Generation gehöriger Freund Benedetto Croce.

Die hier vereinigten Abhandlungen sind in den schlimmsten Jahren, die über uns »Mitteleuropäer« kamen, auch als eine Art freiwilliger »Kriegsdienstleistung im Hinterlande« zuerst in den Sitzungsberichten (Philosophisch-historische Klasse) der Wiener Akademie der Wissenschaften erschienen unter dem Titel: »Materialien zur Quellenkunde der Kunstgeschichte« (10 Hefte 1914—1920). Aber ihre Anfänge reichen um mehr als ein Vierteljahrhundert zurück; ihren praktischen Ursprung haben sie in eigenem Bedürfnis und in einer gewissen Sammlerliebe, die mich eine für einen Privatmann nicht ganz unerhebliche, nahezu vollständige Bibliothek kunsttheoretischer und kunstgeschichtlicher Literatur, meist auf italienischem Boden, zusammenbringen ließ: in ihm, mir durch Überlieferung, teilweise Herkunft meiner Vorfahren vertraut, hat diese ja überhaupt ihren Ursprung und ihre wesentliche Bedeutung. Auch dem vorliegenden Buche merkt man wohl an, daß ich sie in den Mittelpunkt gestellt habe, ursprünglich auch allein behandeln wollte; was ein übrigens wohlwollender Beurteiler gesagt hat, ich hätte die fremden Gebiete, namentlich in späterer Zeit, mehr als »Tourist« durchstreift, entspricht sicherlich der Wahrheit. Seit meinen wissenschaftlichen Anfängen ist Quellenkunde und -kritik auch ein Gebiet gewesen, in dem ich mich, schon meinen starken literarischen Neigungen nach, stets mit einer gewissen Vorliebe bewegt habe; meine ganze philologisch-historische Herkunft aus Sickels und Wickhoffs Schule trug dazu bei. Die Mängel und Lücken des Versuchs, in dem ich meine vieljährigen Studien endlich zusammengefaßt habe, sind mir ganz deutlich bewußt, page VIII wohl mehr als jedem andern, der sie gleichwohl, auf einem bestimmt umgrenzten Gebiete arbeitend, überall feststellen wird; ich habe vielfach aus zweiter Hand geschöpft, es wohl auch müssen, und die notwendige Unvollständigkeit aller bibliographischen Arbeit, die immer durch neuere Forschungen überholt wird, entschuldigt mich gar nicht. Mit vollem Bewußtsein wählte ich daher für jene erste Akademiepublikation einen möglichst bescheidenen Titel; habe ich hier ihn in der Buchausgabe durch einen andern ausdrucksvolleren ersetzt, so geschah das nur, um den immerhin vorhandenen Zusammenhang des Buches herauszuheben. Es ist nicht die bekannte Autorenheuchelei, die mich das betonen läßt; jener Mangel bleibt auch jetzt, trotz vieler Ergänzungen, die am Ganzen wenig ändern, bestehen; vollends die Literatur seit 1914 ist mir eigentlich nur zufallsgemäß zur Hand gewesen. Aber der eigentliche innere Mangel, den ich empfinde, ist anderer Art. Das vorliegende Buch ist, was man nicht (wie es schon geschah) mißverstehen sollte, hier durch seinen Untertitel deutlich als das bezeichnet, was es ursprünglich sein wollte und seiner ganzen Intonation nach bleiben mußte, als Quellenkunde; aber es ist ein zwieschlächtiges Gebilde geworden, durch Ansätze, die da und dort merklich werden, zu etwas ganz anderem, das auf jenem Grunde ruhen muß, und mich immer stärker beschäftigt, zu einer Theorie und Geschichte der Kunstgeschichtschreibung, also zu jenem Thema, das A. W. Schlegel zuerst in noch heute (und gerade heute wieder) vorbildlicher Weise in seinen Berliner Vorlesungen von 1801 aufgegriffen hat. Gleichwohl ist mein Buch im Grunde, trotz jener Ergänzungen und trotz einiger Überarbeitung im Stilistischen — ich habe mich, namentlich im Beginn, allzusehr in böser Fremdwörterei gehen lassen! — das nämliche geblieben, wie es sich in der Folge jener Akademieabhandlungen erwiesen hat; aber meine eigene Stellung zu ihm hat sich nicht unbeträchtlich geändert: es ist mir innerlich fremd geworden, wie denn einem Schriftsteller, der gewohnt ist vorwärts, nicht rückwärts zu blicken, seine eigenen älteren Probleme eigentlich nicht mehr angehören, ein Stück abgestreifter Schlangenhaut werden; man braucht kein Jakob Burckhardt zu sein und auf seinem einsamen Höhenweg zu wandeln, um zu verstehen, warum der Altmeister die Neubearbeitungen seiner Bücher als eine leere Plage, als etwas, das ihn im Grunde eigentlich nichts mehr angehe, andern überlassen hat. Daran aber, mein verehrter und lieber Freund, sind Sie zum großen Teil schuld. Ihre Schriften haben mir fortwährend neue Promblemstellungen und -klärungen gebracht; schuld ist ferner daran und vor allem jener Mann, dem wir beide so viel verdanken, und der meine von Jugend auf vorhandenen philosophischen Neigungen — die freilich bei Ihnen unvergleichlich festere Gestalt gewonnen haben — an- und aufgeregt hat: eben Benedetto Croce. Wir beide haben es, im Unterschied zu manchen Kollegen, page IX obwohl auch wir noch aus der positivistisch-empirischen Generation herstammen, die sich naiv oder grobschlächtig »ästhetikfrei« wähnte, niemals vergessen wollen und können, daß wir an »philosophischen« Fakultäten lehren; leider hat ein mißgünstiges Schicksal es gefügt, daß wir es nicht Seite an Seite tun können. Sie wissen nun, weshalb Sie die Widmung dieses Wälzers sich selbst zuzuschreiben haben.

Ich hätte ihn nach alledem von Grund auf umarbeiten müssen und sollen; aber dazu fehlt mir, noch mehr als die Zeit, die Überzeugung, daß ich alle diese Probleme so weit durchgedacht hätte, daß sie für mich zu einem gewissen Abschluß gelangt wären; ich stehe noch immer in einer Krise. Wenn ich das Buch nun trotzdem hinausgehen lasse, hat dies einen rein praktischen Grund: daß es im Schul- und Forschungsbetrieb noch eine Zeitlang eine gewisse Sendung erfüllen kann. Das bezeugen mir die paar Rezensionen, die es erfahren hat, noch mehr aber viele Zuschriften, die mir zum Teil auch von Männern, die andere Felder bebauen, als die Kunstgeschichte, zugekommen sind. Es ist nicht Eitelkeit, wenn ich sage, daß mich außer der schönen und warmen — wohl allzu warmen — Rezension, zu der E. Steinmann nach Jahren seine Feder angesetzt hat, nichts so sehr gefreut und in gewissem Sinn beruhigt hat, als die lange, von einer sehr hohen Warte aus gesehene Besprechung eines mir persönlich unbekannten englischen Gelehrten (dessen Namen, H. Quigley, ich erst vor kurzem erfahren habe) in den Litterary Times dieses Jahres; gerade aus ihr ist mir aber noch klarer geworden, daß mein Wollen und Vollbringen sich nur notdürftig decken.

So nehmen Sie denn, verehrter Freund, dies Buch auch in seiner ehrlichen, offen bekannten Armut freundlich hin; vielleicht daß ich es dereinst noch durch ein besseres ersetzen kann.

Wien, am Weihnachtsfest 1922.

Ihr

J. S.

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Ich muß hier noch einer Reihe von Männern gedenken, die mir ihren Anteil an diesem Buche durch Ergänzungen und Richtigstellungen bezeugt haben. An erster Stelle muß ich neben E. Steinmann in Rom, den ich schon erwähnte, G. Gronau in Cassel nennen; des weiteren meinen lieben Jugendfreund J. J. Tikkanen in Helsingfors, Chr. Hülsen in Florenz, P. Clemen in Bonn; endlich einige jüngere Gelehrte, von denen ich ein paar meine »Schüler« nennen darf: F. Saxl in Hamburg, G. v. Kieszkowski in Krakau, E. Kaufmann in Wien, K. Cassierer in Oberhambach, K. Eberlein in Rastatt; sie haben mir zum Teil Einsicht in noch ungedruckte eigene Schriften gestattet. Ihnen allen sage ich hier meinen wärmsten Dank.

Beim Lesen der Korrekturen und namentlich bei der Anfertigung der Register-Bibliographie hat mir einer meiner wirklichen »Urschüler«, Ernst Kris in Wien, hilfreiche Hand geleistet. Ihm, der mir seit langem nahe steht und meinen oft abseitigen Wegen immer mit herzlichem Verständnis gefolgt ist, danke ich an dieser Stelle besonders.

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Inhaltsübersicht

An Karl Vossler VII

Vorerinnerung. Über Begriff und Umfang der kunsthistorischen Quellenkunde 1

Zur Bibliographie der Quellenkunde 2

Erstes Buch: Das Mittelalter 7

Einleitung: Beginn der abendländischen Kunstliteratur 9

I. Die mittelalterliche Kunstliteratur (Überblick) 9

1. Im griechischen Osten (mit Bibliographie) 13

2. Im lateinischen Westen 13

A. Technische Literatur (mit Bibliographie) 20

B. Poetische Kunstliteratur (desgl.) 27

C. Zur Historiographie der Kunst im Mittelalter (desgl.) 33

D. Periegetik des Mittelalters (desgl.) 41

II. Zur Kunsttheorie des Mittelalters 45

1. Kunsttheoretische Ergebnisse des Altertums 45

2. Das Erbe des Altertums im Mittelalter 59

III. Theorie und Praxis im toskanischen Trecento. 67

1. Zu Dantes Kunstlehre 67

2. Die Werkstatt des Trecento. Der Traktat des Cennino Cennini (mit Bibliographie) 77

Zweites Buch: Frührenaissance. Leonardos Vermächtnis 85

I. Die historische Literatur 87

1. Lorenzo Ghiberti 87

Bibliographie 90

2. Die übrigen historischen Schriften des Quattrocento 92

Literatur 103

II. Die Theoretiker der Frührenaissance 105

1. L. B. Alberti 105

Bibliographie 110

2. Die Romantiker der Frührenaissance 112

Bibliographie 119

3. Die strengen Theoretiker der Frührenaissance 120

Bibliographie 128

III. Die historischen Thesen der Frührenaissance, Gesamtansicht 130

IV. Zu den kunsttheoretischen Thesen der Frührenaissance 133

V. Leonardos Vermächtnis 140

1. Einleitung 140

2. Bibliographie 143

3. Zu Leonardos Kunstlehre 150

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Drittes Buch: Die Kunstgeschichtschreibung vor Vasari 165

I. Die Vorläufer Vasaris 167

1. Das Buch des Antonio Billi 167

2. Der Anonymus der Magliabecchiana. Gelli. Giovio. Wirkliche und angebliche Quellen Vasaris 168

Bibliographie 176

II. Erste Ansätze zur Kunstgeschichtschreibung außerhalb Italiens 178

Bibliographie 182

III. Die Kunsttopographie. Beginn der Guidenliteratur 183

Bibliographie 193

Viertes Buch: Die Kunsttheorie der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. 197

I. Die Kunsttheorie Mittelitaliens vor Vasari 199

Bibliographie 204

II. Oberitalienische Theoretiker 205

Bibliographie 218

III. Fortsetzung der vitruvianischen Studien 219

Bibliographie 225

IV. Erste Fernwirkung der italienischen Theorie auf das Ausland 226

1. Viator u. a. 226

Bibliographie 231

2. Dürer 231

Bibliographie 241

3. Deutsche Kunstbücher 242

Bibliographie 245

4. Francisco de Hollanda 246

Bibliographie 249

Fünftes Buch: Vasari 251

Einleitung 253

I. Entstehungsgeschichte der Viten. Verhältnis der ersten zur zweiten Auflage. 255

II. Die Quellen Vasaris 258

1. Eigentlich kunsthistorische Quellen 258

2. Historische Literatur 262

3. Sonstige Literatur 263

4. Mündliche Tradition. Vasaris Denkmälerkenntnis und Autopsie 263

III. Vasaris historische Orientierung und Arbeitstechnik 265

1. Der Geschichtsbegriff der Renaissance 265

2. Vasaris historische Absichten 268

3. Vasaris Arbeitstechnik und Stilkritik im Einzelnen 271

IV. Vasaris historische Gesamtansicht 277

V. Vasaris ästhetischer und kunsthistorischer Standpunkt 285

Bibliographie 294

Sechstes Buch: Die Kunstliteratur des Manierismus 305

I. Historik und Periegese 307

Bibliographie 332

page XIII

II. Die kunsttheoretischen Schriften des Manierismus (Überblick) 338

1. Der toskanisch-römische Umkreis 339

2. Oberitalien 349

Bibliographie 356

III. Die Lehrer der Baukunst 360

Bibliographie 373

IV. Die Moralisten 378

Bibliographie 384

V. Die Kunsttheorie des Manierismus in ihren Grundlagen 385

1. Ansichten vom Wesen der Kunst 385

2. Vorherrschen des Intellektualismus 389

3. Die Lehre von der »künstlerischen Idee« 393

4. Verhältnis der Kunst zur »Schönheit« 395

5. Grundsätze der Kunstkritik 399

6. Die Lehre von den Genres und Stilgesetzen 402

7. Der Gedanke des »Klassischen« 404

Siebentes Buch: Die Geschichtschreibung des Barock und des Klassizismus 407

Einleitung 409

I. Die römisch-florentinische Universalhistorie 410

Bibliographie 422

II. Die Kunsthistoriographie im übrigen Europa. — Die Geschichtschreibung des italienischen Klassizismus 425

Bibliographie 436

Niederlande 436

Deutschland 437

Lokale Kunstgeschichte 439

Nürnberg 439

Augsburg 439

Andere Städte 439

Dänemark 441

Allgemeine Literatur über die deutschen Kunstsammlungen des 18. Jahrhunderts 441

Frankreich 442

Künstlerleben u. a 443

England 443

Kunst- und Künstlergeschichte 443

Schriftsteller über die Kunde englischer Vorzeit 444

Kunsttopographie, Sammlungen 445

Spanien 446

Topographische Literatur 446

Italien im 18. Jahrhundert 447

III. Einige Bemerkungen zum Gesamtcharakter der Kunstgeschichtschreibung des Barock und Klassizismus 449

Achtes Buch: Die italienische Ortsliteratur 463

I. Die örtliche Kunstgeschichtschreibung Italiens 465

II. Die Literatur der Ciceroni 472

III. Bibliographie der Ortsliteratur Italiens 492

Allgemeine Ortskunde und Reiseliteratur 493

Das landschaftliche und städtische Schrifttum 495

page XIV

I. Oberitalien 495

1. Friaul 495

Udine, Cividale, Pordenone, Gemona 495

2. Venetien 495

Venedig 495

Künstlergeschichte 495

Einzelbiographien, Elogien u. dgl. 496

Topographie 497

Lokalliteratur über einzelne Bauten u. s. w 498

Venezianische Sammlungen 499

Murano 499

Padua 499

Lendinara, Treviso 500

Rovigo, Verona 500

Bassano 501

Vicenza 502

3. Lombardei 502

Brescia 502

Bergamo, Como 502

Trient und Welschtirol 503

Cremona 503

Crema 504

Mantua 504

Mailand 504

Pavia 506

Lodi 507

4. Piemont 507

Turin 507

Vercelli, Novara, Alessandria 507

5. Ligurien 507

Genua 507

6. Emilia und Romagna 508

Parma 508

Piacenza, Modena 508

Reggio (d’Emilia) 509

Bologna 509

Cento, Faenza, Forli 512

Ferrara 512

Ravenna 513

Rimini 514

II. Mittelitalien 514

1. Toskana 514

Florenz 514

Einzelbiographien 514

Führer 515

Fiesole, Prato, Pistoja 517

Pescia, Empoli, Arezzo, Siena 518

Pisa 518

page XV

Livorno, Lucca 519

Carrara und die Lunigiana 519

Volterra, Cortona 520

2. Umbrien 520

Perugia 520

Assisi 520

Foligno, Spoleto, Gubbio, Todi, Spello, Città di Castello 521

Sansepolcro, Orvieto 521

3. Marken 522

Ancona, Loreto, Ascoli 522

Camerino, Fabriano, Fano, Fermo, Macerata, Montalboddo, Pesaro. 522

Sanseverino, Sinigaglia, Urbino 523

4. Latium 523

Rom 523

Kunst- und Künstlergeschichte 524

Römische Kunstzeitschriften alter Zeit 525

Kunsthistorische Ortskunde 525

Eigentliche Guidenliteratur 525

Einzelnes und Sammlungen 527

Viterbo, Caprarola 527

III. Unteritalien 528

1. Königreich Neapel 528

Neapel 528

Künstlergeschichte 528

Guiden 529

Gaeta, Monte Cassino, Benevent 529

Abruzzen 530

Apulien und Kalabrien 530

2. Sizilien 530

Messina 530

Palermo 530

Monreale 530

3. Sardinien 530

Sassari 530

Italienische Kunst im Auslande 530

Neuntes Buch: Die Kunstlehre des 17. und 18. Jahrhunderts 531

I. Die italienische Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts (Übersicht) 533

Bibliographie 543

II. Die Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts in Frankreich 547

Bibliographie 554

III. Die Kunsttheorie des Barock in den übrigen Ländern 557

Bibliographie 560

Spanien 560

Niederlande 560

Deutschland 561

England 561

IV. Die Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts außerhalb Italiens (Übersicht) 562

page XVI

V. Die italienische Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts 575

Bibliographie 581

Frankreich 581

Architekturlehre 582

Spanien 584

England 584

Deutschland 585

Architekturlehre 587

Italien 588

VI. Einige Bemerkungen zur Kunsttheorie des Barock 591

Register (zugleich Gesamtbibliographie) 611

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Vorerinnerung: Über Begriff und Umfang der kunsthistorischen Quellenkunde.

Bevor ich die folgenden Kapitel vorlege, glaube ich, einige Zeilen der Verständigung vorausschicken zu sollen. Worte der Rechtfertigung sollte dies Unternehmen eigentlich nicht bedürfen, aber bei dem Zustande unseres Fachs, das noch immer die Kinderschuhe nicht ausgetreten zu haben scheint und immer wieder bedenklich wird, ob es sich den historischen Wissenschaften in der Tat zurechnen solle, gehören Unternehmungen solcher Art nicht gerade zu den selbstverständlichen Dingen, im Gegenteil pflegt man sie mit ziemlicher Gleichgültigkeit beiseitezuschieben, als etwas Lästiges und Langweiliges. Wie dem nun auch sein mag, — ich habe nicht Lust, hier die Worte des Unmuts zu wiederholen, die meine »Prolegomena zu Ghibertis Denkwürdigkeiten« einleiten (im Jahrbuch der Zentralkommission, Wien 1910: Über Wesen und Desiderien der Quellenkritik), und muß mich damit begnügen, festzustellen, daß ich schon als Schüler meines großen Lehrers Sickel die Kunstgeschichte eben auch nur als historische Disziplin aufzufassen vermag, wesensverwandt, doch in Aufgaben und zum Teil in den Wegen verschieden von ihrer Schwesterschaft, der sogenannten klassischen Archäologie, die ihr wissenschaftlich viel strafferes Wesen nicht zum geringsten Teile ihrer philologischen Schulung verdankt. Unter Kunstgeschichte verstehe ich aber hier, mit einer leidlich zu rechtfertigenden Einschränkung, lediglich die Geschichte der neueren, und zwar der christlichen Kunst in dem Umfange, in dem sie wirklich historisch geworden zu sein scheint, also etwa von Diokletian bis auf Napoleon, und dementsprechend wollen die folgenden Abschnitte auch nur Beiträge zu diesem zeitlichen und örtlichen Umkreise liefern.

Auch der Begriff der Quellenkunde selbst bedarf einer Einschränkung; gemeint sind hier die sekundären, mittelbaren, schriftlichen Quellen, vorwiegend also im Sinne der historischen Gesamtdisziplin die literarischen Zeugnisse, die sich in theoretischem Bewußtsein mit der Kunst auseinandersetzen, nach ihrer historischen, ästhetischen oder technischen Seite hin, während die sozusagen unpersönlichen Zeugnisse, die Inschriften, Urkunden und Inventare, anderen Disziplinen zufallen und hier nur einen Anhang bilden können.

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Im Grunde handelt es sich also um philologische Aufgaben, und so wird die Gliederung der kunsthistorischen Quellenkunde auch durch jene Richtpunkte bestimmt sein, die den vorbildlichen Charakter jener wunderbar fein ausgebildeten Disziplin, der klassischen Philologie, ausmachen. Heuristik, Kritik und Hermeneutik der Quellen werden auch hier ebenso viele sich übereinander erhebende Stufen ausmachen wie dort. Die Quellenkunde hat zunächst den tatsächlich vorhandenen Stoff auszukundschaften und mindestens bibliographisch beschreibend zu übermitteln. Auf eine höhere Stufe steigt sie durch die kritische Bearbeitung dieses Rohmaterials, die den einzelnen Perioden wohl angepaßt sein muß. Zum Rang einer selbständigen historischen Disziplin, gleich den übrigen »Hilfswissenschaften« — um den verfänglichen Ausdruck einmal zu gebrauchen — erhebt sie sich durch die Darlegung des inneren historischen Gehalts dieses Materials selbst, in philosophischem Geiste betrachtet, wo sie dann notwendig, in die neueste Zeit übergehend, in eine Geschichte unserer Disziplin selbst ausmünden muß.

Der Verfasser ist sich sehr wohl bewußt, daß er ein Unternehmen dieser Art nicht vorlegen kann, sondern eben nur »Grundlagen« zu einem solchen, die einzelnen Punkten obiger Forderung in größerem oder geringerem Umfang gerecht zu werden suchen. Die unterste bibliographische Materialbeschreibung wird hier zur Not geleistet werden können, obgleich auch da Nachsicht am Platze sein möge. Was die Kritik der Quellen anbelangt, so ist ja in neuerer Zeit, namentlich was einen Kern- und Mittelpunkt des Ganzen, die Kritik der im Guten wie im Bösen höchst einflußreichen Geschichtschreibung Vasaris anbelangt, manches und Gutes geleistet worden. Dagegen liegt z. B. die Kritik der Schriftquellen des Barock, von einzelnen Vorstößen jüngster Zeit abgesehen, noch ganz in den Windeln. Schon aus diesem Grunde ist eine in sich abgeschlossene Quellenkunde, wie sie andere historische Fächer aufweisen, heute noch nicht möglich. Und dasselbe gilt vielleicht in noch höherem Grade von der dritten und höchsten Stufe, wo die Vorarbeiten noch geringer an Zahl und Gehalt sind.

Zur Bibliographie der Quellenkunde.

Über die Systematik der Quellen ist die ausgezeichnete Darstellung in Tietzes Methode der Kunstgeschichte, Leipzig 1913, S. 184 ff., zu vergleichen; allenfalls mag man noch einen Jugendaufsatz von mir, »Die Bedeutung der Quellen für die neuere Kunstgeschichte«, in der Beilage zur Münchener Allg. Zeitung 1892, Nr. 219/220, heranziehen. Als Gesamtdarstellung des Mittelalters ist trotz seines im Vordergrund stehenden kirchlich-archäologischen Interesses Pipers Einleitung in die monumentale Theologie, Gotha 1867, noch immer auf ihrem Platze. Einen flüchtigen Überblick habe ich in der Einleitung zu meinem Quellenbuche zur Kunstgeschichte des abendländischen Mittelalters, Wien 1896 (Eitelberger- page 3 Ilgs Quellenschriften, N. F. VII), gegeben. Einen trefflichen Abriß der älteren florentinischen Kunsthistoriographie hat Frey seiner Einleitung zu der Ausgabe des Anonimo Magliabecchiano, Berlin 1892, vorangestellt. Einzeluntersuchungen wird man am gehörigen Orte verzeichnet finden. Während des Krieges ist ein Werk von Achille Pellizzari erschienen: I Trattati attorno le Arti figurative in Italia e nella Penisola iberica dall’antichità classica al Rinascimento, Vol. I, Dall’antichità classica al Secolo XIII, Neapel, Perrella 1915. Ich kann mich mit dem Ganzen vor Erscheinen des Schlußbandes nicht auseinandersetzen und bemerke nur soviel, daß mir über den Grundgedanken des Werkes schwere methodische Bedenken aufsteigen. Es ist zweifellos das Buch eines geistreichen und gelehrten Mannes, aber zum Teil unerträglich weitschweifig. Der Schwerpunkt liegt viel mehr auf literarisch-philosophischer als auf kunsthistorischer Seite, und das Verhältnis zur eigentlich kunstgeschichtlichen Literatur, wie zu dem Gegenstand, der doch einmal in Rede steht, der bildenden Kunst selbst, scheint mir gering und durch eine Menge exoterischer Darlegungen verschoben; doch sei hier schon auf die Abhandlung von Lionello Venturi, La critica d’arte in Italia durante i secoli, XIV. e XV. L’Arte XX (1917) 305, hingewiesen, sowie auf die Einleitungskapitel von Mary Pittaluga, Eug. Fromentin e le origini de la moderna critica d’arte. L’Arte XX and XXI (1917/18): I. Origini della critica acad. dal Vasari al Winckelmann. II. Le origini della critica del colore dal Dolce al Delacroix. Fontaine, Les doctrines d’art en France de Poussin à Diderot. Paris 1909. Dresdner, Die Kunstkritik. I. Entstehung der Kunstkritik, München 1915. Endlich das feine Buch von Waetzold, Deutsche Kunsthistoriker von Sandrart bis Rumohr. Leipzig 1921.

Ferner ist gerade jetzt ein Werk erschienen, das wie das genannte Pellizzaris sich mit meinen ungleich bescheideneren und der Kunstgeschichte als solcher dienenden Materialien ungefähr auf gleicher Bahn bewegt, obwohl sein Ziel von vornherein anders gesteckt ist. Es ist die groß angelegte »Geschichte der neusprachlichen wissenschaftlichen Literatur«, von dem Romanisten der Universität Heidelberg, Leonardo Olschki, einem Schüler K. Vosslers, Heidelberg, Winter 1918. Der vor allem in Betracht kommende erste Band behandelt die Literatur der Technik und der angewandten Wissenschaften vom Mittelalter bis zur Renaissance, d. h. von L. B. Alberti bis zu Leonardo und Dürer (der zweite, Bildung und Wissenschaft im Zeitalter der Renaissance, Leipzig, Olschki, 1922 erschienen, hat für uns geringere Bedeutung). Das Ziel ist, wie gesagt, ein anderes, aber der Kunsthistoriker hat alle Ursache, sich dieser ernsten, eindringenden und zu ganz neuen Resultaten gelangenden Darstellung zu freuen, als von einer Seite kommend, der romanischen Philologie, zu der er ein ähnliches fruchtbares Verhältnis haben sollte, wie seine ältere und ausgebildetere Schwesterwissenschaft, die klassische Archäologie zur Altphilologie.

Versuche kunsthistorischer Bibliographen, die für uns heute den Charakter von Quellenregistern haben, setzen ziemlich früh ein. Zu den ältesten gehört der Abschnitt in cap. 24 von Possevinus, Tractatio de poesi et pictura ethica, Lyon 1595, dann die Liste in Scaramuccias Finezze de’ pennelli italiani, Pavia 1674, p. 217. Sehr ausführlich ist die Orlandis oft aufgelegtem Abcdario pittorico beigegebene Bibliographie (in 1. Aufl. Bologna 1704 u. ö. erschienen). Ähnlich in Palominos Museo pictorico, 1. Aufl. Madrid 1715—1724, 2. Aufl. 1795 (Buch II, hauptsächlich italienische Literatur). Ärmlich und durch viele Fehler entstellt ist Murrs Bibliothèque de peinture, de sculpture et de gravure. Frankfurt 1770, in 2 Bänden. Ganz ausgezeichnet ist dagegen die Bibliographie zur Geschichte der italienischen Malerei, die man in den verschiedenen Ausgaben hinter des Padre Lanzi Storia pittorica dell’ Italia, 1. Aufl., Bassano 1789 u. ö., findet; die reiche Guidenliteratur Italiens ist hier zum ersten Male zusammengefaßt. Topographisch nach Reiserouten und Städten geordnet ist das nicht unverdienstliche Manuale bibliografico del viggiatore in Italia von Lichtenthal, in 1. Aufl. Mailand 1830 u. ö. erschienen.

Durch seine reiche Literatur dieser Art, die ja für das übrige Europa vorbildlich geworden ist, steht Italien überhaupt voran. So ist auch hier die erste eigentliche Kunst page 4 bibliographie entstanden, auf breiter Basis geplant, aber nicht vollendet, des Abate Angelo Comolli Bibliografia storico-artistica dell’ Architettura civile edarti subalterne, Rom 1788 bis 1792, in 4 Bänden, mit ausführlichen Inhaltsangaben und bibliographischen Notizen über die einzelnen Werke. Erschienen ist von dem weitläufigen Unternehmen nur der erste von vier Teilen, die Architettura civile elementare umfassend, in drei Klassen: Introduzioni, instruzioni und instituzioni. Der Plan beruht auf dem System der französischen Enzyklopädie und entspricht der seit Vitruv von dem Architekten geforderten universellen Bildung, zieht daher (in Klasse II) alle möglichen Fächer, auch Jurisprudenz und Medizin, heran. Trotz der anscheinenden Beschränkung im Titel enthält das Buch daher ausführliche Nachrichten über die älteren kunsttheoretischen und kunstgeschichtlichen Werke, nicht bloß Italiens. Fleißige Zusammenstellungen dieser älteren Literatur auch in den Zusätzen Blankenburgs zu Sulzers berühmter Theorie der schönen Künste (separat Leipzig, 1797 erschienen) unter den Artikeln: Baukunst, Bildhauerkunst, Malerkunst u. s. w.

Dann kommen aber, wieder in Italien, die gedruckten Kataloge großer kunsthistorischer Bibliotheken in Betracht. Ein buchhändlerischer Versuch dieser Art liegt schon vor in dem von Brandolese verfaßten Catalogo de' libri spettanti alle tre belle arti del disegno che si trovano vendibili appresso Giambattista Albrizzi qu. Girolamo librajo e stampator Veneto l’ anno 1773.

Das Hauptwerk auf diesem Gebiete rührt aber von einem in unserer Wissenschaft namhaften Manne, dem Grafen Leopoldo Cicognara, Verfasser der berühmten Geschichte der Skulptur, her. Es ist der Katalog seiner Privatbibliothek, einer der reichsten, die es jemals auf diesem Gebiete gegeben hat, mit vortrefflichen knappen Charakteristiken, wertvoll schon dadurch, daß er von einem mit dem Stoff durchaus vertrauten Gelehrten herrührt: Catalogo ragionato dei libri d’ arte e d’ antichità posseduti dal Conte Cicognara. Pisa 1821, in 2 Bänden. (Die Cicognarasche Bibliothek befindet sich jetzt in der Vaticana; über Cicognara selbst vgl. man die von A. di Sacchi seiner Ausgabe von C. s. Ragionamenti del Bello, Mailand 1834, vorausgesandten Notizen, ferner Becchis Elogio di L. C. letto all’ academia della Crusca. Florenz 1837, und Malamani, Memorie del Co. L. C. tratte da’ documenti originali. Venedig 1887—1888. 2 Bände.)

Als Fortsetzung des als Handbuch vielbenützten Cicognaraschen Katalogs gibt sich der Catalogo di opere classiche e di b. arti raccolte da Gius. Giudicini come complemento al Cicognara. Bologna 1844. Ähnliche Bibliothekskataloge sind in Italien bis in die neueste Zeit hergestellt worden und bilden brauchbare bibliographische Hilfsmittel. So Lozzis Bibliografia istorica dell’ antica e nuova Italia, Saggio di bibliografica analitico, comparato e critico. Imola 1886, in 2 Bänden, alphabetisch nach Orten geordnet, ebenfalls der Katalog einer umfänglichen Privatbibliothek, naturgemäß lückenhaft und mit zuweilen recht weitschweifigen und dilettantisch überflüssigen Erörterungen. Ferner ist noch der Catalogo metodico della biblioteca storico-artistica Vico unita alla Communale Romana Sarti, Rom 1887, zu nennen. Endlich der bekannte, besonderes Gewicht auf die Städtegeschichte legende Katalog der Biblioteca Platneriana, auf Kosten des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom 1886 gedruckt, dazu der von Mau ausgezeichnet redigierte Bibliothekskatalog desselben Instituts, Rom 1900—1902. 2 Bände.

Außerordentliches Material bieten die nicht in den Handel gekommenen First proofs of the universal catalogue of Books on Art des British Museum, London 1870—1882, in 2 Bänden mit Supplement; ihre Benützung ist aber durch die alphabetische Anordnung erschwert. Auch die vortrefflich angelegten, systematisch angeordneten Kataloge zweier großer Wiener Kunstbibliotheken bieten nützliche bibliographische Leitfäden, der des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie von Chmelarz, Wien 1883, dann jener der Akademie der bildenden Künste von Lützow, Wien 1876. Ganz brauchbar sind die Zusammenstellungen in dem Büchlein von Boersma, Kunstindustrieele Literatuur. 1. Heft, Haag 1888. Auf die allgemeinen kunsthistorischen Bibliographien, wie sie in den page 5 älteren Bänden des Repertoriums für Kunstwissenschaft (namentlich die vorzüglichen, von F. Laban redigierten Abschnitte), in Venturis Zeitschrift L’Arte, in der Rivista storica Italiana (seit 1884, mit ausgezeichnetem Generalindex in 2 Bänden) finden, kann nur im Vorbeigehen verwiesen werden, ebenso auf die von Jellinek begründete, von Fröhlich und Beth fortgesetzte Internationale Bibliographie der Kunstwissenschaft (seit 1902) und das Repertoire d’art et d’archéologie, Paris, seit 1910 erscheinend, ein nützliches, nicht in den Handel gebrachtes Privatwerk, das Auszüge und Inhaltsangaben aus sämtlichen Zeitschriften enthält.

Besonders hervorgehoben als charakteristisch italienisch sei aber noch die von Calzini geleitete Rassegna bibliografica dell’ arte Italiana, seit 1898 erscheinend, mit großem Fleiße, aber an einem abgelegenen Orte (in Ascoli) gearbeitet und daher mit recht ungenügenden Hilfsmitteln, namentlich was die ausländische, gewöhnlich aus zweiter oder dritter Hand benützte Literatur angeht. Verdienstvoll sind besonders die Inhaltsangaben, namentlich bei dem ungeheueren provinzialen Wust, in dem sich doch, besonders bei der Zersplitterung der italienischen Literatur in Nozze- und sonstigen Gelegenheitsschriften, manches Wichtige und leicht zu Übersehende findet.

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Erstes Buch: Das Mittelalter

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Einleitung. Beginn der abendländischen Kunstliteratur.

Gleich den meisten Kulturäußerungen Europas senkt auch die an bildende Kunst anknüpfende Literatur ihre Wurzeln in hellenische Erde. Nun ist wohl von diesem bodenständigen Schrifttum nur mehr Weniges und Spätes unmittelbar auf uns gekommen, aber sein Geist und sein Stoff hat nachgewirkt, fast könnte man sagen bis auf unsere Tage. Das ungeheure Sammelbecken antiken Wissens, das die Enzyklopädie des älteren Plinius darstellt, hat uns nicht nur seine, wenn auch häufig fast unkenntlich gewordenen Trümmer, sondern auch — in Quellenverzeichnissen — seine Bibliographie und damit die Ahnung unendlichen, für immer verschütteten Reichtums erhalten; Vitruvs Compilation mit ihrem Katalog der alten Architekturschriftsteller (in Buch VII) tritt ergänzend hinzu.

Über die kritische Quellenforschung der neueren Archäologie orientiert am besten die treffliche Einleitung von Mrs. Eugenie Sellers, The elder Plinius chapters of the history of art, London 1896, eines der nützlichsten, echt englischpraktischen Bücher. Für die Terminologie des Plinius ist O. Jahns Aufsatz über die Kunsturteile des Plinius, Abh. der sächs. Ges. d. Wiss. 1850, noch immer von Bedeutung. Endlich Kalkmann, Die Quellen der Kunstgeschichte des Plinius. Berlin 1898. In dem Wiederabdruck von Furtwänglers frühem Aufsatz über die Quellen des Plinius (Kleine Schriften, München 1913, I, 1ff.) findet man jetzt eine vollständige Literaturübersicht. Gurlitt, Über Pausanias. Graz 1890. Heberdey, Die Reisen des Pausanias. Wien 1894. Petersen, Pausanias der Perieget, im Rhein. Museum 1909. Robert, Pausanias als Schriftsteller. Berlin 1907.

Diese älteste Kunstliteratur ist auf der Ausdrucksseite, in Künstlerkreisen groß geworden, so viel Unechtes und Legendarisches in ihr auch stecken mag, wie die Schriften des Apelles oder Euphranor. Aber die neuere philologische Kritik hat mit großem Scharfsinn die wichtigsten Vorlagen des Plinius rekonstruieren können, so namentlich den Xenokrates und Pasiteles, deren Schriften über technische Erörterungen hinaus zu ästhetisch-kritischen und historischen Folgerungen gediehen waren. Freilich gehören beide schon dem späthellenischen Zeitalter ausgesprochener Reflexion an. Gewiß waren es Bücher, die wie Ghibertis und Vasaris Werke aus einer reichen Kunstpraxis, in der diese Künstlerautoren mitten inne standen, erwachsen page 10 waren. Erhalten ist von dieser Art der Literatur nur ein einziges spätes und mittelbares Werk, das die Kenntnisse des Altertums auf einem wichtigen Gebiete allen Späteren vermittelt und dadurch unverhältnismäßigen Ruhm erworben hat: Vitruvs zehn Bücher von der Baukunst. Noch oder vielmehr wiederum in karolingischer Zeit lebendig, ja in Praxis umgesetzt, wie sich aus einem merkwürdigen Briefe Einhards ergibt, vermittelt es ästhetisch-technische Grundlegungen des Altertums dem späteren Mittelalter; seine Spuren finden sich in Schriften der Scholastik, in Italien bei Cennini. Im 15. Jahrhundert, als Poggio die Handschrift in St. Gallen wieder entdeckt hatte, nahm L. B. Alberti sich Vitruv zum Vorbild, hat in Lorenzo Ghiberti benützt und in seiner Weise, als erster, übertragen. Die Editio princeps zählt zu den Wiegendrucken des Quattrocento, die älteste gedruckte Übersetzung Cesarianos stammt von 1521; seine eigentliche Rolle als Bibel der Architektur hat wohl erst bei den Theoretikern des 16. Jahrhunderts angehoben.

Neben dieser Künstlerliteratur, die außer ihren technischen und ästhetischen Zielen, unter dem Einfluß des dem Griechenvolk eingeborenen historischen Sinnes, einen bedeutenden Einschlag geschichtlicher Konstruktion aufwies, kommt ein anderes ausgebreitetes Schriftwesen zu Wort, das auf der Eindrucksseite steht, aus Laienkreisen, aus dem Publikum der Genießer und Betrachter stammt. Ihr ältester uns bekannter Vertreter scheint der aus dem Pliniustext erschließbare Duris von Samos zu sein, der im 4. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. Haben jene theoretisierenden Künstler schon nach einer pragmatischen Verknüpfung der Kunstformen, also nach dem, was für uns heute »Kunstgeschichte« geworden ist, gestrebt, so meldet sich hier der lebhafte Anteil am Einzelnen, die Künstlergeschichte, freilich nicht im inneren stilistischen, sondern im äußeren, biographischanekdotischen Sinne. Überall, wo sich ein reiches, persönliches Kunstleben entfaltet hat, wie später in Florenz oder in den Niederlanden, zeigt sich diese Neigung des Publikums, das Leben und Schaffen seiner Helden in intimer Weise sich anzueignen, in Anekdoten, die meistens an der Oberfläche hängen bleiben, nicht selten aber auch durch sie ins Innere dringen und dann zu dem werden, was Burckhardt schön die historia altera genannt hat. Es steckt ein tüchtiger Brocken unvertilgbarer mythologischer Gesinnung und naiver Eindruckskritik in der Art, wie innerliches Schaffen und das oft so inadäquate Leben des Künstlers verbunden und popularisierend erklärt werden, in häufig trefflich erzählten, mit griechischer Fabulierkunst erfundenen und erborgten Geschichten oder Bonmots, die mit leiser Umbiegung der Wirklichkeit dem gewollten Zwecke dienstbar gemacht sind. Duris ist einer der einflußreichsten Schriftsteller auf diesem page 11 Gebiete, und durch die von Plinius und der römischen Rhetorik gegrabenen Kanäle sind vor allem seine jeux d’esprit Gemeingut der ganzen späteren Welt im weitesten Umkreis geworden. Die allbekannten und viel nachgebildeten Anekdoten von Apelles und Zeuxis, um nur diese zu nennen, zeigen deutlich, wie dergleichen häufig ein epigrammatischer Niederschlag bestimmter ästhetisch-technischer An- und Einsichten ist.

Da des Cornelius Nepos wohl ganz literatenmäßig abgefaßte Malerbiographien als verloren zu gelten haben, so stellen uns die einschlägigen Bücher in Plinius’ Naturgeschichte das einzig erhaltene Beispiel dieser Literaturgattung vor Augen. Die Enzyklopädie des oft unterschätzten Römers ist bei allen ihren Mängeln ein großartiger Versuch, die gesamte Natur in ihrem Verhältnis zu menschlicher Kultur zu betrachten, und Plinius, bei dem die Kunst folglich nur unter einem sekundären Gesichtspunkt erscheint, als Erläuterung des naturale durch das artificiale — nach einer bis ins 17. Jahrhundert fortwirkenden Anschauung — ist derart das große Sammelbecken, freilich auch das Grab antiken Gesamtwissens von der Kunst für uns geworden.

Plinius, der Literat, der seine geringe Kunsterfahrung selbst ungescheut preisgibt, hat seinen künstlerischen Stoff weiteren Gesichtspunkten dienstbar gemacht; sein, wie nicht anders zu erwarten, gewaltsamer Pragmatismus und Synkretismus erinnert von ferne an Vasaris Arbeitsweise. Was auch seine Vorgänger geleistet haben mögen, der Natur der Sache nach muß ihm das Verdienst bleiben, uns ein häufig verschobenes, aber immerhin eindrucksvolles Bild der alten Kunstentwicklung überliefert zu haben, das die moderne Archäologie richtigzustellen und wenn auch vielfach auf Um- und Irrwegen, wie denen des genialen Furtwängler, lebendig zu machen bemüht ist. Es konnte seine Wirkung auf die Späteren nicht verfehlen. Sie beginnt mit Ghibertis eigentümlichen Aneignungen, mit der Editio princeps von 1469, mit der vollständigen Übertragung ins Italienische des Landino von 1470, nicht zu vergessen des späteren Kommentars des Franzosen Demontiosus von 1585. Seit der hellenistischen Zeit hat sich endlich ein neuer, der topographische Anteil am Kunstwerk zum Wort gemeldet. Auch hier sind die Vorgänger, wie Pasiteles und Mucianus, aus Plinius, Polemon (dessen Fragmente von Preller gesammelt wurden) aus einem gleich zu nennenden Autor zu erschließen, und auch hier ist wieder nur ein einziges Werk der Art vollständig auf uns gekommen, das in seiner Wirkung allerdings den beiden anderen, Plinius und Vitruv, bedeutend nachsteht — obwohl die Editio princeps schon von 1516 stammt — und das seine eigentliche Bedeutung erst mit den archäologischen Studien der Neueren auf griechischem Boden ent page 12 falten konnte: des Pausanias’ Führer durch Griechenland. Er entstammt ähnlichen Voraussetzungen, aus denen die unabsehbare Periegetenliteratur Neu-Italiens entsprang, enthält ebenso wie diese einen beträchtlichen Niederschlag aufgespeicherter Ciceroni- und Küsterweisheit, zugleich gefördert durch die starken historisch-antiquarischen und künstlerischen Interessen des Reisepublikums namentlich hadrianischer Zeit, hat aber auch eine tiefere nationale Wurzel an den Kultstätten Griechenlands, die ebenso wie später die mittelalterlichen Kirchen und Klöster die ältesten öffentlichen Museen nicht nur der Kunst-, sondern auch der Naturgeschichte gewesen sind, so seltsam uns dies auch heute klingt. Wie die Kirche des Mittelalters ihre Heiltumsbücher hat, wie Roms Guidenliteratur von den »Mirabilien« ausgeht, so ist die Grundlage einer volkstümlichen Literatur für den gläubig-schaulustigen Pilgrim auch bei Pausanias nicht zu verkennen, zumal wenn man sich vorhält, welche Rolle Reliquienwesen und sonstiges Heiltumwesen noch in den Guiden des 17. Jahrhunderts spielt, zumal wenn ihre Verfasser geistlichen Standes waren. Die Frage der persönlichen Schau des alten Periegeten ist von Heberdey musterhaft behandelt worden; es ist die nämliche, die uns auch in der Vasarikritik entgegentritt.

Neben dieser technischen, historischen, topographischen Einstellung der Literatur, die das Kunstwerk als Objekt im Auge hat, stellt sich noch eine vierte ganz subjektive Gattung ein, die dem Kreise der Dichter, Rhetoren und Journalisten an gehört und das Kunstwerk vorwiegend als Anregung und Vorwand zur Entfaltung von Geist, Witz und Laune benützt. Gerade diese Literatur der »Ekphrasis«, der feuilletonistischen Bilderbeschreibung, enthält namentlich bei einem feinen Kenner, wie Lukian, nicht selten Ansätze zu künstlerischer Stilkritik. Sie ist wieder durch ein großes, zusammenhängendes Beispiel vertreten, die Bilder- und Statuenbeschreibungen der beiden Philostrate und des Kallistratos (Ed. princ. von 1503; eine durch ihren Kommentar auch für den Kunsthistoriker merkwürdige Übersetzung rührt von Blaise de Vigenère, Paris 1579, her; vgl. Stark, Handbuch d. Archäologie I, 93). Hat man namentlich den älteren Philostrat lange als bloßen Schönredner unterschätzt, so ist jetzt ein enger Zusammenhang mit dem Kunstleben der späten Antike erkannt worden. Diese Bilderbeschreibungen, die auch in gebundener Form (so bei Statius) auftreten und ihren Zusammenhang mit den Rhetorenschulen, diesen mächtigsten Pflanzstätten antiker (und neuerer) Ästhetik, nicht verleugnen können, gehen von dem großen Sittengemälde des Petronius an als ständiges Requisit in den spätantiken Roman über und haben, nicht nur auf byzantinischem Boden, ein langes Nachleben gehabt.

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Hält die Bilderbeschreibung doch noch viele konkrete Züge des Kunstwerkes fest, freilich in ihrer selbstherrlichen und rhetorisch auflösenden Art, so verflüchtigt sich dies fast ganz im Epigramm, dieser feinen Blüte griechischen Geistes. Die Sinngedichte — der deutsche Ausdruck ist treffender als der griechische, in dem indessen der Ursprung der Gattung noch deutlich anklingt —, wie sie die Anthologie aufbewahrt hat, namentlich die zahllosen auf Myrons Wunderkuh, sind bezeichnend dafür, wie das nämliche Thema in zahllosen Variationen verändert wird, und das Kunstwerk selbst hinter dem Feuerwerk von Geist, zu dem es Anstoß gegeben hat, nahezu verschwindet. Die Myron-Epigramme variieren unverdrossen einen der volkstümlichsten concetti, der durchaus der Eindruckssphäre bildender Kunst entstammt: die wirkliche oder angebliche Vortäuschung unmittelbaren Lebens; es ist die Form, unter der sich die volks- und urtümliche, nicht selten in Dämonismus umschlagende Anschauung am frühesten und leichtesten des stets enigmatischen Kunstwerks bemächtigt. Hat sich doch die Bildungsmagie bis heute in abgelegenen Tiefen und Weiten erhalten.

Ein ganzes Buch der palatinischen Anthologie ist bekanntlich der Bildkunst gewidmet; vgl. Vitry, Études sur les épigrammes de l’anthologie Palatine, qui contiennent la description d'une oeuvre d’art (Revue archéologique 1894).

I. Die mittelalterliche Kunstliteratur (Überblick).

1. Im griechischen Osten.

Übersieht man die nach der Völkerwanderung aufkeimende Literatur, namentlich soweit sie auf Kunstdinge Beziehung hat, so erscheinen die Wege, die zur Antike führen, verschüttet, nur hie und da schmale Saumpfade offen, und die spärlichen Ansiedelungen auf urtümlichem, eben erst gerodetem Boden entstanden. Am ehesten wäre noch eine unmittelbare Weiterentwicklung auf byzantinischem Boden anzunehmen, aber auch hier handelt es sich um eine echt »mittelalterliche«, höchst eigentümliche Kultur, die man erst neuerdings recht zu erfassen begonnen hat. Spielt das Antike hier auch eine weit größere Rolle, schon durch eine innerlich wirksamere Kontinuität der Schriftsprache, als sie dem Latein des Westens eigen ist, so steht doch auch hier hinter der antiken Fassade etwas ganz Neues, das christlich-orientalische Gotteshaus. Griechischer Osten und lateinischer Westen waren, noch als das einheitliche Römerreich beide umfaßte, verschiedene Wege gegangen, eine Erscheinung, die z. B. die page 14 antike Numismatik sehr lehrreich darzustellen vermag, in dem stark individualisierten Kupfergeld der griechischen und gräcisierenden Städte vom Pontus bis Arabien hier, in der einheitlichen Reichsmünze dort. Die spätere administrative Einteilung des Reiches hat dem Rechnung getragen und die Zweiteilung des lateinischen Westens und des griechischen Ostens ward durch die Gründung des neuen Roms, der Konstantinstadt, noch stärker betont, bis schließlich auch die äußere und endgültige Trennung erfolgte. Wurde der Westen bald die Beute der Barbaren und erfolgte in seiner Zersplitterung das Aufkommen der von jeher in der Tiefe schlummernden Volkskräfte, die dann als romanische und germanische Nationen in die Geschichte eintraten, so hielt das Ostreich wenigstens äußerlich der sarazenischen, slawischen, mongolischen Flut, die es immer enger umspülte, bis ins späte Mittelalter stand und bewahrte, wenn auch zuletzt nur mehr als literarische Fiktion, sein antikes Erbe. Die Zweiteilung Europas war endgültig entschieden, als sich im großen Schisma auch die Kirchen trennten. Bleibt im Westen auch das alte Latein das einigende Band, so kommen doch schon ziemlich früh die Nationalsprachen und damit auch die Nationalcharaktere zur Geltung, während im Osten die viel kulturschwächere Slawenwelt ihr Zentrum in Byzanz fand und Selbständiges kaum hervorzubringen vermochte. Trotzdem laufen beide Entwicklungen parallel, neben der einheitlicheren und geschlosseneren, die wir mit dem Namen der byzantinischen belegen, steht die vielgestaltigere und unruhigere der romanischen.

So ist auch das Bild der Kunstliteratur im Osten geschlossener und hat seine antiken Voraussetzungen deutlicher bewahrt; hat doch auch diese Kunst die Reste antiker Raumdarstellung konserviert, die durch das Zwischenland Italien mit seiner griechischen Renaissance den Anstoß zu der neuen Malerei des Nordens und zur Überwindung des nationalen, aus urtümlichen Wurzeln aufgesproßten Linien- und Flächenstils gab.

Sehen wir uns nun nach der unmittelbar aus der Kunstpraxis selbst entsprungenen Literatur um, so ist sie in Wahrheit durch ein einziges Produkt vertreten, das trotz der alten, wenn auch reichlich umgebildeten Sprache in Form und Wesen durchaus neu, eigen- und volkstümlich ist und mit der Antike kaum mehr etwas gemein hat. Es ist das früher nach Alter und Einfluß stark überschätzte Malerbuch vom Berge Athos, die Ἑρμηεία τῶν ζωγράϕων. Heinrich Brockhaus und dem letzten griechischen Herausgeber Pappadopulos Kerameus gebührt das Verdienst, nachgewiesen zu haben, daß die Hermeneia keineswegs, wie man gemeint hat, den Tagen des Bilderstreits angehört, daß auch nicht einmal ein zwingender Grund vorliegt, in der uns vorliegenden, über das 18. Jahrhundert nicht zurück page 15 reichenden, in den älteren Ausgaben noch dazu durch einen Fälscher entstellten Redaktion einen besonders alten Kern anzunehmen, daß sie auch keineswegs ein Kodex der byzantinischen Kunst, woraus sich deren vermeintliche Starrheit erkläre, sei, sondern lediglich ein aus der Atelierpraxis hervorgegangener Handweiser, ähnlich wie im giottesken Italien der Traktat Cenninis, wobei natürlich für jeden einzelnen Fall die Frage offen bleibt, wie weit die beschriebenen Praktiken in den Werkstätten zurückreichen mögen. Antike Tradition ist hier im ganzen kaum zu erwarten, wohl zeigt sich aber der Zusammenhang mit italienischer Renaissancekunst, so wenn ein Atelierausdruck wie νατουράλε, freilich in verschobener Bedeutung, geradezu übernommen wurde. Trotzdem bleibt die Hermeneia eine der ansehnlichsten Quellen, wenn die Rückschlüsse immer mit der nötigen Vorsicht und Beachtung der späten Entstehungszeit gemacht werden; die zahlreichen technischen Vorschriften gewähren lebendigen Einblick in einen ganz mittelalterlichen Werkstattbetrieb, der vom exemplum, dem Arbeiten mit Bausen u. s. w. reichlichen Gebrauch macht. Die ausführlichen ikonographischen Schemata im II. und III. Teil, die Erörterungen über das auf dem Athos noch jetzt übliche System der Kirchenmalerei lassen die Ausbildung einer Tradition erkennen, zu der wir in den abendländischen Traktaten kein Gegenbild kennen.

Den frühesten Hinweis auf das Malerbuch hat Schorn im Kunstblatt von 1832, charakteristischerweise aus dem einstigen Münchener Kunstleben heraus gegeben. Damals befand sich eine Abschrift des 18. Jahrhunderts im Besitz des Malers Dimitri von Morea, der 1828 darnach einige Bilder in der griechischen Kapelle zu München malte. Aufgefunden wurde die Handschrift auf dem Berge Athos von Didron und in französischer Übersetzung publiziert: Manuel d’iconographie chrétienne grècque et latine, Paris 1845. Der griechische Urtext erschien zu Athen 1853, jedoch wie der Didrons auf einem interpolierten Exemplar des berüchtigten Handschriftenfälschers Simonides beruhend; auch die Jahreszahl 1458 scheint gefälscht. Letzte Ausgaben durch Konstantinidis, Athen 1885, in neuer gereinigter Gestalt von Pappadopulos Kerameus, Denys de Fourna, Petersburg 1900. Διονυσίου τοῦ ἐν Φούρνα Ἑρμηεία τῆς ζωγραϕιϰῆς, ebenda 1909. Vgl. dazu Byzantin. Zeitschrift, IX, 707. Pappadopulos hat die Zeit des mönchischen Redakteurs Dionysios von Furna (Beginn des 18. Jahrhunderts) nachgewiesen. Kurze Zusammenfassung der kritischen Ergebnisse von Leidinger im »Kunstwanderer« 1920, 45, der vollständig im Rechte ist, wenn er zur Vorsicht mahnt, aber die eigentliche, trotz der späten Redaktion bestehen bleibende Bedeutung des Buches einseitig verkennt. Deutsch von Schäfer, Trier 1855, die gewöhnlich benützte, obwohl ganz unzuverlässige, auf Didron beruhende Ausgabe. Dazu Piper, Monum. Theologie 256ff. Bayet, Notes sur le peintre byzantin Manuel Panselinos et sur le guide de la peinture du moine Denys. Revue archéologique 1884. Melani, Sul monte Athos e su una guida della pittura. Arte e storia 1901. Grundlegende Erörterungen über den Text und seine legendenhaft gefärbte Geschichte (der Maler Panselinos) bei H. Brockhaus, Kunst in den Athosklöstern, Leipzig 1891, S. 151ff., mit genauer Inhaltsübersicht. Zum Technischen: Berger, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Malerei, München 1897, III, 65f. Über die Proportionslehre des Malerbuches und in Byzanz überhaupt vgl. jetzt die sehr lehrreichen Ausführungen Panofskys, Die Entwicklung der Proportionslehre. Monatsh. f. Kunstwiss., II, 1921, 199f.

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Eine ähnliche Schrift von einem gewissen Doxaras, die auch erst aus dem Jahre 1726 stammt, hat Lambros, Παναγιώτου Δοξάρα περὶ ζωγραϕίας χειρόγραϕον, Athen 1871, herausgegeben. Über die verwandten, zum Teil illustrierten russischen Handwerksbücher, den »Podlinnik« u. a. vgl. Sabatier, Notions sur l’iconographie sacrée en Russie, Petersburg 1849. Deutsch bei Schäfer a. o. a. O. 442; vgl. auch Piper a. a. O. 267.

Künstlergeschichten werden wir in Byzanz, wo das Individuum offiziell verschwindet — man denke an das Porträt, das fast so typisch wird wie in althellenischer Zeit — nicht erwarten; ungemein reich ist dagegen die topographische Literatur, die fast ausschließlich an die Hauptstadt anknüpft, und von Prokops im Elogenstil abgefaßten Büchlein von den Bauten Justinians über des Niketas’ Klageschrift über die 1204 von den Lateinern zerstörten Kunstwerke bis zur Topographie Konstantinopels des Kodinos im 15. Jahrhundert führt. Daß die Kunst der Antike hier eine außerordentliche Rolle spielt, eine fast noch größere als in Rom, ist in der Stadt, die Konstantin zu einem Museum alter Kunst gemacht hatte, begreiflich. Die Fülle der Nachrichten über bildende Kunst, die in den byzantinischen Historikern steckt, hat Unger, freilich in wenig glücklicher Weise, zu kompendieren versucht. Völlig im Geiste des Altertums ist nur die rhetorischjournalistische Literatur in Ekphrasen und Epigrammen, die von der justinianeischen Zeit bis in die letzte Zeit des Reiches herabreicht; ist doch die Rhetorik auch als letzte der alten Literaturgattungen gestorben.

Für das Gesamtgebiet ist natürlich Krumbachers umfassende Geschichte der byzantinischen Literatur, 2. Aufl. von 1897, unentbehrlich; mit Nutzen wird man die gedrängte Übersicht desselben Verfassers in Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Bd. VIII, 1 (1907) hinzunehmen. Auch auf das ausgezeichnete, einen starken Band füllende Generalregister der Byzantinischen Zeitschrift (Bd. I—XII) von Marc (Leipzig 1909) muß hier noch besonders verwiesen werden.

Topographische Literatur. Prokop, Περὶ ϰτισμάτων (558), zunächst im Pariser Corpus von 1662 mit lateinischer Übersetzung, daraus im Bonner Corpus der SS. Byz. von Dindorf (1832). Neue Ausgabe mit englischer Übersetzung und Kommentar von Aubrey Stuart in Palestina Pilgrims Text Society, London 1888, ferner von Haury in der Bibl. Teubneriana, Leipzig 1912. Der Text läßt wie bei fast allen oströmischen Historikern, noch viel zu wünschen übrig; aus des Prokopios überkommenem panegyrischem Stil das Reale herauszuschälen ist übrigens nichts weniger als leicht.

Die topographische Literatur über Konstantinopel hat im 15. Jahrhundert, knapp vor dem Türkeneinfall eine abschließende Redaktion durch Georg Kodinos Kuropalates gefunden. Das Ganze besser als in Bekkers Ausgabe im Bonner Corpus (1843), das unvollständigen und unsauberen Text und nicht einmal Register hat, in Mignes Patrologia graeca, vol. CLVII, mit beigefügter lateinischer Übersetzung. Das Quellenverhältnis ausführlich dargelegt von Praeger, Beiträge zur Textgeschichte der Πάτριά Kονσταντινοπόλεως, Münchener Gymn.-Progr. 1895. Die Arbeit des Kodinos ist lediglich eine Kompilation aus älteren Quellen und enthält fünf Teile: die Gründungsgeschichte der Stadt, ihre Topographie, das Verzeichnis der öffentlichen Kunstwerke, auf Joh. Lydos und einer älteren Kompilation des 12. Jahrhunderts beruhend, die Gründungsgeschichte der Kirchen, Klöster, Paläste und öffentlichen Bauten, endlich die Geschichte der Sophienkirche, von zahlreichen Fabeln durch page 17 setzt. Ein Exkurs über die Bau- und Bildwerke von Konstantinopel steht auch in der Weltchronik des Kedrenos (12. Jahrhundert, im Bonner Corpus VII, 563f.). Das gesamte damals erreichbare Wissen über den Gegenstand hat der französische Reisende P. Gyllius († 1555) seiner Schrift De topographia Constantinopoleos, libri IV, Lyon 1561, zusammengefaßt; wiederholt in Banduris Imperium orientale, P. III (s. u.). Ein Schriftchen über die im 16. Jahrhundert noch vorhandenen Denkmale (verfaßt zwischen 1565 und 1575), herausgegeben von Foerster, De antiquitatibus et libris mss. Constantinopolitanis, Rostock 1877. Dazu die wichtigen Erläuterungs- und Sammelschriften: Banduris Imperium orientale, Paris 1711 und Venedig 1729; Combefis, Orig. rerumque Constantinopolis e variis autoribus manipulus, Paris 1664; Du Cange, Historia Byzantina (II. Teil u. d. T.: Constantinopolis christiana), Paris 1682, in deren Kommentaren namentlich ein ungeheures, noch heute wertvolles Material aufgespeichert liegt. Zur Topographie von Konstantinopel die Scriptores rerum Cpl. rec. Praeger, bei Teubner, Leipzig 1907, und mehrere Aufsätze desselben Verfassers: über die Erzählung vom Bau der Sophienkirche, Byz. Zeitschr. X, 453, über die Überlieferung der Patria Cpleos, ib. XIII, 370; Studien zur Topographie Kpls. ib. XIV, XIX, XXI.

Die Schrift des Prokop gehört schon zu den rhetorischen Paradestücken, zwischen Panegyrikus und Ekphrasis die Mitte haltend, an denen Byzanz in prosaischer und gebundener Form ungemein reich ist. Hier ist zu nennen die gleichfalls noch justinianeischer Zeit angehörige, schwülstige und schwer verständliche Beschreibung der Sophienkirche von Paulos Silentiarios, schon von Lessing in seiner Abhandlung zur Gesch. und Lit. aus den Schätzen der herzogl. Bibliothek in Wolfenbüttel, Braunschweig 1773 (Werke, Hempel XIII, 1, 194) besprochen. Im Bonner Corpus ed. Bekker 1837; der Text auch im Anhang zu Holzingers Altchristlicher Architektur in systematischer Darstellung, Stuttgart 1889, metrisch übersetzt von Kortüm im Anhang zu Salzenbergs Altchristlichen Baudenkmälern von Constantinopel, 1854, vollständig (in Prosa) mit Anmerkungen von Kreutzer, Leipzig 1875. Praeger in der Byz. Zeitschr. XIII, 1. Eine höchst sorgfältige Untersuchung verdanken wir Paul Friedländer, Johannes von Gaza und Paul Silentiarius, Kunstbeschreibungen justinianeischer Zeit, Leipzig 1912 (mit Texten, Kommentaren und ausführlicher Einleitung über die Beschreibungen von Kunstwerken in der antiken Literatur, deren durchwegs »rhetorischen« Ursprung Friedländer in Abrede stellt). Merkwürdig und vieles in dem engen Verhältnis zwischen Kunst und Literatur auch anderwärts aufhellend ist der Umstand, daß das Gedicht des Silentiarios bestimmt war, bei der Einweihung der Sophienkirche öffentlich vorgetragen zu werden. Ähnlich ist die metrische Beschreibung der Apostelkirche und ihrer Kunstwerke von Konstantin dem Rhodier (10. Jahrhundert), nach einer Athoshandschrift herausgegeben von Le Grand, mit archäologischem Kommentar von Th. Reinach, Revue des études grecques, vol. IX (1896); eine russische A. von Begleri, Odessa 1896. Vgl. auch Krumbacher a. a. O. 725. Auffallend ist der fanatische Haß gegen das heidnische Bildwesen. Für den Autor kommt der kritische Aufsatz von Wulff, Die sieben Wunder von Byzanz und der Apostelkirche nach Konst. Rhodios (Byz. Zeitschr. 1898, VII, 316f.) besonders in Betracht. Des Pachymeres († 1310) versifizierte Beschreibung des Augusteôn mit der Reiterstatue Justinians in Banduris Imp. Orientale I, 98ff., ist ein Gegenstück zu den antiken und mittelalterlichen Versbeschreibungen dieser Art von Statius und Walafrid Strabo.

Solche meist stark rhetorisch gefärbte Berichte gibt es auch in Prosa. Beispiele sind der Brief des Gregor von Nyssa an Amphilochus in Iconium (zw. 379 und 394) über die von ihm in Nyssa geplante Märtyrerkapelle; veröffentlicht mit ausführlichem technisch-philologischem Kommentar von B. Keil bei Strzygowski, Kleinasien 77—90; dann die Schrift des Photios über die von Basilios dem Makedonier gegründete Muttergotteskirche (9. Jahrhundert) bei Migne, Patrol. gr. CII, 563; die angeführte Schrift des Niketas Akominatos über die 1204 zerstörten antiken Kunstwerke (ed. Wilken, Gesch. der Kreuz page 18 züge, 5. Teil, Leipzig 1829, dazu Heynes noch immer wertvolle Abhandlung über die Kunstwerke in Constantinopel, Comm. Soc. regiae scientiarum, Göttingen 1791 und 1792.

Aus allen diesen Dingen spricht doch unverkennbar noch ein starker formaler Anteil am Bildwerk, der in dieser Art im Westen zunächst selten vorhanden ist und sich erst entwickelt. Wie viel hier freilich auch literarische Tradition mitspielt, zeigen die zahllosen, auf Kunstwerke bezüglichen Epigramme, die die antike Überlieferung lückenlos fortsetzen. Die Verse des Ägypters Christodoros, mit der Schilderung der 532 im Nika-Aufstand zerstörten antiken Statuen im Zeuxippos-Gymnasium, bilden ein ganzes Buch der Anthologie, vgl. K. Lange, Die Statuenbeschreibungen des Christodor und Pseudolibanius. Rhein. Museum N. F. 35 (1880). Auf christliche Kunst, aber ganz im Stil des altheidnischen Epigramms, beziehen sich die Verse des Christophoros von Mytilene (11. Jahrhundert), A. Rocchi, Versi di Cristoforo Patrizio, Rom 1889, mit Kommentar. Neuere A. von E. Kurtz, Leipzig 1903, die des Theodoros Prodromos auf die 12 Monate, ein häufiges Thema byzantinischer Kunst (vgl. Strzygowski im Rep. ƒ. Kunstw. 1888 u. 1890; Riegl in den Mitt. des Inst. f. österr. Geschichtsforschung 1889, dazu Krumbacher p. 753f.). Sehr viel findet sich bei Manuel Philes (gleichfalls aus dem 14. Jahrhundert), Ausgabe von Miller, Paris 1855, vgl. Muñoz, Descrizioni di opere d’arte in un poeta bizantino del sec. XIV. Rep. f. Kunstw. 1904.

Ebenso ununterbrochen ist der Zusammenhang mit der Antike auf dem Gebiete der prosaischen Ekphrasis, der Einzelbeschreibung des Kunstwerkes, wo die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion nicht immer zu erkennen sind. Ein höchst charakteristisches Beispiel bietet eine Homilie des hl. Asterius, Bischofs der pontischen Metropole Amasa, der am Schlusse des 4. Jahrhunderts lebte, also freilich ganz ähnlich wie Prudentius noch auf antiker Kultur fußt. (In Mignes Patrologia graeca, vol. XL, 334 f.) Schon dies Detail ist bezeichnend, daß er, von der Lektüre des Demosthenes ermüdet, sich in die Kirche der hl. Euphemia begibt, um dort die Gemälde aus der Passion der Heiligen zu betrachten; nicht minder das Selbstgefühl des rhetorisch Gebildeten, »dem nicht mindere Farben zu Gebote stehen als dem Maler selbst« (οὐδὲ γαρ ϕαυλότερα πάντως τῶν ζωγράϕων οἱ μουσῶν παῖδες ἔχομεν ϕάρμαϰα.) Echt rhetorisch, obwohl klar und einsichtig, ist denn auch die Schilderung dieser für die frühchristliche Kunst sehr charakteristischen Martyrienbilder, die wir bei Paulinus von Nola wiederfinden; bei der Schilderung der grausamen Einzelheiten, der Marterwerkzeuge, der Blutspuren, übermannen ihn die Tränen. Auch sonst ist seine Phantasie durchaus stofflich angeregt, auch in der Schilderung von Einzelzügen, wie des gespannt zuhorchenden Gerichtsschreibers. Eine formale Würdigung ist nirgends versucht; alles, was dahin gehört, wird aus der unerschöpflichen Vorratskammer der Antike bestritten. Der Maler ist ein zweiter Euphranor, und die Mischung widerstreitender Affekte in dem Antlitz der verhörten Jungfrau, Scham und Standhaftigkeit, führt den Vergleich mit einem altberühmten Werke, der Medea (des Timomachos) herbei, oder vielmehr, diese vermutlich literarische Reminiszenz leitet den Homileten bei seiner Schilderung. Die Brücke von der Antike zum Mittelalter schlägt die Äußerung, page 19 der Künstler habe das Ethos noch besser als seine Farben gemischt (ϰαὶ σϕόδρα γε ἄγαμαι τοῦ τεχνίτου, ὅτι μᾶλλον ἔμιξεν τῶν χρωμάτων, τὸ ἦϑος...); dieses Ethos trägt ja in der Wertschätzung den vollen Sieg über die Form davon. Einzelnes früher Genanntes gehört auch hierher; namentlich ist jenes philistäische Gaza, aus welchem der obenerwähnte Joannes stammt — von ihm rührt die Beschreibung einer Weltkarte in Gaza u. a. her — ein besonderer Mittelpunkt der Spätantike gewesen, in dem reichlich vorhandene Kunstwerke einen starken rhetorischen, fast journalistisch zu nennenden Anteil wacherhielten; in dieser Provinzstadt ist die Brücke vom Heidentum zum Christentum so breit wie in Konstantinopel. Ein Hauptvertreter ist hier der Sophist Chorikios (6. Jahrhundert) in dessen Prunkreden, die vielfach auf berühmte Kunstwerke der Antike Bezug nehmen, sich auch eine Beschreibung der justinianeischen Sergiuskirche in Gaza befindet, die in der neueren baugeschichtlichen Forschung oft herangezogen wird. Über die eigentümliche Atmosphäre der Stadt unterrichtet am besten Förster im Jahrbuch des kais. deutschen Archäolog. Instituts 1894, 167. (Der Praxiteles des Chorikios.) Eine Gesamtausgabe von Chorikios’ Schriften hat Boissonade, Paris 1846, besorgt.

Die Schriftstellerei des Konstantin Manasses hat Sternbach in den Jahresheften des österr. Archäolog. Instituts 1902, 61 behandelt. Hier sind die kunstgeschichtlich wichtigen Stellen ausgezogen und kommentiert, ferner zwei merkwürdige Ekphrasen desselben Autors im Zusammenhang gegeben, die Beschreibung eines Mosaiks mit der Tellus (schon früher von Hercher in den Nuove mem. dell’ Istit. archeol. II, 491 publ.), dazu der kritisch gereinigte Text der ähnlichen Ekphrasis des Manuel Philes (vgl. dazu den Theodulf betr. Abschnitt in meinem Quellenbuch zur Kunstgesch. des abendländ. Mittelalters, S. 121, Nr. XVI), endlich eine zweite Ekphrasis des Manasses (Odysseus und der Kyklop). Die Annahme, daß in einem Itinerar (Hodoiporikon) dess. Autors eine Stadtbeschreibung von Kpl. vorliege, hat Horna, Byz. Zeitschr. XIII, 313, als irrig erwiesen.

Ganz für sich steht die Prosopographie des apokryphen Archäologen Elpios Romäos, erhalten in einem Cod. Coislinianus in Paris, vgl. v. Dobschütz, Christusbilder (in v. Gebhardts und Harnacks Texten und Untersuchungen zur Gesch. der altchristl. Literatur, N. F., Bd. III, S. 298. Der Herausgeber wollte darin ein Malerbuch erblicken, was Fürst, Untersuchungen zur Ephemeris des Dictys von Kreta (Philologus 1900, H. 3), mit Recht bestreitet.

In wie späte Zeiten aber dergleichen hinabreicht, lehren zwei Stücke dieser Art, dadurch merkwürdig, daß sie Leistungen der neu orientierten nordländischen Kunst aus der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert noch völlig im Stile der alten Rhetoren behandeln. Das eine ist die Beschreibung, die Kaiser Manuel II. von einem zu Paris 1399 gesehenen französisch-flandrischen Teppich verfaßt hat; das andere, ähnliche, rührt von Johann Eugenikos aus Trapezunt (15. Jahrhundert) her. Zwei Welten, eine absterbende und eine aufsteigende, rühren da aneinander in seltsamem Kontrast. (Beide übersetzt und besprochen von mir in den Mitt. des Inst. f. österr. Geschichtsforschung, Bd. XVII.)

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Aus der späten Antike gehen dann die fingierten Kunstbeschreibungen als ständiges Versatzstück auch in den byzantinischen Roman hinüber, so in den Roman des Eustathios, Hysmine und Hysminias, worüber Rohdes Geschichte des griechischen Romans nachzusehen ist. Etwas weiter ab steht die wüste allegorische Spielerei in dem Gedicht des sogenannten Meliteniotes, eine Beschreibung des Palastes der Vernunft (ed. Miller in den Notices et extraits de ms., vol. XIX, Paris 1858), die in einem altitalienischen Gedicht, der sogenannten Intelligenzia (worüber später), ihr Gegenbild hat. Über die ganze Literatur der byzantinischen Ekphrasen ist noch zu vergleichen Muñoz, Alcune fonti letterarie per la storia dell'arte bizantina N. Bull. di archeologia cristiana, 1904.

Die auf bildende Kunst bezüglichen Stellen aus den byzantinischen Geschichtschreibern, unter denen besonders Evagrios und Theophanes sehr viel enthalten, hat Unger in seinen Quellen zur byzantinischen Kunstgeschichte (Eitelbergers Quellenschriften XII) gesammelt; ein zweiter Band wurde erst 1897 aus Ungers Nachlaß von J. P. Richter in der neuen Folge der Quellenschriften, Bd. VIII, notdürftig publiziert. (Vgl. Praegers Rez. in der Byz. Zeitschr. VII, 198.) Beide Bände leiden indes an schweren Mängeln; die Texte, die bei den Byzantinern ohnehin im argen liegen, sind nach alten Ausgaben und lediglich in deutscher, nicht immer sinngetreuer Übersetzung gegeben, die Register sind mangelhaft, die Anordnung des Stoffes ist verfehlt, das ganze lediglich zur ersten Orientierung brauchbar. Über die Schriften aus dem Bilderstreit, die sachlich nicht viel bringen, vgl. Pipers Monum. Theologie 239f.; die wichtigste ist wohl der Apologeticus maior des Patriarchen Nikephoros (815), am bequemsten zugänglich in Mignes Patrol. graeca, vol. C.

2. Im lateinischen Westen.

A. Technische Literatur.

Das Altertum hat uns, wenn man von Vitruv absieht, keine technischen Anweisungen hinterlassen. Einen wundervoll lebendigen Einblick in den spätrömischen Werkstattbetrieb in den Tagen Diokletians, wo heidnische und christliche Steinmetzen nebeneinander arbeiten, gewährt die in einem Steinbruch Pannoniens, an der Grenze von Ost und West, spielende Passio IV Coronatorum. (Letzte A. von Wattenbach in Büdingers Unters, z. Röm. Kaisergesch. III. mit archäolog. Kommentar von O. Benndorf. Vgl. a. Ilg in Mitt. der Zentralkomm. XVII.) Es ist charakteristisch, daß das Mittelalter zunächst mit der Sammlung und Bergung der Werkstattpraktiken beginnt, der übrig gebliebenen wie der neu aufkommenden. Es ist so gut wie seine einzige Kunstliteratur im eigentlichen Sinne, begreiflicherweise, da es auf dem ungeheuren Trümmerfelde der antiken Kultur wieder von vorne anfangen mußte. Auch das Athosbuch, ein so später Widerschein es ist, bedeutet der Antike gegenüber etwas Neues, während die Kunstbeschreibungen im alten Fahrwasser segeln, die zahlreichen Notizen und Berichte über bildende Kunst bei den Historikern rohes page 21 Material bleiben, bei dem man über andere als topographische Zusammenfassung kaum jemals hinausgelangt. Ästhetische oder geschichtliche Konstruktionen werden im Osten oder Westen nicht mehr versucht, erst am Schlusse der Periode regen sich neue Kräfte und Einsichten. So scheint es billig, mit dem orginalsten Teil dessen, was wir mittelalterliche Kunstliteratur nennen können, zu beginnen, mit den technischen Traktaten.

An die Spitze stellen wir, nicht sowohl seines immerhin ehrwürdigen Alters, als um seiner sonstigen Eigentümlichkeiten willen, den sogenannten Heraclius, De coloribus et artibus Romanorum; der Titel sagt schon zur Genüge, daß er eine Notbrücke zu der glorreichen Vergangenheit schlagen will. Es ist ein Buch, das schon Lessings antiquarische Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat Es gehört vermutlich noch ins 10. Jahrhundert und ist mit Sicherheit in Italien, wenn auch nicht gerade in Rom zu lokalisieren; das gilt freilich nur von den beiden ersten in wunderlichen Hexametern dahinklappernden Büchern; das dritte, in Prosa, ist erst im hohen Mittelalter und in Nordfrankreich zugesellt worden; wir wissen übrigens, daß die Schrift noch im 15. Jahrhundert gelesen wurde. Der angebliche Verfasser Heraclius ist, wie Ilg hübsch dargetan hat, eine mythologische Bildung: Heraclius (Ἡράϰλειος λίϑος) heißt bei Plinius der Prüfstein und wird im vorliegenden Falle zur Personifikation eines Wundermannes, der in der mittelalterlichen, von orientalischen Fabeln gespeisten Literatur auch sonst seine Rolle spielt. (Vgl. dazu auch die Notiz in Starks Handbuch der Archäologie, p. 90.) Allerhand Wundersames, wie die Eigenschaften der Steine, nimmt auch in dem Buche großen Raum ein. Diese »Römerkünste« lassen einen merkwürdigen Blick in die gärenden Zustände Italiens im frühen Mittelalter tun, nicht nur in ihrer wirren und verwahrlosten Sprache und Metrik, sondern ebensowohl in ihrem ganzen Geiste. Wie in den Mirabilien Roms und Konstantinopels rankt sich mittelalterlich-orientalisches Märchen- und Abenteuerwesen um die antiken Reste; es ist wirklich eine Art Casa di Crescenzio, mit alten Bauresten ausgeflickt. Wurde doch gerade darauf angespielt, welche große, freilich kunstfremde Rolle ein Erbe des Altertums, die Steinkunde, hier spielt; es genügt der Hinweis auf die wesensverwandten Lapidarien und Bestiarien des Mittelalters mit ihrem kraus phantastischen Ausbau antiker Naturkenntnisse und Naturfabeln. Bezeichnend ist auch, daß von monumentaler Kunst keine Rede ist, nur Miniaturmalerei, Glastechnik, Keramik treten in den Gesichtskreis des Heraclius, und daß vielfach griechische Rezepte mitgeteilt werden, ist im Italien dieser Zeit auch natürlich genug. Daß Plinius und Vitruv genannt und, wenn wohl auch nicht auf unmittelbarem Wege, benützt werden, ist wohl anzumerken.

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Der »Heraclius« wurde zuerst von Raspe, A critical essay on oil-painting, London 1781, nach einer (unvollständigen) Cambridger Handschrift veröffentlicht. Lessings schon früher geweckter Anteil erklärt sich aus seiner Beschäftigung mit derselben Materie. Nach einer Pariser Handschrift veröffentlichte ihn Mrs. Merrifield in ihren trefflichen Original Treatises... on the arts of painting, London 1849, I. Kritisch revidierter Text mit deutscher Übertragung, Einleitung und Noten von A. Ilg, in Eitelbergers Quellenschriften IV, Wien 1873. Die Handschriften reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Über das III. Buch wie über diese ganze technische Literatur überhaupt sind besonders zu vergleichen: Giry, Notice sur un traité du M. A. intitulé de coloribus et artibus Romanorum. Bibl. de l’école des Hautes Études XXXV (1878), mit wichtigen Mitteilungen über die Hss., namentlich eine neu gefundene in der Bibliothek von Valenciennes. Dann Bergers Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Malerei, München 1897, III, 30f. Der »Heraclius« wird sehr ausführlich, zum Teil unter neuen Gesichtspunkten (jedoch literarischer Art) von Pellizzari a. a. O. 387f., behandelt, der auch einen Neudruck der beiden ersten Bücher mit kritischem Apparat bringt (Anhang 505—515). Er versucht nach Girys Vorgang die geschichtliche Person des »Heraclius« gegen Ilg zu retten, wie mir scheint, nicht mit viel Glück.

Nicht um den Gegenstand irgendwie zu erschöpfen, sondern um den Geist des »Heraclius« näher zu beleuchten, in dem ja die mirakulose Edelstein- und Gemmenkunde eine so große Rolle spielt, sei hier auf ein paar seltsame Produkte des Mittelalters hingewiesen: den Libellus de deorum imaginibus des Albericus philosophus (9.—10. Jahrhundert? England?) in den Mythographi Latini ed. Muncker, Amsterdam 1681, II, 301ff., den Liber monstrorum in diversis generibus in Moriz Haupts Opuscula, Leipzig 1876, I, 221ff. (aus einer Wolfenbütteler Handschrift des 10. Jahrhunderts), endlich den »Cethel« aut Veterum Judaeorum physiologorum de lapidibus sententiae, bei Pitra, Spicilegium Solesmense, Paris 1885, III, 335ff. Hier liegen überall die antiken Gemmen zugrunde (deren Rolle auf mittelalterlichem Kirchen- und Profangerät bekannt genug ist), in phantastischester Auslegung und Umdeutung, die häufig an die venetisch-byzantinische Elfenbeinplastik des 10.—11. Jahrhunderts erinnert. (Vgl. auch Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses XXIII, 320, n. 1.) Zum Albericus ist zu vergleichen Saxl, Verzeichnis illustrierter astrologischer und mythologischer Handschriften des latein. M. A. aus römischen Bibliotheken (Sitzungsber. der Heidelberger Akad. 1915); in der Einleitung wird eine Untersuchung über die weit, von England bis Böhmen, verbreiteten Handschriften in Aussicht gestellt. Außerdem jetzt Gruppe, Gesch. d. klass. Mythologie, Supplementband zu Roschers Mythol. Lexikon, Leipzig 1921, S. 12f.

Den unmittelbaren Zusammenhang mit Byzanz, der in Italien ohnehin greifbar genug ist, stellt ein anonymer technischer Traktat in der Kapitelbibliothek von Lucca her, zuerst von Muratori in den Antiqu. Ital. medii aevii II, Diss. 24, veröffentlicht. Vgl. Berger a. a. O. III, 9; Pellizzari a. a. O. 379f., der in seinem Anhang auch eine kritische Ausgabe bringt (459—502). Wie diese südlichen, zum Teil noch halbantiken Werkstattüberlieferungen in den Norden übergehen, lehrt in sehr instruktiver Weise nicht nur das dritte Buch, das auf normannischem Gebiet dem Heraclius angeschlossen wurde, sondern vor allem die sogenannte Mappae clavicula, die anscheinend im 12. Jahrhundert auf angelsächsischem Boden entstanden, das Lucca-Manuskript und damit spätantikbyzantinische Technik als Vorlage benützt. (Gedruckt in der Archaeologia, London 1847.)

Weit über solch bloße Rezeptenliteratur erhebt sich schon ihrer ganzen Anlage nach die berühmte Schedula diversarum artium des Theophilus Presbyter, die in der Geschichte unserer klassischen Literatur dadurch eine gewisse Rolle spielt, daß es Lessing war, der sie zuerst auf der Bibliothek in Wolfenbüttel wiederentdeckte und als Stütze für seine Thesen über die Ölmalerei verwendete; von page 23 einer Wiederentdeckung muß insoferne gesprochen werden, als das Buch noch dem späten Mittelalter und selbst noch einzelnen Gelehrten des 16. Jahrhunderts bekannt war.

Lessings Schrift: Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter erschien 1774; zu der beabsichtigten Edition kam es jedoch nicht; erst nach seinem Tode wurde der Traktat auf Grund des von ihm revidierten Textes durch Leiste herausgegeben. (Zur Geschichte der Literatur aus den Schätzen der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel, Bd. VI, 1781.) Gleichzeitig edierte sie der Herausgeber des Heraclius, der übel beleumundete Raspe, in seinem früher genannten Critical essay, London 1781. Spätere, auf verschiedenen Handschriften beruhende Ausgaben sind die des Comte Escalopier, Paris 1843, von Hendrie, London 1847, und die auf dieser beruhende des Abbé Bourassé in Mignes Dictionnaire d’archéologie sacrée, Paris 1862. Eine kritische Ausgabe mit Benützung aller erreichbaren Handschriften und Drucke hat A. Ilg zusammen mit einer deutschen Übertragung und einer sorgfältigen Einleitung in Eitelbergers Quellenschriften, Bd. VII, Wien 1874, geboten; der versprochene zweite Teil, der den Kommentar enthalten sollte, ist jedoch niemals erschienen. Der Theophilus wird ausführlich behandelt von Pellizzari a. a. O. 413 f., der allerdings mehr aus Gefühlsgründen für den italienischen (lombardischen) Ursprung der Schedula eintritt. Die neuere kunstgeschichtliche Literatur über die Rogerusfrage ist ihm unbekannt geblieben; darüber jetzt zusammenfassend Fuchs, Die Tragaltäre des Rogerus in Paderborn. Paderborn 1916. Eine beachtenswerte, weil von einem Techniker des Faches herrührende französische Übersetzung des Kapitels über Glasmacherkunst von Bontemps, Deuxième livre de l’Essai sur divers arts par Théophile. Paris 1876. Zu vergleichen ist namentlich auch Oidtmann in seiner trefflichen Monographie über die rheinische Glasmalerei vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, I, 5ff.

Theophilus — qui et Rugerus — wird der Autor der Schedula in drei Handschriften genannt; es handelt sich also um einen Klosternamen oder, wie Ilg vorzieht, um einen der in karolingisch-ottonischer Zeit beliebten Decknamen griechischen Gepräges. Ilg hat weiters die Hypothese aufgestellt, daß dieser Theophilus-Rugerus identisch wäre mit einem Künstlermönch Rogkerus, der zu Anfang des 12. Jahrhunderts als Goldschmied in dem niedersächsischen Kloster Helmershausen, im Bistum des kunstfreundlichen Bischofs Meinwerk von Paderborn lebte, und begründet seine Ansicht durch den Vergleich der Vorschriften der Schedula mit einem noch erhaltenen, urkundlich (um 1100) bezeugten Werk dieses Roger, dem silbernen Tragaltar im Domschatz von Paderborn. Man wird gegen die Hypothese Ilgs, die er übrigens selbst nur als solche hingestellt hat, methodische Bedenken hegen dürfen; die neueste Forschung, die das Werk des Rogerus von Helmershausen noch erweitern konnte (Tragaltar in der Franziskanerkirche in Paderborn, Herforder Goldkreuz im Berliner Kunstgewerbemuseum, Silbereinband einer Helmershausener Handschrift im Domschatz zu Trier), hat sie indessen als erwiesen und bestätigt angenommen. (Falke u. Frauberger, Deutsche Schmelzarbeiten des Mittelalters, Düsseldorf 1902. Vgl. dazu Falke in Lehnerts Geschichte des Kunstgewerbes I, 240.)

Die Schedula enthält eine ausführliche technische Enzyklopädie page 24 der frühmittelalterlichen Kunstfertigkeit, wie sie sich in den Klöstern entwickelt hatte; nach einem merkwürdigen Prooemium, das nach Art der großen scholastischen Lehrgebäude mit dem Sündenfall und der Einsetzung der Arbeit anhebt — ähnliches werden wir noch bei Cennini finden — beginnen die drei Bücher, in denen ein wortreicher Kanzelstil den geistlichen Autor hinlänglich verrät. Das erste gibt Rezepte für Miniatur- und Wandmalerei, das zweite handelt von Glasbereitung und Glasmalerei, das dritte vom Guß und sonstiger Metalltechnik, mit merkwürdigen ikonographischen Angaben (besonders cap. 60), von der Elfenbeintechnik, Edelsteinen und Gemmen. Es ist ohne alle Frage das wichtigste Kunstbuch des frühen Mittelalters, charakteristisch auch durch seinen für die ottonisch-sächsische Periode bezeichnenden Einschlag byzantinischen Wesens, und es ist für unseren Gegenstand von Bedeutung, daß es, ohne in die anspruchsvolle Versmacherei des Heraclius zu verfallen, ausgeprägte literarische Form und Ambition hat. Aus einer, wie Ilg annimmt, verlorenen Schrift des Theophilus, Breviloquium diversarum artium, haben sich Fragmente in süddeutschen Wiegendrucken des 15. Jahrhunderts, dem sogenannten Lumen animae erhalten (zusammengestellt im Anhang zu Ilgs Ausgabe).

Viel formloser als Theophilus sind die zahlreichen sonstigen Werkstattbücher des Mittelalters. Merkwürdig ist darunter der »Liber sacerdotum« wegen seines Zusammenhanges mit arabischen Quellen; daß dieser orientalische Einschlag in der Kultur des Mittelalters nicht gering anzuschlagen ist, wissen wir. (Gedruckt bei Berthelot, Chimie au moyen âge, Paris 1893, I, 179. Dazu Berger a. a. O. III, 57 f.) Ungefähr derselben Zeit gehört der Anonymus Bernensis (sec. XI—XII) an, Text und Übersetzung von Hagen, im Anhang zu Ilgs Theophilus, S. 377ff., ediert, eine Anweisung für den Miniator, die Bindemittel und das Kolorieren der Initialen behandelnd; eine neue kommentierte Ausgabe von Loumyer ist zu Bern 1908 erschienen.

Ich lasse hier eine Aufzählung der übrigen bis jetzt herausgegebenen Rezeptenbücher des späteren Mittelalters folgen. Ein süditalienischer Traktat des 14. Jahrhunderts, de Arte illuminandi, in der Bibliothek zu Neapel, wurde von Salazaro, Arte delle miniatura nel sec. XIV, Neapel 1877 (italienisch und französisch) ediert. Vgl. Lecoy de la Marche in der Gaz. des beaux-arts 1885, II, 422, sowie Guerreschi im Supplem. annuale all’enciclopedia di chimica, vol. XXI (1905) und Atti della R. Accad. di scienze di Torino, vol. XL (1905), der das Manuskript mit anscheinend unzureichenden Gründen ins 16. Jahrhundert hinabrücken will. (Vgl. jedoch L’Arte 1908, 75.) Ein bolognesischer Traktat, Segreto per colori, steht bei Merrifield, Original Treatises II, 340f., und wurde in Unkenntnis dieses früheren Druckes von Guerrini und Ricci in der Collezione delle curiosità inedite e rare, Bologna 1887, nochmals herausgegeben (vgl. Guerreschi in dem oben genannten Aufsatz). Vgl. ferner Malaguzzi-Valeri, Un trattato inedito del XV. secolo sulla tecnica dell’ arte. Bull. dell’ Instituto stor. Ital., fasc. 18. Über alle diese technischen Traktate im einzelnen und gesamten sind immer Bergers wichtige Beiträge, III. Folge, München 1897, nachzusehen. Zur mittelalterl. Kunstliteratur im allgemeinen Pellizzari a. a. O., 152ff., wo allerdings nicht viel Neues beigebracht ist.

Der besonderen Wichtigkeit des Gegenstandes für die mittelalterliche Kunst halber folgen hier die Traktate über Glasmosaik und Glasmalerei aus dem 14. bis 15. Jahrhundert; solche sind in ziemlicher Zahl aus Italien bekannt geworden: Drucke von Milanesi page 25 (Dell’ arte die vetro per musaico, Bologna 1864), Lisino (Della pratica di comporre finestre e vetri colorati Trattattello del s. XV. Siena 1885), Fratini (Storia della basilica e convento di S. Francesco d’ Assisi, Prato 1882); Traktat des Maestro Antonio da Pisa um 1395 (deutsch, mit Einleitung von Bruck, Rep. f. Kunstw., 1902). Zu dem Traktat über Glasmacherkunst, den Milanesi dem Benedetto Embriachi, Sohn des merkwürdigen venezianischen Kunstunternehmers Baldassarre degli Ubriacki zuschreiben möchte, vgl. meine Bemerkung im Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses, XX, p. 244. Es ist unnötig, dazu anzumerken, welche große Rolle die nordische Technik in Italien bis in die Zeiten Vasaris hinein, der selbst Schüler eines französischen Glasmalers war, gespielt hat.

Einen Abschluß solcher Bestrebungen bedeutet eine höchst merkwürdige Kompilation, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts von einem Laien, Jean Le Bégue (1431 als Greffier der Münze von Paris genannt), angelegt wurde und einen wahren Schatzbehalter mittelalterlicher Technik darstellt, in einer Zeit, die schon neuen Wegen zustrebte. Sie ist nicht nur ihres Materiales wegen wichtig, sondern vor allem wegen der allgemeinen historischen Bedeutung, die ihr zukommt. Es ist gewiß nicht ohne Wichtigkeit, daß damals noch die Tradition des frühen Mittelalters fortwirkte; de Le Bégue hat so alte Quellen wie Heraclius und Theophilus kopiert. Er hat aber außerdem noch Rezepte von zeitgenössischen Künstlern verwertet, namentlich die Aufzeichnungen eines französisch-niederländischen Meisters, des Jehan Alcherius, der aus Paris nach Mailand an den Hof der Visconti kam und in verschiedenen Werkstätten Frankreichs und Italiens Rezepte eingesammelt hat. Ein anderes Rezeptenbuch Le Bégues rührt von Peter von St. Omer in der Normandie (Anfang des 14. Jahrhunderts?) her; er selbst hat endlich noch ein Wörterbuch der Farben mit Erklärungen beigesteuert. In diesem Zusammenhang nördlicher und südlicher Werkstattüberlieferung liegt ein nicht geringes Interesse der Kompilation; sie zeigt wieder einmal deutlich Frankreich als Mittlerland.

Der Traktat Le Bégues ist bei Merrifield, Original Treatises, vol. I, teilweise publiziert. Dazu Berger, Beiträge III, 137, der noch andere deutsche Handschriften dieser Zeit, darunter auch ein 1870 in der Bibliothek von Straßburg verbranntes Manuskript bespricht, von dem sich jedoch eine Kopie im Besitz der Nationalgalerie in London erhalten hat (a. a. O. III, 154). Anschließen läßt sich hier ein merkwürdiges Schriftchen, der Dictionarius des Johannes de Garlandia (Ende des 11. Jahrhunderts, gedruckt in den Documents inédits pour l’histoire de la France, I. Série, bei Géraud, Paris sous Philippe le Bel, Paris 1837, p. 380ff.). Es ist ein Realwörterbuch für den Bedarf des täglichen Lebens, das die verschiedenen Handwerke mit ihrer technischen Nomenklatur lateinisch und französisch behandelt und dadurch nicht ohne Wichtigkeit ist, als ein Vorläufer späterer Werke dieser Art, von denen die auch im Titel viel nachgeahmte Piazza universale des Garzoni die bekannteste ist.

In ganz anderer Weise eröffnet sich ein Einblick in die mittelalterliche Werkstatt durch ein höchst merkwürdiges und einzig dastehendes Buch, das freilich auch viel mehr zu den primären Quellen der Denkmäler selbst gehört als zu den sekundären schriftlichen, mit page 26 denen wir uns hier beschäftigen. Es ist das der Livre de portraiture, das (nicht ganz zutreffend) sogenannte »Skizzenbuch« des Villard de Honnecourt, eines französischen Architekten aus dem 13. Jahrhundert.

Villards Livre de portraiture liegt in einer schönen Faksimile-Ausgabe von Lassus und Darcel, Paris 1858 vor. Willis Facsimile of the sketch book of Willard. London 1859. Eine neue von Omont ist neuerdings in den offiziellen Veröffentlichungen der Pariser Nationalbibliothek, Paris o. J., erschienen. Quicherat in der Rev. archéol. N. (1849). Mélanges d’archéol. 1886. Eitelberger, Mitt. der k. k. Zentralkomm. IV. Enlart, V. d'Honnecourt et les Citerciens. Bibl. de l’école des chartes 1875. Mortet, La mesure de la figure humaine et le canon des proportions d’après les dessins de Villard, d’A. Durer et de Léonard da Vinci, in Mélanges Chatelain, Paris 1910. Sehr eindringende Aufklärungen über Villards Proportionslehre bei Panofsky a. a. O. Monatsh. f. Kunstw. 1921, 205, und ihr Nachleben bis ins 16. Jahrhundert, S. 219.

Eine Vorrede belehrt uns, daß hier eine literarische Leistung, der Entwurf eines Musterbuches, geplant war, in dem vor allem der Versuch einer Art mittelalterlicher Proportionslehre — von Villard portraiture genannt — wichtig ist, die darauf ausgeht, unter vollständigem Verzicht auf anatomische Kenntnis und Erfassung der Wirklichkeit die lebende Form, ganz wie die architektonische, aus geometrischen Figuren zu konstruieren; es sind Wege, auf denen auch die Renaissance, ja das Barock (wie sich u. a. aus Rubens’ Zeichenschule ergibt) noch gelegentlich wandelten. Das Buch des Villard ist eine der wichtigsten Quellen zur Erkenntnis des inneren Wesens jenes Stils, den wir den gotischen zu nennen gewohnt sind, sowie der Traditionen, die in den Werkstätten des hohen Mittelalters herrschten; nicht zu übersehen sind auch die autobiographischen Mitteilungen.

Die Überlieferungen der gotischen Bauhütten sind endlich noch ganz spät, besonders in Deutschland, durch ärmliche, aber schon zum Teil durch den Druck vervielfältigte Büchlein literarisch fixiert worden. Der Durchbruch der Renaissance gab dann ganz anderen, von Italien her importierten Ansichten Raum, an Stelle des gotischen Zirkelschlags traten die Maße des Vitruvius und der Vitruvianer.

Der älteste hierhergehörige Druck ist der des Matthes Röriczer, Von der Fialen Gerechtigkeit, Regensburg 1486, im Neudruck bei Heideloff, Bauhütten des Mittelalters 101f., in modernem Deutsch bei Reichensperger in dessen Vermischten Schriften 1845. Dazu May, Hans Blum, Studien zur deutschen Kunstgesch. 124. Straßburg 1910. Ein ähnliches Schriftchen des Hans Schmuttermayer aus Nürnberg ist gedruckt im Anzeiger des German. Museums 1881, 73 (dazu 1882, 431). Ferner das Steinmetzenbüchlein von Hans Hösch von Gmünd, Geometrie deutsch, gedruckt bei Heideloff, der kleine Altdeutsche (Gothe) oder Grundsätze des altdeutschen Baustils. Nürnberg 1849. Ein später Nachklang ist noch Lorenz Lachers »Unterweisung« von 1516, gedruckt bei Reichensperger a. a. O. 133f. Über die ganze Literatur ist das Verzeichnis in Hoffstadts Gothischem Abc 165 zu vergleichen. Die deutsche Spätromantik hat an Schriften dieser Art ein besonderes Gefallen bezeugt.

Von den »Kunstbüchlein« der späteren Renaissance, die in manchem page 27 Betracht damit Zusammenhängen, freilich auch mit verwandten italienischen Bestrebungen, wird später gelegentlich die Rede sein.

Am Schlusse des italienischen Mittelalters steht das merkwürdige Buch des Toskaners Cennini, das wir um seiner ganz besonderen Stellung willen, als Propyläen der großen italienischen Kunstliteratur, in einem folgenden Abschnitt ausführlich besprechen wollen.

B. Poetische Kunstliteratur.

Hier zeigt sich eine merkwürdige neue Erscheinung, die auch kulturgeschichtlich von Interesse ist. Sie hängt zunächst mit dem gänzlichen Umsturz der geistigen Grundlagen zusammen; Geist und Form der klassischen Schriftsprache werden vor allem durch den Einfluß der Bibel einschneidend verändert. Die Erscheinung, auf die wir deuten, hat ihr eigentliches Gegenbild nur in den Urzeiten der Antike. Seit der diokletianischen Periode zeigt überhaupt das späte Altertum eine gänzlich veränderte Physiognomie; der orientalische und barbarische Untergrund tritt stärker zutage, Analogien zu älteren Entwicklungen kommen hervor, die den genialen G. B. Vico zu seiner Theorie der corsi und ricorsi veranlaßt haben. Wie man in der diokletianischen Zeit zur Naturalwirtschaft zurückgekehrt ist, so sind ähnliche ricorsi auch auf geistigem, künstlerischem Gebiet unverkennbar.

Die Erscheinung, die wir meinen, ist der echt mittelalterliche »Titulus«, der das antike spielende Kunstepigramm im Westen ablöst; denn der griechische Osten weiß von ihm wenig oder nichts und die alte Gattung wird hier bis zum Ende weitergepflegt. Eine Welt scheidet den Titulus vom Epigramm, obwohl der Name im Grunde dasselbe bedeutet; dieses ist ein völlig selbständiges Kunstwerk in kleinstem Format, ein rein literarisches Erzeugnis, das dem Kunstwerk selbstherrlich gegenübersteht, es mit gefälligem Witz umspielt; jener ist wirklich die versifizierte Unterschrift zum Bilde, das er erläutert, ist mit ihm ernsthaft und wesentlich verbunden und nur durch die Kraft der Zeit von ihm zu trennen, wobei es nichts ausmacht, daß er, vor dem Kunstwerk entstanden, diesem als Wegweiser, als Programm dienen kann. Der ältesten griechischen Antike war er gleichfalls wohlbekannt, ein großes Beispiel bilden die Tituli der Kypseloslade in Pausanias’ V. Buch.

Der älteste Titulus der christlichen Dichter des 4. Jahrhunderts ist auf den Ton der Predigt gestimmt; wie rein literarisch der Betrieb hier war, zeigt lehrreich ein Brief des Paulinus von Nola, der einem gallischen Freunde poetische Tituli für Bilder sendet, die er selbst schwerlich zu Gesichte bekommen hat. Sind die Wandgedichte des Paulinus selbst, dann die des Venantius Fortunatus wirklich lang ausgesponnene Predigten, so zeichnen sich dagegen die rein be page 28 schreibend erläuternden Tituli des Prudentius durch straffe Form aus. Daß sie vielfach, bis tief ins Mittelalter hinein, als Programme für erst auszuführende Zyklen anzusehen sind, wurde schon gesagt; so geben sich die Tituli Ekkehards IV. für den Dom zu Mainz in aller Offenheit.

Über den Titulus im allgemeinen: Steinmann, Die Tituli und die kirchliche Wandmalerei im Abendlande vom 5.—11. Jahrhundert, Beiträge zur Kunstgeschichte, N. F. XIX, Leipzig 1892 und Ficker, Die Bedeutung der altchristlichen Dichtungen für die Bildwerke in dem Festgruß für A. Springer, Leipzig 1885. Eine Zusammenstellung der Tituli und der von ihnen gar nicht zu trennenden Versinschriften ältester Zeit bei Garrucci, Storia dell’ arte cristiana I; das Hauptwerk für die letzteren ist bekanntlich de’ Rossi, Inscriptiones christianae urbis Romae (bis zum 7. Jahrhundert), Rom 1888, mit wichtiger Einleitung. Die berühmten Damasusinschriften sind von Ihm im Supplement der Rieseschen Anthologia Latina (Bibl. Teubner) ediert. Über die Ambrosianischen Tituli Merkle in der Röm. Quartalschrift 1896. Was die einzelnen Provinzen anlangt, so haben Le Blant die Inschriften von Gallien, Allmer und Terrebasse die sehr reichen von Vienne, Fr. X. Kraus die der christlichen Rheinlande gesammelt. Über die Bedeutung der im Corpus. Inscr. Lat. VIII edierten afrikanischen Inschriften s. Künstler in der Tübinger Theologischen Quartalschrift 1885, ferner: Titulorum gallicanorum liber, Alcimus, Avitus rec. Peiper, Berlin 1883. Über die christliche Epigraphik, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, sind die Handbücher der christlichen Archäologie, von Kraus und Schultze sowie der noch immer nicht überholte Abriß im Anhange zu Pipers Monum. Theologie nachzusehen.

Alle hier erwähnten literarischen Zeugnisse sind in meinem Quellenbuch zur Kunstgeschichte des abendländischen Mittelalters (in Eitelberger-Ilgs Quellenschriften, N. F. VII, Wien 1896) gesammelt; dort sind auch die Quellenwerke, denen sie entnommen wurden, und die einschlägige Literatur genannt. Hier soll nur das Wichtigste wiederholt werden. Paulinus von Nola (353—431): Quellenbuch Nr. III; besonders lehrreich für die innere Geschichte des Titulus ist der Brief an Sulpicius Severus. Prudentius (348—410), sein »Dittochaeon« (Altes und Neues Testament), Quellenbuch Nr. I, das älteste Beispiel einer Parallelbilderbibel. Venantius Fortunatus (um 565), Quellenbuch Nr. VII (Tituli der Kathedrale von Tours); Helpidius Rusticus (6. Jahrhundert), Quellenbuch Nr. VI, Tristichen, die einen der ältesten typologischen Zyklen enthalten; andere Tituli ebenda IV und V; aus karolingischer Zeit ebenda XIX (aus St. Gallen). Die Tituli Ekkehards IV. für den Mainzer Dom, mit dem bezeichnenden Zusatz: eligantur qui picturis conveniant, ebenda XXVII, für den Kreuzgang in St. Gallen, ebenda XXVI. Ein Abtkatalog von S. Ulrich und Afra in Augsburg (15. Jahrhundert) enthält eine lange Beschreibung der Ausschmückung des Klosters mit Gemälden etc., zum Teil auf den Tituli des Abtes Udalricus (12. Jahrhundert) beruhend. (In Steicheles Archiv für die Geschichte des Bistums Augsburg III, Augsburg 1860, p. 102—130).

Bild und Schrift bleiben auch weiterhin im Mittelalter fest verbunden, mit theoretisch betontem Übergewicht der letzteren über das erstere, wie dies wohl am schärfsten in einem Briefe des Hrabanus Maurus an Abt Hatto von Fulda ausgesprochen ist (in meinen Schriftquellen zur karolingischen Kunst, Nr. 893); auch im späteren Mittelalter hat der Titulus keine Einbuße seines Daseins erfahren (als ein Beispiel für viele die Tituli der Glasfenster von St. Albans, 14. Jahrhundert, Quellenbuch Nr. XLI); er macht sogar, namentlich im italienischen Trecento, eine ganz merkwürdige Entwicklung durch. Dort page 29 erweitert er sich zum selbständigen literarischen Gebilde, in den nationalen Formen des Sonetts und der Kanzone, bleibt aber mit dem Bildwerk noch immer auf das innigste verbunden. Das merkwürdigste Beispiel der Art ist die erst neuerdings vollständig gelesene Kanzone auf dem berühmten Trionfo della morte im Camposanto von Pisa. (Vgl. Morpurgo in L’Arte 1899.)

Vielleicht noch auffälliger für uns ist der erzählende, sogar meist auf die gebundene Form verzichtende Titulus, der sich in behaglicher Prosa auf und neben dem Bilde ergeht, so daß er häufig ein Mehr (oder Minder) über dieses aufweist. Hierher gehören die merkwürdigen Unterschriften für den ältesten Gemäldezyklus im großen Ratssaal zu Venedig (bei Lorenzi, Monumenti per servire alla storia del Palazzo Ducale, Ven. 1868), dann der Auszug aus Petrarcas Viri illustres, im Auftrag Francescos von Carrara ausdrücklich als Titulus für die Fresken des Guariento im Kastell von Padua hergestellt. (Vgl. Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerh. Kaiserhauses XVI, 185.) Eines der lehrreichsten Beispiele ist das scholastische Lehrgedicht des Bolognesers Bartolommeo de’ Bartoli über die sieben Künste und Tugenden, das — ein wichtiger Beleg für mittelalterliche Werkstatttradition — samt den zugehörigen Bildern von dem Spätgiottisten Giusto als exemplum für seine Ausmalung der Augustinuskapelle in Padua verwendet wurde. (Vgl. meine Abhandlungen in Band XVII und XXIII des Jahrbuches der Kunstsammlungen des Allerh. Kaiserhauses; das Lehrgedicht des Bartoli in Faksimile publiziert von L. Dorez, Bergamo 1904.)

Daß dergleichen nicht auf Italien beschränkt war, lehrt das große scholastische Kompendium, das als Text der allegorischen Gemälde in der Bibliothek des Prämonstratenserklosters in Brandenburg diente und sich im Nachlasse des Nürnberger Humanisten Hartmann Schedel auf der Münchener Bibliothek erhalten hat, desselben, der auch die obengenannten Paduaner Tituli kopiert hat (zuerst bekanntgemacht von A. Schultz im Jahrbuch der kgl. preuß. Kunstsammlungen I, 35, s. darüber Wiener Jahrbuch a. a. O., Bd. XVII. 84). Wie die illuminierte Handschrift später vom Blockbuch in dieser selben Rolle abgelöst wird, zeigt namentlich die schon von Lessing bemerkte Verwendung der Biblia Pauperum, wo mitunter dann sogar die Druckfehler der Vorlage auf den Tituli der Gemälde wiederkehren (s. darüber Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses XXIII, 337; über die Kopien des Defensoriums im Kreuzgang zu Brixen s. meine Notiz in der Beilage zur Münchener Allg. Zeitung 1904, Nr. 83). Auf die Sache selbst hat übrigens, was mir damals entgangen war, schon der verdienstvolle Heider (Mitt. der k. k. Zentralkommission I, 85) hingewiesen. Ein anderes nordländisches Beispiel sind die ausführlichen Erzählungen auf den berühmten Burgunder Teppichen Karls des Kühnen in Bern page 30 (Stammler, Die Burgundertapeten, Bern 1889). Schließlich dringt der Einfluß des halbkirchlichen Schauspiels, der Moralität, auch hier ein, wie die ausdrücklich für Arazzi bestimmten dramatisierten Dicts moraulx des Henry de Baude zeigen (Quellenbuch Nr. XLV); daß dergleichen aus der Wirklichkeit stammt, beweist u. a. ein französischer Teppich im Museo Civico von Padua, wo der »Acteur« den »Prolog« spricht. (Publiziert im Archivio storico dell’ arte 1889.) Und daß noch das Italien des Quattrocento an dieser Abwandlung des alten Titulus festhielt, zeigt die monumental kalligraphische Biographie Pius' II., die Pinturicchios Fresken in der Liberia von Siena begleitet. Im 16. Jahrhundert erst findet diese langlebige Form auch hier ein Ende; wie die letzten Reste des alten naiven »continuierenden« Stils jetzt verschwinden, die drei Einheiten des Klassizismus zuerst in der bildenden Kunst vollständig durchgeführt werden, so gehen Bild und Schrift auch fortan getrennte Wege, es entsteht eine eigentliche, immer mehr anwachsende, papierene Kunstliteratur.

Daneben hat sich im sonettfreudigen Italien schon frühe eine neben dem Kunstwerk hergehende Form des Bildergedichts entwickelt, das, verwandt mit dem antiken Kunstepigramm, doch einen wesentlich anderen Charakter hat. Solche Bildersonette, die, noch immer in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kunstwerk stehend, als Unterschrift an dieses geheftet werden, immerhin aber schon selbständiges Dasein haben, wurden schon im 14. Jahrhundert von den Stadtgemeinden ihren offiziellen Dichtern in Auftrag gegeben. Sie bilden heute, da die Werke, zu denen sie Anlaß gaben, häufig verloren sind, eine wichtige historische Quelle. Aus dem Florenz des Trecento haben sich dergleichen Bildergedichte von Pucci und Sacchetti erhalten (s. z. B. das Sonett des Pucci auf Giottos Danteporträt im Bargello, gedr. in D’Ancona und Baccis Manuale della lett. ital., Flor. 1903, I, 553; über ein anderes Sonett desselben Pucci, auf Giottos Commune rubato und diese Bildersonette des Trecento im allgemeinen vgl. Morpurgo, Un perduto affresco di Giotto nel palazzo del podestà di Firenze, Per nozze, Flor. 1897). Dagegen ist noch an Ort und Stelle, und ganz wesentlich mit dem Kunstwerk verbunden, das schon von Vasari (ed. Milanesi I, 513) mitgeteilte Sonett auf dem Fresko Gottvaters mit der mappa mundi im Campo Santo in Pisa. Welche Rolle die alte Form dann im Leben der pasquill- und elogiensüchtigen Nation spielte und bis heute spielt, ist bekannt, freilich auch wie es, gleich seinem Vorgänger dem Epigramm der Antike, endlich in äußerste rhetorische Hohlheit verfällt. Es genügt auf der einen Seite, auf Michelangelos marmorne Verse auf das Steinbild seiner Nacht, auf der anderen auf die zahlreichen Sonette auf Kunstwerke zu erinnern, unter denen die des G. B. Zappi und des Giuliano Cassiani noch heute in Italien berühmt sind; vom Cavalier page 31 Marino rührt endlich ein ganzes Büchlein dieser Art, seine Galeria (Venedig 1667) her, das später noch Erwähnung finden wird. Aber von dem rein inhaltlich gestimmten Bildergedicht alter Zeit ist diese vorwiegend von formalen Interessen geleitete Spielart ebenso weit unterschieden wie das leichtgeschürzte Epigramm der Antike von dem altväterischen Titulus der Kypseloslade.

Neben dieser mehr oder weniger enge mit dem Bildwerke verbundenen Auf- und Unterschrift läuft die Schilderung von wirklichen oder erfundenen Werken der Kunst auch im Mittelalter fort und bildet die Fortsetzung dessen, was uns die Sophistenliteratur der Kaiserzeit oder der spätantike Roman bietet. Auch diese Dinge, die zu ihrer Zeit dem Lehr- oder Unterhaltungstrieb dienten, sind für uns heute mitunter sehr wichtige Quellen historischer Erkenntnis geworden.

Unter den Beschreibungen einst wirklich vorhandener Kunstwerke ragen in altchristlicher Zeit die Schilderungen hervor, die Prudentius in seinem Peristephanon (Hymnus IX und XI = Quellenb. II) von zwei Martyriengemälden entwirft, dem in der S.-Cassians-Kirche zu Imola, wo schon die charakteristische Figur des Küstercicerone (aedituus), des Nachfolgers des antiken »Exegeten«, auf den Plan tritt, und einem in den römischen Katakomben des Esquilin befindlichen, beide schon stofflich sehr merkwürdig und durch große Anschaulichkeit ausgezeichnet. An Gefühl für das Formale im Kunstwerk steht der Bischof Theodulf von Orléans († 821) als ein letzter Epigone antiker Kultur in karolingischer Zeit ganz vereinzelt da. Davon zeugt die Schilderung eines antiken Silbergefäßes mit den Heraklestaten (in meinen Schriftquellen zur Geschichte der karolingischen Kunst, Wien 1802, Nr. 1134, mit Note; die dort angeführte ältere Meinung, daß Tonvasen der Antike dem Mittelalter und der Renaissance nicht bekannt waren, ist irrig und erledigt sich durch die merkwürdige Schilderung, die ein toskanischer Schriftsteller des 13. Jahrhunderts, Ristoro d’Arezzo, von den antiken Gefäßen seiner Vaterstadt entworfen hat, dann die Notiz eines noch späteren Aretiners, Vasaris selbst, über die Nachahmungen solcher Gefäße durch seinen Großvater Giorgio, vgl. Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses, Bd. XXIV, 152 ff.). Ebenso die Beschreibuug zweier mit Darstellungen der sieben freien Künste und der Tellus versehenen Tische (Quellenbuch Nr. XVI), vielleicht auch spätantiken oder oströmischen Ursprungs. Weit an Formgefühl unter diesem romanisierten Goten stehen zwei rein inhaltlich angeregte Beschreibungen aus der Zeit Ludwigs des Frommen, die Schilderung des Ermoldus Nigellus von der Ingelheimer Pfalz und ihren Gemälden (Quellenbuch Nr. XVII), und Walafried Strabos aus der Reichenau Gedicht über die Reiterstatue Theodorichs, die Karl der Große von Ravenna nach Aachen entführt hatte (= Quellenbuch Nr. XX und vollständig in den Schriftquellen zur Geschichte der karolingischen Kunst, Nr. 1140, mit Angabe der weitschichtigen Literatur): dieses schon ganz erfüllt von fanatisch-dämonistischer Auffassung, auch keine eigentliche Beschreibung, sondern ein charakteristisch-mittelalterliches Denkmal phantastischer Umdeutung der Form, so daß das Bildwerk stückweise rekonstruiert werden muß. Es ist schon derselbe Geist fabulierender Umwertung des formal Gegebenen, der die Mirabilien von Rom, die Gesta Romanorum, zum Teil auch die spätbyzantinischen Topographen beherrscht. Aus späterer Zeit ist besonders wegen ihres Zusammenhanges mit einem erhaltenen Kunstwerk, der berühmten Tapete von Bayeux, die Schilderung der Kemenate der Gräfin Adele von Blois, Tochter Wilhelms des Eroberers, merkwürdig, von Baudri de Bourgeuil (Anfang des 12. Jahrhunderts). An der Wirklichkeit des Ganzen ist trotz einiger Phantastik kaum zu zweifeln (= Quellenbuch Nr. XXXI, im Auszug nach der schwer zugänglichen Ausgabe Delisles, Caën 1871).

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So kommen wir zu den erfundenen oder halberfundenen Schilderungen, die sich, an die antike Ekphrasis anlehnend, auch in der mittelalterlichen Unterhaltungsliteratur fortspinnen. Wichtig ist darunter die Schilderung des Graltempels im jüngeren Titurel des Albrecht von Scharfenberg (im Auszug, Quellenbuch Nr. XL). Trotz aller Phantastik sind reale Züge, wie die Ablehnung der Krypta, unverkennbar, zugleich auch die gewaltige Wirkung der französischen Gotik auf das deutsche Mittelalter. Außerdem hängt das Ganze wohl zweifellos letzten Endes mit dem berühmten Felsendom von Jerusalem zusammen, der die Phantasie der bildenden Künstler bis in die Tage Bramantes und Raffaels hinein immer wieder erregt hat; ein Zeugnis der magischen Wirkung des Heiligen Landes auf ganze Geschlechterreihen. Vielleicht noch merkwürdiger als ein vielgewandertes Requisit aus der Garderobe der späten Antike ist die Beschreibung des Palastes der »Intelligenzia« in dem gleichnamigen altitalienischen Lehrgedicht des Trecento (= Quellenbuch Nr. XLVI, wo auch die Literatur angegeben ist, vgl. auch die Rekonstruktion, die ich in meinen Beiträgen zur Kunstgeschichte, Sitzungsberichte der Wiener Akademie, 1891, II, 41ff., versucht habe, ferner die Ausführungen Strzygowskis in seiner Publikation über Mschatta, Jahrb. d. k. preuß. Kunstsammlungen, XXV, 231, der an den Salomonstempel denkt). Anscheinend die Legende eines spätantiken Palastplanes, hat sie sich als rhetorisches Prunkstück in zahlreichen Handschriften fortgeerbt und ist auch dadurch allein schon ein merkwürdiges Beispiel mittelalterlicher Typenbildung; in der »Intelligenzia« schließen sich übrigens noch Schilderungen von Wandgemälden aus der alten Geschichte in ausgeprägt höfisch-ritterlichem Stil an; so könnten sie ohneweiters ihren Platz in der Burg irgend eines oberitalienischen Dynasten finden. Das Palastthema wird übrigens auch sonst mannigfach variiert. Von dem abstrusen Gedichte des Byzantiners Meliteniotes war früher die Rede; hier soll die Liebesburg mit ihren Gemälden in Boccaccios Amorosa Visione (im Auszug: Quellenbuch Nr. L) erwähnt werden, besonders da sie den Zusammenhang mit der gleichzeitigen »höfischen« Kunst nirgends verleugnet, dann die Stelle in Chaucers House of Fame (Quellenbuch Nr. XLII). Eine Schilderung, wie sie endlich in Hartmanns von der Aue Erec (12. Jahrhundert = Quellenbuch Nr. XXXVII) von einem kunstvollen Frauensattel aus Elfenbein entworfen sind, findet in den tatsächlich erhaltenen Stücken dieser Art ihr vollkommenes Gegenstück.

Man darf nicht vergessen, daß die Verfasser dieser und ähnlicher Schilderungen, auch wo sie an ein vorhandenes Kunstwerk anknüpfen, dieses wohl fast immer als Erinnerungsbild mit starkem rhetorischen Aufputz behandelt haben. Das können antike wie moderne Schilderungen dieser Art, von Philostrats Imagines bis auf Heinses Kunstromane herab, recht deutlich machen. Aber auch wo dies nicht der Fall ist, zeigt sich die Phantasie des Beschreibers doch derart von dem künstlerischen Mittel seiner Zeit befruchtet, daß seine Aussagen, mit der nötigen Kritik natürlich, als Zeugnisse zu benutzen sind.

Stellen aus deutschen Dichtern des Mittelalters hat Ilg gesammelt: Beiträge zur Geschichte der Kunst und Kunsttechnik aus mittelhochdeutschen Dichtern. Quellenschriften, N. F. V. (dazu desselben Verfassers früher erschienene Zeitstimmen über Kunst und Kultur der Vergangenheit, Wien 1881); es ist das eine spät herausgegebene Jugendarbeit, die zum Teil auf jetzt veralteten Texten beruht. Dazu: Söhring, Werke bildender Kunst in altfranzösischen Epen. Diss., Erlangen 1900. Panzer, Dichtung und bildende Kunst des deutschen Mittelalters in ihren Wechselbeziehungen, N. Jahrbuch für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur, VII, Leipzig 1904. Blanca Röthlisberger, Die Architektur des Graltempels im jüngeren Titurel. Sprache und Dichtung, XVI, H. 8, Bern 1917. Für das frühe Mittelalter sind meine oben angeführten Beiträge zur Kunstgeschichte des frühen Mittelalters, Wien 1891, zu vergleichen.

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C. Zur Historiographie der Kunst im Mittelalter.

Weder zusammenfassend, noch bruchstückweise hat das Mittelalter jemals eine Betrachtung der eigenen Kunstentwicklung versucht, obwohl ihm die Bücher des Plinius ebenso bekannt waren als der späteren Zeit. Das liegt in seiner ganzen Anschauungsweise, die auch die Kunst nur im Dienste einer höheren Idee kennt und ihr also selbständiges Dasein nicht zusprechen kann. Für diese merkwürdige Periode der europäischen Menschheit ist es nicht so sehr das einzelne Kunstwerk, Bild, Bau oder Gerät, das durch sich selbst oder durch seinen Meister Anteil erregt, sondern das Kunstwerk weist über sich hinaus, wie das ganze irdische Weltleben nur Vorbereitung auf ein besseres und würdigeres Leben im Jenseits ist; so projizierten Augustinus und ihm folgend Orosius die irdische Geschichte in den Gottesstaat, und so ist auch das Erzeugnis menschlichen Kunstverstandes wie die Individualität nur insoferne etwas wert, wenn sie in höherer Sendung steht und ad maiorem Dei gloriam dient. Wie in den großartigen gotischen Kathedralen der scholastischen Enzyklopädie deutet und strebt auch hier alles nach oben, zum Urlicht, zu einem höheren geistigen Leben, in dem das unvollkommen Irdische erst Abschluß, Bedeutung und Erfüllung findet. Daher ist für den mittelalterlichen Geschichtschreiber, wenn er das Kunstwerk überhaupt in den Kreis seiner Betrachtung zieht, dieses nur eine Episode, ohne inneren Zusammenhang mit Früherem oder Späterem, nur geeignet zur äußerlichen Festlegung chronikalischer Daten oder als Zeuge kirchlichen Sinnes; das weltliche laienhafte Element kommt darum auch sehr spät und vereinzelt zur Geltung und spielt im frühen Mittelalter eine höchst untergeordnete Rolle, fast wie im echten Althellenismus, wo es freilich die Polis war, die mit ihrem tyrannischen Zentralismus alles private Wesen unterdrückte. Und doch lagen hier wie dort in diesem Privaten, Volkstümlichen und Nationalindividuellen die revolutionären Keime der Zukunft, in Dichtung gleicherweise wie in bildender Kunst, namentlich aber sehr eindringlich in der Musik zu verfolgen. Daß spiritualistisch überspannten Perioden einer aus alten Resten und jungen Trieben seltsam gemischten, nicht primitiven, sondern, gleich dem Byzantinismus und der Minnesingerzeit, höchst raffinierten Kultur das Gegenbild eines recht handgreiflichen Materialismus nicht fehlt, ist keine fable convenue. Es ist auch wirklich viel weniger die Form, als, vom theoretisch überstark betonten Inhalt abgesehen, der Materialwert und Stoffprunk des Kunstwerkes, oft, wie bei den beliebten Edelsteine vortäuschenden Glasflüssen, in naiver Weise betont, und die Künstlichkeit, das technisch Ungemeine und Subtile, was am höchsten geschätzt wird. Aus diesen wie aus page 34 jenen Gründen steht der Kirchenschatz im Vordergrunde, und wie einst im Altertum die periegetische Literatur an den Tempel und seine Schätze angeknüpft hat, so wiederholt sich das gleiche mit der christlichen Kirche als dem ersten öffentlichen Museum.

Die Inventarisierung dieser Schatzkammern der gläubigen Welt war also eine der vornehmsten Aufgaben. Selbstverständlich ging hier Rom voraus als Sitz der Kurie mit ihrer ausgezeichneten, altrömischen Gewohnheiten entsprungenen und nachgebildeten Organisation der Verwaltung, zugleich als das caput mundi, in dem die Gaben der ganzen Christenwelt zusammenflossen. Daher das Bestreben, die zahllosen Kirchen- und Klosterschätze in Evidenz zu halten, daher die genauen Inventare, in denen Zahl, Größe, Gewicht, Wert und Beschaffenheit der Gegenstände sorgfältig und musterhaft vermerkt sind. Derart bietet die Chronik des päpstlichen Rom, der Liber pontificalis Romanus (in seinem ältesten und wichtigsten Teil — dem sogenannten Anastasius bibliothecarius — im 7. Jahrhundert redigiert) eine diplomatische, auf Urkunden und Inventaren ruhende Darstellung auch der offiziellen Kunstpflege, die hier durchaus als wesentlicher Bestandteil des päpstlichen Regiments erscheint; ja die Register der Kirchendotationen nehmen oft breiteren Raum ein als die übrigen Regierungshandlungen. Das ist bezeichnend römisch, und diese Tradition hat in der Barockzeit ihre äußerste und letzte Apotheose gehabt; der Sitz der Stellvertreter Christi auf Erden sollte sich auf das glänzendste vor der Welt bekunden.

Das Beispiel Roms hat auch auf die übrigen geistlichen Residenzen gewirkt — während das dem Imperium unterworfene östliche Patriarchat nichts Entsprechendes aufweist — so in Neapel (Pontifikalbuch des Johannes Diaconus), vor allem aber in Ravenna, der letzten kaiserlichen Rivalin Westroms. Der Liber pontificalis des Agnellus von Ravenna ist dadurch denkwürdig, weil die Monumente zum ersten Male bewußt als historische Quelle benützt und über diesen Zweck hinaus den Blick auch auf ihre Entstehung und Erhaltung richtet. In diesem Sinne kann der ehrwürdige Geschichtschreiber Ravennas als Ahnherr der späteren Lokalantiquare Italiens gelten, bei denen, namentlich wenn sie geistlichen Standes sind, sich bis ins 17. Jahrhundert hinein der hagiographische Standpunkt geltend macht.

Das von Rom gegebene Beispiel hat noch weiterhin auf die übrigen ihm so eng verbundenen Glieder des hierarchischen Organismus seinen Einfluß geübt. Auch in den Kirchen und Klöstern der übrigen Länder bilden Schatzverzeichnisse, Bauregister und sonstige Urkunden der Art bedeutende Bestandteile der Lokalchroniken; einzelne Klostergeschichten gehören in dieser Beziehung zu den allerwichtigsten Quellen für uns, so die höchst anschauliche und in diesen Dingen sehr aus page 35 führliche, von Leo von Ostia verfaßte von Montecassino, in deren Mittelpunkt denn freilich die große Gestalt des bau- und schmuckfreudigen Abtes Desiderius († 1087 als Papst Viktor III.) steht. In Frankreich ragen in dieser Hinsicht die Klosterannalen von St. Wandrille (9. Jahrhundert) und Fleury (11. Jahrhundert), dann von St. Trond bei Maestricht (12. Jahrhundert), in Deutschland namentlich die von Petershausen bei Konstanz (12. Jahrhundert) hervor.

Da ferner der Bau von Kirchen und deren Ausstattung zu den wichtigsten Ruhmestiteln biographischer Darstellung, mittelalterlicher Auffassung nach, gehört, dem leitenden operarius bis in späte Zeiten hinein die vornehmere Stellung zukommt als dem artifex — denn über dem Werk steht die »Idee« — daher auch sein, nicht dieses letzteren Name häufiger am Kunstwerk erscheint, so gehört das Kunstdenkmal auch zu den Requisiten profaner Geschichtschreibung; es ist der Tribut, den das Weltliche an die alles überragende und beherrschende kirchliche Gewalt zu entrichten hat. Wie in Karls des Großen Residenz Aachen erhebt sich neben der Pfalz des Herrschers in unmittelbarer und engster Verbindung die Capella Palatina. Daher finden sich schon in Gregors von Tours († 594) Frankengeschichte viele architektonische Einzelheiten, bei der Seltenheit auf uns gekommener Reste jener Zeit größter Beachtung wert; vor allem die ausführlichen Beschreibungen der zwei größten merowingischen Kirchenbauten, der Martinskirche von Tours und der Basilika von Clermont, auf unmittelbarer Anschauung und, wie die genaue Mitteilung der Maße zeigt, auf archivalischem Material beruhend.

Woher Kenntnisse solcher Art stammen, darauf deuten einzelne erhaltene Nachrichten monographischen Charakters, Denkschriften über bedeutende Bauwerke, von den Bauherren selbst oder ihnen nahestehenden Personen verfaßt; sie bilden in ihrer Weise ein Gegenstück zu den Denkschriften antiker Baumeister, wie sie uns in Vitruvs Bibliographie überliefert und in einzelnen Fragmenten erhalten sind. Hierher gehören in gewissem Sinne die schon erwähnten Schilderungen, die Paulinus von Nola von seinen Basiliken in Nola und Fundi entwirft, dann aber die Denkschrift Angilberts über seine Abteikirche in Centula-St. Riquier — und vor allem der merkwürdige Rechenschaftsbericht des berühmten Abtes Suger (eines Mannes, dessen äußere Stellung schon unendlich charakteristisch ist) über seine Bautätigkeit in St. Denis, nicht nur der zahlreichen technischen Ausdrücke halber ein Dokument des neuen gotischen Stils. Auch der Traktat des Gervasius über die Kathedrale von Canterbury (12. Jahrhundert) möge genannt sein, und nicht zu vergessen ist ein für sich stehendes Dokument, die merkwürdige Bauordnung des Klosters Farfa in Latium (11. Jahrhundert), die einer Redaktion der cluniacensischen page 36 Klosterdisziplin eingefügt wurde und ein Gegenstück in Worten zu dem berühmten St. Gallener Klosterplan darstellt.

Auf kunsthistorischem Felde ist nur weniges nach dem Muster von Overbecks Schriftquellen zur antiken Kunst versucht worden. Sehr viel Material findet man in des trefflichen Fiorillo, Geschichte der zeichnenden Künste. Auszüge aus der patristischen Literatur, freilich ziemlich oberflächlicher Art, hat Augusti, Beiträge zur christlichen Kunstgeschichte und Literatur, Leipzig 1841, 2 Bände, gegeben. Champollion-Figéac bringt in seinen Documents paléographiques relatifs à l’histoire des beaux-arts et des belleslettres pendant le moyenâge, Paris 1868, Material aus französischen Bibliotheken und Archiven. Eine bestimmte Periode umfassen meine Schriftquellen zur Geschichte der karolingischen Kunst. Quellenschriften, N. F. IV. — Nachfolger hat dieses von meinem verstorbenen Lehrer Wickhoff angeregte und geförderte Buch bezeichnender Weise nicht gefunden. Eine Auswahl des wichtigsten Materials aus den Pontifikalbüchern von Rom und Ravenna findet man nebst der einschlägigen Literatur in meinem öfter angezogenen Quellenbuche (unter Nr. XIII und XIV), das viel weniger reichhaltige von Neapel steht in Muratoris SS. RR. Ital. I (Analyse in Pipers Monum. Theologie 363 ff.). Auszüge aus den einzelnen vorhin genannten Klosterannalen und Historikern in meinem Quellenbuch (III. Paulinus, VIII. Gregor von Tours, X. Beda, XV. Angilberts Denkschrift, XVIII. Saint Wandrille, XXVIII. Fleury, XIX. Ordo Farfensis, XXX. Montecassino, XXXII. Petershausen, XXXIII. St. Trond, XXXIV. Gervasius von Canterbury, XXXVI. Sugers Denkschrift, XXXVIII. ein Mainzer Inventar aus dem 12. Jahrhundert aus Christians Mainzer Chronik. Den kunsthistorischen Gehalt einer wichtigen liturgischen Schrift des hohen Mittelalters hat Ficker in seiner Abhandlung über den Mitralis des Siccardus, Leipzig 1889, ausgezogen — auch das ist ohne nennenswerte Nachfolge geblieben.

Endlich sei hier noch kurz auf eine Schrift hingewiesen, in der das Abendland gegen den die Kunst so tief berührenden Bilderstreit des Ostens Stellung genommen hat, die Libri Carolini, die vielleicht Alcuin unter persönlicher Anteilnahme Karls des Großen redigiert hat. (Druck in Mignes Patrol. Lat. 98.) Freilich ist ihr kunsthistorischer Gehalt nicht eben groß; das meiste läuft auf theologische, die Werktätigkeit kaum berührende Polemik hinaus. Zur Sache ist die freilich einseitig übertreibende Darstellung von Janitschek, Bilderstreit und Bilderproduktion im Straßburger Festgruß für A. Springer, Berlin 1885, zu vergleichen; dagegen meine Beiträge zur Kunstgeschichte, S. 19 ff. und im allgemeinen Pipers Monum. Theologie, 233², Kraus, Geschichte der christlichen Kunst II, 1 ff. und Leitschuh, Geschichte der karolingischen Malerei, Berlin 1894, 1 ff.

Hier sollen noch einige Angaben über die im strengen Sinne des Wortes nicht zur eigentlichen Kunstliteratur gehörigen Kunsturkunden, die Inventare etc. folgen. Frankreich steht hier, was die Sache und ihre Literatur anbetrifft, an erster Stelle; das ausgezeichnete, noch unter Napoleon so stark hervortretende Ordnungstalent des Volkes hat sich hier bewährt. Die Inventare sind mit größerer Sorgfalt und Sachkenntnis angelegt denn anderswo. Franzosen danken wir auch die treffliche Biographie der Inventaires imprimés, 3 Bände (nach Läudern geordnet, mit guten Registern), Paris 1892, von Mély und Bishop. Dazu der vom französischen Unterrichtsministerium herausgegebene Recueil d' anciens inventaires I, Paris 1896. Zu den ältesten und kostbarsten Überlieferungen dieser Art gehören die musterhaft geführten Inventare der Sammlungen des Herzogs Jean von Berry, veröffentlicht von Guiffrey in 2 Bänden, Paris 1894 (vgl. meinen Aufsatz: Ein fürstlicher Kunstfreund Frankreichs im 14. Jahrhundert, Beilage zur Münchener Allg. Ztg. 1894, 220, 221). An Frankreich schließen sich die eng verbundenen südlichen Niederlande an. Für Flandern: Dehaisnes, Documents et extraits divers concernant l'histoire de l’art dans la Flandre, l’Artois et le Hainaut avant le XVe siècle, 2 vols., Lille 1886. Pinchart, Archives des arts des sciences et des lettres. Documents inédits. 3 vols., Gent 1860—1881.

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An zweite Stelle rückt Italien: Campori, Raccolta di cataloghi ed inventari inediti sec. XV—XIX, Modena 1870. Müntz, Les collections des Médicis au XVe siècle, Paris 1888. Dazu desselben Autors Arts à la cour des papes, Paris 1882. Die reichhaltige Urkundensammlung des verdienstvollen, jung verstorbenen Schleswigers Gaye, Carteggio inedito d’artisti dei secoli XIV, XV, XVI, 3 Bde., Florenz 1839—1840, führt auch ins Mittelalter zurück. Die übrigen Länder, voran Deutschland, stehen ziemlich weit zurück; hier beginnen inventarische Aufzeichnungen erst vom 16. Jahrhundert an ergiebig zu werden und kommen über ein subalternes Wesen selten hinaus. Die reichste Quelle fließt hier in den Urkunden- und Regestenbänden, die in fortlaufender Folge als Beilagen des Jahrbuches des Allerh. Kaiserhauses erschienen sind.

Daran reihen sich die Statuten der verschiedenen Künstlerinnungen. Eine zusammenfassende Bibliographie gibt es für Italien von Gonetta, Bibliografia statutaria della corporazioni d’arti e mestieri in Italia con saggio di bibliografia estera, Rom 1891. Monticolo, I capitolari delle arti Veneziane, Rom 1896. Dazu: Studii e ricerche sulle arti Veneziane. Boll. dell’ Ist. stor. ital., fasc. 13. Malerstatuten: Zu den ältesten und historisch merkwürdigsten gehören die von Venedig, ed. Monticolo im N. Archivio Veneto II (1891), vgl. Molmenti, Lo statuto dei pittori Veneziani nel sec. XV, Venedig 1884. Gaudenzi, La società delle arti in Bologna nel sec. XIII, i loro statuti e loro matricole, Rom 1898. Das Breve dell’arte der sienesischen Maler, herausgegeben von Milanesi in den Docum. per la storia dell’arte Senese, Siena 1854. Das florentinische Malerstatut hat schon Baldinucci in seinen Notizie Sec. II, Dec. V gebracht. Die Fraglia dei pittori di Padova von 1441, ed. Odorici, Arch. Veneto VII—VIII. Das Statut von Cremona (1470), ed, Odorici, im Arch. stor. Ital. 1860 n. S. XI, p. I. Das von Rom (1478) bei Müntz, Arts à la cour des papes, vol. III, Paris 1882. Zu den ältesten Statuten im Norden gehört das von Prag (angelegt 1348), zuerst veröffentlicht von Pangerl und Woltmann in Eitelbergers Quellenschriften XIII, dann von Patera und Tadra mit vollständigem Text und kritischem Kommentar zu Pangerls Ausgabe, Prag 1878. Sehr wichtig sind dann die Statuten der Goldschmiedeinnungen. Die ältesten auch hier wohl die von Venedig (von 1233, nicht 1262!), ed. Odorici, im Arch. stor. Ital. n. S. XI; von Genua (1248), ed. Varni, Appunti artistici sopra Levante, Genua 1870; von Prag (1324), ed. Mečnik, in den Sitzungsberichten der böhm. Ges. d. Wiss. 1891; von Siena, ed. dello Russo, Neapel 1870; von Neapel (1380), ed. Migliacco, im Arch. stor. Campano II. Die Nürnberger Goldschmiedeordnung hat Steinbauer in der Vierteljahrsschrift für Volkswirtschaft XVIII herausgegeben. Steinmetzen: Neuwirth, Satzungen des Regensburger Steinmetzentages von 1459, Wien 1888. Gurlitt, Erfurter Steinmetzenordnungen des 15. und 16. Jahrhunderts. Tappissiers: Deville, Recueil des documents et statuts relatifs à la compagnie des tapissiers 1258—1875, Paris 1876. Noch zu erwähnen wäre das in vieler Hinsicht wichtige Buch des »Prevost« von Paris Estienne Boileau, Livres des métiers de Paris (bis 1271), gedruckt in der Coll. des docum. inéd. p. s. à l’histoire de la France 1837, sowie in der Histoire générale de Paris 1879, beide Male mit reichhaltigen Erläuterungen. Es enthält die Satzungen der verschiedenen Gilden, unter denen die Kunsthandwerker, die Tapissiers, Tailleurs d’ymages u. s. w., natürlich eine ansehnliche Rolle spielen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei bemerkt, daß die bei Lüer, Technik der Bronzeplastik (in Sponsels Monographien des Kunstgewerbes IV), Leipzig, Seemann, o. J., S. 28, angezogene, sehr eingehende Schilderung der Gießerwerkstatt eines Meisters Alain Le Grant sich nicht an dieser Stelle findet; woher sie stammt, weiß ich gegenwärtig nicht zu sagen; sie erinnert aber fast an Viollet-Le-Duc.

Anschließend sei noch des Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg, herausgegeben von Weech und Lexer in der Bibl. des Literar. Vereines, Bd. 64, Stuttgart 1862, erwähnt (verfaßt 1464—1475), das die Organisation des städtischen Bauhandwerks mit merkwürdigen Nachrichten über Bauführung u. dgl. darstellt. Das älteste Baugesetz page 38 des Mittelalters rührt vom Langobardenkönig Luitprand (713—744) her und regelt den Lohn der später sogenannten maestri Comacini, der lombardischen Bauarbeiter, deren Organisation bekanntlich bis in unsere Zeit hinabreicht. Ferner: Regum Langobardorum leges de structoribus quas C. Baudius de Vesme primo edebat, Carolus Promis commentariis auxit secundum editionem Augustae Taurinorum repetendas curavit J. F. Neigebauer, München 1853. Ilg hat es in den Mitteilungen der Zentralkommission XVI, 63, zuerst übersetzt und kommentiert; der Originaltext nach dem Druck der Mon. Germ. Leges IV, 176, in meinem Quellenbuch Nr. XI. Dazu: Mezzario, I maestri Comacini (600—1800), 2 Bände, Mailand 1893.

Ein Wort gebührt endlich noch den geringen Spuren der Künstlergeschichte im Mittelalter. Obwohl dieses die Biographie vor allem von bestimmtem, religiösem Gesichtspunkte aus eifrigst gepflegt hat (die zahllosen Vitae Sanctorum), so ist es von seinem Standpunkt aus nahezu selbstverständlich, daß der Künstler hier nur dann zu Worte kommt, wenn er sich innerhalb der Kirche durch heiligen Lebenswandel oder hohes Ansehen bewährt hat; nur das, nicht seine künstlerische Eigenschaft entscheidet, und nur von da aus sind die Biographien zweier Männer anzusehen, die auch als Künstler und Kunstförderer gottgefällig wirkten, des hl. Eligius, des Patrons der Goldschmiede († um 665), und des Bernward von Hildesheim († 1022): beide von persönlichen Freunden und Zeitgenossen verfaßt, die eine von Audoënus (Auszüge Quellenbuch Nr. IX), die andere von Thangmar (Quellenbuch Nr. XXIII). Im übrigen ist uns nur da, wo die Legende sich des Künstlers bemächtigte, etwas mehr als ein Name geblieben. Das ist der Fall bei dem Künstlermönch Tuotilo von St. Gallen (nachweisbar 895—912), dessen Gestalt mehr als ein Jahrhundert später in der Chronik seines Heimklosters überlieferungsgemäß Gestalt gewann. (Quellenbuch Nr. XXV, nach den Casus S. Galli Ekkehards IV, über den verunglückten Versuch Mantuanis [Studien zur deutschen Kunstgesch. 1900], die historische Rolle des Mannes zu retten, vgl. die Ausführungen Swarzenskis im Rep. f. Kunstw. 1902). Er ist der Dädalus, die Personifikation des St. Gallener Kunstlebens geworden, ja in diesem Umkreise sogar als Heiliger verehrt worden.

Sonst begegnen uns ausführlichere Nachrichten über Künstler äußerst selten in den Quellen des Mittelalters. Eine Ausnahme macht der Bericht über einen von Otto III. aus Italien an seinen Hof nach Aachen gezogenen Künstler Johannes, über den aus örtlichen Gründen (er war auch in Lüttich tätig gewesen) ein ausführlicher Bericht in die Biographie des Bischofs Balderich von Lüttich (geschrieben um 1050, vgl. Quellenbuch Nr. XXIV) geflossen ist. Auch hier spürt man indessen schon den feinen Duft der Legende. Sonst ist die Person des Laienkünstlers im Norden noch sehr lange im Dunkel unpersönlichen Handwerks und in der Zunft untergegangen; es ist etwas Seltenes, wenn einmal der Name eines bedeutenden page 39 Meisters, wie des Meisters Wilhelm von Köln, in der Chronik von Limburg im Vorübergehen laut wird; noch ein deutscher Gelehrter, wie Hartmann Schedel, der Verfasser der berühmten, mit Wohlgemuts Schnitten gezierten Weltchronik, ist trotz bedeutender Aufmerksamkeit auf bildende Kunst, und obwohl er in einer Hochburg des südlichen Humanismus, in Padua, studiert hatte, vom Individualismus der Renaissance ganz unberührt geblieben. Ihn interessiert an dem merkwürdigen scholastischen Freskenzyklus des Giusto bei den Eremitani zu Padua lediglich der absonderliche gelehrte Inhalt; der Künstler und sein Werk sind für ihn überhaupt nicht vorhanden, obwohl man damals gerade in Padua schon mit der schriftlichen Festlegung der einheimischen Kunsttradition begonnen hatte (vgl. meinen Aufsatz über Giusto im Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerh. Kaiserhauses, Bd. XVII und Quellenbuch Nr. XLIII und XLV).

Anders liegen die Dinge in Italien, wo die Persönlichkeit des Künstlers im nationalen Ethos einen ganz anderen Rückhalt hatte. Die volkstümliche Kunstform der Novelle und Anekdote hat sich ihrer schon frühe bemächtigt, zuerst in Florenz. Ich habe über den Gegenstand in meinen Prolegomena zu Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten (Kunsthistor. Jahrb. der Zentralkommission 1910) ausführlich gehandelt und verweise auf den betreffenden Abschnitt, so daß ich mich hier auf die Anführung des Wichtigsten beschränken kann. Auch die Künstlernovelle schließt sich, wie die florentinische Kunstgeschichtschreibung überhaupt, zu einem guten Teile an Dantes großes Nationalgedicht an; die berühmte Stelle über Cimabue und Giotto war der Ansatzpunkt, von dem aus sich zunächst bei den Dantekommentatoren eine ganze Literatur von Novellen und Legenden entwickelt hat, die ihren Abschluß in Vasaris Cimabue-Roman fanden; es ist charakteristisch, daß er seinen Zauber noch auf die modernste Forschung ausübt.

Zwar hat neuerdings ein bedeutender jüngerer Forscher, Rintelen, dem wir eines der besten Bücher unserer Literatur, über Giotto, verdanken, gegen die zuerst von Wickhoff scharf umrissene Auffassung des Cimabue als einer durchaus legendenhaften und anekdotischen Gestalt in etwas seltsamer Weise Front gemacht (Dante über Cimabue, Monatshefte für Kunstw. 1913, 200), und so möge hier eine kleine Digression zur Verständigung folgen, obwohl Rintelen mein oben genannter Aufsatz unbekannt geblieben zu sein scheint. Um von der Figur des angeblichen Ältervaters der florentinischen Malerei soviel zu retten als möglich, kommt Rintelen zu einer sehr künstlichen Auslegung der berühmten Stelle im Purgatorio (cap. XI). Er stellt eine Gleichung auf: Guinicelli-Cavalcanti = Cimabue-Giotto und folgert daraus, daß Cimabue in eine Reihe gleichwertiger Männer gesetzt wird, unter denen sich Dantes Freund und Mystagog zum »neuen Stil«, Cavalcanti selbst, befindet; das geringere und deutlich beispielhafte Miniatorenpaar wird dabei wohlweislich vor der Schwelle gelassen. Ja, Rintelen kommt sogar auf die alte, natürlich nicht zu widerlegende, aber schwerlich jemals zu beweisende Ansicht zurück, Cimabue möge Giottos Lehrer gewesen sein — weil Dante page 40 versteckt neben seinen beiden »Lehrern« Guinicelli und Cavalcanti genannt sei. Was nicht einmal gar so sicher ist und auch von modernen Erklärern bestritten wird. Genau das nämliche haben die alten Scholiasten aus Dantes Stelle herausgelesen, nicht etwa gewußt; haben sie doch auch ganz entsprechend den Franco zum Schüler des Oderisi gemacht!

Daß Dante also Cimabue dem von ihm hochgeschätzten Guinicelli gleichsetzt, ist eben eine willkürliche und unbeweisbare Annahme, bei der man obendrein auch den Oderisi selbst als dritten im Bunde berücksichtigen müßte. Irgend eine Wertung liegt in der ganzen, durchaus moralisch, dem ambiente entsprechend, angelegten Stelle überhaupt nicht. Daß Cimabue für Dante noch eine reale Figur gewesen ist, wird man kaum bezweifeln; freilich, in welchem Grade und ob wesentlich mehr als die beiden Miniaturmaler aus Gubbio und Bologna, die ebenfalls seine Zeitgenossen waren, können wir absolut nicht wissen, und alles andere ist leeres Gerede. Schon für Dantes erste Kommentatoren und vollends für die späteren war Cimabue vollends nichts mehr als ein Name, auf den die Scholiastenweisheit nun häufte, was irgend plausibel schien; wir sehen viel zu deutlich in den Prozeß der Legendenbildung hinein, um anderes annehmen zu dürfen. Genau ebenso ist ein Gerank von Fabeln um die beiden Miniatoren entstanden, das heute niemand mehr ernst nimmt. Und nur darum handelt es sich; von dem Cimabue Dantes führt, wenn man ehrlich sein will, kein Weg mehr zu dem Cimabue, den wir heute nur mehr aus einem restaurierten Werke zweiter Hand, dem Mosaik von Pisa, und aus ein paar mageren Urkundennotizen kennen, wenn dieser Weg auch für Dante noch gangbar gewesen sein mag, und vor allem ebensowenig zu den Epigonen des 16. Jahrhunderts, von denen erst Billi Werke zu nennen unternimmt, die noch dem Kronzeugen des Trecento, Ghiberti, verborgen geblieben waren! Und nicht minder nachdenklich muß es uns machen, daß wir zu Cimabue, der augenscheinlich seinen Ruhm bloß Dante verdankt, eine ganz entsprechende Parallele finden, den alten Künstler Polyklet, der seinen auffälligen, durch die Antike in dieser Weise keineswegs überlieferten Ruhm in der Renaissance ebenfalls seiner Nennung in der Commedia verdankt.

Die zwischen den trockenen Zeilen der Dantekommentatoren aufblühenden Künstleranekdoten (eine sehr charakteristische des Benvenuto da Imola, die selbst naiverweise ihren Ursprung verrät, im Quellenbuch Nr. XLVII) setzen sich dann in der klassischen Erzählungsliteratur Toskanas fort, namentlich bei Boccaccio und Sacchetti; sie haben Brennpunkte nicht bloß in Giotto, sondern auch in der ebenso volkstümlichen Figur des sogenannten Buffalmacco gefunden, der in Wirklichkeit Bonamico hieß und ein sehr ernsthaft zu nehmender, weil von Ghiberti hochgeschätzter Künstler gewesen sein muß (Decamerone VI, 5; VIII, 3, 6, 9; IX, 6. Sacchetti nov. 63, 75, 163, 164, 191, 192); recht fein hat Ilg (Zeitstimmen, S. 44) auf die weitverbreiteten Schwankelemente in diesen Novellen hingewiesen.

Künstleranekdoten aus der Sieneser Volksüberlieferung (Beccafumi), gesammelt von Corsi, Arch. per lo studio delle tradizioni popolari XIII (1894) 203f. vgl. Floerke, Künstlernovellen der Renaissance (in Übersetzung), München 1910, 311. Zur Maleranekdote im Norden der Beitrag von Bossert, Eine gereimte Erzählung auf den Maler Konrad Witz, Rep. f. Kw. XXXII, 497.

Das Hervortreten der Persönlichkeit, in der die Anekdote allerdings zunächst weniger den Künstler als den Menschen sucht, erhält neues Relief durch den aufblühenden Humanismus mit seinen Visionen der antiken Gloria; Petrarcas Sonette auf seinen Freund Simone Martini page 41 (Quellenbuch Nr. XLIX) sind ein glänzendes Zeugnis dafür — besonders wenn man denkt, wie spät erst sich ähnliches im Norden ereignet.

Daß sich im Florenz des 14. Jahrhunderts, mit seinem großen Interesse an der Öffentlichkeit des Kunstwerkes, seinen gemischten Kunstkommissionen u. s. w., schon ein festes Kunsturteil zu bilden begonnen hatte, lehrt mancher Zug dieser Anekdoten- und Novellenliteratur. Besonders bezeichnend und ganz modern anmutend ist eine Novelle Sacchettis, wo eine Tafelrunde der berühmtesten Florentiner Künstler damaliger Zeit, unter ihnen Orcagna und Taddeo Gaddi, oben auf S. Miniato über die Frage des besten Nachfolgers Giottos streitet (Quellenbuch Nr. XLVIII).

Den Niederschlag dieses schon recht ausgebildeten Kunsturteiles von Florenz finden wir dann in einem Schriftchen des Chronisten Filippo Villani (De origine civitatis Florentiae et eiusdem famosis civibus, um 1400), das an der Eingangspforte der nun bald einsetzenden kunsthistorischen Literatur der Frührenaissance und damit der europäischen Entwickung der Gattung überhaupt steht. Ich habe in meiner früher erwähnten Abhandlung (im Jahrbuch der Zentralkommission 1910) ausführlich auch über Villani gehandelt und will schon Gesagtes nicht mehr wiederholen. Ich begnüge mich daher, hier bloß die sonstige einschlägige Literatur zu Villani nochmals mitzuteilen.

Das Elogium des Villani war anfänglich nur in italienischer Übersetzung bekannt, herausgegeben von Mazzuchelli mit ausführlichen gelehrten Noten, Florenz 1747 (wiederholt in der Ges. -A. der Chroniken der Villani von Gherardi Dragomanni, Florenz 1847.) Der lateinische Urtext wurde zuerst von Galletti, Florenz 1847, publiziert, ferner nach der Originalhandschrift der Laurenziana von Milanesi in den Operette storiche di Ant. Manetti, Florenz 1887. Der Abschnitt über die Künstler allein, mit Benützung einer jüngeren Kopie von Frey, Il libro di A. Billi, Berlin 1892, 73—75, (darnach im Quellenbuch Nr. LII). Über Fil. Villani Frey in der lehrreichen Einleitung zu seiner Ausgabe des Anonymus Magliabecchianus, Berlin 1892, pag. XXXIII ff. und Caló, Fil. Villani e il libro de orig. civ. Flor. Rocca s. Casciano 1904. Über das florentinische Kunsturteil des Frühhumanismus s. Lion. Venturi, La critica d’arte in Italia dur. i secoli XIV e XV. L’Arte XX, 305 f.

D. Periegetik des Mittelalters.

Für das Abendland standen zwei Stätten im Vordergrund der religiösen Verehrung, das Heilige Land, für das bald der Eifer der Kreuzzüge aufflammte, und Rom, das caput mundi. Itinerarien, d. i. Weg- und Handweiser für den gläubigen Pilgrim berichten von den Denkmälern an diesen Stätten; daß der religiöse Anteil zunächst durchaus im Vordergrunde stand, begreift sich bei der ersten Gruppe namentlich vollkommen; an zweite Stelle rückt das Wunderbare und die Kuriosität. Nicht viel anders dürfte es bei den alten Tempelführern der Antike gewesen sein, deren Vorhandensein sich aus dem Pausanias erschließen läßt.

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Das repräsentative Werk der ersten Gruppe ist für den Kunsthistoriker der Bericht über die Pilgerfahrt des hl. Arculf, eines gallischen Bischofs zu Anfang des 8. Jahrhunderts, aus dessen Munde ihn der schottische Abt Adamnanus in seinen drei Büchern De locis sanctis aufgezeichnet hat (im Auszug nach Mabillons Acta Sanctorum O. B. in meinem Quellenbuch Nr. XII; eine deutsche Übertragung mit Kommentar von P. Mickley ist Leipzig 1917 [Das Land der Bibel II, 2. u. 3.] erschienen). Er ist von besonderer Wichtigkeit, weil er den Zustand der Bauwerke bald nach dem Siege des Islams schildert, bedeutend durch die beigefügten schematischen Grundrisse als erste Versuche archäologischer Illustration.

Die Literatur dieser Art hat noch bis in späte Zeiten reiche Nachfolge gehabt, es wird genügen, etwa an Ludolphs Liber de itinere terrae sanctae (um 1350, ed. Deycks in der Bibl. des Lit. Ver. zu Stuttgart, Bd. XXV), oder an noch spätere, wie das Reisebuch Schiltbergers (1394—1425, ed. Langmantel in derselben Bibl., Bd. CLXXII), zu erinnern, endlich an die besonders reichhaltige des Ritters Arnold von Harff (1496—1499, ed. E. v. Groote, Berlin 1860). Vgl. a. Baumstark, Abendländische Palästinapilger des ersten Jahrtausends und ihre Berichte. Görres-Gesellschaft, Köln 1906. (Mit eingehender Bibliographie.)

Wie im byzantinischen Reich die periegetische Literatur an die Reichshauptstadt, das östliche Rom, anknüpft, so ist das eigentliche, westliche Rom der Ausgangspunkt; hier liegen denn auch die Wurzeln der überreichen italienischen Guidenliteratur, die freilich seit der Renaissance immer mehr eine auf die Kunst als solche gerichtete Tendenz bekommt. Die »Mirabilia urbis Romae« sind aber in wiederholt modernisierter Form bis an die Schwelle des Barocks lebendig geblieben; schon ihr Name ist bezeichnend; es ist der gleiche mittelalterliche Märchengeist, der dämonistische Spuk, der sich, wie in Byzanz, gleich einem Qualm über die hohen Werke der Vorzeit zieht, aus dem ihre Formen phantastisch schwankend emportauchen. Hier wollen wir nur der mittelalterlichen Phase gedenken; ein Büchlein wie Albertinis Opusculum de mirabilibus novae et veteris urbis Romae (Druck von 1510), bezeichnet in seiner reinlichen Scheidung zwischen dem neuen Rom und dem nationalen Idol des alten den Wendepunkt der Renaissance; obwohl es aber von neuem Geist erfüllt ist, trägt es noch immer den Titel der alten Pilgrimsbücher an der Stirn.

Die »Mirabilia urbis Romae« reichen in ihrer ältesten Gestalt mindestens in das 12. Jahrhundert zurück: es ist das die von Urlichs publizierte Descriptio plenaria, die in verschiedene offizielle Schriften der römischen Kurie überging, so den »Polypticus« des Benedictus Canonicus, und den »Liber censuum« des Cencius camerarius, und sich, mit mannigfachen Zusätzen versehen, in den Handschriften bis zum Ende des 14. Jahrhunderts fortpflanzt; auch eine Version in stadt page 43 römischem Dialekt hat sich auf der Laurenziana in Florenz (Gadd. 148) erhalten. Als Autor der Mirabilia nimmt Duchesne den obengenannten Kanonikus von S. Peter, Benedictus, selbst an. Eine etwas jüngere, selbständige Bearbeitung stellt die von Ozanam herausgegebene Graphia aurea urbis Romae dar. Vorarbeiten waren schon seit alter Zeit vorhanden, vor allem die noch in die letzte Kaiserzeit zurückreichende Regionalbeschreibung Roms, die einen Teil des römischen Chronographen von 354 bildet; dann die ganze, bis ins 9. Jahrhundert zurück zu verfolgende Literatur der Itinerarien, über die Jordan in seiner römischen Topographie ausführlich gehandelt hat. Im 15. Jahrhundert setzt dann schon der Druck dieser vielbegehrten Büchlein ein, die charakteristischerweise zu den ältesten, in Rom von den dort ansässigen deutschen Offizinen hergestellten Inkunabeln gehören; sie folgen sich seit den Siebzigerjahren des 15. Jahrhunderts in fast ununterbrochener Folge und gehen, mannigfach überarbeitet und modernisiert, immer aber den alten Titel bewahrend, bis an das Ende des 17. Jahrhunderts hinab; daneben laufen zahllose Übertragungen in die Nationalsprachen der europäischen Romfahrer, ein deutlicher Beweis, welche ungeheure Nachfrage nach ihnen bestand. Davon soll aber in einem späteren Abschnitt die Rede sein; hier interessiert uns nur die originale, mittelalterliche Gestalt des Werkchens.

Die Mirabilia sind also in erster Linie Wegweiser des Rompilgers zu den Kultstätten, aber sie räumen begreiflicherweise auch den weltlichen Merkwürdigkeiten, den Wundern des heidnischen Roms, ihren Platz ein und gerade diese Partien ziehen durch die eigentümliche Art des Vortrags unsern Blick am meisten an. Denn die Mirabilia gehören durchaus in den Zeit- und Dunstkreis der Gesta Romanorum und lösen wie dieses historisch-moralische Fabelbuch die Antike in ein Märchen auf; es ist die Geschichte der alten Welt, den großen Barbarenkindern in handgreiflich phantastischer Weise erzählt, genau so, wie sich der römische Dichter augusteischer Zeit in den seltsamen Zauberer und Wundermann Virgilius verwandelt. Dieses phantastische Märchenland Italien spiegelt sich ganz merkwürdig in einem Briefe, den Heinrich VI. Kanzler Konrad von Querfurt 1194 nach Hildesheim gerichtet hat. Der nämliche Geist ist ja auch innerhalb der bildenden Kunst lebendig, so vor allem in einer Gruppe von profanen Trühlein in Elfenbein, die in Byzanz, aber auch in der venezianischen Lagune und im normannischen Sizilien ihre Heimat haben. Die seltsamen allegorisierenden Geschichten der Mirabilia, die sich an zwei der berühmtesten Bildwerke Alt-Roms heften, an den Marc Aurel und die Pferdebändiger von Monte Cavallo, zeigen deutlich Geist und Stimmung dieser wunderlichen Literatur. An das erstere, im Volksmunde Caballus Constantini genannt, knüpft die abenteuerliche Sage vom gran villano page 44 und seiner Errettung Roms an; schon die Taufe auf Konstantin ist bezeichnend, und ihre Spuren lassen sich bis an die statuengeschmückten Portale südfranzösischer Kirchen verfolgen. Wie unbekümmert naiv, kinderhaft phantastisch das Mittelalter, selbst auf diesem uralten Boden, die Form aufzufassen gewohnt war, zeigt sich in einem einzelnen kleinen, aber sehr wesentlichen Zug, der leicht durch Parallelen aus der gleichzeitigen bildenden Kunst selbst verstärkt werden kann; der Stirnbüschel des Kaiserpferdes wird zur Nachteule umgedeutet und liefert ein weiteres märchenhaftes Requisit. Wie die mittelalterliche Phantasie aus realen Kunstwerken ganze Fabelgeschichten herausliest, hat de Rossi besonders schön an der Entstehung der berühmten Legende von der Milde Trajans aus einem römischen Triumphalrelief aufgezeigt; vieles Einschlägige hat auch G. Kinkel in einem lehrreichen Aufsatz (Sagen, aus Kunstwerken entstanden, in seinem Mosaik zur Kunstgeschichte) gesammelt. Wie echt volkstümlich dergleichen ist, zeigt ein spätes Werkchen, die 1684 in Neapel gedruckte Posileccheata des Pompeo Sarnelli, nicht nur in der Sprache, sondern auch vollkommen im Geiste des Volks von Neapel erzählt; jeder der fünf cunti knüpft an ein Bildwerk der Stadt an. Und wie sich der popolino mit den ehrwürdigen Resten seiner Ahnenzeit auf den Standpunkt von compare und commare stellt, das beweisen nicht nur der weltberühmte Pasquino mit seinem Partner Marforio, der Abate Luigi und die Madame Lucrezia von Rom, sondern auch die Reste manch alter Munizipalstadt, wie der Muto Pavias.

Ein anderes echt mittelalterliches Moment enthüllen uns die Fabeln der Statuen von Monte Cavallo. Ihre apokryphe Künstlerinschrift ward als Porträttitel gedeutet, die Nacktheit dieser beiden philosophi, d. i. Wundermänner, aber in christlich-asketischer Weise als Symbol des nichtigen Wesens dieser Welt begründet, wobei anzumerken ist, daß auf dem (wie bei Virgil) von magischem Licht umflossenen Können ein starker Nachdruck liegt; als philosophi erscheinen die technischen Aufseher der pannonischen Steinmetzwerkstätten in der Passio IV. coronatorum, die im 5. Jahrhundert redigiert wurde. (S. o.) Das ist völlig der Geist der Gesta Romanorum, der die antiken Historien nicht mehr als reine Gestaltung aufzunehmen vermag, sondern hinter der Form nach bedeutendem moralischen oder erbaulichen Inhalte sucht, wie er denn die Form sich nicht anders als durch diesen eigen zu machen weiß. Diese (anscheinend auf nordwestlichem Boden entstandenen) Gesta Romanorum bieten die seltsamsten Beispiele einer uns nicht selten, wie im moralisierten Ovid, blasphemisch anmutenden Erklärungsweise, die übrigens aus antiken Wurzeln sprießt, und nicht anders spiegelt sich die Natur in den Bestiarien und Lapidarien. So ist der reale Gehalt dieser ältesten Führer durch Rom für uns page 45 relativ gering, desto größer aber die Summe allgemein historischer Erkenntnis, die wir aus ihnen ziehen.

Einen ganz andern Standpunkt als das Volk, für das diese Literatur bestimmt ist, hat der gebildete Klerus diesen Dingen gegenüber eingenommen, so wenig auch er sich solchen Anschauungen zu entziehen vermochte. Zwei Sonderschriften von Geistlichen des 11. und 12. Jahrhunderts, Johannes Diaconus und Petrus Malleus, die beiden Hauptkirchen Roms, Lateran und Vatikan behandelnd, zeigen gelehrten antiquarisch-topographischen Anteil, haben aber für die Kunst als solche sehr wenig übrig.

Die älteste Version der Mirabilien (s. XII.) ist in der Handausgabe von Urlichs, Codex urbis Romae topographicus, Würzburg 1871, p. 92 f. abgedruckt, dort auch eine Übersicht des gesamten Materials für das späte Altertum und das frühe Mittelalter, sowie bei Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum II, 605 f. Eine besondere Ausgabe besorgte Parthey, Berlin 1869; eine andere, mit Noten, Rom, Tip. Forense 1864, ist ein Wiederabdruck der Edition Nibbys in den Effemeridi letter, di Roma 1820. Die alte englische Übersetzung: The marvels of Roma or a picture of the golden city wurde neuerdings mit Anmerkungen von F. Nicholas, London 1889, herausgegeben; eine Faksimilereproduktion eines der ältesten Drucke, des Blockbuchs in Gotha (um 1480), wurde von R. Ehwald (als Privatdruck der Gesellschaft der Bibliophilen, Weimar 1904) veröffentlicht. Die Graphia aurea ist bei Ozanam in den Documents inédits p. s. à l’hist. litt, de l’Italie, Paris 1850, p. 155 ff., gedruckt. Über andere A. vgl. Calvi, Bibliografia di Roma I, 91. Zur Literatur: C. W. Schneider, Commentarius hist.-litt. de antiquo libello mirabilia Romae inscripto, Jena 1756. Bock im Archäol. Anzeiger 1851. Brunet, Recherches sur l’ouvrage intitulé M. R. Bull. du bibliophile Beige 1885, 51. Duchesne, L’auteur des M. R. in Mélanges d’archéol. et histoire, XXIV (1904). Ferner Piper, Monum. Theologie, 491 f., de Rossi, Roma sotteranea I, 157 und Inscript. christ. II, 331, Nissen, Ital. Landeskunde II, 2, 486, endlich Graf, Roma nella memoria e nelle immaginazioni del medio evo, Turin 1881, bes. I, cap. 4. Der Brief Konrads v. Querfurt findet sich in Leibnizens SS. RR. Brunsvicens. II, 695—98 abgedruckt. Über die Gesta Romanorum als mittelbare kunsthistorische Quelle Habicht in der Monatsh. f. Kunstwiss. 1915 (Tor von Capua).

Die Schrift des Johannes Diaconus De ecclesia Lateranensi ist in Mignes Patrol. Lat. CXCIV, die des Petrus Mallius, Liber de basilica S. Petri in den Acta SS. Boll. Juni VII, 37—56, zu finden. Vgl. dazu Piper, Monum. Theol., 499 f.

II. Zur Kunsttheorie des Mittelalters.

1. Kunsttheoretische Ergebnisse des Altertums.

E. Müller, Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten. Breslau 1834. — J. Walter, Geschichte der Aesthetik im Altertum, Leipzig 1893. — Jolles, Vitruvs Aesthetik, Freiburg i. B. 1906. — Birt, Laienurteil über bildende Kunst bei den Alten, Marburg 1902. — Bertrand, Etudes sur la peinture et la critique de l’art dans l’antiquité, Paris 1893. — R. Mayer, Natur und Kunst bei Aristoteles, Studien zur Gesch. u. Kunst des Altertums, her. v. d. Görres-Gesellschaft X, 2. Paderborn 1919. — Sehr wichtig und aufklärend sind Panofskys Ausführungen über die antike Proportionslehre, Monatsh. f. Kst. 1921, 188ff.

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Wie fast auf allen Gebieten humanistischen Wesens sind es die Hellenen gewesen, die zuerst über die Theorie der Kunst nachgedacht haben, und ihre Ideen sind weit über das Mittelalter hinaus, bis in unsere Tage hinein lebendig geblieben. Es handelt sich hier, schematisch ausgedrückt, um drei Gedankenkomplexe, die die Summe — keineswegs ein System — dieser Erwägungen umfassen. Der erste entspringt aus der Sphäre des künstlerischen Ausdrucks selbst und hat das Wesen der Kunst oder der Künste zum Gegenstand, der zweite fällt in die Eindruckssphäre, richtet sich auf die Wirkung der Kunst und begreift das vielumstrittene und stachelige (psychologische) Problem des »Schönen« in sich und im Zusammenhang damit das Kunsturteil als einen Niederschlag aus jenen beiden Reflexionen, der dritte endlich geht aus dem Bestreben hervor, die Kunst als ein Gewordenes, als geschichtliche Erscheinung zu erfassen.

Der Begriff der »Kunst«, wie wir ihn in wesentlich engerer Fassung, eingeschränkt auf bestimmte Ausdrucksgebiete des optischen und akustischen Bereiches, verwenden, ist dem Altertum im wesentlichen fremd geblieben, besonders in jener Determinierung, die der (im Deutschen heute eigentlich schon veraltete) Terminus der »schönen« Kunst repräsentiert. Der griechische Begriff reicht viel weiter und läßt sich kurz mit der berühmten Baconschen Definition: ars sive homo additus rebus deutlich machen; er ist auch heute noch keineswegs gänzlich verschwunden. Noch bei Goethe gesellt sich gelegentlich zu den bildenden Künsten die »Staatskunst«, J. Burckhardt betrachtet den Renaissancestaat als »Kunstwerk«; noch mehr ist das der Fall im alltäglichen Sprachgebrauch, der unverblümt mit Ausdrücken wie Kriegs-, Reit-, Fecht- und Kochkunst hantiert. Die heute so stark nach Geltung verlangende Kunst des Tanzes schwankt in unseren ästhetischen Lehrbüchern unentschieden zwischen den Grenzen der Kunst im engen und weiten Sinne; und die Kunst des Gärtners, an der unsere modernen Ästhetiker meist vornehm vorübergehen, wird in den älteren Systemen als vollwertig anerkannt.

Auf dieser weiten Plattform steht auch durchaus das ältere griechische Denken. Bei Plato erscheinen die »Künste«, die das Mittelalter später als artes mechanicae kompendiert, also etwa Heilkunst, Ackerbau, Schiffahrt, Kriegskunst neben denen, die wir heute allein als Exponenten der künstlerischen Phantasie ansprechen. Vor allem nimmt die jetzt so hoch gewertete Architektur einen viel geringeren Platz ein; Plato nennt sie gelegentlich geradezu nach dem Handwerk Hans Sachsens, denkt aber zunächst an das Baugewerbe. Der Titel und Inhalt einer medizinischen Schrift des Galen περὶ τέχνης zeigt uns deutlich, daß es sich hier um den uns überkommenen und geläufigen Begriff der Technik handelt, als der Summe des Könnens, der durch page 47 Tradition und Übung gefestigten Produktion; und genau dasselbe meint der vulgäre Sprachgebrauch unserer Volksviertel, für den »Künstler« die fahrenden Leute aller Art sind, die durch Schaustellung ihrer Geschicklichkeit ihr Publikum anziehen.

Aber die Alten haben schon verschiedene Subdefinitionen dieses weiten Begriffs versucht, und wiederum bei Plato treten uns in diesem Umkreise die »musischen« und die »nachahmenden« Künste entgegen. Allein das innere eigentümliche Wesen der Künste, das wir zu fassen glauben, hat sich bei den Alten nie scharf herausgestellt; sie finden ihre Stelle neben andern Tätigkeiten, bleiben dem höhern Begriff des »Könnens« untergeordnet und wesentlich an das »Technische« gebunden. Vollends bei Plato, der sein eigenes künstlerisches Schaffen theoretisch leugnet und aufhebt, sinkt die εἰδωλοποιητιϰὴ tief unter die αὐτοποιητιϰὴ, die im wahren Sinne schaffende Kunst, die hervorbringt, was vorher nicht da war, und der Notdurft des Lebens im weitesten Sinn dient. Im »Sophisten« leugnet Plato, lange nachwirkenden Vorstellungen über die Phantasie gemäß, das Schaffen des Künstlers überhaupt; Maler wie Dichter gehören in eine Klasse mit Gauklern, sie erzeugen Scheinbilder, anmutige Spiele, die kein so wirkliches Dasein haben wie ein handfester Stiefel. Sie geben Abbilder von Abbildern, die ja auch ihrerseits nur im ewigen Reich der Ideen wirklich existieren, den Schein des Scheines dieser Welt, ein Gedanke, der das ganze Mittelalter beherrscht und in dem berühmten Verse Dantes von der Kunst als der »Enkelin Gottes« nur würdiger gewendet ist. Bloß solche Kunst, die auf die »Daseinsform«, wie heute unter unbewußter Nachwirkung platonischer Gedanken gesagt wird, begründet ist, gleich der ägyptischen, findet Gnade vor Platons Augen; der spätere Gegensatz der »Taktiker« und »Mimetiker« kündigt sich hier an (s. u.). Im Neuplatonismus gilt ja das Kunstwerk als ein Abfall von der Idee in schlechte Materie.

Intellektualistische und ethische Wertungen durchkreuzen den Begriff der Kunst als Ausdruck der Persönlichkeit in bestimmten technischen Formen unter ausschließlicher Herrschaft bildender Phantasie, und lassen ihn während des ganzen Altertums nicht zu vollständiger Klarheit reifen, obwohl die Ansätze keineswegs fehlen.

Quintilian (Inst. Or. II, 18) unterscheidet drei Klassen von Künsten — man sieht, daß das einigende Band niemals zerrissen wird und die eigentlich hemmende Schranke nicht fällt —: die ϑεωρετιϰὴ, rein auf intellektuelle Erkenntnis gerichtet, als deren Beispiel die Astronomie gegeben wird, die πραϰτιϰὴ, deren Ziel in einem Tun beruht, das kein Residuum hinterläßt, und als deren Muster der Tanz, aber auch die Rhetorik angeführt werden, endlich die ποιητιϰὴ, die page 48 in einem bleibenden Werke ihren Ausgang hat; ihre Vertreterin ist die Malerei. Dergleichen ruht aber schon auf aristotelischen Überlegungen.

Von Aristoteles rührt bekanntlich die berühmte, von Mittelalter wie Renaissance gleichmäßig angenommene Definition des Wesens der Kunst her. Sie findet sich in der Ethik an Nikomachos, und noch Varchi hat sie in seiner berühmten Erklärung eines Sonetts des Michelangelo zitiert (ἕξις μετὰ λόγου ἀληϑοῦς ποιητιϰὴ, ὧν ἡ ἀρχή ἐστιν ἐν τῷ ποιοῦντι, ἀλλὰ μὴ ἐν τῷ ποιητιϰὴ). Ihr Prinzip ist ein Hervorbringen (ποιεῖν, daher ποιητιϰὴ), das sich sowohl vom Erkennen unterscheidet, bei dem das Subjekt ausgeschaltet ist, weil es als ein Notwendiges nicht anders sein kann als es ist (ϑεωρητιϰὴ), als vom Tun, das auf einen bestimmten Lebenszweck gerichtet ist (πραϰτιϰή). Das künstlerische Schaffen — stets im antiken Sinne zu nehmen — mündet hingegen in einem realen Erzeugnis, einem Einzelnen und Gestalteten, bei dem es auf die Persönlichkeit des hervorbringenden Subjekts ankommt; daher auch die früher zitierte lapidare Definition des Bacon. Der Neuplatonismus und nach ihm die Scholastik setzte es gerne in Parallele mit dem Schaffen (creare) Gottes, und der abgenützte Bühnenausdruck »eine Rolle kreieren« hat, wie man sieht, eine recht ansehnliche Vorgeschichte; umgekehrt hat schon Platon den Demiurgen als Künstler aufgefaßt, der die Dinge nach dem Proplasma, dem exemplum des Mittelalters oder, wie wir sagen, nach dem Modell bildet — ein sehr merkwürdiger, unmittelbar aus dem Künstleratelier stammender Vergleich. Das Bild hat immer weiter gelebt, die Kirchenväter wie die Scholastiker (Thomas von Aquin) gebrauchen es. endlich hat es auch die Renaissance aufgegriffen; so L. B. Alberti in einem pseudolukianischen Dialoge, der seinerzeit dem Dosso Dossi Stoff für ein absonderliches Bild geliefert hat: Zeus als Maler vor der Staffelei sitzend. Der intellektualistische Standpunkt meldet sich aber auch bei Aristoteles sofort in der näheren Bestimmung dieses Hervorbringens »mittels eines richtigen Begriffs«.

Auch Aristoteles weist also der Kunst in unserem heutigen begrenzten Sinne durchaus keine Ausnahmestellung zu; vollends ist ihm der Begriff des Schönen als ihres Charakteristikums, wie dem ganzen Altertum überhaupt, ganz fremd; als ihr Charaktermerkmal erscheint vielmehr die viel berufene und viel mißverstandene μίμησις, die Nachahmung, die aber keineswegs im Sinne des 18. Jahrhunderts, sondern, entsprechend der aristotelischen Grundanschauung selbst, als Darstellung aufzufassen ist; es handelt sich um die innerliche Mitwirkung des Subjekts, sein Nach- und Mitleben des Gegenstandes, und darum fällt bei Aristoteles die Musik als Darstellung bestimmter Charaktere, wie sie dem Ethos der alten Tonarten entsprach, durchaus und in page 49 hohem Grade unter den Begriff der Mimesis. Auf diesem Boden ist auch später das fruchtbare Prinzip der Kunst als eines Ausdrucks erwachsen.

So ist dem gesamten Altertum wie seinem Schüler, dem Mittelalter, der Begriff der späten sogenannten schönen Kunst als selbstständige Einheit so gut wie völlig fremd gewesen, höchstens daß sich bei Plotin einige Ansätze zu solcher Anschauungsweise finden, die später zu großer Bedeutung gelangt sind (Walter a. a. O. 776). Die Poesie erscheint bald mit der Musik im Reigen der »musischen« Kunst, bald mit der Rhetorik oder Historie verschwistert, vollends zu unseren »bildenden« Künsten läuft von hier aus kaum ein Pfad. Der Grund liegt hauptsächlich darin, daß der Begriff der frei und selbstherrlich schaffenden künstlerischen Phantasie dem Altertum im Grunde fremd geblieben ist; eine Nachwirkung dieser Anschauung zeigt sich noch in dem berühmten, immer unvollständig zitierten und darum gewöhnlich mißverstandenen Satz Buffons über den Stil, den Heinrich v. Stein, Entstehung der neueren Ästhetik (p. 70), geistvoll erläutert hat.

Vollends die Baukunst, die in neueren Systemen mit Vorliebe an die Spitze der »schönen« Künste gerückt wird, hat griechischem Denken gemäß dort nichts zu suchen; wenn das Mittelalter sie unter seine »artes mechanicae« einreiht, folgt es darin nur antiken Anschauungen. Obwohl Varro sie aus dem praktischen Sinn seines Römervolkes heraus samt der Medizin in den Kreis seiner neun »Disziplinen« gestellt hatte, ist sie mit jener später wieder daraus verschwunden.

Durchaus auf antikem, namentlich hellenischem Ethos, ruht eine andere Einteilung der Kunst, die die Folgezeit, obgleich ihr jenes fremd geworden war, aufrecht erhalten hat. Das ist die Scheidung zwischen »freien« und »unfreien« Künsten, die in die christliche Wissenschaftslehre übergegangen ist, obwohl ihr der Boden antiker Gesellschaftsordnung, auf dem sie ruhte, durch eben dasselbe Christentum entzogen worden war. Systematisch ausgebildet tritt sie uns in dem früher zitierten Schriftchen des großen Arztes Galen entgegen: den Künsten, die er mit dem Ehrentitel λογιϰαὶ ϰαὶ σεμναὶ schmückt, treten die βϰ'ναυσαι ϰαὶ χειρωναϰτιϰαὶ gegenüber. Das ist der Standpunkt der aristokratisch denkenden und organisierten Gemeinschaft, die den dunklen Untergrund des Sklavenwesens unter sich fühlt; Lohnerwerb und physische Anstrengung dumpfen Handwerks erscheint ihr als etwas Niedriges und Unedles, des Freien Unwürdiges. Dazu gesellt sich unter dem ungeheueren Einfluß des platonischen Denkens und seiner Ideenlehre, die der nüchternere Geist eines Aristoteles zu durchschauen, aber nicht zu überwinden vermochte, der auf diesem Gebiet verhängnisvolle Einfluß griechischer Spekulation, die Überhebung und Überschätzung des Intellektualen. So steckt in Galens page 50 Schema die älteste Spur jener freien Künste in mystischer Siebenzahl, die dann, durch spätantike Kompendien kümmerlich begrenzt und zusammengefaßt, bis zur »Artistenfakultät« der mittelalterlichen universitas litterarum hinabführt. Rhetorik, Musik, Geometrie, Arithmetik, Dialektik, Astronomie und Grammatik sind schon bei Galen genannt, ihnen gesellen sich Medizin und Jurisprudenz, dann bei Varro, wie wir sahen, ohne Nachfolge, die Architektur, zu; es sind die artes liberales, das Fachwerk der drei weltlichen Fakultäten: ihre Königin, die Theologie, ist freilich erst, an Stell und Statt der alten Philosophie, durch die Scholastik auf den Thron gesetzt worden. Was wir Kunst nennen, das müssen wir mit der Laterne unter den handwerklichen, »banausischen« Künsten suchen; ihnen fallen diejenigen zu, die das Mittelalter, treu seiner Neigung zur gedanklichen Symmetrie, in der Siebenzahl der artes mechanicae zusammengefaßt hat. Die Medizin in ihrem unedleren praktischen Teil fand hier ihre Stätte, daneben aber auch alle jene Fertigkeiten, die schon im Altertum immer wieder paradigmatisch an dieser Stelle auftauchen, als Baukunst, Ackerbau, Schiffahrt und ähnliches. In jenen artes liberales, wie man sie später noch nannte, die nur dem Freien, nicht aber dem Sklaven gestattet sind, klingt zweierlei nach: die Organisation der alten Gesellschaft und der des Erkennens frohe griechische Intellektualismus. Von dem, was wir Kunst nennen, ist die Architektur hier ausgeschlossen worden, die Poesie erscheint als ein Anhang der Rhetorik und bloß die Musik behauptet, allerdings nur mit ihrer mathematischen Theorie, siegreich ihre Stelle, zum steten Neid und Ärger der Bildkünste. Es ist höchst bezeichnend, daß schon Galen die Frage aufwirft, wohin diese letzteren wohl gehören mögen und sie in halbem Ausweichen damit beantwortet, man könne, wenn man wolle, Malerei und Plastik zu den freien Künsten rechnen; sein Grund klingt für uns freilich sonderbar: beide könnten auch im Alter bei schwindender Kraft ausgeübt werden, was bei dem eigentlichen Handwerk nicht so sehr der Fall sei. Es sind also äußere, soziale, nicht innere Gründe, die diese Einteilung bestimmen.

Man sieht daraus, daß die bildenden Künste sich immer in dieser gefährlichen Nachbarschaft des unfreien und um Lohn arbeitenden Handwerks bewegen, mit dem sie ja auch sozial lange in Zünften und Gilden vereinigt geblieben sind; ihre Anstrengungen, sich von da abzulösen und gleich der bevorzugten Musik in die Reihen der artes liberales einzurücken, setzten im Italien des Quattrocento ein und haben von da ab nicht mehr geruht, bis endlich der Begriff der »schönen Künste« (und Wissenschaften) in der Theorie fixiert wurde. Namentlich der Plastik hat immer der Vorwurf unedlen Schweißes, körperlicher Anstrengung im Wege gestanden; noch in der Renaissance, page 51 in den langwierigen akademischen Polemiken um den Vorrang der Künste, kommt dieses derbere, körperlichere Wesen der Bildnerei immer wieder aufs Tapet. Im Altertum war es nicht anders, man man braucht sich nur an den Traum Lukians und seine Schilderung der edlen Frau Philosophia und der derben, schmutzigen Bildhauermagd zu erinnern, die ihm am Scheidewege seines Lebens entgegentreten.

In diesen Dingen ist der Intellektualismus des Altertums tätig; er hat aber noch an anderer Stelle bedeutend nachgewirkt. Wir haben schon gesehen, wie Platon, mitten im bilder- und sinnenfrohen hellenischen Leben, die Kunst von den glänzenden Gipfeln seiner Ideenlehre — diese selbst eine poetische Schöpfung ohnegleichen — in das Nichts ihrer Wesenlosigkeit zurückstieß, ihre Vertreter Gaukler und Lügner schalt, wie der alte Tolstoi in unseren Tagen. Dieser Rügeton ist im Altertum nie mehr ganz verstummt, die Stoa namentlich hat ihn aufgenommen und dem Christentum vererbt. In ihr ist zuerst jene verhängnisvolle allegorische Auffassung der Poesie und der Kunst überhaupt groß geworden, nach der das Mittelalter, als seinem Wesen durchaus entsprechend, eifrig gegriffen hat.

Dadurch meinte man die Kunst zu heben und zu läutern, da sie nun als ein schillerndes Kleid um den ewigen Körper der Idee gilt; die Wendung ins Moralische ist vollends bei Seneca vollzogen, für den nur die Ausübung abstrakter Tugend wahre, freie Kunst ist, Maler und Bildhauer aber bloße Diener des Luxus sind. Der Geist, dem Chrysipps allegorische Homerauslegung entsprang, hat das ganze Mittelalter in Bann gehalten und seine Nachwirkungen noch weit in die Renaissance hinein erstreckt.

Der Begriff der »schönen« Kunst wie der Kunst als »Ausdruck« ist also den Alten im ganzen fremd geblieben. Wohl ist aber von ihnen der Begriff des Schönen selbst in Kunst wie in Natur im Tiefen und Weiten durchdacht worden, freilich ohne je, gerade wegen der Vermengung jener beiden Reiche, der erst Kant ein Ende bereitet hat, zum Abschluß zu gelangen.

Auch der concetto des Schönen wächst bei den Hellenen aus ihrem nationalen Ethos hervor. Zwar schillert er, wie im gemeinen Sprachgebrauch noch heutigen Tages, in vielen Facetten, aber so viel ist klar, daß er an ein ganz bestimmtes Ideal körperlicher Schönheit, und zwar zunächst des Mannes, anknüpft, wie sich denn der weibliche Idealtypus altgriechischer Kunst nicht nur in der Amazone, gerne männlicher Bildung annähert. Hier kommen noch Unterströmungen griechischer Psyche hinzu, die für uns nicht leicht zu fassen sind. Die platonische Liebe, die in engster Beziehung zur Schönheit steht, wächst deutlich aus der hellenischen Knaben- und Männerliebe hervor, page 52 wobei in Sapphos Kreise das weibliche Gegenstück nicht fehlt. Ihre Spiritualisierung findet ein Gegenstück im späten Mittelalter, wo die raffinierte Frauenminne des Troubadours durch den dolce stil nuovo der Toskaner zu scholastischer Allegorie sublimiert wird.

Das natürliche Ideal des in allen Teilen durch den nationalen Sport ausgebildeten Ephebenkörpers ist schon in alter Zeit durch Polyklet und seinen berühmten Kanon künstlerisch und literarisch zugleich fixiert worden; der programmatische Ausdruck, der uns hier überliefert wird: τετράγονος (quadratus bei Plinius) stammt wieder aus dem nationalen Ethos. Man hat vorgeschlagen, ihn durch »vierschrötig« mit der anklingenden Bedeutung: »von echtem, altem Schrot und Korn« wiederzugeben, und in der Tat ist er durch einen Ausdruck des gemeinen Lebens zu verdeutlichen, die »Güte«, wie man von guter Familie, besseren Ständen u. dgl. zu reden pflegt, Phrasen, die auf ein gewisses wünschbares Maß der Lebenshaltung zielen. Der merkwürdige Ausdruck: ϰαλοϰαγαϑία umschreibt vollends das zivile Ideal eines körperlich wie geistig harmonisch ausgebildeten Mannes.

Polyklets berühmte Erläuterungsschrift des »Kanon« ist das erste Beispiel schriftlicher Fixierung der Proportionslehre, das wir kennen, einer Disziplin, die bis in unsere Tage hinein lebendig geblieben ist, freilich auch vom krausesten Gestrüpp normativer Satzung und Spekulation umwuchert wird. Ursprünglich sicher auf rein technischem Boden, im Atelier, erwachsen, haben die (durch Vitruv) den spätem Zeiten notdürftig überlieferten Maßstäbe Polyklets gewiß zunächst nur rein praktische Bedeutung gehabt; sie wollten alte Kunsterfahrungen festhalten, einen Handweiser des Bildners herstellen, wie denn in unseren Kunstschulen immer noch dergleichen Behelfe von Generation auf Generation vererbt werden. Aber wie neuere Versuche der Art darüber hinaus fast immer in ästhetische Dogmatik ausmünden, so ist auch hier irgendein Zusammenhang mit dem alles durchsetzenden philosophischen Nachdenken der Griechen kaum abzuweisen, besonders mit der einflußreichen Spekulation der Pythagoräer, die mit der Theorie der angesehensten Kunst der Hellenen, der Musik, so enge zusammenhängt. Grund genug, daß gerade diese ihren Platz unten den alten artes liberales eingenommen und stets siegreich behauptet hat. Das einzige, aber kostbare Fragment, das aus Polyklets Schrift durch einen alten Mechaniker überliefert wurde, stellt nämlich eine ästhetische These auf: τὁ γὰρ εὖ παρὰ μιϰρὸν διὰ πολλῶν ἀριϑμῶν [ἔϕη] γίγνεσϑαι (vgl. Diels im Archäol. Anzeiger 1889, 10); tatsächlich bringt der freilich späte Autor, der den Inhalt von Polyklets Schrift in knappster Weise übermittelt, Galen, das Werk des Künstlers sogleich mit der Spekulation eines Philosophen, Chrysipp, zusammen, der die körperliche Schönheit page 53 in das bestimmte Verhältnis der Teile zum Ganzen gesetzt hat. Das ist das Prinzip, formaler, zahlenmäßig auszudrückender Vollkommenheit, der vielberufenen Einheit in der Mannigfaltigkeit, Dinge, die auf pythagoräische Überlegungen, deren vollkommene Zahlen und Körper hinleiten und eben am faßlichsten in der Musik sind. Obwohl nun schon im Altertum, besonders im neuplatonischen Kreise, dagegen begründeter Widerspruch laut wurde, ist trotzdem wieder der Versuch gemacht worden, von diesem Standpunkt aus das Problem der Schönheit formalistisch zu lösen.

Diese formalistischen Versuche richten sich eingestandenermaßen und unmittelbar auf Erfassung der körperlichen Schönheit; eine neue Wendung ergibt sich mit Sokrates, in dem man ja überhaupt die Peripetie althellenischen Lebens verkörpert erblickt. Est ist die Verkündigung der geistigen Schönheit, um die es sich hier handelt; sie taucht freilich schon früher bei den Dichtern, wie Sappho, auf. Diese Forderung des seelischen Ausdrucks im Körper wird durch Sokrates, der bekanntlich von Hause aus Bildhauer gewesen war, in den Xenophontischen Gesprächen mit dem Maler Parrhasios und dem Bildner Kleiton ausgesprochen. Wenn Xenophon sagt, daß der erstere durch diesen unmittelbaren Einfluß der Maler der Grazien geworden sei, so ist das nur ein pragmatischer Ausdruck für die Wendung im hellenischen Kunstleben, die auf Praxiteles hinleitet und von Julius Lange meisterhaft analysiert worden ist. Diese Art des Schönen ist nun freilich Messungen nicht zugänglich, sie erhält auch bei Sokrates sofort die Folie des Moralischen, die von da ab immer wieder mit ihr verbunden worden ist. Die Richtung auf die praktische Ethik, auf Tugend und Tüchtigkeit, tritt in Sokrates’ weiteren Versuchen, das Schöne zu umgrenzen, hervor, in seiner Identifizierung des Schönen mit dem Brauchbaren und Zweckmäßigen, die trotz ihrer Beschränktheit und Einseitigkeit immer wieder hervorgetreten ist, noch in der materialistischen Auffassung der von Sempers genialem Werk ausgehenden Richtung, wenn auch mit anderer Betonung. Und noch der hl. Augustinus hat eigenem Bekenntnis nach in seiner heidnischen rhetorischen Jugend ein Buch de pulchro et apto verfaßt. In Sokrates' berühmten Extremen des »schönen« weil brauchbaren Mistkorbes und und des »häßlichen« goldenen Schildes liegen aber die Keime zu jener einflußreichen Lehre vom Angemessenen, dem Dekorum, das durch Vermittlung der alten Rhetorik in der Kunstlehre der Renaissance eine so wesentliche Rolle gespielt hat. Endlich tritt bei ihm jener concetto der Auswahl der schönen Teile durch den Künstler hervor, etwas das wohl auch seine Herkunft aus alten Atelierpraktiken nicht verleugnet und dank der langlebigen griechischen Anekdote bis in die Theorie der Renaissance hinein Leben behalten hat.

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Wir gelangen zu dem Manne, dessen Gestalt schon im Altertum mit dem Zauber des Göttlichen umwoben war und dessen Geisteskraft noch heute die Welt im Bann hält, zu Platon. Seine Hypostase des begrifflichen Denkens in das zeit- und raumlose, ewige und außerweltliche Sein der Idee ist der kühnste Ikarosflug des menschlichen Geistes gewesen.

Wer weiß, ob bei Plato, dem Künstler, den eine tragisch zu nennende Selbsttäuschung zum Feind der Kunst selbst machte, nicht ein künstlerisches Überlegen den Anstoß zu seiner Ideenlehre gegeben hat? Denn es mag dem Künstler leicht sein Schaffen derart erscheinen, als ob die in seinem Geiste fertig vorhandene Idee in die Außenwelt, die Materie, hinausträte und ihr Form verleihe; der furor divinus mag geneigt sein, dieses Gedankenwesen als Widerschein einer höheren Welt, als etwas Geheimnisvolles und Mystisches aufzufassen, dem der Stoff sich als ein Fremdes, ja Feindliches, entgegenzustemmen scheint, zumal im Banne jenes Dualismus, der schon im altasiatischen Denken die Welt spaltet. Platon hat zuerst die Schönheit in das ewige Reich der Ideen erhoben, fertig geworden ist er mit diesem schillernden Wesen aber ebensowenig als seine Nachfolger; auch bei ihm mündet die Spekulation schließlich in die Idee des Guten und gelangt damit auf jene gefährliche Klippe, an der von Kant bis auf neue und neueste Systeme das gebrechliche Schifflein der Ästhetik immer wieder gescheitert ist.

Diese Gedanken sind nun, wenn auch zum Teil im Widerspruch zu dem großen Lehrer, von Aristoteles bis auf Plotin weiter gedacht und entwickelt worden; und in dieser Form hat sie schließlich das Mittelalter übernommen. Was wir bei Platon vermuteten, wird bei Plotin Gewißheit; er knüpft unmittelbar an die Psychologie des Künstlers, und zwar des bildenden Künstlers, an; durch das Schauen (ϑέαμα), schon bei Platon das Vehikel der Schönheit, treten die Dinge wie eine Zeichnung ins Dasein; freilich ist es ein arger Abfall von der Höhe der Idee in die rohe, dumpfe und böse Materie. Das Bedeutende bei Plotin ist die Erkenntnis des geistigen Prinzips der Form, der künstlerischen Nachahmung als einer geistigen Tat, aber gerade das hat zunächst nicht gewirkt. Von diesem Standpunkt aus hat der große romantische Philosoph des späten Altertums auch gegen die platonische Bestimmung des Schönen als Ebenmaßes Protest erhoben, weil die lediglich nach harmonischen Gesetzen geformte Figur allen geistigen Gehalts ermangle; trotzdem ist die ästhetische Geometrie bis auf unsere Tage herab immer wieder als Schlüssel zur Erkenntnis des Kunstschönen angepriesen worden. Endlich hat Plotin die Rolle der künstlerischen Phantasie erkannt; er knüpft dabei an das berühmteste Bildwerk des Altertums, den Zeus des Phidias, an. page 55 Aber diese neuplatonischen Ansichten haben noch eine andere, bedenklichere Seite. Das ästhetische Denken wendet sich hier von der sinnlichen Form, also dem, was die Kunst wesentlich bestimmt und ausmacht, ab, zugunsten des Inhalts, der Idee, die über der Form schwebt und wertvoller als diese ist, auch allein in das Reich der echten übersinnlichen Schönheit eingeht. Auf dem Boden dieser idealistischen Theorie ist dann die Norm der schönen Kunst erwachsen, wie die Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert zeigt.

Die große Bedeutung des Aristoteles für die Weiterentwicklung der Dinge liegt auf dem Gebiete der engeren Kunstlehre. Er ist auch auf diesem Felde der Begründer der Kategorien; die logische Erörterung und Scheidung der Kunstformen geht wesentlich auf ihn zurück, und seinen Spuren folgend haben die Spätem das dialektische System in Poetik und Redekunst bis auf unsere Zeiten lebendig, bis ins Feinste, ja Überfeine ausgearbeitet. Auf dem Boden der Rhetorik, derjenigen antiken Wissenschaft, die am längsten von allen am Leben geblieben ist, ist das Begriffs- und Kategorienwesen der Kunstgattungen und ihrer Normen erwachsen, das von da aus in die spätere Ästhetik überging und hier freilich ein ganz anderes Gesicht erhielt, als es seinem ursprünglich didaktisch-forensischen Zweck nach gehabt hatte.

Hier wurden auch die drei Hauptkategorien ästhetischen Wesens fixiert, neben dem »Schönen« im mittlern Sinn das »Anmutige« und das »Erhabene«, dem ein später Rhetor, Longinus, bekanntlich ein ganzes Buch gewidmet hat. Vitruv nähert dieser Dreieinigkeit schon die drei »Baustile« des alten Hellas an (vgl. Walter a. a. O. 796ff.); dergleichen geht wohl auf die in Alexandrien fortgebildete aristotelische Kunstlehre zurück; den Zusammenhang mit dem fest begründeten Lehrgebäude der Rhetorik, wie es dann Quintilian in klassischer Weise vollendet hat, ersieht man vollends aus dem Grundriß der Architekturästhetik bei Vitruv, mit seinen Kategorien: ordinatio (τάξις), dispositio (διάϑεσις), eurythmia, symmetria, decor und distributio (οἰϰονομία). Sehr bemerkenswert ist bei Vitruv der enge Anschluß an die Musiktheorie des Altertums, namentlich in den Abschnitten über die Harmonie. Bei Quintilian wiederum ist der sehr bedeutende Versuch einer Scheidung der historisch entwickelten Stilarten der Literatur zu verzeichnen, in engem Parallelismus mit den bildenden Künsten durchgeführt (Inst. Or. XII, 10).

Dies führt uns zu dem Kunsturteil der Alten und zu ihren Ansichten über den historischen Zusammenhang der Phänomene bildender Kunst.

Aus den Kunstbüchern des Plinius können wir noch die verschiedenen Richtungen, ihren Ursprung und ihre Ziele erschließen. page 56 Zunächst sind es, wie in der Renaissance, die Künstler, die aus ihren Erfahrungen heraus zu bestimmten Fragestellungen fortgeschritten sind; ihnen liegt vorerst das Technische im niedern und höhern Sinne am Herzen; von da gelangt man zu dem Nachdenken über die Entstehung des Kunstwerks, zur Entwicklung der formalen Probleme. In einer der wichtigsten Quellen des Plinius, die die neuere Kritik aufgedeckt hat, dem Xenokrates, ist das gut zu verfolgen. Bei ihm handelt es sich um Probleme des künstlerischen Ausdrucks, um den technischen Fortschritt bestimmter Darstellungsformen, deren Entstehung und Weiterbildung er von Phidias bis auf Lysipp verfolgte; daß sich dabei bestimmte Kriterien formalistischer Natur einstellten, wie die Aufmerksamkeit auf Eurhythmie und Proportion zeigt, liegt im Wesen der Sache. Von diesem Standpunkt aus ordnen sich die Künstlerindividualitäten in eine nicht äußerlich chronologische, sondern historische Kontinuität. Es ist das Problem der künstlerischen Persönlichkeit von der Ausdrucksseite doch formalistisch her erfaßt; hier liegen die Wurzeln der Geschichte der Kunst im objektiven Sinne.

Diese Künstlerüberlegungen haben zu einer sehr ausgebildeten Terminologie geführt, die uns in der alten Literatur, namentlich bei Plinius, Vitruv und Quintilian entgegentritt, freilich auch für uns Heutige sehr schwer zugänglich ist, um so mehr als gewisse Grundlagen, die mit dem nationalen hellenischen Ethos Zusammenhängen, für uns gänzlich verschüttet sind. Wie diese Terminologie dann zum Teil in die Renaissance übergeht, wie sie z. B. Ghiberti ganz naiv, weit von ihrer ursprünglichen Bedeutung entfernt, verwendet, ist ein höchst merkwürdiges Schauspiel, das nicht selten an die ebenso naive und willkürliche Entlehnung antiker Requisiten in der Kunst des Quattrocento erinnert. Hier interessieren uns besonders zwei Kategorien, die in dem antiken Kunsturteil eine bedeutende Rolle gespielt haben müssen, namentlich deshalb, weil sie in der modernsten Kunstliteratur wiederkehren und hier einen erklecklichen, nicht immer fördersamen Einfluß auf kunsthistorische Interpretation erlangt haben. Ich meine die zweifellos bedeutenden Überlegungen, welche ein bildender Künstler unserer Zeit, Hildebrandt, an die »Daseinsform« und »Wirkungsform« des im Raume sich entfaltenden Gebildes geknüpft hat. Es handelt sich um die »haptische« und »optische« Form der Auffassung, in der vorsichtigeren Sprache der Sinnespsychologie, die längst mit diesen Dingen operiert hat; denn in Hildebrandts Problemstellung klingt unverkennbar der Einfluß philosophischer, Jahrhunderte lang durch den unheilvollen Schemen der Substanzvorstellung irregeführter Spekulation an, das uralte platonische Scheinproblem von Sein und Schein. Es ist auch kein Zufall, daß gerade bei Platon sich die ältesten Spuren der Anwendung dieser Gedanken page 57 auf die bildende Kunst finden; und seine abwehrende Stellung zu dem, was wir Phänomenalismus derselben nennen können, mußte durch seinen Gedankenweg gegeben sein. Es dreht sich hier um das, was die Griechen τάξις (bei Vitruv ordinatio) nannten, die auf Gesetz und Maße, also wesentlich durch die symmetria begründete Schönheit vermeintlich objektiver Art, und die εὐρυϑμίσ, die schon ihrer Wortprägung nach auf den von den Griechen überaus hochgestellten Rhythmus (numerus) hinweist, und der ein starkes, anscheinend »subjektives« Element anhängt. Denn es handelt sich hier darum, durch die μίμησις dem Natureindruck so nahe als möglich und wünschbar zu kommen, die haptische Form, die durch die optische Wahrnehmung Verschiebungen und Veränderungen erleidet, derart zu korrigieren, daß in ihr wiederum jenes Ebenmaß des Schönen zur Geltung kommt, also das vermeintliche »Sein« durch den schönen »Schein« zu ersetzen. Das geschieht durch die temperaturae (die adiectiones und detractiones), so wie unser »wohltemperiertes« Tonsystem einen Kompromiß zwischen der mathematisch zu fixierenden »reinen Stimmung« und unserer Praxis herstellt. Schulbeispiele dieser Temperaturen sind die wohlbekannte Entasis der altgriechischen Säulen, und die schon Platon bekannten, freilich von ihm durchaus verworfenen Praktiken der Proportionsänderungen in hoch aufgestellten Bildwerken. Diese Fragen haben nicht nur, wie wir aus bestimmten Zeugnissen wissen, die alten Schriftsteller über Optik viel beschäftigt, sie spielen auch in den Reihen der bildenden Künstler eine große Rolle, und es scheint tatsächlich, als wenn im Verlauf der älteren Kunstgeschichte zwei Parteien kenntlich wären, die einen den Standpunkt der τάξις, die andern den der εὐρυϑμία vertretend. Jolles, dessen kleiner Schrift wir die eingehendsten Untersuchungen über diese Sache verdanken, meint mit Recht, daß wir unsere modernen, stets und überall nur mit dem Bewußtsein ihrer inneren Unzulänglichkeit zu verwendenden Schlagworte des Idealismus (τάξις) und Realismus (εὐρυϑμία) gerade auf die Antike nur gleichnisweise anwenden dürften. Tatsächlich scheint sich aber aus Plinius beziehungsweise aus seiner Quelle Xenokrates eine Reihe ausgesprochen »mimetischer« Urteile gewinnen zu lassen; als Gipfel der griechischen, in unserer Sprachweise »realistischen« Kunstübung ergibt sich hier Lysipp, derselbe, von dem der Ausspruch überliefert wird, er bilde seine Figuren, wie sie »erscheinen«, seine Vorgänger so, wie sie »seien«; was uns von seiner Kunst überkommen ist, paßt auch ganz gut dazu, zu dem Ton- und Bronzebildner, wie ihn auch Hildebrandt in rechten Gegensatz zum Marmorbildner setzt, der aus einer ganz andern Raumauffassung heraus arbeitet. Auf der andern Seite haben wir eine Reihe »taktischer«, vielleicht auf Pergamon zurückgehender Urteile, die sich aus Quintilian namentlich gewinnen läßt, page 58 für die im Sinne unseres »Klassizismus« die an sich »objektiv« gegebenen schönen Verhältnisse (symmetria) und das richtige Verhältnis zu der dargestellten Idee (decus und pondus) an erster Stelle stehen, und die sogar einen Wertunterschied zwischen pulchritudo und similitudo zu setzen geneigt ist (Jolles a. a. O. 97), während die Mimetiker den nicht minder relativen Begriff der »Naturwahrheit« voranstellen.

Von einer andern, der Eindrucksseite her, von den Wirkungen, nicht vom Wesen der Kunst her, hat sich das kunstliebende und kunstbetrachtende Laientum der Aufgabe genähert; hier handelt es sich um die Probleme des Biographischen sowie der Kunstpolitik im weitesten Sinne, um die sozialen, ethischen, religiösen Wirkungen der Kunst. Denn die Person des Künstlers selbst in seiner individuellen Lage, dann in seiner allgemeinen Stellung zur Gesellschaft und dem Mittel, das sie umgibt, der Einfluß, den dieses auf ihn und er auf dieses gehabt hat, sind wesentliche Punkte dieser Laienkritik und hier liegen die Wurzeln jener Künstlergeschichte äußerlicher Art, die von der Antike bis in die Renaissance stets eifrigste Pflege gefunden hat, und an deren Stelle zuerst Winckelmann mit Bewußtsein die »Geschichte der Kunst« setzen wollte. Das äußere Leben des Künstlers steht im Vordergrund ihres Anteils, ihr Vehikel ist vorwiegend die Anekdote, das Aperçu, wodurch sie in typischer Weise das künstlerische Schaffen dem allgemeinen Verständnis nahe bringen will. Ihr Vertreter ist jener früher genannte Duris von Samos, mit seinem durch Plinius vermittelten langdauernden Einfluß auf die Nachwelt. Auch das literarische Epigramm gehört diesem Kreise an, das naiv oder raffiniert die unmittelbare Wirkung auf den Beschauer, die sogenannte »Naturwahrheit« — einen in allen Farben schimmernden Begriff — umschreibt; dieses und die intellektuelle Lust am »Schönen« sind die Punkte, um die es sich gleich einer Schraube ohne Ende dreht. Im übrigen verweise ich auf das oben genannte Schriftchen von Birt, das viel einschlägiges Material, freilich aber auch recht viel Kunstfremdes und Schiefes enthält.

Die Alten haben das vom Ausdruck herkommende Künstlerurteil und das auf dem Eindruck ruhende Laienurteil wohl auseinandergehalten. Auf aristotelischer Grundlage setzt Quintilian (Inst. Or. II, 17) das Wesen der Rhetorik als Kunst gegen diejenigen fest, die ihr dies Wesen absprechen, »weil sie auf Täuschung ausgehe«. Das Wesen der Kunst liege aber in actu nicht in effectu, auf das in dem hervorbringenden Subjekt ruhende Prinzip komme es an, und es sei irrig, die Wirkungen der Rhetorik mit ihrem Wesen zu verwechseln, entscheide doch auch nicht der Ausgang einer Krankheit gegen den tüchtigen Arzt. Docti rationem artis intelligunt, indocti voluptatem, sagt derselbe Quintilian an einer andern bedeutenden Stelle (IX, 4).

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Den Widerspruch zwischen Künstler- und Laienurteil haben auch die Alten wohl gefühlt und gekannt. Der jüngere Plinius, selbst ein gebildeter Kunstliebhaber, sagt es gelegentlich mit dürren Worten heraus (Ep. I, 10): De pictore, sculptore, fictore nisi artifex iudicare non potest. Nun, adhuc sub iudice lis est, und an Mißverständnissen fehlt es beiderseits wahrhaftig nicht! Man braucht nur etwa an Grillparzers heftige Stellungnahme gegen Gervinus zu denken, an die zahlreichen Polemiken zwischen Künstlern und Kunstgelehrten auf allen Gebieten, um zu erkennen, wie dieser Gegensatz noch in unsere Zeiten hineinragt. Er wird auch kaum jemals verschwinden, denn es handelt sich um ganz verschiedene Ausgangspunkte; das Unglück aller Ästhetik aber hat immer in deren Verschleierung oder Verkennung gelegen.

2. Das Erbe des Altertums im Mittelalter.

Piper, Monumentale Theologie, bes. S. 530 — 567. — Menendezy Pelayo, Historia de las ideas esteticas in España. Madrid 1890 ff., besonders Bd. II, ein Buch das viel weiter ausgreift, als der Titel andeutet. — Abert, Die Musikanschauung des Mittelalters und ihre Grundlage. Halle 1905. Ein fremdes Gebiet behandelnd, aber durch die Parallelen wichtig. — Schlosser, Zur Genesis der mittelalterlichen Kunstanschauung in der Sickel-Festschrift, Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung, Ergänzungsband 1901. — Berthaud, S. Augustini doctrina de pulchro ingenuisque artibus. Mit Auszügen. Poitiers 1891. Dazu die wichtigen Seiten in Riegls Spätrömischer Kunstindustrie, I, 211 ff., der mit Nachdruck auf die noch ungenützten Quellen für die Erkenntnis des »Kunstwollens« aus den gleichzeitigen literarischen Zeugnissen hinweist; ich muß allerdings bekennen, daß ich den genialen, aber stark konstruierten Gedankengängen Riegls ebensowenig beizustimmen vermag, als den z. T. von ihm abhängigen M. Dvořaks in seiner Abhandlung: Idealismus und Realismus in der gotischen Skulptur und Malerei (Histor. Zeitschrift 119, 1 ff. u. 185 ff.), besonders weil hier das Lehngut im mittelalterlichen Denken nicht mit der notwendigen Kritik ausgeschieden ist. — Taprelli, Delle ragioni del bello secondo la dottrina di S. Tommaso d’Aquino in der Civiltà cattolica 1859. — Marchese, Delle benemerenze di S. Tommaso d’Aquino verso le b. arti. Genua 1874. — Wulf, Études historiques sur l'Esthétique de S. Thomas. Löwen 1896. — Auch Pellizzari, I trattati att. le arti figurative bringt auf S. 286 und bes. 301 f. wortreiche, aber ziemlich inhaltsarme Ausführungen über die sog. Ästhetik des Aquinaten.

Die Stoa, der Platonismus, namentlich in sȩiner späten, stark von orientalischen Elementen durchsetzten Form, endlich und vor allem Aristoteles, der maestro di color che sanno im christlichen Okzident wie im sarazenischen Orient, diese drei endlich zusammengefaßt von den Kirchenvätern, das sind die Paten jener merkwürdigen Welt- und Kunstanschauung, der das Mittelalter in seiner scholastischen Enzyklopädie die höchste architektonische Vollendung gegeben hat.

Schon das sokratische Denken hatte die geistige Schönheit nachdrücklich betont; die Stoa ist auf diesem Wege weiter gewandelt. Wenn Seneca behauptet, die Tugend sei an sich »schön«, auch ohne page 60 »äußere« Schönheit, so steht das im Einklange mit sonstigen asketischen und kunstfeindlichen Stimmungen bei ihm, die das Christentum bereitwillig übernahm; zugleich zeigt sich deutlich jene früher erwähnte Abwendung von der sinnlichen Form zum Inhalt. Noch ausgeprägter und vom uralt bilderfeindlichen Geist des Orients berührt ist die Askese des Neuplatonikers Porphyrius, und es ist begreiflich, daß der bekehrte Augustinus mit höchstem Gefallen dessen Satz akzeptiert: Omne corpus esse fugiendum, ut anima possit beata permanere in Deo. Daß dieser asketische Zug in der patristischen Literatur sehr stark ist, ohne daß er eine sehr raffinierte und prunkvolle Kunstübung zu hemmen vermochte, ist sicher; sicher wohl auch, daß darin etwas von dem Haß des Unterdrückten und Sklaven steckte, den die antike Gesellschaftsordnung von den geistigen Gütern der Freien, den artes liberales, ausgeschlossen hatte, obwohl die Stoa auch schon an seiner Emanzipation gearbeitet hatte. Moderne Gegenbilder fehlen nicht, wie der halbvergessene Anarchist Pierre Proudhon, dessen instinktiver Haß gegen Genie und Kunst als selbstherrlichste Lebensäußerungen sich zu den wahnsinnigsten asketischen Fratzen verstieg, die Venus von Milo eine Pornographie nannte und den antiken Statuen syphilitische Wunden eingeimpft wünschte, auf daß sie ihren Reiz und ihre Macht über die Sinne einbüßten. Auf der äußersten Linken der patristischen Literatur erklingen verwandte Töne, so wenn Origines die körperliche Häßlichkeit Christi geflissentlich ausmalt und erhebt, als vollkommene Abwendung vom alten Kunstideal, und Tertullian ihm ebenso leidenschaftlich sekundiert — war doch das Panier des neuen Glaubens, unter dem er siegte, das schmähliche Marterholz des Sklaventodes.

Natürlich war die »heidnische« Kunst eine so tiefgewurzelte Macht, daß sich die junge christliche Bildnerei mit ihr allenthalben abzufinden hatte und dabei zu zahlreichen Kompromissen kommen mußte. Aber besonders die Plastik, die dem alten Kultus gedient hatte, und die völlig verweltlichte Musik boten hier Angriffspunkte in Menge, die bald auch praktische Folgen hatten. Bald galt das Rundwerk, das schon im spätantiken Volksbewußtsein von dunklem, dämonischem Zauber umwittert war, — man denke an gewisse Erzählungen Lukians oder des älteren Philostrat, die doch beide noch die antike Kennerschaft vertreten — als ein Blendwerk der Hölle. Die Mirabilien Roms, wie die Periegetik Konstantinopels legen davon Zeugnis ab.

Der ausgesprochene Dualismus von Geist und Materie, die Vergottung des ersten, die Dämonisierung des letzteren, wunderbarerweise noch im naturwissenschaftlichen Denken in der Lehre von der »Trägheit« der Materie nachhallend, fördern den Zwiespalt von Inhalt und Form, von Theorie und Praxis. Die Autoren der Kaiserzeit von page 61 Vitruv und Plinius ab bis auf Boethius vertraten Kunstanschauungen einer viel älteren Zeit, die auf das Schaffen ihrer eigenen Tage nicht mehr passen, und vollends den Platonikern wie den Stoikern mußten der Art ihrer Denkrichtung nach die illusionistische Malerei und Plastik, die alexandrinische Oper mit ihrer raffinierten Instrumentation ein Abscheu sein, da sie im Geiste ihrer Lehrer der Kunst nur im Dienste der Idee einen Wert zusprechen wollten.

Gefördert durch den ausgesprochenen Intellektualismus antiken Denkens mußte man zu einer einseitig gespannten und überspannten Hervorhebung des Inhalts auf Kosten der Form, der Theorie auf Kosten der Praxis kommen und das erklärt, daß deren Wege immer weiter auseinanderliefen, bis der doch niemals zu unterdrückenden lebendigen Kunstübung eine völlig entfremdete und graue Schuldogmatik gegenüberstand. Es ist das am lehrreichsten in der Geschichte der mittelalterlichen Musik zu verfolgen. Diese »Kunst der Musen« ϰ. ε., deren hohe, von keiner andern Schwester erreichte Schätzung sich in ihrer niemals angetasteten Stellung im System der Enzyklopädie ausspricht, ist, was ihre praktisch-sinnliche Seite, die eigentliche und wirkliche Kunstübung anlangt, völlig aus dem Gesichtskreis der spiritualistischen Philosophie verschwunden. Weder bei Boethius noch bei Cassiodor, den letzten Römern, die sie in Kompendien behandelt haben, findet sich mehr eine Beziehung auf lebendige Kunstpraxis, ja selbst das Verständnis der antiken Tongeschlechter ist dahin, von dem blühenden Körper der alten Musik ist lediglich das nackte mathematisch-physikalische Gerippe übriggeblieben. Wie dieses schemenhafte Wesen gleich einem Nachtmahr auf der musikalischen Entwicklung des Mittelalters gelastet hat, wie sich namentlich die mehrstimmige Volksmusik der nördlichen Gebiete mit ihrer grundverschiedenen Tonalität in einem jahrhundertlangen Kampf gegen den konservativen Klassizismus durchsetzen mußte, wobei es an den wunderlichsten Kompromissen nicht fehlte, das mag man in der höchst instruktiven Geschichte der Musiktheorie im 9. bis 19. Jahrhundert von H. Riemann nachblättern; es ergeben sich da überall die belehrendsten Parallelen zur Geschichte der bildenden Künste.

Der hl. Augustinus, der uns in seinen Bekenntnissen ein erschütterndes Bild der Seelenkämpfe entrollt hat, die ein glühend empfindender Mensch, gleich ihm, im Übergange von der alten zur neuen Weltanschauung durchmachen mußte, tat eine höchst merkwürdige Äußerung (Conf. X, 23). Ich gebe sie in der etwas kürzenden Umschreibung Aberts wieder: »Durch die heiligen Worte werden meinem Empfinden nach unsere Seelen andachtsvoller und leidenschaftlicher zu der Glut der Liebe hingezogen, wenn sie gesungen, page 62 als wenn das nicht der Fall wäre. Wenn ich mich der Tränen erinnere, die ich bei den Gesängen der Kirche vergossen habe, und auch jetzt bedenke, daß nicht der Gesang es ist, der mich bewegt, sondern die Dinge, die gesungen werden mit klarer Stimme und entsprechender Melodik, da kommt mir der große Nutzen dieser Einrichtung wiederum deutlich zum Bewußtsein. Und doch muß ich, wenn es mir zustößt, daß ich durch den Gesang mehr bewegt werde als durch das Gesungene, mich einer schweren Sünde schuldig bekennen und ich wünschte, in solchem Falle lieber keinen Sänger zu hören

Zeugnisse ähnlicher Stimmungen ließen sich noch genug, auch aus anderen Kirchenvätern, anführen. Da ist es denn kein Wunder, daß der Inhalt über die Form zu triumphieren scheint, Wort und Schrift über Ton und Bild, das Abstrakte über das Sinnliche; zumindest forderte das die Theorie und die Praxis mußte sich beugen. Die von Gewissensqualen diktierten Worte des größten Feuergeistes der Kirche umschreiben das nüchterne und lakonische Programm des hl. Hieronymus: non vox canentis, sed verba placeant, und der alte Kirchengesang mit seinem äußersten Verzicht auf das eigentliche Musikalische steht unter der vollen Herrschaft des Wortes; alles Sinnliche ist verbannt, wie heute noch die Instrumentalmusik aus der Liturgie der orientalischen Kirche, die genau wußte, was und warum sie es tat. Alles Sinnliche ist ja nur ein Gleichnis des Übersinnlichen und nur von dieser Warte aus betrachtet von einigem Wert. Die mittelalterliche Kunstphilosophie hat diese vom Platonismus herkommenden Gedanken mit vollem asketischen Ernst durchgeführt. Das Ethos, das Ausdrucksprinzip der antiken Musik wurde nun ganz anders aufgefaßt, in das Eindrucks- und Wirkungsprinzip der moralitas musicae, die christliche Ethik, umgedeutet. Es geht allenthalben um Intellektualisierung und Moralisierung der sinnlichen Form.

Wie es der nächsten Schwesterkunst, der Poesie, und vollends der bildenden Kunst, dabei erging, ist leicht einzusehen. Auch hier ist die hohe Kunstidee das Primäre, das eigentlich und einzig Wertvolle, die Formung durch den Künstler eigentlich das Nebensächliche. Es war eine Geistesrichtung, die sich übrigens im späteren Altertum schon zum Teil praktisch durchgesetzt hatte. Die spätrömischen Sarkophage spiegeln in ihren überfüllten und krausen Mythologien die immer mehr im Licht des Ostens sich färbende Weltanschauung wieder; zwar zeigen sie noch immer die Kunstprinzipien einer älteren, reflexionsloseren Zeit in voller Rundheit, aber sie dienen doch schon einem ideellen außerkünstlerischen Zwecke, sind durchgeführte Allegorien. Auch das so auffällige Verschwinden des individuellen Porträts und sein Ersatz durch typische Bildung in der späten Antike page 63 findet sicherlich seine Wurzeln in dieser vom Neuplatonismus beförderten Sinnesart. Bald naht die Zeit, wo man gegen die geschlossene individuelle Form im Sinn der Antike überhaupt gleichgültiger wird und zu merkwürdig primitiven, ornamentalen und piktographischen Gestaltungen zurückkehrt, wie am Beginne der Kunstentwicklung — die Kunst der »Barbaren«, vom irischen Norden bis zum langobardischen Süden, setzt ein.

Schon früher wurde daran erinnert, daß das Hinüberdenken und Auflösen geformter Bildung in transzendenten, den Wert erst bestimmenden Gehalt bereits im Altertum begonnen hat. Wie Chrysipp den Homer moralisiert und allegorisiert, so ist die jüdisch-alexandrinische Philosophie eines Philon, der seine Wissenschaft zuerst ausdrücklich in den Dienst der Theologie stellte, darauf ausgegangen, den historischen und poetischen Gehalt der heiligen Schriften allegorisch auszulegen, sie hat auf die heidnischen Neuplatoniker wie Plotin ebenso gewirkt wie auf die christliche Philosophie. Zu dem ehernen Rüstzeug der späteren Scholastik gehört die Lehre vom dreifachen Sinn der Bibel, in dem sich der reale, wörtliche nahezu auflöst und verflüchtigt.

Das spätere Mittelalter ist rüstig auf diesen Wegen weitergeschritten, und die Spuren dieser Gedankenrichtung lassen sich noch in der Renaissance und über sie hinaus nicht verkennen; selbst in der klassizistischen und idealistischen Ästhetik begegnet man ihnen; die berühmte Definition des Schönen als des »Scheinens der Idee durch den Stoff« wäre hier wohl zu nennen. Die lange und viel gelesene Mythologie des Fulgentius, der moralisierte Ovid, die Gesta Romanorum, die mystischen Naturgeschichten gehören in dieses Bereich. War nun das von der Schrift fixierte Wort schon ein unvollkommenes, über sich hinaus deutendes Symbol für höhere Werte, so mußte die noch viel sinnenfälligere ruhende Bildform sich umsomehr der gleichen Forderung fügen. Hier war der geistige Gehalt noch mehr verdunkelt als in der abstrakteren, durch ihre Begriffe mit der Gedankenwelt innigst verbundenen Sprache; auch läßt uns das Mittelalter keinen Zweifel darüber aufkommen, welcher der beiden Ausdrucksformen der Vortritt gebührt. Das Bild war ja nach einem berühmten Worte die Schrift der illiterati, ein geringer Notersatz. Ein merkwürdiges Zeugnis dieser Anschauung ist ein Brief des Hrabanus Maurus an Abt Hatto von Fulda, einen der Kunst beflissenen Mann; die Darstellung durch Bild und Schrift wird hier verglichen (vgl. meine Karoling. Schriftquellen Nr. 893). Das Bild ergötzt für den Augenblick, frommt aber nur einem Sinne und verdient keinen Glauben, weil es den wahren Sinn der Dinge fälscht; die Schrift allein kann Richtschnur des Heiles sein. Ägypten hat die Malerei page 64 erfunden; sein Name ruft sofort die biblische Erinnerung an angustans tribulatio und vanus labor hervor — eine Interpretation, die für das Mittelalter so bezeichnend wie möglich ist. Die antike Grundlage ist trotzdem nicht zu verkennen. Daher die große Rolle des Titulus, der erläuternden und belehrenden Aufschrift, die jetzt wiederum hervortritt. Das Bild hat höchstens das Verdienst, als Mittel der Erinnerung an große und gute Taten zu dienen, ein Grundsatz, den die berühmte Streitschrift der Libri Carolini so formuliert (vgl. Karoling. Schriftquellen Nr. 885): »Pictores igitur rerum gestarum historias ad memoriam reducere quodammodo valent, res autem, quae sensibus tantummodo percipiuntur, et verbis proferuntur, non a pictoribus, sed ab scriptoribus comprehendi et aliorum relationibus demonstrari valent.« Das sind Klänge aus jenem merkwürdigen Bilderstreit, in dem sicher eine Reaktion semitischen Wesens sich barg, waren doch die Juden seit ihren Propheten ein bildloses Volk geworden. Der arabische Islam folgte nach, nicht sowohl aber das Bekennertum der nichtsemitischen Stämme, als Mauren, Perser und Inder. Byzanz ist zeitweilig diesem Bildersturm erlegen; daß Karl der Große, wie Janitschek übertreibend gemeint hat, ein Gegner der religiösen Kunst überhaupt gewesen sei, ist freilich ein Irrtum. Daß aber die Libri Carolini die Kunst nur als Vehikel des Dogmas oder als reines Spiel dekorativer Phantasie gelten lassen, hängt mit der allgemeinen Auffassung der Zeit zusammen, die die Bildkunst als eine exoterische Lehre gegenüber der esoterischen, durch Wort und Schrift vermittelten, auffassen.

Nach alledem muß das Mittelalter wohl einen von dem unsrigen gänzlich verschiedenen Begriff vom Wesen der Kunst haben. Der Intellektualismus hatte zur Festigung der theoretischen Grundlagen liberaler Bildung geführt; das schon von dem alten Römer Varro versuchte System wurde durch die landläufigen Schulbücher spätester Antike, den Martianus Capella und Cassiodor, in gedrängtester Form dem Mittelalter überliefert, als Trivium der logischen und Quadrivium der mathematisch-physikalischen Wissenschaften. Es ist klar, daß es sich hier nicht um die Praxis des Könnens, sondern um die formalen Grundlagen des Wissens handelt; nur um ihrer physikalischen Grundlegung halber konnte eine Kunst in unserem Sinne, die Musik, hier Aufnahme finden, wie die Poetik um ihrer logischen Fundamente halber in der Rhetorik aufging. Da lag dann auch der Punkt, wo auch die Künstler des Quattrocento einsetzten, um ihrer neuen, nunmehr auf optische Theorien gegründeten Bildkunst die Aufnahme in den alten Kanon zu erwirken.

Denn die Stellung dieser Künste, die das ganze Mittelalter hindurch einer wissenschaftlichen Basis entbehrten, blieb noch lange zweifelhaft. Zwar hatte Varro schon die Architektur, d. h. natürlich page 65 wiederum ihre auf Mechanik begründete Theorie, zugelassen, aber bei den Späteren verschwand sie wieder, und der eigentlich praktische Kunstbetrieb fiel ohnehin aus dem Rahmen der disciplina ebenso wie die praktische Seite einer andern »Kunst« der Medizin. Ihre Stelle findet sie, ganz ebenso wie die bildenden Schwesterkünste, neben dem Handwerk, im Reigen der »artes mechanicae«, deren geheiligte Siebenzahl als typisches Gegenstück zu den sieben »freien Künsten« erscheint. Auch hier scheidet der intellektualistische Dualismus scharf und unerbittlich, wie Inhalt und Form, so begriffliches und anschauliches Wesen, Theorie und Praxis. Die artes liberales, die jetzt freilich anders betont sind als in der alten Gesellschaft, stehen ebensoweit über den artes mechanicae als Wissen über dem Können. So weit, daß ein Kirchenschriftsteller des hohen Mittelalters, Hugo von St. Victor, ihren Namen in echt scholastischer Etymologie von moechus (moechanicae = adulterinae) ableitet, also ihre »ehrliche« Geburt bestreitet. Die Kunst in der Praxis gehört zum Handwerk und ist das ganze Mittelalter hindurch auch der Zunft untertan geblieben; im Norden noch länger als im Süden, wo die Künstler sich allmählich, nicht zum wenigsten durch ihre theoretischen Bestrebungen, dem gelehrten Wesen annäherten und ihren Platz in der Gesellschaft eroberten; bis zu welchen Höhen das Virtuosentum des 17. und 18. Jahrhunderts, all der cavalieri, conti und marchesi gelangte, ist allbekannt. Bis dahin war, bei aller frühzeitig in Italien auftretenden Selbstbewußtheit und Schätzung des Künstlers als solchen noch immerhin ein langer Weg. Wie schon im justinianeischen Kodex Ärzte und Maler zünftig verbunden sind, so waren die letzteren, die Farbenreiber, noch im mittelalterlichen Florenz mit den Apothekern (speciali) zu einer Gilde verbunden.

Ein paar kleine aber recht bezeichnende Züge mögen hier noch angeführt werden. Auf einer russischen Elfenbeinschnitzerei, den hl. Andreas darstellend, nennt sich der Verfertiger — ein »Künstler« im Sinne der Renaissance »Mechaniker des kaiserlichen Hofes«. Ilg-Boeheim, Führer durch Schloß Ambras, Wien 1898, S. 77 n. 181. Und in Manzonis berühmtem Roman schleudert der mailändische Adelige, der den verhängnisvollen Zusammenstoß mit dem spätem Padre Cristoforo hat, diesem, dem Bürgerlichen, das in dieser Zeit schon als schimpflich empfundene Wort »víle meccanico« ins Gesicht. (I promessi Sposi cap. 4.)

Der gewaltige Gedankenbau der scholastischen Philosophie hat die Kunst denn auch, solchen Anschauungen entsprechend, seinem System eingegliedert. Die antiken Bausteine dieses gotischen Prachtbaues sind nicht zu verkennen, nur sind sie in einem neuen und eigentümlichen Geiste umgeformt. Dreifach ist die Wurzel der Erbsünde, lehrt Vincentius von Beauvais in seinem monumentalen Speculum doctrinale: Unwissenheit, Begehrlichkeit, Schwachtum. Drei göttliche Kräfte wirken diesen entgegen: eine intellektuelle, die Weisheit page 66 (sapientia), eine sittliche, die Tugend (virtus), eine praktische, die Notwendigkeit (necessitas). Ihnen entsprechen drei Betätigungen des Menschen: Wissenschaft (Theorica), Ethik Practica), Kunst (Mechanica), d. h. alles Können, das der Notdurft des täglichen Lebens dient. Es ist das aristotelische Erkennen, Tun, Hervorbringen. Das Gegenbild der sieben freien Künste der Theorica, die in der Spekulation wie in der Kunst jener Tage (Dante, Spanische Kapelle in Florenz) den sieben Planeten verglichen werden, sind die sieben artes mechanicae: lanificium, armatura, navigatio, agricultura, venatio, medicina theatrica. Das ist die praktische Kunstlehre, denn ihr theoretisches Fundament gehört ja der Theorica zu, so erscheint die Medizin als Wissen im Rahmen der Physik und die Benennung Physicus ist noch ein Nachklang aus dieser Zeit. Unsere »bildenden« Künste haben hier, wenn man von lanificium und armatura (Hausbau) absehen will, durchaus keinen Platz gefunden, es entspricht das ihrer dienenden Stellung im Mittelalter. An Versuchen, sie einzugliedern, hat es nicht gefehlt; in der steinernen Enzyklopädie am Campanile zu Florenz erscheinen sie im Gefolge und als Anhang der mechanicae.

In welchen Bahnen sich nun das Kunsturteil des Mittelalters, nach seinen höchst dürftigen Spuren zu urteilen, bewegen wird, ist leicht abzusehen.

Alle Kunst ist symbolische Darstellung im Dienste einer höheren Idee, außerhalb derselben ist sie wesenlos und nichtig, im besten Falle leerer Schmuck; wie gegen die immer und stark vorhandene Schmuckfreudigkeit dieser Epoche gelegentlich zu Felde gezogen wurde, kann noch für das hohe Mittelalter die Apologie des hl. Bernhard lehren (vgl. Quellenbuch Nr. XXXV). Das Ziel des Kunstwerkes kann und darf nur die Ehre des Himmels sein, höchstens daß der Stifter oder operarius ein schon quantitativ mit Absicht beschränktes Plätzchen erhält. Es handelt sich also um das zugrunde liegende Inhaltsobjekt, von der Eindrucksseite her betrachtet, und nur um dieses. Dementsprechend weist das Mittelalter eine sehr große Anzahl ausführlicher Schilderungen von Kunstdenkmälern auf, ohne die geringste künstlerische Wertung. Was hervorgehoben wird, ist meist das kostbare Material, der Glanz der Ausstattung, der feierliche Goldgrund, höchst selten die Qualität der Arbeit. Ist dies der Fall, so steht die Künstlichkeit der Kunstmäßigkeit fast immer voran; im Norden ist sie noch lange ein wesentliches Element der »Kunst- und Wunderkammern« geblieben. Derart sind die uns erhaltenen Kunstbeschreibungen entweder stilistische Prunkstücke, freilich ohne die Kennerschaft antiker Ekphrasen, oder sie beschränken sich auf plane Darlegung des Gegenständlichen: dieses wird erklärt und vor allem gedeutet, gerne über den historischen Sinn hinaus, ohne daß auf die besondere Weise der Formung weiter page 67 eingegangen würde, als es die äußerliche Kennzeichnung fordert, trotz gelegentlich ein gesprengten Fremdgesteins, ästhetischer und kritischer Termini von der Antike her. Noch ein Mann wie Ghiberti weiß sein eigenes Hauptwerk, die berühmte Paradiesestür, im einzelnen nur diskursiv erzählend, mit Kennzeichnung des objektiv zugrunde liegenden biblischen Inhalts zu schildern. Der Künstler ist eben ein Werkzeug, dienend und namenlos; selbst im mittelalterlichen Italien tritt er nicht selten in den Schatten der Opera zurück, die das fecit für sich in Anspruch nimmt. Im Norden dauert diese Anonymität noch viel länger, der persönliche Anteil verschwindet unter der Produktionsmarke der Werkstatt. In Italien dagegen, wo der antike Ruhmesgedanke nie gänzlich in der Askese unterzugehen vermochte, liegt die Sache etwas anders. Die Künstlerinschriften, die dem Norden ja auch keineswegs fehlen, tragen frühe eine merkwürdig pomphafte Ruhmredigkeit zur Schau; es fehlt nicht an Vergleichen mit der Künstlergeschichte der altnationalen Vergangenheit, wie denn die großen Namen des Altertums, Phidias, Praxiteles, Virgil, wenn auch in märchenhafter Vermummung, im Volksbewußtsein lebendig geblieben ist. Für den Norden bedeutete dergleichen so gut wie nichts; so ist es zu verstehen, daß in Shakespeares »Wintermärchen« eine Künstlerpersönlichkeit wie die des Giulio Romano völlig im alten Fabelstil auftaucht. Aber man darf auch nicht vergessen, woher diese uns oft seltsam berührenden Prunkinschriften fast alle ihren Ausgang nahmen: von der Bauhütte oder der Stadtgemeinde, die im Ruhm des Künstlers ihren eigenen künden will, anders wie im Norden, wo die Kontinuität des alten Munizipalwesens fehlt. Aber auch das deutet schließlich auf ein wesentlich anderes Verhältnis der Gemeinschaft zur Kunst, auf alte Römerstraßen, die zu neuen Stätten führen.

III. Theorie und Praxis im toskanischen Trecento.

1. Zu Dantes Kunstlehre.

Schnaase, Dante und die Schule Giottos, Mitt. der Zentralkomm. VIII, 241, und Geschichte der bildenden Künste im M. A. 2. Aufl. (1876) V, 336f. — Janitschek, Dantes Kunstlehre und Giottos Kunst. Antrittsvorlesung Leipzig 1892. — Leynardi, La psicologia dell’arte nella Div. commedia. Turin 1894. — Kraus, Dante, Berlin 1897. S. 548ff. — Coletti, L’arte in Dante e nel medio evo. Treviso 1904 (mir nur dem Titel nach bekannt). — Vossler, Die philosophischen Grundlagen zum süßen neuen Stil des Guido Guinicelli, Guido Cavalvanti und Dante Alighieri. Heidelberg 1904. — Derselbe, Die göttliche Komödie, Entwicklungsgeschichte und Erklärung, 4 Bände, Heidelberg 1907. — B. Croce, La poesia di Dante, Bari 1921 (deutsch Wien 1921).

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Am Eingange der klassischen Zeit Neuitaliens steht das Standbild eines der wenigen ganz und völlig Großen in der Geistesgeschichte Europas, des Dante Alighieri. Sein dichterisches Lebenswerk, die Divina Commedia, und die Kanzonen, die er im »Convito« selbst mit einem Prosakommentar zu erläutern begonnen hat, fassen in einem monumentalen Fresko die Anschauungen des Mittelalters zusammen; von seinem Hauptwerk, das eine Bibel der Nation wurde, gehen die eindringlichsten Wirkungen aus, besonders auf dem uns beschäftigenden Gebiet. Knüpft doch die florentinische Kunsthistorie unmittelbar an die Commedia an, wobei auf früher Gesagtes verwiesen sei.

Aristoteles, Thomas und die Poesie der Troubadours sind die Quellen, aus denen Dantes Kunstlehre schöpft; Vossler hat dies in meisterhafter Weise in seiner an der Spitze dieses Abschnitts zitierten Abhandlung dargelegt. Der »süße neue Stil« ist uns Heutigen aber durchaus nicht ohne weiteres verständlich, und das Folgende wird zeigen, wie leicht dieses ausgesprochen mittelalterliche Gebilde von modernen Anschauungen aus mißverstanden werden kann.

Das Verhalten des Künstlers zu seinem Stoff behandelt Dante in seiner Schrift De monarchia. In drei Graden sei die Kunst vorhanden, als Idee im Geist des Künstlers, als Technik im Instrument, als ungeformter Stoff pontentialiter in der Materie. Altes Erbe von Platonismus und Patristik her ist die Vergleichung Gottes, des Künstler-Demiurgen in seinem Verhältnis zur Natur, seinem Werk. Aber die gestaltlose Materie setzt dem Schaffen tauben Widerstand, »Trägheit«, wie später gesagt wird, entgegen, und die höchste auf Erden unerreichbare Idee liegt jenseits der Sinne, in Gott.

Par. I, 127. Vero è, che come forma non s'accorda Molte fiate all'intenzion dell’arte, Perch’a risponder la materia è sorda. Par. XIII, 76. Die Natur schafft: Similemente operando all’ artista Ch'ha l’abito (habitus) dell’ arte e man che trema. Par. XXX, 31. Ma or convien, che ’l mio seguir desista Più dietro a sua bellezza (Beatricens), poetando, Come all’ultimo suo ciascuno artista.

Wozu ausdrücklich zu bemerken ist, daß der von Dante oft angewendete Ausdruck artista ebenso den Künstler in unserm Sinne, als durchaus noch den Handwerker im alten Sinne umfaßt, wie denn das Romanische heute noch artigiano und artisan gebraucht, und wie aus Par. XVI, 49 klar hervorgeht. Dort heißt es nämlich von der rassenreinen Bevölkerung des alten Florenz:

La cittadinanzia che or è mista, Pura vedeasi nell’ultimo artista. page 69

Auch Dantes Begriff von der Kunst ist also noch durchaus der früher entwickelte des Mittelalters.

Das gewaltige Gedicht klingt dann auch in diesem Zurücktreten des Schaffenden vor der Hypostase seines ewig unerreichbaren Ideals aus. Par. XXXIII, 140, vor der Schau der Trinität:

all’ alta fantasia qui mancò possa.

Den Begriff der Phantasie als künstlerischen Agens, eine Erbschaft der ausgehenden Antike, werden wir noch weiterhin bei Cennini wiederfinden.

So ist auch bei Dante der Zwiespalt zwischen Inhalt und Form, Idee und Stoff vorhanden, jenes uralte, auf dem Schemen der Substanz ruhende Scheinproblem der Ästhetik, das nicht leben und nicht sterben kann. Liegt aber alle Kunst wesentlich in der Idee beschlossen, in der Annäherung an ein transzendentes Ideal, so kann die Formung im Stoff niemals entsprechend sein, die Kunst ist ein Symbol höherer Werte. Über dem Bild steht Schrift und Wort, noch genau so, wie das frühe Mittelalter aus dem Munde des alten Hrabanus sprach. (Vgl. Purg. XXXIII, 76, wo Beatrice zu dem Jugendgeliebten sagt, er möge ihre Lehren unter dem Bilde des Pilgerstabes mit sich nehmen: se non scritto, almen dipinto.) Aber auch das dichterische Wort versagt vor dem Letzten und Höchsten; es ist ein Schleier, der sich über die Wahrheit breitet: Inf. IX, 61.

Mirate la dottrina, che s' asconde Sotto il velame degli versi strani.

In dem letzten Worte liegt das, was die spätere Zeit, wenn auch aus geänderten Anschauungen heraus, bizzarro, capriccioso, pellegrino nannte, und worauf sie sich in ihren »Inventionen« soviel zugute tat.

Es sind nun diese esoterischen Wahrheiten, die der Convito als durchlaufender Kommentar zu dem dichterischen Lebenswerke Dantes enthüllen, den Kern aus der poetischen Schale lösen wollte; der große Dichter hält es noch für nötig, sich zu entschuldigen, daß er diese scholastischen Glossen nicht in der Gelehrtensprache, auf Latein geschrieben habe. Die alte Poetik hatte noch mit dem horazischen Begriffspaar: aut prodesse volunt aut delectare poetae dem intellektualistischen wie dem hedonistischen Standpunkt Rechnung getragen. Dante verschmilzt es, echt mittelalterlich, zu einer Einheit. (Convito I, 2.) Intendo anche mostrare la vera sentenzia di quelle (i. e. canzoni), che per alcuno vedere non si può, s’ io non la conto perchè nascosa sotto figura d’ allegoria, e questo non solamente darà diletto buono audire, ma sottile ammaestramento. Denn, wie es die Vita nuova c. 25 weiter ausführt, bedeutet es Schmach für den Poeten, wenn er sein ragionamento nicht der rhetorischen Hülle entkleiden könnte, derart, page 70 daß es verace intendimento enthülle. Auch hier dürfen wir nicht mit modernen Anschauungen an die Sache herantreten; der antik-mittelalterliche Dualismus, die Kluft zwischen Stoff und Form, der ungeheure Widerspruch zwischen Künstlerpraxis und doktrinärer Theorie treten hier klar zutage; nur ein so gewaltiger Dichtergeist wie Dante durfte ihn ohne wesentliche Schädigung herausfordern und aufnehmen. Der Poet ist gegen seine bessere Einsicht, über den Theoretiker (für unsern Standpunkt) fast immer siegreich geblieben. Aber der Kampf, der hier in einem genialen Individuum zu einem merkwürdigen Kompromiß führt, ist der gleiche, der sich in der mittelalterlichen Musikgeschichte zwischen überlieferter starrer Theorie und dem modernen Harmonie- und Tonalitätsgefühl der praktischen Musikübung Jahrhunderte hindurch abgespielt hat.

Man versteht nun, daß Dante die Methode der vierfachen Auslegung, wie sie die Scholastik auf die antiken Grundlagen in ein System gebracht hatte, auch auf die Poesie anwenden konnte. Der buchstäbliche Sinn, das heißt alles das, was wir als das eigentlich künstlerische Erfassen, die lebendige Anschauung, die einen Dante, förmlich wider Willen, durch die Kraft der Fantasia über die Schar trockener Lehrdichter, wie Brunetto Latini, Cecco d’Ascoli und so viele andere, eben als Künstler, erhebt, dieser Wortsinn ist der unterste der Grade, genau so wie die Anschauung überhaupt in der intellektualistischen Wertsetzung unter dem Begriff, die Ästhetik im Sinne Baumgartens unter der Logik steht. Über ihn erhebt sich die ideale Interpretation, die allegorische, moralische und mystische Deutung der reinen Form, als die verità ascosa sotto bella menzogna (Convito II, 1); die Wurzel dessen, was man später »schöne Kunst« nennt, ist hier nicht zu verkennen. Dieses Problem des ästhetischen Scheines, der gleichwohl wirkliche Empfindung weckt, also das, was ein vielgequälter moderner Terminus mit »Einfühlung« meint, berührt Dante in einer merkwürdigen Stelle der Commedia. Er knüpft an ein Beispiel aus der zeitgenössischen Architektur, an die kauzenden Tragfiguren oder gobbi der gotischen Bildnerei an:

Purg. X, 130. Come per sostenar solaio o tetto Per mensola talvolta, una figura Sie vede giunger le ginocchia al petto, La qual fa del non ver vera rancuna Nascer a chi la vede.

Solches Überfliegen der Form durch die Idee erklärt bis zu einem gewissen Grade auch die ungemeine Rolle des exemplum, die Abschreibung und Abwandlung eines gegebenen Archetypus im Mittelalter. Vöge hat gelegentlich ein vortreffliches Beispiel der gern geübten »Analogiebildung« aus frühmittelalterlichen Miniaturen bei page 71 gebracht, wie für die Räuber in der Parabel vom Samariter das Schema der tortores in der Kreuzigung übernommen wird. (Vgl. meinen Aufsatz: Zur Geschichte der künstlerischen Überlieferung im späten Mittelalter, Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses, Bd. XXIII, S. 284). Noch im späteren Italienischen erhält sich der Ausdruck esemplare, der vollständig die Bedeutung von ritrarre, abbilden, angenommen hat. Dante steht ganz auf dem Boden dieser Anschauung. Als er im Paradiso terrestre vor der Vision der Kirche entschlummert (Purg. XXXII, 64), will er diesen Schlaf schildern come pittor che con esemplo pinge. Sein exemplum ist aber eine Szene der Antike, nämlich Argus, der von Merkur eingeschläfert wird. Der eigentliche Sinn dieser bella menzogna liegt jedoch tiefer, und wird uns auch, den wohlbekannten theoretischen Überzeugungen des Dichters gemäß, keineswegs vorenthalten: Dantes Schlaf ist in mystischer Analogiebildung dem Schlafe der Jünger am Ölberg nachgebildet; durch ihn gestärkt, wird er der Vision der zukünftigen Kirche teilhaftig. Das Gegeneinanderstellen der beiden Bilder entspricht außerdem ganz dem »typologischen« Schema.

Die Typik der Renaissance ist dagegen trotz mancher vom Mittelalter her sich herüberspinnenden Fäden ganz andern Geistes; bei ihr handelt es sich um die Abwandlung formaler Motive, wie sie sich ganz ähnlich in der Epik dieser Zeit von Bojardo über Ariost zu Tasso herab verfolgen lassen.

Zu dieser mit dem simile eng verbundenen Kunst scheint sich nun der dolce stil nuovo in Gegensatz zu befinden. Sein Programm hat Dante in der berühmten Stelle der Commedia verkündet, wo er dem Buonagiunta erwidert:

Purg. XXIV, 52ff. ... Io mi son un’ che quando Amor m’inspira, noto; e a quel modo Che detta, dentro vo significando. O frate, issa veggio, disse, il nodo Che il notaro e Guittone e me ritenne Di qua dal dolce stil nuovo, ch’ i’ odo. Io veggio ben, come le vostre penne Diretro al dittator sen vanno strette, Che delle nostre certo non avvenne.

Es scheint nahe zu liegen, dieses Künstlerbekenntnis des neuen Stils in moderner Weise im Sinne von Goethes »Gelegenheitsdichtung« zu deuten: als die Inspiration durch das unmittelbare Erlebnis gegenüber der ältern, konventionellen, exempelhaften Poesie der Provençalen und Sizilianer. Vossler hat aber in seinem geistvollen Büchlein dieser Meinung mit Recht widersprochen. Gleich jedem page 72 andern historischen Phänomen ist der neue Stil nicht aus unserer Auffassung, sondern aus der seiner Zeit heraus zu fassen, aus seinen beiden Grundlagen, der Troubadourpoesie und der Scholastik, dichterischen und gelehrten Wesens, die eine für uns Moderne sehr seltsame Ehe eingegangen sind. Es handelt sich um den Begriff des Amore, des dittatore. Ursprünglich ganz sinnlicher Weise an körperliche Schönheit geknüpft, die nur das Auge vermitteln kann (daher einem Blindgeborenen gelegentlich die Möglichkeit der Liebe abgesprochen wird), vergeistigt er sich in der späteren Troubadourpoesie. Es stellt sich die auch von Dante erörterte Frage des Seelenadels, der Seelenschönheit ein, wie in der altgriechischen Lyrik, Begriffe, die von dem Ästhetentum der Provence oft in raffinierter Weise abgeleitet werden. Hier entsteht ein neues modernes Element, die Sentimentalität. Dieser Begriff des Amor erfährt nun aber durch die ebenfalls auf französischem Boden entstandene Scholastik merkwürdige Umbiegungen. Amor heißt das weltbewegende Prinzip, das den sieben Himmeln ebenso ihre Bahn vorschreibt, als dem herabfallenden Stein:

L'amor che muove il sole e l'altre stelle.

Es sind die Worte, in denen bekanntlich die Commedia austönt. Alte Gedanken jonischer Naturphilosophie leben in neuer Formung wieder auf. Und so erscheint folgerichtig die höchste menschliche Erkenntnisform, die (kirchliche) Philosophie, in der ältern italienischen Kunst (so auf Niccola Pisanos Sieneser Kanzel, in dem Fresko der Spanischen Kapelle in Florenz, ja noch auf A. Pollajuolos Grabmal Sixtus IV. in St. Peter) unter dem Bilde der christlichen Caritas, der höchsten, mystischesten der göttlichen Tugenden, aber mit seltsam heidnischen Attributen, Fackel, Bogen, Pfeil, der mittelalterlichen Frau Minne angenähert. Amor, als Prinzip jeglicher Begehrung (appetitus) kann aber nur durch Wesensähnlichkeit (similitudo) zwischen Liebendem und Geliebtem hervorgerufen werden. Diese Ähnlichkeit kann nach der aristotelisch-thomistischen Lehre actu (der Wirklichkeit, der fertigen Form nach) oder potentia (der Anlage nach) vorhanden sein. Nur das erstere trifft auf das Verhältnis von Mensch zu Menschen zu und erzeugt im höchsten Falle den amor amicitiae, das zweite richtet sich auf die höheren Intelligenzen, in der Stufenleiter vom Engel bis zu Gott, und dieser amor concupiscentiae entsteht in dem höchsten der drei Seelenvermögen des Menschen, der anima rationalis, die ihn allein mit der Welt jenseits der Sinne verbindet. Nun ist die Anschauung der Kirche von der Frau zwar nicht die gänzlich ablehnende der semitischen Religionen; immerhin ist diese aber ein wesentlich niedriger stehendes Wesen, physisch wie psychisch, das darum nur mit unvernünftig sinnlicher page 73 Begierde der anima animalis, im besten Falle mit Freundschaft geliebt werden kann.

Hier war also für die sinnlich-übersinnliche Frauenminne der Provençalen kein Raum mehr, bei denen charakteristischerweise allein unter allen Romanen das alte Wort Amor sein Geschlecht geändert hatte und zur Amors (Frau Minne) geworden war. Diesen Gegensatz hat der Stil nuovo überbrückt; das ist die von Dante hervorgehobene Tat, die symbolische Auffassung des Amor, die Spiritualisierung der Frauenminne, geradeso wie im Altertum die Männerliebe durch Platon in philosophische Höhen entrückt worden war. An Stelle der sinnlichen Wahrnehmung, die bei den Troubadours die Liebe vermittelt, tritt im Stil nuovo die innere Erkenntnis des Wesens, das Verständnis der tiefer stehenden Intelligenz für die höhere, engelhafte, der sie potentia, durch ihre Anlage, sich nähert.

Dantes berühmte Stelle sagt also, wie Vossler, dessen Spuren wir hier durchaus folgen, schlagend nachgewiesen hat, ungefähr folgendes: Der dolce stil nuovo singt nicht in der alten Weise von Frauenminne, sondern die Frau ist für ihn ein Höheres, ein Symbol des Amor, des großen kosmischen Prinzips, das die Seele des Menschen nach der ihr wesensähnlichen Potenz drängt, die sich in der Stufenleiter der Intelligenzen bis zu Gott hinauf offenbart. Solches ist das Wesen des neuen Stils, dessen Schöpfungen also nach Dantes schon vorgetragener Lehre neben dem planen, buchstäblichen, exoterischen einen höhern allegorischen, esoterischen Sinn haben müssen, so wie er sich im Kommentar des Convito darstellt. Als angiola, als engelgleiche Frau, natürlich nicht im sentimental spielenden Sinn dieses Wortes bei den Modernen, sondern in dem herben und ernsten des scholastischen Trecento, erscheint Dante die verklärte Jugendgeliebte und so zeichnet sich der des Stiftes kundige Dichter selbst, am Jahrestage ihres Todes, nach einer der lieblichsten Stellen der Vita nuova. F. Wickhoff hat das in einem seiner anziehendsten kleinen Aufsätze überaus schön dargelegt (Über die Gestalt des Amor in der Phantasie des italienischen Mittelalters, Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsammlungen 1890).

Dieser angiola, dieser himmlischen Verklärung irdischer Liebe und vergänglichen irdischen Daseins, gilt die erste Kanzone:

Voi che intendendo il terzo ciel movete,

es ist der Himmel der Venus, und die Durchdringung des Heidnisch-Profanen durch das christlich-kirchliche Element ist, wie in den oben gegebenen Beispielen aus der bildenden Kunst, für das Trecento in besonderem Maße bezeichnend. Der ganze zweite Traktat des Convito verfolgt dann die Darlegung dieses Themas, in ihm wird der Kampf page 74 zwischen den beiden Gewalten geschildert, der sinnlich irdischen, die Dante zur lebenden, wirklichen Beatrice hinzog, und der himmlischen, die mit der vittoria del nuovo pensiero, d. h. mit der Erkenntnis und Aufnahme des von Guido Cavalcanti begründeten neuen Stils endigte. Das Thema selbst reicht, wenn auch in wesentlich abgeschwächter und seines hohen Ernstes beraubter Form, wie man weiß, bis in Kunst und Literatur der Renaissance hinein. Aber schon für diese letztere, geschweige denn für die Moderne war und ist es kaum mehr möglich, sich der Grundstimmung des Convito völlig anheimzugeben. Hier klafft der tiefe Abgrund zwischen mittelalterlicher und neuerer Welt- und Kunstauffassung. Versuche, diese Dinge vom modernen Standpunkt aus zu begreifen, müssen notwendig zur Verfälschung der Tatsachen führen; ihre richtige Erkenntnis jedoch gibt einen Schlüssel zur Kunstlehre des Mittelalters, deren Abstand von unserem Denken schon daraus erhellt, daß wir unsern Begriff der Kunst ihr niemals unterschieben dürfen. Daß Dante an seiner Theorie nicht auch als Künstler in unserm Sinn gescheitert ist, liegt in der Größe seiner Persönlichkeit und seiner mächtigen Kraft der Anschauung, die ihn der in diesem Punkte notwendig günstiger gestellten Bildkunst nähert.

Zu dem schon früher berührten Concetto des Seelenadels, und damit noch einen Schritt weiter in die Kunstlehre des Trecento, führt uns die letzte im Convito erläuterte Kanzone, die vierte. Hier findet sich eine merkwürdige Stelle, die wiederum leicht im modernen Sinne zu mißdeuten ist, wie dies Janitschek in seinem schwächlichen Schriftchen wirklich getan hat.

....chi pinge figura Se non può esser lei, non la può porre.

Im Convito wird das folgendermaßen in Prosa umschrieben: Nullo dipintore potrebbo porre alcuna figura, se intenzionalmente non si facesse prima tale, quale la figura essere dee. Wären wir nicht schon durch die Stelle der Commedia vorbereitet, so läge die Deutung in modernem Sinn auf das innere Erlebnis des Dichters, im Gegensatz zur Konvention der ältern Dichtung, nahe genug. In der Tat ließe sich dies auf Petrarcas vielfach so modern anmutende Lyrik, dort, wo sie nicht konventiell ist, anwenden; doch nicht einmal diese, geschweige denn Dantes Poesie, ist von diesem Standpunkte aus zu erfassen.

Zunächst birgt auch diese Stelle ein Gleichnis. Gegen Friedrichs II. aristokratische Definition des Adels (antica ricchezza e bei costumi) verficht Dante den Satz, daß Reichtum nicht inneren Adel verleihen könne. Der prosaische Kommentar zeigt, daß Dante hier auf Überlegungen antiker Philosophie fußt. Nur von Wesensgleichen kann das Gleiche Eindrücke empfangen; so muß im Auge die Licht page 75 qualität ursprünglich erhalten sein, wie schon Plato und seine Nachfolger bis auf Plotin herab lehrten. Es ist der Gedanke, zu dem sich auch Goethe bekennt: Wär’ nicht das Auge sonnenhaft.... Dantes Meister Aristoteles hatte in seiner Entwicklungslehre weiter ausgeführt, daß ein Ding von einem andern nur dann hervorgebracht werden könne, wenn es der Anlage (potentia) nach auch in diesem enthalten sei. Nun ist Reichtum eine niedere Sache (viltà), also dem Adel begrifflich entgegengesetzt, kann ihn daher weder hervorbringen noch zunichte machen. Zur weitern Erläuterung dieses echt scholastischen Gedankens bringt Dante Gleichnisse bei: vom aufrechten Turm, den der in der Ferne fließende Fluß nicht abzulenken vermag, und das oben zitierte vom Maler. Auch dieser vermag nur die Figur darzustellen, die sich in ihm befindet, als Idee, die primär vorhanden sein muß, soll sie in den stets widerstrebenden Stoff eingehen. Dies liegt nun in Dantes Sinn und aus dem ganzen scholastischen Aufbau seiner Kanzone ist es zu verstehen, keineswegs in der modernen, von Janitschek gegebenen Deutung, der sehr weitgehende Folgerungen aus seiner irrigen Prämisse gezogen hat. Er hat sich u. a. auch auf die Meditationen des hl. Bonaventura berufen, jenes zumal in seiner Volgarefassung echt volkstümliche Erbauungsbuch, das gewiß auf die toskanische Kunst nicht ohne Einfluß geblieben ist. Bonaventura erlebt die ganze Geschichte Christi in sich, in den schönsten und zartesten Bildern; aber das ist innerstes Gut und Ziel aller Mystik überhaupt, wie denn der Gläubige in der Messe das Mysterium der Menschwerdung Gottes täglich miterlebt und vorschauend der Gemeinschaft der Heiligen teilhaft wird. Ferner stellt Janitschek Giottos »Entdeckung der Seele« als angebliches Vorspiel des 15. Jahrhunderts in Parallele mit Dantes »neuem Stil«. Darin steckt manches Scheinbare, aber auch nur Scheinbares, vor allem aber viel Unbill und Unverständnis gegen die ältere Kunst und Poesie. In der Lyrik der Troubadours und wenigstens einzelner Minnesänger lebt sehr viel echtes und persönliches Gefühl und Erlebnis, trotz aller Manier, nicht minder als im gotischen Linienstil . So scharfe Schnitte zu machen ist unhistorisch und unpsychologisch zugleich. Und vor allem: dergleichen moderne Anschauungen können wohl in den Text Dantes hineingelesen werden; der Historiker, der dies aber unternimmt, handelt in diesem Fall dilettantisch, noch schlimmer als die ältere Archäologie, die althellenische Bildwerke durch späte römische Schriftzeugnisse erklären zu dürfen vermeinte. Sicher liegen Dantes wie Giottos Größe als Künstler in ihrer Persönlichkeit, in der Schärfe und Lebendigkeit ihres Schauens in die Welt, aber jene Theorie hätten sie von sich gewiesen, ja kaum begriffen, eben weil sich Dante so wenig als Giotto als Künstler in unserm Sinne fühlen konnten.

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Endlich sieht Janitschek Äußerungen Boccaccios und Filippo Villanis, die das »unmittelbar Lebendige« in Giottos Werken hervorheben, einen Beweis für seine »Entdeckung der Seele«. Auch das ist falsch vom Standpunkte jener alten Beurteiler, die mit dem uralten volkstümlichen Concetto vom Leben des Kunstwerks sicher einen ganz andern Sinn verbanden als wir Modernen mit dem problematischen Begriff: Realismus. Späterer Künstlerwitz hat freilich dem alten Cimabue sehr respektlos Augen von Tuch angehängt, aber diese alte Generation war doch keineswegs so mit Blindheit geschlagen, daß sie übersehen hätte, wie Giottos Bäume und Berge sich von der Wirklichkeit um ein beträchtliches entfernen, die Figuren in seinen Gebäuden nicht wohnen und sich bewegen können, wenn ihnen dieser Vergleich überhaupt einen Sinn enthalten hätte! Mögen sie auch die uns noch imponierende anschauliche Gebärden- und Blickssprache der Giottoschen Gestalten als etwas Neues und Mächtiges herausgefühlt haben, im wesentlichen empfanden sie doch ganz anders als wir; das Leben der Kunst ragte für sie über die gemeine greifbare Wirklichkeit hinaus und hatte eine ganz andere, von jenem althergebrachten Concetto platter Natürlichkeit entfernte Bedeutung, die viel mehr zu den echt mittelalterlichen Grundlagen des neuen Stils stimmt. Wir Heutigen dürften uns kaum mit ihnen verständigen können, denn wir reden verschiedene Sprachen. Ein formsicherer Zeichner wie Villard stellt in seinem früher erwähnten Livre de portraiture einen Löwen auf die Beine, den er eigenen Angaben nach nach dem Leben gezeichnet hat, was nicht hindert, daß dieser Löwe für uns sehr »kindlich« stilisiert ist. Aber dieser Vergleich mit der »Kinderkunst« hinkt bereits von Geburt an; wohl kommt es auch dem Kinde darauf an, festzuhalten, nicht, was es sieht, sondern was es weiß, aber von »Kinderkunst« zu reden ist überhaupt eine bedenkliche Sache, nicht nur wegen der geistigen Unreife und der mangelnden Schulung der Hand, sondern weil das Kind höchstens auf dem Wege zur Kunst ist, Mitteilung statt Ausdruck geben will. Der mittelalterliche Künstler will freilich auch die Tatsache hervorheben, daß er den Löwen in Wirklichkeit gesehen hat, d. h., daß er kein exemplum wiedergibt. Aber was wir naturalistische Darstellung nennen, das mußte dem echten Mittelalter trotz seiner hohen technischen Ausbildung ein Unding sein, weil es die Idee, nicht die einzelne Form für wertvoll hielt. Die vielen »realistischen« Züge der Commedia sind nur für uns »realistisch« und nicht um ihrer selbst willen da. Daher ist die Naturform, vom menschlichen Körper angefangen, in der Gotik wie weiches Wachs, das sich den Forderungen ihres »Kunstwollens« — um einen Ausdruck Riegls zu gebrauchen — unbedingter fügen muß als in andern vergleichsweise gebundeneren Perioden, und der page 77 Beschauer war gewiß nicht »realistischer« gestimmt als der Darsteller. Hat doch noch der weitgediehene Naturalismus der Hochrenaissance vor der Schranke des rilievo Halt gemacht; Lionardo, der die Wirkungen des vollen Sonnenlichts wohl gekannt und studiert hat, schließt es dennoch von der Kunst aus, weil es die plastische Form, eben jenes rilievo zerstöre.

Die angeführten Beispiele weisen auf die eigentlich selbstverständlich sein sollende Maxime, daß die Kunst der Vergangenheit keinen andern Maßstab als den der eigenen Zeit verträgt. Hat man sich von der gewollt und mit innerer Notwendigkeit unhistorischen Ästhetik des Klassizismus freigemacht, verpönt man es, die klassische Elle an das Werk der Modernen zu legen, so muß man ebenso vermeiden, moderne Anschauungen auf das uns vielleicht noch ferner als das Altertum liegende Mittelalter zu übertragen.

Die Kunstanschauungen Petrarcas hat Lionello Venturi neuerdings in einem kurzen Aufsatz (La critica d’arte e F. Petrarca, L’Arte XXV, 238f.) im Überblick darzustellen versucht. Aus den Ep. de rebus fam. VI, 2, ergibt sich, daß Petrarca, wie es scheint nicht gerade mit sonderlichem Eifer, einen Traktat über die freien und mechanischen Künste geplant hat. Wie dieses Thema alt und gemeinplätzlich ist, so bewegen sich die Gedanken des der bildenden Kunst gegenüber ganz intellektualistisch und moralistisch eingestellten Dichters in alten Geleisen, und aus dem bisher bekannt gewordenem Material scheint mir für das »Kunsturteil des Trecento« recht wenig gewonnen zu werden. Die (in anderer Hinsicht schon erwähnten) Sonette auf Simone in modernem Sinne auszudeuten, wie dies Venturi tut, heißt in den gerade gerügten Fehler verfallen.

2. Die Werkstatt des Trecento. Der Traktat des Cennino Cennini.

Am Ausgang der mittelalterlichen Kunstliteratur steht das späteste literarische fixierte Vermächtnis der großen Kunstentwicklung Toskanas im 14. Jahrhundert, der Traktat des Cennino di Drea Cennini aus Colle di Valdelsa (um 1390).

Cennino, dessen Vater ebenfalls Maler gewesen zu sein scheint (vgl. cap. 45), war Schüler des Agnolo Gaddi. Von seinen Werken scheint, da die Fresken in Volterra einem andern Cennino (di Francesco) zugehören, nichts erhalten zu sein als das schon bei Vasari erwähnte, bezeichnete, aber ganz verdorbene Fresko, seinerzeit im Depot von S. Marie Nuova in Florenz. In der Florentiner Malerrolle fehlt sein Name; gleich seinem Landsmann Giusto ist er nach Padua, an den Hof der Carrara ausgewandert, wo sein Name in Urkunden des Jahres 1398 erscheint; er steht in Diensten des Francesco Carrara und ist mit einer Einheimischen (aus Cittadella) verheiratet. Er wird also dort gelebt haben und gestorben sein, obwohl dies neuerdings von Dini bestritten worden ist; die älteste, laut der Schlußklausel im page 78 Schuldgefängnis (stinche) von Florenz geschriebene Kopie seines Traktats ist von 1437 und also schwerlich mehr von seiner Hand. Weiter wissen wir nichts von ihm.

Inhalt des Traktats. I. Teil. c. 1—4 Allgemeines. Lebensregeln. 5 — 34 Technik der Zeichnung. 35—62 Farben. 63—66 Pinsel, II. Teil. c. 67—112 Technik der Wandmalerei al fresco, al secco, in Öl. (c. 70 Proportionslehre. c. 87 Perspektive.) III. Teil. c. 113—140 Tafelmalerei. IV. Teil. c. 141—Schluß. Kunstgewerbliche Arbeiten aller Art. (c. 157 Miniaturmalerei. 162 Gemalte Tücher und Textilarbeiten. 171 Glasmalerei. Goldgläser. 173 Zeugdruck. 179—180 Schminken. 181 ff. Naturabgüsse und Formen für Metallguß.)

Handschriften und Drucke. Der »Libro dell’ arte« ist schon Vasari in einem in Künstlerkreisen wohlbekannten Exemplar des Goldschmieds Giuliano in Siena Vorgelegen; im Leben des Agnolo Gaddi (Ed. Milanesi I, 643 f.) gibt er, jedoch erst in seiner zweiten Auflage von 1568, eine ziemlich ausführliche Analyse des Inhalts. Baldinucci hat dem Cennini eine eigene Biographie gestiftet (Notizie Sec. II. Dec. VIII. in der Mailänder A. IV, 478 ff.), mit von Salvini beigesteuerten Anmerkungen. Allgemein bekannt wurde Cennini jedoch erst durch die Editio princeps des Traktats, die Tambroni, Rom 1821, besorgte, jedoch auf einer modernen und unvollständigen Abschrift der Vaticana beruht. Die erste kritische und bis heute maßgebende Ausgabe wurde von den Gebrüdern Carlo und Gaetano Milanesi, Florenz, Le Monnier, 1859, veranstaltet, mit sorgfältiger Einleitung und trefflichem Glossar der technischen Ausdrücke. Sie ruht 1. auf der von Salvini zuerst beschriebenen und mit Vasaris Exemplar identifizierten ältesten Kopie der Laurenziana von 1437, da die zur Zeit Mannis in der Casa Beltramini zu Colle, dem Geburtsort Cenninis, bewahrte Handschrift (möglicherweise das Original), nicht mehr auffindbar ist; 2. auf einer besseren und vollständigeren Kopie der Riccardiana aus dem 14. Jahrhundert. Ein Neudruck des Libro d’arte mit revidiertem Texte von R. Simi ist Lanciano 1913 erschienen.

Übersetzungen. Englisch auf Grund von Tambronis Ausgabe von Mrs. Merrifield, London 1844. Französisch von Mottez, Paris 1858. N. A. Chartres 1911. Auf Milanesis Ausgabe beruht schon die deutsche Übersetzung von A. Ilg, mit der Eitelbergers Quellenschriften, Bd. I, Wien 1871, ins Leben traten, sowie die neue englische von Christiania Herringham, mit ausführlichem Kommentar, London, Allen 1899. Eine neue deutsche Übersetzung von P. Willibrord Verkade, Straßburg 1916 erschienen, ist nicht ohne Interesse, weil sie aus der Beuroner Kunstschule stammt und modern-praktischen Zwecken dienstbar sein will. Das Vorwort stellt in diesem Betracht folgende programmatische Frage: »Die neueste Richtung der Malerei will eine spiritualistische sein, behilft sich aber bis jetzt immer noch mit der Maltechnik einer rein realistischen Kunstepoche. Sind vielleicht die Trecentisten und die Lehrer ihrer Malmethoden berufen, ihr im Aufsuchen besser passender Ausdrucksmittel behilflich zu sein?«

Erläuterungsschriften. Eastlake, Materials for a history of oilpainting, London 1847, p. 71 ff. — Toman, Erklärung einer Stelle Cenninis, Rep. f. Kw. IX, 245. — Toesca. Precetti d’ arte italiani, Saggio delle variazioni dell’ estetica nella pittura dal XIV al XVI secolo, Livorno 1900, p. 23 ff. — Nomi, Della vita e delle opere die C. C., Siena 1892. — Dini, Cennino di Drea Cennini, in Miscellanea storica della Valdelsa, XIII (1905). Vgl. A. Berger Beiträge, z. Entw.-Gesch. der Maltechnik, München 1897, III, 93ff. Vesco in der Arte XXII (1919) 67. Nur aus einer Anzeige ist mir bekannt Al. Chiappelli, Gli artefici scrittori e la lett. nazionale (von Cennini bis Dupre). Florenz 1915.

Cennini, der seinen künstlerischen Stammbaum durch seinen Lehrer Agnolo Gaddi auf Taddeo Gaddi und damit auf Giotto zurückführt, gibt uns schon durch die genaue Angabe der langen Lehrzeiten einen merkwürdigen Einblick in die zünftige Werkstatt-Tradition des Trecento. Mit nationalem Stolz hebt er hervor, daß Giotto die page 79 Kunst statt des (mittelalterlichen) Griechischen Latein reden gelehrt habe. Damals war die große griechische Renaissance des Dugento schon längst als abgetan in die Rumpelkammer der Vergangenheit verbannt worden; die Vorstellung von der rozzezza der modernen Griechen, die Vasari später mit so schnöder Verachtung behandelt, ist aber noch kaum vorhanden. Im übrigen ist das Buch klar und einsichtig, von einem nicht ungebildeten Manne verfaßt, und als Denkmal des abscheidenden giottesken Trecento, dessen Summe es zieht, höchst denkwürdig.

Cenninis Einleitung zu seiner Schrift ist dadurch merkwürdig, daß sie einen engen Zusammenhang mit Gedanken der scholastischen Enzyklopädie verrät. Wie Theophilus beginnt er ab ovo, mit dem Sündenfall und der Arbeit der ersten Menschen, aus der sich alle Künste entwickeln, natürlich die Künste im Sinne des Mittelalters, die die necessitas hervorruft. Aus Le Bègues Sammelwerk dürfen wir vielleicht schließen, daß das alte Klosterbuch am Schlusse des 14. Jahrhunderts in Künstlerkreisen bekannt war. Cennini, der in der gelehrten Stadt Padua lebte, braucht aber seine Anschauungen nicht aus dem Theophilus bezogen zu haben, wie man gemeint hat und was im Grunde recht wenig wahrscheinlich ist. Dergleichen Erörterungen sind Gemeingut der scholastischen Literatur und Vinzenz von Beauvais exordiert im selben Geiste. Daß dem Cennini aber aus Quellen solcher Art noch andere Kenntnisse zugeflossen sein dürften, werden wir noch sehen.

Zu jenen Künsten, die der Not der ersten Menschen ihren Ursprung danken, rechnet Cennini auch seine eigene, die Malerei. Klingt hier deutlich der Begriff der alten ars mechanica an, so führt Cennini sehr merkwürdigerweise einen Faktor ein, der seine Auffassung der Kunst schon der unsrigen nähert, freilich schon in der Spekulation des späten Altertums seine Rolle spielt: die künstlerische Phantasie, die zur Handgeschicklichkeit hinzutreten muß, um als wirklich darzustellen, was real nicht vorhanden ist; wir haben sie schon bei Dante angetroffen. Deshalb verdient die Malerei im zweiten Range unter der Wissenschaft (scienza) zu sitzen und von der Poesie den Kranz zu erhalten. Unwillkürlich erinnert man sich der trecentistischen Darstellungen der Künste, in der Spanischen Kapelle, in Giustos Eremitanifresken in Padua u. s. w. Denn gleich dem Dichter hat auch der Maler Freiheit zu bilden, wie es ihm die Phantasie erlaubt, sitzende oder aufrechte Figuren, halb Mensch, halb Roß.

Dreierlei ist an dieser Stelle bemerkenswert. Einmal die uralte, bis in die altgriechische Zeit zurückreichende Vergleichung des Malers mit dem Dichter, das berühmte ut pictura poesis, ein geflügelter Concetto des Altertums, der bis auf Lessings Laokoon sein Wesen in page 80 der Kunsttheorie getrieben hat. Er stammt in dieser Fassung bekanntlich aus der Poetik des Horaz (v. 361) und hat dort allerdings einen wesentlich andern Sinn. Daß Cennini, sei es unmittelbar, sei es auf einem Umwege, seinen Vergleich aus dem viel gelesenen, auch in Dantes Convito benützten Schulbuch bezogen hat, lehrt das weiterfolgende Beispiel des Kentauren, mit dem die Epistola ad Pisones beginnt:

Humano capiti cervicem pictor equinam Jungere si velit......

und Horaz (der sich gegen diese Auffassung übrigens polemisch verhält) faßt die Meinung der Gegenpartei in den Satz:

pictoribus atque poetis Quidlibet audendi semper fuit aequa potestas.

Das ist wohl die älteste Spur dieses einflußreichen Werkes in der Kunsttheorie, die im weiteren Verlauf einen solchen Schatz an geflügelten Worten und Gemeinplätzen daher übernommen hat.

Ferner meldet sich zum ersten Male, wenn auch nur flüchtig und, wie man sieht, aus antiker Grundlage erwachsend, das später endlos ausgesponnene Thema vom Rangstreit der Künste, der Paragone.

Zuletzt, und das ist das Wichtigste für uns, wird hier zuerst, am Vorabend der Renaissance, aus der Künstlerpraxis heraus ein Vorstoß unternommen, die bildende Kunst aus den Banden des Handwerks, der ars mechanica, zu lösen, und zwar mit einem Elemente, das wieder antikem Denken angehört. Der Malerei gebührt die zweite Stelle nach der Wissenschaft, neben und vor der Poesie. Es ist der Weg, den die Theoretiker der Folgezeit weiter gewandelt sind und der schließlich zu dem Concetto der selbstherrlichen »schönen Kunst« führte.

Nicht umsonst steht Cenninis Buch auf der Scheide zweier Perioden. Es enthält antik-mittelalterliche und moderne Elemente; er selbst betont ausdrücklich das »Moderne« an Giottos Stil. Zum ersten Male erscheint dieser wichtige, schon früher gebrauchte Terminus in der italienischen Kunsttheorie. Wohl wird schon die Natur als sicherste Führerin genannt (c. 28), begreiflich genug in einer Zeit und Umgebung, die, wie besonders die Fresken der veronesisch-paduanischen Schule zeigen, ein unmittelbares und ziemlich ausgiebiges Modellstudium pflegte, aber für den nach dem Norden verschlagenen Giottisten hat das Wort doch kaum viel mehr Bedeutung als für seine Landsleute aus dem Laienstande, Boccaccio und Villani (s. oben), und er bleibt den Traditionen seiner Schule in allem Wesentlichen zugetan. Die Typik und die Vorherrschaft des mittelalterlichen exemplum tritt uns fast in allen seinen Vorschriften und Ratschlägen entgegen. Führt die Regel, im Freien zu zeichnen und dann die Sonne stets zur Linken zu haben (c. 18), gleich auf antik-südlichen Boden, so sind page 81 die weitern Einzelheiten doch wieder ganz mittelalterlich formelhaft, wie denn in Cenninos Werkstatt genau so mit Bausen nach ältern Vorbildern gearbeitet wird als etwa in den Ateliers der Athosklöster (c. 28). Die Stellen des Gesichtes werden genau bezeichnet, wo der Schatten zu sitzen hat: Nase, Lippen, Mundrand, Kinn u. s. w. Ebenso wird die Weise, in der Agnolo Gaddi das Wangenrot anlegte, genau geschildert und zur Nachahmung empfohlen, da sie dem Gesicht mehr »relievo« gebe. Dieser wichtige Kunstausdruck tritt uns hier ebenfalls zum ersten Male entgegen. Ebenso formelhaft sind die perspektivischen Vorschriften (c. 87). Die obern Gesimse der Architekturen sollen fallend, die untern steigend gebildet werden; das ist noch nicht einmal die rein empirische Manier, die in Flandern geübt wurde, als die toskanischen Maler bereits die mathematische Konstruktion begründet hatten. Genau so formelhaft sind die Vorschriften für die Landschaftsmalerei; hier finden wir den oft zitierten Rat, große unbehauene Steine als exempla im Atelier zu halten. Es handelt sich um die merkwürdig schematische, aus der Antike vererbte Darstellung des Terrains mit abgetreppten Felsen, die sich in den Bildwerken des Trecento mit ungemeiner Zähigkeit erhält und auch in die französische Miniaturmalerei übergegangen ist. Im übrigen muß man Malern in dieser Richtung schon etwas zu gute halten; noch in unsern Tagen empfahl Böcklin dem Wiener Meister Scharff, als dieser seine Keller-Medaille arbeitete, nicht etwa im Scherz, sich, was den Bart Meister Gottfrieds anlange, an eine Taxushecke zu halten (Frey, A. Böcklin, S. 183), und im 18. Jahrhundert befürwortet ein anderer berühmter Schweizer, Salomon Geßner, in seinem Brief über die Landschaftsmalerei (Werke, Zürich 1777, I, 176) fast dieselbe Praktik wie der alte Cennini: »Ein Stein kann mir die schönste Masse eines Felsens vorstellen und ich hab es in meiner Gewalt, ihn ins Sonnenlicht zu halten, wie ich will, und kann die schönsten Effekten von Schatten und Licht, und Halblicht und Widerschein, dabey beobachten.«

Wichtig und merkwürdig ist Cenninis Kapitel über die Proportionen des Menschen (c. 70); es ist wieder das erste Mal, daß sie in einem Kunsttraktat zur Sprache kommen. In der Theorie behaupten sie von da an ihre feste Stelle bis auf unsere Zeit herab. Empirischer Formeln solcher Art hat eben keine Werkstattpraxis seit altägyptischer Zeit entraten können, selbst im Malerbuche des Athos fehlt das Kapitel nicht, hier freilich wohl (seiner ganz späten Redaktion [s. o.] entsprechend) auf abendländisch-italienischer Grundlage. Cenninis Angaben, die Einschreibung der menschlichen Figur in den Kreis, die acht Gesichtslängen des Körpers, die Dreiteilung des Gesichtes nach Nasenlängen verraten deutlich die antike Quelle. Es ist der berühmte Passus in Vitruvs Architekturbuch (III, 1), der die antike, page 82 für uns mit Polyklets Kanon beginnende Praxis kompendiert. Doch muß Cennini den damals noch wenig gekannten Vitruv nicht geradezu benützt haben, obwohl auch Filippo Villani mit der Kenntnis desselben prunkt. Daß nämlich Vitruv, der, wie erinnerlich, noch in karolingischer Zeit gelesen und praktisch kommentiert wurde, mindestens den Gelehrten der Scholastik nicht unbekannt war, zeigt das wörtliche Zitat der Proportionslehre, das Vinzenz v. Beauvais in sein großes Speculum naturale (L. XXVIII, 2) herübergenommen hat, und die freilich von Mystik umnebelten merkwürdigen Körpermaße in einer Vision der hl. Hildegard von Bingen (veröffentlicht im Repertorium f. Kunstw. XXXII, 445; vgl. zu dem Ganzen meine Ghiberti-Ausgabe, Berlin 1912, II, 33).

Echt mittelalterlich, obgleich auch hier ein (freilich dieser Zeit nicht mehr verständlicher) Nachklang von der Antike her nachzittern könnte, ist die Ausscheidung der Frau aus der Proportionslehre, weil sie kein »Ebenmaß« besitze, ein Gedanke, der übrigens selbst in modernster Zeit, nicht nur in dem grobianischen Paradoxon Schopenhauers, immer wieder aufgeflattert ist. Hier wirkt aber wohl stark die ablehnende Haltung der Kirche gegen das Weib mit, das die Erbsünde in die Welt gebracht hat und in ihrem Bereiche zum Schweigen und Dienen verurteilt ist (vgl. auch das, was oben über die Frauenliebe gesagt wurde). Im gleichen hat die unvernünftige Kreatur keine Proportion, daher man sich an die »Natur« zu halten habe; naiver kann die Hohlheit dieser ganzen künstlichen Proportionsdogmatik, in der ein Atelierbehelf sich als Gesetz gebärdet, nicht ausgedrückt werden. Daß Cennini ein Mensch des Mittelalters ist, zeigt seine völlige Unkenntnis der Anatomie; er ist fest im Bibelglauben, daß der Mann eine Rippe weniger als die Frau habe. Dergleichen hat nun freilich wenig praktische Bedeutung; dafür ist die Forderung der geziemenden Farbe, braun für den Mann, weiß für die Frau, im rhetorischen Concetto des Decorum sowohl als in der Praxis selbst ein Nachklang antiker Ateliergewohnheiten, der sich übrigens selbst noch im 17. Jahrhundert mitunter recht auffällig bemerklich macht. Die Antike selbst, als Form, spielt bei Cennini aber noch nicht die mindeste Rolle; das könnte für seine Zeit und seine Umgebung recht verwunderlich scheinen, denn Padua war damals schon eine echte Humanistenstadt, in der der Preis des Altertums laut verkündet wurde, und die merkwürdigen Denkmünzen der Carraresen, die Cennini wohl selbst noch gesehen hat, gehören zu den ältesten und merkwürdigsten Zeugnissen des italienischen Klassizismus. Aber Cennini ist viel zu fest mit der Praxis der heimatlichen Giotteske verwachsen; wie fremd er im Grunde antikem Wesen gegenübersteht, zeigt seine ganz mittelalterlich fabulose Vorstellung von der Art, wie page 83 die nackten Statuen des Altertums entstanden seien, nämlich als Nachahmungen von Naturabgüssen über der ganzen Figur, über die er sich ausführlich verbreitet (c. 182); das Akademisch-Formelhafte ist übrigens auch hier leicht zu erkennen. Dergleichen lag nun nahe genug; war doch die Technik des Wachsabgusses (als Lebens- oder Totenmaske) seit dem Altertum nicht verloren gegangen, wurde selbst an den nordischen Königshöfen geübt und ist namentlich in Toskana die Grundlage eines blühenden Gewerbes, der ceraiuoli und ihrer boti für die Gnadenkirchen (vgl. meine Geschichte der Porträtplastik in Wachs, im Jahrbuch des Allerh. Kaiserhauses, Bd. XXIX, 171 ff.). Cennini lehrt auch das Ausgießen dieser Formen in Metall; die Renaissance hat dann, wie bekannt, von der monumental in Bronze behandelten Totenmaske reichlichen Gebrauch gemacht, wie wir aus vielen Zeugnissen wissen.

Im übrigen ist das Atelier des Cennini noch ganz zünftig und handwerksmäßig eingerichtet; es übernimmt alle Arten gewerblicher Arbeiten, das Bemalen von Fahnen, Schildern, Truhen, Vorzeichnungen für Sticker und Zeugdrucker, selbst das kunstgerechte Schminken der Damen. Alles das geht ja noch ins 15. Jahrhundert fort, wohl auch darüber hinaus; Handwerk und Kunst, ars mechanica und liberalis sind noch einträchtig beisammen. Die Trennung der hohen »schönen« Kunst vom offiziell verachteten »Kunstgewerbe«, des »Kunstmalers« vom »Flachmaler« hat sich dann seit der Virtuosenzeit der Spätrenaissance vollzogen, und erst die modernste Entwicklung hat sie wieder fallen lassen, in Theorie wie in Praxis.

Endlich ist Cenninis Traktat ein erster und merkwürdiger Zeuge für die aus der Atelierpraxis heraus entwickelte, bei ihm schon ziemlich gefestigte Terminologie der Kunstausdrücke. Einige dieser Termini, denen ein langes Leben beschieden war, haben wir schon erwähnt; Milanesis treffliches Glossar zu seiner Ausgabe gibt übersichtliche Auskunft. Ich will hier nicht auf die besonderen technischen Ausdrücke eingehen, sondern nur kurz einige Begriffe allgemein theoretischen Gehalts herausheben: »Disegno« der bei Cennini schon den Sinn angenommen hat, in dem ihn die spätem Theoretiker gebrauchen; er ist das fondamento dell' arte zusammen mit dem Kolorit (il colorire, c. 4) und bedeutet über die bloße »Zeichnung« hinaus die innere, durch die Theorie gefestigte Form: [il disegnare di gesso]... ti farà sperto pratico, e capace di molto disegno entro la testa tua (c. 13), und besonders das abschätzige Urteil c. 171 über die Miniatoren, die mehr pratica als disegno haben. Während der Ausdruck esempio (c. 8 u. ö.) der mittelalterlichen Kunstterminologie angehört, sind das schon erwähnte rilievo (c. 9) für Modellierung, das (auch das Malerbuch von Athos hinübergewanderte) naturale (c. 28) l' ignudo (c. 71), sfumare (c. 31, 71), maniera (c. 27) Ausdrücke, die aus der Kunstsprache von da ab nicht mehr verschwunden sind.

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Zweites Buch: Die Frührenaissance Leonardos Vermächtnis

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I. Die historische Literatur

1. Lorenzo Ghiberti.

Ein Hauptmoment der neuen Entwicklung ist das Erwachen des historischen Sinnes, den das Mittelalter nicht, oder jedenfalls nicht in dieser Weise gekannt hat. Billig stellen wir darum nicht den bedeutendsten Theoretiker, L. B. Alberti, an die Spitze, sondern die ehrwürdige Gestalt des Ahnherrn der kunsthistorischen Literatur im eigentlichen Sinn des Wortes, den großen Bronzebildner Lorenzo Ghiberti (1378 bis 1455), um so mehr, da er unmittelbar aus einer giottesken Malerwerkstatt des voraufgehenden Jahrhunderts herausgewachsen, schon in seiner Person die alte mit der neuen Zeit verbindet und in seinem berühmten zweiten »Kommentar« sein eigenes Leben mit der Ahnenreihe der Trecentisten einleitet. Da ich jedoch Ghibertis Schrifttum in sogleich zu nennenden Ausgaben ausführlichst behandelt habe, so will ich der Vollständigkeit willen nur die bibliographischen Angaben sowie einen knappsten Umriß des Tatsächlichen hierhersetzen und verweise für alles sonstige auf die genannten Publikationen.

Die drei Commentarii Lorenzo Ghibertis sind eine Frucht seines späten Alters; das beweist die Nennung seiner letzten großen Bildwerke und der aus seiner wunderlichen Olympiadenrechnung zu erschließende Ansatz seines römischen Aufenthalts im Jahre 1447. Nur die erste theoretische Schrift der neuen Zeit, Albertis Buch von der Malerei, ist früher (1439) entstanden. Ghibertis Bezeichnung seiner Schrift als Commentarii ist für ihn wie für sein humanistisches Mittel sehr bezeichnend; er will darin tatsächlich die Summe seines Lebenswerkes nach allen Richtungen hin ziehen, und darum habe ich den Titel so verdeutscht, wie er dem antiken Namen und der Absicht des Autors entspricht, als »Denkwürdigkeiten«; übrigens hängen sie auch sicher ihrem geistigen Wesen nach mit der national-florentinischen Memoirenliteratur der Ricordi zusammen. Der große Traktat ist in der einzigen auf uns gekommenen Kopie, noch derselben, die Vasari im Besitze Cosimo Bartolis sah und benützte, unvollständig page 88 erhalten und bricht so unvermittelt ab, als hätte der Tod dem Autor an die Feder gerührt; daß dieser Schluß wirklich berechtigt ist, können wir freilich nicht beweisen; wir dürfen aber annehmen, daß dem sogenannten Anonymus der Magliabecchiana noch ein besserer Text, vielleicht das Original selbst, vorgelegen hat. Jedenfalls trägt aber namentlich der dritte Kommentar den Charakter eines ersten Entwurfes, an den die letzte ordnende Hand nicht mehr gelegt werden konnte. Eine Widmung an einen vornehmen, jedoch nicht mit Namen genannten Mann war beabsichtigt; vielleicht könnte man an Niccolò Niccoli denken.

Der erste Kommentar ist völlig antik nach Inhalt und Form; dafür ist besonders bezeichnend der lang verkannte Eingang, den Ghiberti merkwürdigerweise einem verschollenen Kriegsingenieur der Diadochenzeit, dem ältern Athenaeus, entlehnt hat, wie er denn auch weiterhin im Sinne seiner den Begriff des Plagiats kaum kennenden oder wertenden Zeit solche Anleihen und Aneignungen reichlichst gemacht hat. Auch das Programm der enzyklopädischen Künstlerbildung, das er aufstellt, ist einem alten Autor, Vitruv, entnommen; selbständig und neu ist Ghiberti aber auch hier, wenn er, seiner Sache voll bewußt, Perspektive und Anatomie als wesentliche Fächer aufnimmt. Hieran schließt sich die älteste Bearbeitung der alten Künstlergeschichte, wie sie durch Plinius überliefert ist; die vielen Mängel und Mißverständnisse, oft seltsamer Art, die sie enthält, müssen wir um so milder beurteilen, als Ghiberti noch auf eine der Handschriften des alten Autors angewiesen war, deren Gestrüpp erst die spätere philologische Textkritik mit schwerer Mühe gerodet hat; die Editio princeps des Plinius, wie die vollständige Übersetzung des Landino sind beide erst nach Ghibertis Tode erschienen (1469, beziehungsweise 1476) und leiden ebenfalls noch an vielen Mängeln. Wie selbständig und bei aller Naivetät doch kritisch Ghiberti der von ihm so hoch verehrten Überlieferung der Antike gegenübersteht, lehrt manche merkwürdige Stelle, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann.

Der zweite Kommentar setzt die historische Erörterung fort; auf die Periode des »mittleren Alters« (ein concetto, der schon im vorhergehenden Humanismus, bei Boccaccio und Villani erscheint) folgen die ältesten Künstlerbiographien stilistischer Art, die wir kennen (wenn man die merkwürdigen Biographien der provençalischen Troubadours ausnimmt) nicht Anekdotensammlungen — wie denn Ghiberti der Anekdote mit Bewußtsein aus dem Wege geht, besonders auffällig im Kapitel des populären Eulenspiegels Buffalmacco — sondern das Leben des Künstlers in ihrem Werk betrachtet. Ghiberti ist unser Kronzeuge für das Trecento, er berichtet auch hier fast nur »Denk page 89 würdigkeiten«, selbst Erschautes und Erlebtes, und literarische Vorlagen sind bei ihm so gut wie gar nicht nachzuweisen, sehr zum Unterschied von seiner sonstigen, unbekümmert plagiierenden Arbeitsweise. So sehr er, wie natürlich, Florenz und Toskana in den Vordergrund stellt, fehlt doch nicht die Aufmerksamkeit auf das außerhalb der engern Heimat, wie in Rom und Neapel, selbständig Geleistete, ja er nennt und wertet außerordentlich hoch einen zeitgenössischen nordischen Vertreter der eigenen Kunst, den deutschen Bildhauer »Gusmin«, in dem Swarzenskis feine Analyse den großen Meister der neuerworbenen Kreuzigungsgruppe in Frankfurt wiederentdeckt hat. Auch das ist höchlich bezeichnend für ihn. Das ist nun Ghibertis eigene Ahnenreihe; denn nun folgt die erste Selbstbiographie eines Künstlers, die wir kennen, wiederum nicht in Erzählung äußerer Schicksale, sondern in dem innern Leben der eigenen Werke bestehend; es sind die alten ricordi, die chronologischen Denkwürdigkeiten des Eigenlebens, in eine besondere Sphäre gehoben. Mehr als ein Jahrhundert vergeht, bis wieder ein Bildner, freilich mit den ausgesprochenen literarischen Neigungen seines Zeitalters in dieser Weise zur Feder greift: Benvenuto Cellini. Was dazwischen von Künstleraufzeichnungen liegt, sind fast nur trockene Geschäftsnotizen, nach guter alter Florentiner Handwerkssitte, wie die ricordi des Neri di Bicci und Späterer. Auch Ghiberti hat solche Tagebücher geführt, eines davon, das freilich nur wirtschaftliche Angelegenheiten seines selbsterworbenen Gütchens diente, hat Baldinucci noch benützt; es ist lange Zeit verschollen gewesen und erst in jüngster Zeit wieder zum Vorschein gekommen. An Leistungen literarischer Art, wie sie uns in der ganz einzig dastehenden Vita nuova Dantes oder in Petrarcas berühmten »Brief an die Nachwelt« vorliegen, darf man bei Ghiberti natürlich nicht denken; sie stehen aber auf gleicher Stufe mit der früh in Florenz erscheinenden Memoirenliteratur, als deren köstliches Beispiel wohl die Hauschronik des Donato Velluti († 1370) anzuführen ist. Am Schlusse des zweiten Kommentars stellt Ghiberti noch einen Architekturtraktat in Aussicht; seine langjährige Mitarbeiterschaft am Dombau neben Brunellesco gibt ihm dazu Veranlassung und Beruf; ob der sogenannte Zibaldone der Familie Ghiberti wenigstens in seinen Vitruvexzerpten auf Lorenzo zurückzuführen ist, bleibt freilich eine offene Frage.

Der dritte und letzte, an Umfang größte Kommentar enthält, getreu dem von Ghiberti aufgestellten Programm, den Versuch, die theoretischen Grundlagen der Kunst festzulegen, in wiederholten Anläufen, die den Charakter des ungeordneten Entwurfes noch deutlicher machen, unter Hinzufügung schematischer Zeichnungen. Vor allem liegt Ghiberti die Optik am Herzen, und es ist fast rührend zu sehen, page 90 mit welchem Eifer sich der alte Künstler in ein uferloses Meer wissenschaftlicher Spekulation hinauswagt. Es ist antik-mittelalterliches Schulwissen, das Ghiberti vorzugsweise nach einem berühmten arabischen Handbuch, der Optik des Alhazen, vorträgt, den er auch gebührend oft neben Ptolemaeus und Vitello als Gewährsmann nennt; wie weit seine Selbständigkeit geht, ist noch nicht ausgemacht, vorhanden ist sie hier gewiß, wie auf anderen Gebieten, um so mehr, da er nicht selten die Ansichten verschiedener Autoren kritisch miteinander zu vergleichen sucht. Hier schreitet also Ghiberti ebenfalls der zahllosen Schar der Späteren voran, die in heißem Bemühen der bildenden Kunst eine feste wissenschaftlich begründete Unterlage zu geben versuchten. Seine Originalität zeigt sich vor allem auch in den merkwürdigen Fundberichten über Antiken in Florenz, Siena und Rom, die er seinen Darlegungen über freies und gedämpftes Licht als Beispiele einschaltet; auch hier ist es das erstemal, daß sich ein Künstler mit künstlerischem Sinn über diese nationalen Heiligtümer vernehmen läßt; wir kennen ihn ja auch als einen der ältesten Sammler von Antiken.

Den fragmentarischen Schluß bildet endlich der Versuch einer Proportionslehre, auch ein Thema, das in Italien nicht nur durch den gleichzeitigen Alberti, sondern vor allem durch die Späteren überreichliche Nachfolge gefunden hat. Auch hier erweist sich Ghiberti als originell und selbständig denkender Kopf; er kritisiert nicht nur die Lehre Vitruvs, die ja den Ausgangspunkt aller dieser Untersuchungen bildete, sondern stellt neben den vitruvianischen auch einen andern Kanon, der in der Renaissance unter dem Namen des Varro läuft und anscheinend altes Ateliergut ist, da er auch bei Gauricus und Dürer auftritt und eine Spur selbst bis auf Cennini zurückleitet. Zum erstenmal tritt dann hier auch die lange nachwirkende Praktik auf, die menschliche Figur aus einem Gradnetz zu konstruieren, Dinge, die in abstrakter Form schon die gotische Bauhütte Villards gekannt hatte.

Die große kunsthistorische Bedeutung Ghibertis liegt in seiner fast unbedingten Zuverlässigkeit, künstlerischen Einsicht und Redlichkeit; seine allgemein historische Rolle ragt aber über diesen Quellenwert noch beträchtlich hinaus, denn er hat die durch Vasari und seine Nachfolger verschleierte echte Künstlergeschichte als erster in Umrissen gesehen. Welchen Anteil er im besonderen an der Bildung einer festgeprägten italienischen Kunstprosa gehabt hat, mag man aus dem meiner großen Ausgabe angehängten Indiculus Ghibertianus ersehen.

Der zweite Kommentar Ghibertis ist zum erstenmal von Cicognara in seiner Geschichte der Plastik (Prato 1823, IV, 208 ff.) abgedruckt worden; den fehlenden Anfang trug page 91 v. Rumohr im Kunstblatt 1821, dann in seinen Italienischen Forschungen I, 290, nach; er ist überhaupt der erste, der Ghibertis Traktat in vollem Umfange genützt hat. Die Antikenbeschreibungen des III. Teils hat ein anderer, um die italienische Kunstgeschichte hochverdienter Nordländer, Gaye, im Bullettino dell’ Istituto, Rom 1837, 67—70, zum erstenmal veröffentlicht. Dann gab G. Milanesi den zweiten Kommentar als Beigabe zu seiner ersten Vasari-Ausgabe (Le Monnier, Florenz 1846, vol. I), hat ihn aber in der zweiten, bei Sansoni erschienenen, nicht mehr wiederholt. Endlich hat Frey alle bisher edierten Stücke, nach der Handschrift revidiert, in seinen Ausgewählten Biographien des Vasari, Berlin 1886, Bd. III, gesammelt. Eine französische Übertragung des bis dahin gedruckten Materials gab Perkins im Anhange zu seiner Biographie Ghibertis, Ghiberti et son école (Paris 1885). Erste deutsche Übersetzung von dem Verfasser dieses Buches: Die Denkwürdigkeiten des florentinischen Bildhauers L. G. Berlin, Bard 1920 (nur die historischen Abschnitte, mit ausführlicher Einleitung über G. als Schriftsteller). Eine vollständige Ausgabe auf Grund der Handschrift der Biblioteca Nazionale in Florenz (Magliabecchiana, Cod. XVII, 33) habe ich endlich bei Bard in Berlin 1912 in zwei Bänden erscheinen lassen (Bd. I Text, Bd. II Kommentar). Eine Handausgabe der Commentarii kündigt Pellizzari a. a. O., S. 49, an.

Die wertvollsten Erörterungen über Ghibertis Traktat findet man in Freys Ausgabe des Anonimo Magliabecchiano, Berlin 1892, S. XXXIX f. und des A. Billi (ebenda), p. XVII f. sowie besonders in den von mir herausgegebenen »Vasaristudien« Kallabs, Wien 1908, p. 151 f. Eine zusammenfassende, durch manches Corollar vermehrte Behandlung des Ganzen habe ich in meinen »Prolegomena zu einer künftigen Ausgabe Ghibertis« im Jahrbuch der k. k. Zentralkommission (auch separat, Wien 1910) zu geben versucht, wozu die in manchen Einzelheiten erweiterte und überarbeitete Einleitung im II. Bande meiner großen Textausgabe (ferner die zu meiner Übersetzung) kommt. Ghibertis Olympiadenrechnung wurde, jedoch nichts weniger als einwandfrei, von Hermanin im Jahrbuch der Gallerie Nazionali Italiane V, 1902, 81 f.), dann von Rathe, Der figurale Schmuck der alten Domfassade in Florenz, Wien 1910, 123 f., untersucht. Über den deutschen Bildhauer Gusmin handelt Swarzenski in zwei vorläufig orientierenden Aufsätzen der Zeitschrift »Die Rheinlande« XIV, 1914, 379 f. (Salve crux laudabilis. Eine deutsch-italische Künstlergeschichte). Über Ghiberti als Stilisten sprechen D’Ancona und Bacci in ihrem Manuale della letteratura ital., Florenz 1905, II, 54. In seiner Gesch. d. neusprachl. wiss. Lit. I, 88—109, gibt Olschki eine Würdigung G. s, die scharf (wohl allzuscharf) den fruchtlosen wissenschaftlichen Dilettantismus unseres Autors beleuchtet, freilich aber, ihrem Programm gemäß die großen Verdienste G. s um die historisch und kunsttechnische Literatur unberücksichtigt läßt. Dazu in Beilage I, S. 452, noch einiges über G. s Verhältnis zu den arabischen Quellen. Den »optischen Traktat« hat mein Freund Prof. Arturo Castiglioni in Triest behandelt: Il trattato dell' ottica di L. G., Rivista di Storia critica delle Scienze mediche e naturali Anno XII, Siena 1921.

Über den Zibaldone des Buonaccorso Ghiberti († 1516) in der Magliabecchiana (XVII, 2) ist jetzt ein Aufsatz von Corwegh in den Mitteilungen des kunsthistorischen Instituts in Florenz IV (1910) zu vergleichen; einige Skizzen daraus hat Burger, Das florentinische Grabmal, p. 399, veröffentlicht. Auszüge in französischer Übertragung mit Konkordanzen aus Vitruv hat schon früher Perkins in seiner Ghibertimonographie gegeben. Das von Baldinucci (Notizie V, 40) benützte Ausgabenbuch des Ghiberti ist jetzt im Besitze des Hofantiquars Rosenthal in München aufgetaucht, aber bis jetzt nicht veröffentlicht worden. Bloß eine romantische Mystifikation ist August Hagens Produkt: Lorenzo Ghibertis Chronik seiner Vaterstadt, Leipzig 1833 (italienisch Florenz 1845), die aber gelegentlich ernst genommen worden ist.

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2. Die übrigen historischen Schriften des Quattrocento.

Unmittelbar an Ghiberti läßt sich der Florentiner Cristoforo Landini († 1504) anschließen, als der erste, der den ganzen Plinius ins Volgare übertragen hat; die Editio princeps des lateinischen Textes war 1469 in Venedig bei Johannes de Spira gedruckt worden. Landinis Übersetzung erschien zuerst 1473 in Rom und hat trotz ihrer Mangelhaftigkeit viele Auflagen erlebt. Während Ghibertis Kompendium der alten Kunstgeschichte bis auf die neueste Zeit im Manuskript schlummerte, schöpften die Späteren vielfach aus diesen Ausgaben, so vor allem Billi, der Anonymus der Magliabecchiana, und Adriani in seinem Vasaris zweiter Ausgabe vorangestellten Kompendium der alten Künstlergeschichte. Landini hat seine Arbeit auch selbst verwertet; in seinem zu Florenz 1482 gedruckten Horazkommentar gibt er einen gedrängten Abriß der alten Künstlergeschichte. Das Wichtigste für uns ist jedoch sein großer Dantekommentar von 1481, weil ihm eine »Apologie« des Dichters und seiner Vaterstadt gegen ihre Verleumder vorausgeht. Landini gibt hier eine Überschau alles dessen, was Florenz anf dem Gebiete der Kultur geleistet hat, nach Kategorien der berühmten Männer geordnet, wobei selbstverständlich, wie man jetzt schon sagen muß, die bildende Kunst nicht vergessen ist.

Übrigens ist es bezeichnend, daß der hier gegebene Abriß der Florentiner Kunstgeschichte gerade wieder in einem Kommentar zu dem Dichter sich findet, der sozusagen den Zellkern darstellt, aus welchem jene entsteht. Landini lehnt sich für das Trecento an Villani an und setzt ihn bis auf seine eigene Zeit hinab fort, die er mit auffallender Kürze behandelt; Ghibertis Kommentare sind ihm allem Anscheine nach unbekannt geblieben. Ganz in Villanis Art werden kurze zugespitzte Urteile über die berühmtesten Florentiner Künstler des 15. Jahrhunderts von Masaccio an bis auf die beiden Rossellini herab gegeben, die als Niederschlag des zeitgenössischen Urteils wichtig genug sind; freilich enthalten sie nur geringen Tatsachenstoff. Für derlei Charakteristiken war auch das klassische Altertum vorbildlich; die berühmten Stellen in der vielgelesenen Rhetorik Quintilians (Buch X) haben sicher dabei vorgeleuchtet. Frey hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß nur Künstler besprochen sind, die bereits verstorben waren und dadurch ein halbwegs abschließendes Urteil erlaubten; ein Verfahren, das auch noch Vasari, wenigstens in seiner ersten Auflage, beibehalten hat.

Landinis Sentenzen sind merkwürdig genug, um etwas nähere Betrachtung zu verdienen. Schon wie er seinen Vorgänger bisweilen interpoliert, der, selbst schon reichlich von neuem Geiste des Humanismus erfüllt, die alte Zeit mit ganz andern Augen betrachtet, ist erwähnenswert. Von Cimabue heißt es, daß er die lineamenti-naturali page 93 und die wahre Proportion, die die Griechen simmetria nennen, gefunden habe — das letztere eine deutliche Anleihe aus der alten Kunstschriftstellerei. Auch daß er die Figuren, die bei den Frühern tot waren, zum Leben erweckt habe, steht in dieser Form nicht bei Villani; man sieht wiederum in die fortschreitende Heroisierung des angeblichen Ältervaters der toskanischen Malerei hinein. Im Werke des Giotto erscheint die Kapelle der Lupi neben dem Santo zu Padua ganz von seiner Hand gemalt, die Villani nicht hat. Bei dem früh verstorbenen Masaccio wird im Sinne des Zeitalters die Nachahmung des Wirklichen, das Relief der Figuren, und die ausgezeichnete Perspektive nach Gebühr hervorgehoben. Fra Filippo wird in der Komposition, im Kolorit und rilievo besonders tüchtig genannt, lauter Schlagworte, die aus der Theorie nicht mehr verschwinden und sich immer mehr zu Schulkategorien auswachsen. Andrea del Castagno wird als großer Zeichner, aber auch als Liebhaber der Schwierigkeiten der Kunst, besonders der Verkürzungen, gelobt. Paolo Uccello ist wieder ein großer Compositore, stark in der Tiermalerei und in der Perspektive; auch Pesello sucht in der ersteren seinesgleichen. Bei Fra Angelico wird die Anmut und Andacht betont. Brunellesco ist nicht nur der ruhmreiche Erbauer der Domkuppel, sondern auch der Pfadfinder in Malerei wie in Plastik, namentlich was die Perspektive anlangt, wie noch vorhandene Werke seiner Hand bezeugen. Donatello ist würdig, neben den Alten genannt zu werden nella varietà pronto und höchst lebendig im Ausdruck seiner Figuren, die alle in Bewegung erscheinen. Der jung gestorbene Desiderio, zart und anmutig, konnte sich in der Glätte niemals genug tun. Ghiberti, mit unverdienter Kürze behandelt, erscheint doch als der Schöpfer seines Hauptwerkes, das man später die Paradiesestür zu nennen gewohnt war. Mit den beiden Rossellini endet, wie gesagt, der Künstlerkatalog; die Fortsetzung, die Francesco Sansovino in seiner Ausgabe dieses Dantekommentars (1564) hinzugefügt hat, zeigt den veränderten Stil und Geist der Zeiten.

Wie man in Florenz das von Villani Begonnene weitergeführt hat, zeigt ferner eine unmittelbare Fortsetzung seiner Schrift, die in einem Sammelbande der Magliabecchiana (XVII, 1501) seinen Kapiteln angehängt ist, die XIV uomini singhularj in Firenze dal 1400 innazi. Neben Leonardo Bruni, Poggio u. a. sind acht Maler und Bildhauer des Quattrocento besprochen, Brunellesco, Donatello, Ghiberti, Masaccio, Fra Angelico, Fra Fillipo, P. Uccello, Luca della Robbia — wie man sieht, sind es so ziemlich die führenden Künstler der ersten Quattrocentohälfte, die wir auch heute noch als solche erkennen. Der Sammelband rührt, wiederholten Vermerken gemäß, von dem berühmten Mathematiker Antonio di Tuccio Manetti (1423—1497) her; ob er wirklich der Autor oder, wie Chiappelli meint, bloß der Kopist ist, wird noch page 94 später zu erörtern sein. Die Art der Würdigung schließt sich eng an das Vorbild Villanis an; die Datierung der Schrift ergibt sich aus verschiedenen Anhaltspunkten. Eine Randnotiz des Inhaltes, daß »lo Scheggia«, der Bruder Masaccios, dem Autor am 15. September 1472 mitgeteilt habe, Masaccio sei am 21. Dezember 1401 geboren, kann freilich ein späterer Zusatz zum Texte sein, aber der Umstand, daß Luca della Robbias erst 1474 vollendete Sakristeitür des Domes im Texte erwähnt ist, und der einleuchtende Hinweis Freys, daß wie bei Landino nur Verstorbene berücksichtigt sind, während Leuchten des damaligen Florenz, wie Verrocchio († 1485), Ghirlandajo († 1492), Poliziano († 1494) noch nicht mit aufgeführt sind, lassen die Schrift wohl wirklich zwischen den Todesjahren Luca della Robbias, des als verstorben erwähnten Paolo Toscanelli (1482) und Verrocchios (1488) festlegen.

Künstlerkataloge solcher Art bleiben an der Stelle, wo sie schon der alte Villani eingefügt hatte, in Städte- und Landesgeschichten, fortan eine ständige Erscheinung. Aus Florenz wäre noch etwa das Buch des Ugolino Verino zu erwähnen (De illustratione urbis Florantiae libri duo), den historischen Daten nach im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, etwa zwischen 1502 und 1512 entstanden. Die Hauptkünstler der Stadt bis auf Leonardo und Perugino hinab werden darin, diesmal in Hexametern, kurz charakterisiert, freilich mit seltsamen Lücken, denn es fehlen so bedeutende Gestalten wie Filippino, Uccello, Andrea del Castagno, die Rossellini, selbst Fra Angelico und Michelangelo. Auch die merkwürdige »Anthropologie« des Raphael Volaterranus (Rom 1506) enthält ein Kapitel über die bildenden Künstler von Giotto bis auf Raffael und Michelangelo. Ebenso der »Spiegel der Steine« des Camillo Leonardo aus Pesaro, dessen Vorrede von 1502 datiert ist und der nicht nur Steinschneider, sondern auch eine Anzahl der namhaftesten Oberitaliener des ausgehenden Quattrocento (so Piero della Francesca, Melozzo, Gio. Bellino, Perugino, Mantegna) zu charakterisieren sucht. Alles das zeigt, wie tiefe Wurzeln der Anteil an bildender Kunst gefaßt hatte; woher diese Erscheinung sich letzten Grundes herleitet, ist nicht schwer einzusehen: aus dem lebhaften, durch Konkurrenzen und kommunale Bestellungen aller Art lebhaft geförderten öffentlichen Anteil an Kunstdingen. Notizen, die, für den bestimmten Zweck einer Bestellung angelegt, alle etwa in Betracht kommenden Künstler zusammenstellen, gelegentlich auch kurz charakterisieren, haben sich schon aus dem Trecento erhalten.

Aufzeichnungen solcher Art beginnen nun auch im übrigen Italien, jedoch sporadisch und außerhalb des großen innern Zusammenhanges, den sie in Florenz, der eigentlichen Heimat der europäischen Kunstgeschichte, besitzen. So hat Michele Savonarola, der Großvater page 95 des Frate, um 1440 seinem Lobspruche Paduas auch ein Kapitel über die dort wirkenden Künstler eingefügt, ausschließlich solche des Trecento, wie er denn selbst noch der altern Generation angehört. Seine Nachrichten sind zum Teil recht charakteristisch und intim. Echt italienisch und das Mittel, aus dem diese ganze Künstlerliteratur herauswächst, bezeichnend ist z. B. die Schilderung, wie der Menge am Sensafest der schon lange sehnsüchtig erwartete Zutritt zum großen Ratsaal in Venedig gewährt wird, wie die Beschauer sich vor den Gemälden des Guariento stauen und nicht vom Platze rücken wollen. Handelt es sich hier auch zunächst um rein stoffliches Interesse, um eine nationale Angelegenheit, so wird doch damit der Boden bereitet, auf dem allmählich auch, zumal im leichtempfänglichen Süden, ein Anteil formaler Art erwächst. Nach Besprechung der einheimischen Künstler Guariento und Giusto folgen, freilich auch in knappsten Zügen, die »ausländischen«, in Padua tätigen Meister, nach einer recht merkwürdigen Rangeinteilung. Giotto erhält natürlich den ersten Platz, als derjenige, der zuerst nach dem Mosaikenstil modernas figuras gebildet habe. Lokalpatriotischer Pragmatismus spielt schon recht auffällig in die geschichtliche Betrachtung herein: von der dignitas der Stadt angezogen, habe Giotto den größten Teil seines Lebens in ihr verbracht! Die zweite Stelle wird dem Jacopo Avanzi von Bologna gegeben; erst die dritte dem von uns so hochgeschätzten Altichiero von Verona. An vierter Stelle steht ein schattenhafter Stefano von Ferrara. Die große Bedeutung der Freskenstadt, als hoher Schule der Maler schon damaliger Zeit, wird gebührend hervorgehoben.

In einen andern höfischen Umkreis führt das Büchlein des Bartholomaeus Facius de viris illustribus. Dieser Schüler des Guarino von Verona, selbst ein Oberitaliener aus Spezia, hat am Hofe des berühmten Humanistenkönigs Alfons von Neapel gelebt, und dorthin weist auch das Werkchen, das vor 1457, wo er starb, jedenfalls in seinen letzten Lebensjahren, verfaßt sein muß. Auch hier erscheint die bildende Kunst nur im Rahmen eines größeren Ganzen. Nach einem aus dem Altertum überlieferten Schema, dem späterhin auch die Porträtsammlungen folgen, werden die berühmten Männer in Klassen (als Kriegshelden, Ärzte u. s. w.) vorgeführt; den Malern und Bildhauern ist eben eine solche zugewiesen. Da Facius nur hervorragende, zum Teil, wie Donatello, ihn überlebende Zeitgenossen behandelt, sind seine Nachrichten von bedeutender Zuverlässigkeit und nicht geringem Wert. Sie spiegeln vor allem wider, was an dem großen humanistischen Mittelpunkt des damaligen Italiens, am Neapler Hofe, als Welt- und Modekunst galt. Und da ist es vor allem das bedeutende Hervortreten der Niederländer, das uns auffällt; Facius’ Berichte sind die älteste schriftliche Quelle für die Geschichte der mit Italien so nahe und page 96 vielfach verknüpften altniederländischen Kunst. Denn von den vier »klassischen« Malern des Facius — in unserm Sinne gesprochen — wird Jan van Eyck nostri saeculi pictor princeps genannt; und aus Facius stammt unsere Kenntnis einer Reihe der auch gegenständlich merkwürdigsten, in Neapel befindlichen, leider aber verlorenen oder verschollenen Werke des Meisters. Charakteristisch ist es aber für den italienischen Berichterstatter, wie der Nordländer durchaus im südlichhumanistischen Sinne angesehen wird, eine Sache, die Felix Becker ganz schief aufgefaßt hat und die mit dem sonstigen Wert von Facius’ Angaben nichts zu tun hat. Jans Beschäftigung mit der »Geometrie« (d. i. der Perspektive) wird vom italienischen Standpunkt aus gewertet; die Anregung zu seiner Farbentechnik (den proprietates der Farben) soll er gar aus der Lektüre der Alten, namentlich des Plinius, übernommen haben! Was Facius an Einzelzügen hervorhebt, ist für die Auffassung der Italiener von diesen Dingen sehr bemerkenswert. An einer Verkündigung im Besitze des Königs selbst rühmt er die unübertreffliche Haarbehandlung; in einem Interieur die täuschende Raumvertiefung; an der Außenseite desselben Bildes, das die Bildnisse eines Ehepaares trägt, ad unguem expressum, fällt ihm die Naturbeobachtung eines durch eine Ritze eindringenden Sonnenstrahles auf; an einem Frauenbad im Besitze eines Kardinals Octavian bemerkt er die Spiegelwirkung (eine Frau von hinten gesehen) und andere realistische Einzelheiten an Landschaften mit ganz kleinen Figuren die Behandlung der Ferne — lauter intime, gut beobachtete Züge. Es nimmt uns für seine Zuverlässigkeit ein, wenn er bekennt, von andern Werken Jans, über die er keine sichere Kunde erhalten, nicht sprechen zu wollen. Dem Kapitel über van Eyck geht eines über Gentile da Fabriano voraus, es ist gefolgt von dem über Pisanello, beide, wie man weiß, Künstler, die mit der niederländischen Kunst in einem merkwürdigen Zusammenhang stehen und im ganzen damaligen Italien gesucht und geschätzt wurden. An vierter Stelle folgt endlich wieder ein Niederländer, Rogier van der Weyden, von dem in der Vita des Gentile ein merkwürdiges und symptomatisches Künstlerurteil (anläßlich seines Aufenthalts im Jubiläumsjahr 1450 in Rom) über den italienischen Künstler als den vorzüglichsten seiner Genossen, mitgeteilt wird. Wie aufmerksam Facius auf Kunstdinge ist, beweist seine aus zweiter Hand mitgeteilte Nachricht, daß Pisanellos Gemälde im Dogenpalast, von dem er auch bezeichnende Züge zu berichten weiß, durch Feuchtigkeit erheblich gelitten hätten. Von Rogier, den Facius zu einem Schüler Jans macht, kennt er ebenfalls eine Reihe von Werken aus persönlicher Anschauung, so ein Frauenbad in seiner Heimat (Genua), Leinwandbilder beim König Alfonso; aber auch von einem Bilde in einer Brüsseler Kirche hat er Kenntnis. Man sieht, page 97 welche Richtungen der Kunst des Quattrocento in seiner ersten Hälfte die italienischen Humanisten am meisten angezogen haben. Vor allem die eigentliche Modekunst der Höfe, eben die altniederländische, deren Schätzung im damaligen Italien uns unwillkürlich an den Japanismus späterer Zeiten erinnert.

Das Kapitel des Facius über die Bildhauer ist bedeutend karger; hier nennt er nur Toskaner, was freilich auch wieder bezeichnend ist; er meint auch, es gäbe wenig berühmte Bildner, obwohl er von »einigen Zeitgenossen« prophetisch voraussagt, daß sie einst mit Ruhm genannt sein würden. Namentlich aufgeführt und charakterisiert hat er nur Lorenzo Ghiberti und dessen Sohn Vittorio; der Altmeister († 1. Dez. 1455) war zur Zeit, als Facius schrieb, vielleicht noch am Leben, sicher jedoch Donatello, der als dritter genannt und ad antiquorum gloriam proxime accedere gerühmt wird; die Erwähnung seines Gattamelata (aufgestellt 1453) bietet übrigens auch (wie früher die Erwähnung des Jubiläumsjahres 1450) einen beiläufigen Anhaltspunkt zur Datierung der Schrift.

Diese ist das erste literarische Werk, das, ganz dem Umkreise, in dem es entstand, entsprechend, über den immerhin begrenzten Standpunkt des Florentiners hinausgeht, Gesamtitalien berücksichtigt, ja mehr noch, überhaupt unsere älteste Quelle für die einflußreichste Kunstrichtung außerhalb Italiens, die altniederländische, ist. Doch sei gleich hier vorgreifend bemerkt, daß Vasari keineswegs, wie Becker, einer Annahme Schnaases folgend, sagt, den »Kern« seiner Nachrichten über Jan van Eyck dem Facius verdankt; die Zusammenstellung der Parallelstellen beider Schriftsteller bei B. beweist eher das Gegenteil von dem, was er darlegen will.

Gewiß ist alles bei Facius vom besondern neapolitanischen Standpunkt aus gedacht und geschrieben; schon Ghiberti hatte ja in dieses Mittel hineingedeutet mit seiner köstlichen Legende vom Kölner Bildhauer »Gusmin«. Welche große und ernste Bedeutung dieser nordische »Realismus«, dessen intime Züge zu belauschen der italienische Humanist nicht müde wird, für Italien hat, ist hier nicht am Orte, weiter auszuführen. Daß die Nachrichten des Facius zu einem großen Teil auf Autopsie, zu einem andern auf ersichtlich gut unterrichteten Gewährsmännern beruhen, macht sie uns doppelt wertvoll.

An einen andern viel kleineren Hof, der aber für die Kultur der Nation von großer Bedeutung wurde, nach Urbino, führt uns der Lobspruch auf die Malerei, den Giovanni Santi, der Vater Raffaels, seiner Terzinenchronik der Taten des Herzogs Federigo einverleibt hat. Entstanden ist sie nach 1482, dem Todesjahre des Herzogs, und dessen Sohn Guidobaldo gewidmet. Der Anlaß zu dieser disputa page 98 della pittura (in Buch XXII, cap. 96 ff., v. 66 ff.) wird durch die Bewunderung gegeben, die der Herzog bei einem Aufenthalt in Mantua den Werken Mantegnas, dieses Bannerträgers der modernen Malerei, zollt. Seinen Stil, in dem das antikische Element und die Meisterschaft der Verkürzungen gebührend hervorgehoben werden, bezeichnet der fürstliche Mäzen durch Giovannis Mund als mustergültig und klassisch. Es folgt ein Lob der Malerei, für das Plinius und Vitruv als Zeugen ins Feld geführt werden. Charakteristisch ist die Verwahrung gegen ihre Einreihung unter die artes mechanicae. Der Perspektive, invention del nostro secul novo, wird ein Ehrenplatz eingeräumt; das Bewußtsein, in einer neuen Zeit zu leben, ist für diese Generation nicht minder bezeichnend.

Mit v. 120 beginnt die Aufzählung und knappe Charakteristik der berühmten Maler, sie schließt sich an die bedeutsame Würdigung des Paduaner Meisters an, dessen bis in die Marken reichender Einfluß hier recht sichtbar wird. An erster Stelle stehen el gran Jannes, d. i. Jan van Eyck, und seine Schüler Rogier, deren »die Wahrheit selbst übertreffendes Kolorit« besonders hervorgehoben wird. Wir haben hier wieder die das ganze Quattrocento durchziehende Hochschätzung der nordischen Kunst, begreiflich namentlich in Urbino, wo Justus von Gent gemalt hat; und auch hier reihen sich wieder unmittelbar Gentile da Fabriano und Pisanello an. Es folgen die Toskaner; die sehr lange und durch ihre Vollständigkeit merkwürdige Liste zeigt, wie sich die Auslese der Besten damals schon vollzogen hat (Fra Angelico, Fra Filippo, Pesello, Dom. Veneziano, Masaccio, Uccello, Andrea del Castagno, die beiden Pollajuoli, Piero della Francesca, ein Jünglingspaar, par d’etate e fiar d’amori, nämlich Leonardo und Perugino divin pictore, Ghirlandajo, Filippino, Sandro, Signorelli, de ingegno e spirto pelegrino.) Hierauf die Oberitaliener (Antonello, Giovanni und Gentile Bellini, Tura, Ercole Grandi, Melozzo. dieser ein persönlicher Freund Santis), dann die Bildhauer: Donatello, el vago Desyder si dolce e bello, Quercia, el buon Vecchieto, Rossellino, Vittorio di Lorenzo Ghiberti. Auf den alten Ghiberti selbst bezieht sich der folgende, etwas mysteriöse Passus: el chiaro fonte, de humanitade e innata gentileza | che ala pictura et ala sculptura è un ponte | sopra del quale se passa cum destreza. Worte, die man fast auf eine Bekanntschaft mit Ghibertis literarischem Lebenswerk zu deuten geneigt sein könnte. Es folgen noch l'alto Andrea del Verrocchio, Andrea Bregno in Rom, der weitgenannte Antonio Riccio, el chiar Senese, d. i. Francesco de Giorgio (der am herzoglichen Palast von Urbino tätig war), schließlich Ambrogio da Milano, dessen Ornamente am gleichen Orte mit Recht höchlich gelobt werden und der »den Alten gleichzustellen ist«.

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Eine Tirade gegen das secul vile, das die Malerei mißachtet, macht den Schluß; Santi bringt hier als Nutzanwendung das aus Vitruv stammende Schulthema der Renaissance, das wir auch bei Ghiberti finden, ein Musterbeispiel aus der verehrten Antike: das griechische Gesetz, nach dem die Kinder in der Zeichenkunst unterrichtet werden sollten. Dem zünftig gebundenen Maler ist es ein Behagen, doch wenigstens aus der Ferne das Beispiel eines Dilettanten auf dem Königsthrone, Rene von der Provence († 1489), anführen zu können, weil es seiner Kunst zu Ehre und Ruhm gereicht. Noch einmal tritt endlich Mantegnas Gestalt hervor, der große Eindruck seiner Werke auf die Gesellschaft von Urbino wird nachdrücklichst betont.

Der Lobspruch des Giovanni Santi ist kein verächtliches Dokument jener Tage; er spiegelt die Anschauungen, die man an einem der bedeutendsten Zentren der italienischen Renaissance von der die Nation so tief bewegenden Kunst hatte, getreulich wieder; und darin liegt sein symptomatischer Wert. Ghibertis merkwürdige Selbstschau hat uns schön das erste Beispiel einer Künstlerbiographie, das wir überhaupt mit diesem Namen belegen dürfen, gegeben; nunmehr tauchen, wieder in Florenz, andere selbständige Lebensbeschreibungen von Künstlern auf. Die anscheinend älteste darunter ist einem Manne gewidmet, der freilich nicht ausschließlich ausübender Künstler war, in dem aber diese Seite doch bedeutend genug, wenn auch nicht restlos erkennbar für uns hervortritt, und der jedenfalls als Theoretiker der Kunst eine überragende und weithin wirkende Stellung einnimmt: Leone Battista Alberti († 1472 in Rom). Wenn die unvollständig erhaltene, in der Gelehrtensprache verfaßte Vita nicht, wie man, durchaus nicht ohne Wahrscheinlichkeit, vermutet hat, aus seiner eigenen Feder stammen sollte, so muß sie mindestens von einem Zeitgenossen herrühren, der ihm aufs engste befreundet war und in seiner nächsten Nähe gelebt hat. Das lehren die ganz intimen Mitteilungen, die darin enthalten sind und das Fragment zum Range eines Dokuments der modernen Seele erheben: Berichte über die ganz gegenwartsmäßig anmutenden Stimmungen und Seelenkämpfe des merkwürdigen Mannes, seine Melancholie im Frühling, die nervösen Überreizungen, von denen dieser rastlos ins Weite strebende, von Pose und Manier durchaus nicht freie Geist gelegentlich heimgesucht wurde, wie er anderseits, jeder Art von Leibesübung zugewandt, sich auch als Hochtourist betätigte. Der Mann, der mit zwanzig Jahren, wie hier erzählt wird, eine lateinische Komödie Philodoxus schrieb, die von den Zeitgenossen lange für ein antikes Originalwerk des Lepidus gehalten wurde; der die Philologie mit Pseudowerken des Lukian düpierte; mit 24 Jahren die Pose eines Patriarchen an page 100 nehmend, in fabelhafter Schnelligkeit die Bücher de familia hinwarf, er hat die Kunst der Inszenierung verstanden, wie wenige der spätem Modernen. Er ist wohl einer der höchsten Typen des Dilettanten, die jemals gelebt haben, und er hat auch darin seine oft bemerkte Verwandtschaft mit dem jüngern Lionardo. Eine charakteristische Anmerkung der Vita gehört hierher, obwohl sie über seine künstlerischen Leistungen sonst nur wenig bringt, über seine Rolle als Architekt sogar gänzlich schweigt. Das ist der Bericht, wie er in Jugendjahren, durch übermäßiges Studieren schwer in seinem Nervensystem geschädigt, die Namen seiner nächsten Umgebung vergißt, während die gesehenen Dinge fest und scharf in ihm haften, wohl ein Zeugnis für nicht gewöhnliche visuelle Begabung. Hierher gehören auch die recht interessanten Notizen über seine optischen Versuche (dimostrationi), in denen er mit Brunellesco parallel geht. Es ist von der Konstruktion eines Guckkastens die Rede, zu denen er eigene »Tag-« und »Nachtbilder« und Beleuchtungseffekte erfindet, von denen die Biographie erstaunliche Dinge erzählt. Im übrigen bringt diese auch hier merkwürdig feine und intime Züge, so sehr sie sich auf einer gewissen Höhe der Überschau hält und vornehmlich den Gesamtcharakter der merkwürdigen Persönlichkeit dem Leser nahebringen will. Albertis starkes Schönheitsempfinden, das an einer Reihe bezeichnender Züge dargelegt wird, namentlich der Landschaft gegenüber, klingt auch an mehreren bedeutenden Stellen seines großen Architekturbuches wieder.

An Albertis Biographie schließt sich die gleichfalls anonym überlieferte Lebensbeschreibung eines seiner größten Zeitgenossen, des Filippo di Ser Brunellesco an. Ihre Autorschaft wurde von Milanesi für Antonio di Tuccio Manetti (1423 bis 1491) in Anspruch genommen, den berühmten Mathematiker und Bauverständigen, der 1491 in dem Wettbewerb für die Domfassade von Florenz genannt wird (Vasari ed. Milanesi IV, 305) und auch auf dem merkwürdigen, schon von Vasari beschriebenen Halbfigurenbilde der berühmten Florentiner (von P. Uccello, jetzt im Louvre) neben Brunellesco erscheint. v. Fabriczy, Barbi, zuletzt Chiappelli haben die allerdings nicht schwerwiegenden Argumente Milanesis beiseite geschoben; neuerdings ist jedoch Moschetti mit, wie es scheint, haltbareren Beweisen für die ältere Zuschreibung eingetreten; dem Manetti gehören dann auch die oben behandelten vite d'uomini illustri an. Die intimen und genauen Angaben der Biographie lassen erkennen, daß sie von einem Bewunderer und nahen Freunde des großen Meisters verfaßt ist, der in dem Parteigezänk, das sich nach dessen Tode erhob, mitten inne stand. Albertis berühmtes, damals nur wenigen Humanisten zugängliches Werk über die Baukunst wird besprochen. Das alles paßt zu page 101 einem in Gelehrten- wie Künstlerkreisen heimischen Mann gleich Manetti, wenn dieser auch beim Tode Brunellescos (1446) erst 23 Jahre alt war.

Ein Schreiben des Autors an einen Freund Girolamo (Benivieni?) der Näheres über den Meister erfahren wollte, eröffnet die Biographie. Es enthüllt uns auch den merkwürdigen und für das Mittel, aus dem die Florentiner Kunsthistoriographie erwachsen ist, recht bezeichnenden Anstoß zu ihrer Abfassung. Sie bildet nämlich die Fortsetzung und gleichsam den Kommentar zu dem Texte der berühmten altflorentinischen Novelle vom grasso legnajuolo, die ihr in der Handschrift vorausgeht. In diesem übermütigen und für unsere Begriffe grausamen Schwank — Rumohr hat ihn in seiner schönen Sammlung für Kunst und Historie, Hamburg 1823, II, 97 übersetzt — erscheint Brunellesco als Hauptanstifter und zum Schlusse als Gewährsmann der ganzen tollen, im Jahre 1409 spielenden Geschichte, in der einem armen Teufel, eben jenem »dicken Tischler« (dem Florentiner Intarsiator Manetto Adamantini), seine Person eskamotiert wird. Wie die Biographie Albertis ist auch diese Vita des Brunellesco in den Handschriften unvollständig enthalten; Vasari hat sie stillschweigend benützt.

Kallab hat (in seinen Vasaristudien) schön dargelegt, wie diese durchaus apologetisch gestimmte Schrift, wenige Dezennien nach dem Tode des Helden verfaßt, sich schon vollständig von der Legende beherrscht erweist, die sich um die Gestalt des großen Erneuerers der »wahren und echten Bauweise« im Sinne der Alten und L. B. Albertis rankt; man erinnert sich vielleicht, wie bald nach Goethes Tode die gleiche Erscheinung im kleinen Weimar sich zeigt. Denn als Neuerer und Klassiker, dessen Wirken normativ und vorbildlich ist, erscheint er hier durchaus; wie beim Giotto Villanis und Ghibertis bestimmt die Anknüpfung an die Antike seine Stellung als Heros der Kunst, obwohl wir heute wissen, daß seine berühmteste Leistung, die Kuppelkonstruktion, nur die technische Lösung eines von der »Gotik« gestellten und hinterlassenen Problems war. Alles, was vor ihm geschaffen worden war, tritt vor seinen Verdiensten ins Dunkel zurück; diesem Gedanken dient auch der große und überaus merkwürdige Exkurs über die mittelalterliche Baukunst, den wir später in größerem Zusammenhang besprechen werden. Zugleich führt aber die Schrift mitten in den Streit der Parteien nach Brunellescos Tode hinein, dessen große Kirchenbauten bekanntlich unvollendet zurückgeblieben und dadurch zum Zankapfel geworden waren; es ist ein höchst lebendiges Stück der Florentiner Künstlergeschichte, das uns da überliefert wird. Sie atmet die heftigste Polemik, ist tendenziös bis zur Entstellung der Tatsachen, ohne daß dadurch ihr großer historischer Wert allzusehr beeinträchtigt würde. Denn im übrigen ist die Bericht page 102 erstattung treu und unmittelbar lebendig, wie sie eben unmittelbarer Beziehung zu dem Helden ihr Dasein verdankt; der intime und lebhafte Bericht über die Befestigungen von Vico Pisano zeigt das beispielsweise. Auch verfügte Manetti, wenn er wirklich der Autor ist, über gute Beziehungen zu Männern aus Brunellescos eigener Generation; so wird Luca della Robbia gelegentlich als Gewährsmann genannt.

Der Verfasser hat, wie gesagt, das ausgesprochene Bestreben, seinen Helden in hellstes Licht zu setzen; zu diesem Zwecke zieht er nicht nur Urkunden der Opera heran, freilich nur wo sie seinem Zwecke dienlich sind, sondern fügt auch das große denkwürdige Gutachten Brunellescos vom Jahre 1420 über die Kuppelkonstruktion ein. Freilich wird er gegen die Nachfolger und Konkurrenten des Meisters häufig ungerecht bis zur Gehässigkeit, die sich denn auch gegen Donatello und namentlich gegen Brunellescos langjährigen Mitarbeiter Ghiberti richtet, dessen Verdienste — gegen den urkundlich überlieferten, von Fabriczy sorglich dargelegten Tatbestand — auf ein Nichts herabgedrückt werden. Es ist eben nicht zu vergessen, daß wir eine Parteischrift, eine Apologie vor uns haben, deren Verfasser mit pragmatischen Verknüpfungen arbeitet und die überdies unter dem Einfluß der in Florenz so rasch wuchernden Legende steht. Auch dadurch ist übrigens die Vita ein höchst bedeutendes und sehr persönliches Denkmal; ihr Stil, den ein Deutscher (Frey) weitschweifig und unklar findet, wird von italienischer Seite (Chiappelli, Moschetti), der wir wohl die größere Kompetenz zubilligen müssen, als naiv und volkstümlich gelobt. In der Tat erscheint er uns als sehr lebendig, die Frische eines ersten Entwurfes bewahrend, und in den zahlreichen Anakoluthen manchmal an Ghiberti erinnernd.

Wir haben schon früher die geschäftlichen und häuslichen Aufzeichnungen (ricordi) erwähnt, die in Florenz alte Sitte sind und den Übergang zu einer eigentlichen Memoirenliteratur bilden, deren hervorragendstes Beispiel aus dem Trecento das gleichfalls schon erwähnte Hausbuch des Velluti ist. Solche ricordi, trockene Geschäftsnotizen, die uns aber gleichwohl manch wertvolles Tatsachenmaterial überliefern, sind uns innerhalb dieser Periode von einer Anzahl namentlich toskanischer Künstler aller Art überliefert; freilich sinken sie erheblich unter das Niveau dessen, was wir Literatur nennen, und sind gar nicht als Darstellungen beabsichtigt. Dahin gehören die Ricordi des Neri di Bicci, des Alessio Baldovinetti u. a. Völlig nebelhaft sind für uns die ricordi des Domenico Ghirlandajo, die Vasari gelegentlich nennt. Auch beginnt die später zum breiten Strom anschwellende und mitunter recht anspruchsvoll sich gebärdende Literatur der Künstlerbriefe, jetzt freilich erst in dünnem Faden zu fließen. Dagegen ergibt das Tagebuch eines Laien, des Luca Landucci (1450 page 103 bis 1512), eine nicht unbedeutende Ausbeute auch in künstlerischer Beziehung für den hier in Betracht kommenden Zeitabschnitt; ihm schließt sich für den ganzen Verlauf des Cinquecento dasjenige des Agostino Lapini an.

Im ganzen ist der vortreffliche Abriß der florenlinischen Kunsthistoriographie, den Frey seiner Ausgabe des Anonimo Magliabecchiano (Berlin 1892) vorangestellt hat, zu vergleichen.

Cristoforo Landini († 1504), Dantekommentar, Ed. pr. Flor. 1481, spätere Ausgabe (zusammen mit dem Kommentar des Velutello) von Francesco Sansovino, Venedig 1564. Er enthält die Apologie Dantes mit der Übersicht der florentinischen Kunstgeschichte, vgl. Frey a. a. O., p. XLVI. Über Landini: Tiraboschi, Letteratura ital. Venez. Ausg. 1796, VI, 3, p. 995.

Die vite di IV uomini singhulary in Firenze dal 1400 innanzi, erhalten in einem Sammelbande von der Hand des Antonio Manetti (Magliabecchiana XVII, 1501), sind zuerst gedruckt bei Milanesi, Operette istoriche edite ed inedite di A. Manetti, Florenz 1887, dann von Frey in seiner Schulausgabe der Viten Vasaris, Bd. IV (Brunellesco), Berlin 1887, p. 119 — 120 (der Schluß in den Anmerkungen p. 205—206) und von v. Fabriczy, Archivio stor. dell’arte 1892, 56. Die einschlägige Literatur über die Person des Autors s. u.

Ugolino Verino, De illustratione urbis Florentiae, 1. III, mit dem Künstlerkatalog im II. Buche, 1512, in 2. A. noch Florenz 1636 erschienen. Ein Gedicht Verinos zum Lobe der florentinischen Kunst hat H. Brockhaus in der Festschrift zu Ehren des kunsthistorischen Instituts in Florenz 1897 mitgeteilt. Raphael Volaterranus, Commentariorum Urbanorum I. XXXVIII, Rom 1506, gehört, da in der Anthropologia L. XXI, vol. I, p. CCC) schon der Traktat des Gauricus benützt ist, streng genommen schon in die folgende Periode. Der Künstlerkatalog daraus gedruckt bei Müntz, Les arts à la cour des papes II, 304. Camillo Leonardi (aus Pesaro), Speculum lapidum, Venedig 1502, Augsburg 1533, ja noch Hamburg 1717 gedruckt.

Michele Savonarola, De laudibus Patavii (um 1440), gedruckt bei Muratori. SS. RR. Ital. XXIV. Der die Künstler betreffende Abschnitt in meinem Quellenbuch z. Kunstgeschichte no. LIII. Über seine Schriftstellerei im allgemeinen sehr ausführlich Tiraboschi, Storia della lett. ital. (Venez. A. 1796) VI, 413f.

Bartholomaeus Facius († 1457), De viris illustribus, zuerst von Mehus, Florenz 1745 herausgegeben. Über F. vgl. Tiraboschi, Lett. ital. VI, 2, 685f. und Becker, Schriftquellen zur Gesch. der altniederländischen Kunst. Diss. Leipzig 1897. 32 f.

Giovanni Santi († 1494)), Reimchronik der Taten des Herzogs Federigo von Urbino, Zum erstenmal aus der Hs. (Cod. Ottobon. der Vaticana 1305) von Holtzinger herausgegeben, Stuttgart 1897, fast nur als roher Textabdruck, ohne nennenswerten Apparat. (Der Lobspruch der Malerei: B. XXII, cap. 96, v. 66 ff.). Vgl. Schmarsow, Gio. Santi, in der Vierteljahrschrift f. Kultur u. Literatur der Renaissance II (1887), auch sep. Berlin 1887.

Eine merkwürdige Adressenliste der besten florentinischen und sienesischen Künstler um 1350, die für die Bestellung einer Altartafel in Pistoia in Betracht kamen, mitget. von Chiappelli im Boll. stor. Pistoiese II, fasc. 1, darnach von Fabriczy im Repertorium f. Kw. XXIII, 496. Eine Charakteristik florentinischer Künstler vom Ende des 15. Jahrhunderts, zu ähnlicher Information für Herzog Lodovico il Moro bestimmt, auf einem Blatte im Mailänder Staatsarchiv, mitget. von Müller-Walde, im Jahrb. d. k. preuß. Kunstsammlungen XVIII, 113 (der ital. Text im Anhang, S. 165).

Die anonyme lateinische Biographie des L. B. Alberti befindet sich in der Magliabecchiana (cl. IV, 48), wurde von Mehus 1751 wieder aufgefunden und zuerst von Muratori, SS. RR, Ital. XXV, veröffentlicht, vgl. den Brief Baldinuccis von 1680 an Ant. Magliabecchi, in dessen Besitz sich damals die Hs. befand, bei Campori, Lettere artistiche page 104 129, n. 161. Dann auch bei Galletti, Phil. Villani de civ. Florentiae famosis civibus. Flor. 1847, S. 139f, Italienisch bei Bonucci, Opere volgari di L. B. Alberti, Flor. 1843, und darnach wiederholt bei Solerti, Autobiografie e vite de’ maggiori scrittori Italiani, Mailand 1903, p. 163 f. Sonstige Lit. über Alberti s. u. Anfang und Schluß der Vita fehlen. Fueter gibt in seiner ausgezeichneten Geschichte der neuern Historiographie (in Below-Meinekes Handbuch der m. a. u. neuern Geschichte I, München 1911, S. 105) eine gute, besonders gegen Janitscheks Ausführungen (s. u.) gerichtete Charakteristik der Selbstbiographie, die hier ausdrücklich als solche anerkannt wird.

Die anonym überlieferte Vita des Brunellesco befindet sich in der Nationalbibliothek zu Florenz (cl. VIII, 1401). Zuerst von Moreni mit Baldinuccis Biographie publ. u. d. T. Due vite inedite di Fil. Brunellesco, Flor. 1812, jedoch interpoliert und mit z. T. willkürlich geänderten Lesarten. Vgl. die Note zu Milanesis Vasariausgabe II, 329 u. 341. Neue Ausgaben gleichzeitig von Milanesi, Opere istoriche ed inedite di Antonio Manetti, raccolte da Gaetano Milanesi per la prima volta ed al suo vero autore restituite, Flor. 1887, und von Holtzinger (nach dem Druck, jedoch mit Hinzufügung der Varianten aus der Hs.), Stuttgart 1887, endlich von Frey, mit revidiertem Texte und guter Einleitung in seinen Ausgewählten Biographien Vasaris, IV. Bd., Berlin 1887.

Milanesi identifizierte als erster den Autor mit Antonio Manetti, fast nur aus paläographischen Gründen, wegen der Übereinstimmung mit dem unzweifelhaft von Manettis eigener Hand herrührenden Sammelband der Biblioteca Nazionale XVII, 1051, der die uomini singhulari enthält (s. o.). Die Autorschaft der letzteren wurde zuerst von C. v. Fabriczy, abgelehnt, in seinem früher erwähnten Aufsatz im Archivio dell' arte 1892. dann in der Einleitung zu seinem großen Werk über Filippo Brunellesco, Sein Leben und seine Werke, Stuttgart 1892, p. XII f., während er für die Vita Brunellescos sie nicht in Zweifel zog; in Beziehung auf die Novelle vom dicken Tischler dann von Barbi, A. Manetti e la novella del grasso legnajuolo, Flor. 1893 (Nozze Cassini-d’Ancona) entschieden bestritten. Dann trat Al. Chiappelli auf den Plan, der alle Gegengründe resumierte, auch ein unbekanntes Fragment aus einem Codex in Pistojeser Privatbesitz mitteilte, und endlich die Vita Brunellescos selbst dem Manetti nahm: Della vita di F. Brunellesco attribuita ad A. Manetti con un nuovo frammento di essa tratto da un codice Pistoiese del s. XVI im Archivio stor. Italiano 1896 (XVII, 241), später auch in des Autors Pagine d’antica arte fiorentina, Flor. 1905 wiederholt. Der neu gefundene Codex ist nicht nur vollständiger, sondern enthält auch bessere Lesarten, so daß die Florentiner Handschrift des Anspruchs, das Original zu sein, verlustig geht. Neuerdings ist jedoch A. Moschetti, Ant. Manetti ed i suoi scritti intomo a Fil. Brunelleschi, in der Festschrift für Attilio Hortis, Triest 1910, abermals für Manettis Autorschaft an sämtlichen von Milanesi publizierten Schriften eingetreten. Er hat die Frage von einer Seite angefaßt, die seine Vorgänger seltsamerweise vernachlässigt hatten, und seine Hypothese durch eine sorgfältige Analyse und Vergleichung des stilistischen Ausdrucks zu erhärten gesucht. Es ist für einen Nichtitaliener schwer, ihm auf dieses Gebiet zu folgen, ich bekenne auch, daß mir an seinen Gegenüberstellungen durchaus nicht alles einleuchtet, meine jedoch, daß die innere Wahrscheinlichkeit für seine Annahme spricht. Chiappellis Gründe gegen Milanesis Behauptungen waren allerdings einleuchtend; sie ergaben Manetti lediglich als Schreiber, aber noch keineswegs als Autor der in dem Florentiner Sammelbande vereinigten Stücke. Die Vita ist nicht vollständig, sie bricht in der Florentiner Fassung, die gewiß auch Vasari vorgelegen hat, bei der Erzählung vom Bau von S. Spirito ab. Endlich sind noch die Ausführungen Kallabs in seinen Vasaristudien, Wien 1908, p. 158, zu vergleichen.

Die in der Vita enthaltene Denkschrift Brunellescos über die Domkuppel (1420) ist mit verschiedenen Emendationen selbständig gedruckt bei Durm, Baukunst der Renaissance in Italien, Stuttgart 1903, p. 69 (= Rep. f. Kunstwissensch. XXI, 1898, 259—261). Deutsch von demselben, Zwei Großkonstruktionen der ital. Renaissance, Berlin 1887.

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Aufzeichnungen von Künstlern. Oderigo di Andrea di Credi, orafo fiorentino, Memorie 1405—1425. ed. Polidori im Arch. stor. Ital., ser. I, vol. IV, 3. — Bernardo Cennini, orafo fior. (um 1450), ed. Fantozzi, Memorie biografiche di B. C., Flor. 1839. — Neri di Bicci, Ricordi (1452—1475). Auszug bei Milanesi, Vasari II, 701. — Maso di Bartolommeo, Ricordi (1447—1453). Yriarte, Journal d’un sculpteur florentin, Paris, Rotschild 1894 (= Gaz. d. b. arts 1881, I, 426 und Arch. stor. Ital., ser. V. vol. XV, 391 f.), vgl. Janitschek im Anhang zu L. B. Albertis Kl. kunsttheoret. Schr. 257f. — Alessio Baldovinetti († 1499), Ricordi (aus einer Abschrift Milanesis, jedoch unvollständig) ed. Pierotti, p. Nozze Bongi-Ranalli Lucca 1868 und im Anhange zu Londi, A. Baldovinetti fiorentino, Flor. 1907. Poggi, I ricordi di A. B. nuovamente publ. ed illustrati (Frammenti ined. di vita fiorentina ed. Lorenzoni, fasc. 1, 2), Flor. 1909. Horne, A newly discovered libro di ricordi of A. B. (im Archiv von S. Maria Nuova in Florenz), Burlington Magazine II, 22, 167 (Text auf S. 381). Dazu die Notizen aus dem Merkbuche des Francesco Baldovinetti († 1545) auf der Nationalbibl. in Florenz, die Nachrichten über Alessio, Florentiner Paläste u. dgl. enthalten, mitgeteilt von Fabriczy im Rep. f. Kw. XXVIII, 539f. und bei Poggi a. a. O. 47. Über Domenico Ghirlandajos ricordi (Vasari, ed. Milanesi II, 452, v. di Stefano): Frey in seiner Ausgabe des Anon. Magliabecchiano, p. 236 und Kallab, Vasaristudien, 157 und 206. Ausgabenbücher des Dom. Ghirlandajo erwähnt Vasari tatsächlich (v. di Michelagnolo VII, 138).

Luca Landucci, Diario fiorentino 1480—1516, ed. del Badia, Flor. 1883, deutsch von Marie Herzfeld, Jena 1912. Janitschek hat im Rep. f. Kunstw. III, 377, kunstgeschichtliche Notizen aus Landucci ausgezogen. — Agostino Lapini, Diario (1596). ed. Corazzini, Flor. 1900. Die Briefliteratur wird in einem späteren Abschnitt angeführt werden; für unsere Periode kommt der I. Band von Gayes Carteggio inedito in Betracht.

II. Die Theoretiker der Frührenaissance.

(1. L. B. Alberti.)

An der Spitze steht (abgesehen von Ghiberti) Leone Battista Albertis großes Hauptwerk, der erneuerte Vitruv, die zehn Bücher de re aedificatoria. Seine eigentliche Wirksamkeit beginnt, trotz allen Lobes der Zeitgenossen, doch erst im 16. Jahrhundert. Die Editio princeps des lateinischen Originals ist auch wirklich erst Jahre nach Albertis Tod zu Florenz 1485 herausgekommen. Die Übersetzungen in die Nationalsprachen, die das Buch erst populär gemacht haben, fallen sämtlich in die zweite Hälfte des folgenden Jahrhunderts, als der Boden schon für den kommenden Klassizismus vollständig urbar gemacht worden war. Aber schon Rabelais hat Alberti neben Vitruv gestellt.

Die Abfassung des Werkes fällt nach Matteo Palmieris Bericht in die Zeit, da sich Alberti am Hofe Nicolaus V. in Rom aufhielt; diesem großen Papste soll er schon 1452 Einsicht in das Werk gegeben haben. Aber wirklich bekannt wurde es erst durch den Druck; page 106 die unmittelbare Wirkung auf die Zeitgenossen war gering, auch aus innern Ursachen; die nicht zahlreichen Zitate bei Biondi da Forli. Filarete, Manetti (Vita des Brunellesco), Francesco di Giorgio, bezeugen, daß es mehr vom Hörensagen bekannt als wirklich gelesen war.

Der Inhalt dieses größten Werkes des merkwürdigen Humanisten schließt sich in seinen äußeren Umrissen an Vitruv an, schon in der Anzahl der Bücher. Das erste bis dritte behandelt alles das, was bei dem alten Lehrmeister unter den Begriff der firmitas fällt, Wahl des Terrains, Baumaterialen, Fundamentierung, Buch IV—V die utilitas d. h. die Arten der Gebäude nach ihrer Zweckbestimmung, Buch VI die architektonische Schönheit (venusfas), Buch VII—IX den »Hochbau« (VII. Tempel, d. i. Kirchen, VIII. die öffentlichen, IX. die privaten Gebäude), Buch X die in Vitruvs VIII. Buche abgehandelte Wasserbaukunst. Die Kunst des Festungs- und Kriegsarchitekten, die, wie wir wir noch später sehen werden, in Italien zu einem eigenen hoch- entwickelten und weit über seine Grenzen hinaus wirksamen Fach gedieh, fehlt bei Alberti so gut wie völlig, denn die ganz antikisch drapierten Vorschriften über die Anlage eines römischen Lagers u. s. f. im V. Buch sind kaum hierher zu rechnen; die Maschinen, die Vitruv im IX. und X. Buch ausführlich behandelt, bilden bei seinem Nachfolger einen Anhang zum VI. Buch.

Vitruv, der im frühen und hohen Mittelalter wenigstens in Gelehrtenkreisen bekannt war, wurde der Renaissance doch erst wieder durch Poggio wiedergegeben, aber der erste Druck fällt sogar nach Albertis Schrift (ca. 1486); dieser sowohl wie Ghiberti waren noch durchaus auf handschriftliche Kopien angewiesen, deren Texte recht verderbt und noch nicht durch philologische Kritik gereinigt waren. Alberti klagt auch, wie Ghiberti über seine Pliniusvorlagen, darüber, redet von Unverständlichkeit und schlechtem Stil. Er hat aber doch, parallel mit der Pliniusbearbeitung Ghibertis, die erste große Erneuerung des alten Grundschriftstellers unternommen, und zwar völlig im Geiste einer neuen Zeit. Nirgends erscheint Alberti auch originaler als hier, wie er denn geistig weit über dem im Grunde recht kümmerlichen Kompilator der Kaiserzeit steht. Er wahrt überall seine Selbstständigkeit, noch mehr als Ghiberti, übt Kritik an den Maßen seines Autors, hat auch in Rom selbst Messungen angestellt und gelegentlich bis zu den Fundamenten hinab gegraben. Darin wandelt er altnationale Wege, denn dergleichen Messungen hatte schon zu Petrarcas Zeiten der paduanische Arzt Dondi in Rom unternommen, und die Anekdoten von Brunellescos und Donatellos »Schatzgräberei« sind wenigstens ein Reflex davon. Wichtig ist auch, daß Alberti die Denkmäler durchaus als seine primäre Quelle betrachtet und dies ernstlich betont.

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Für die Richtung von Albertis Schriftstellerei überhaupt ist es bezeichnend, daß sie sich gar nicht an Leute vom Fach, sondern an das große humanistisch gebildete Publikum wendet, wie auch die spätem großen Traktate des 14. Jahrhunderts, seine Nachfolger, an die Adresse der dilettanti und Bauherren gerichtet sind. Darum ist auch die ursprüngliche Fassung in der Gelehrtensprache, lateinisch. Trotz seines Verkehrs in Handwerksbuden und Ateliers, von denen die anonyme Vita, ein wenig den alten Sokrates kopierend, zu berichten weiß, hegt Alberti überall das Bestreben, den Boden des Handwerks zu verlassen und sich dem vitruvianischen Ideal, der ars liberahs, zu nähern. Aber er weiß doch vieles aus eigener Praxis zu berichten, so z. B. in Buch X, wo er von seinen Konsolidierungsarbeiten an den dem Einsturz nahen Seitenschiffen der alten Peterskirche in Rom spricht. Ebenso zeigt in der Schrift über die Malerei die Empfehlung kleiner, noch jetzt geübter Praktiken den Routinier: das Betrachten mit blinzelndem Auge, um die Form malerischer aufzufassen, die Beurteilung im Spiegel u. a.

Trotz des augenscheinlichen Ehrgeizes Albertis, der Vitruv der Modernen zu werden, trotz aller rückwärtsgewandten Gelehrsamkeit, über deren Herkunft das Verzeichnis der benützten (auch griechischen) Schriftsteller in Buch II Auskunft gibt, ist doch überall das Bestreben sichtlich, an Modernes anzuknüpfen und mit diesem fortzuwirken. Bei Alberti ist das naive mittelalterliche exemplare kaum mehr vorhanden, das bei Ghiberti noch in so reichem Maße vorherrscht. In der Terrainlehre, bei der Aufzählung von Fundstätten für Baumaterial ergibt sich diese Rücksicht auf heimische und zeitgenössische Verhältnisse von selbst; aber anderes, wie die Forderung humaner Gefängnisse, die Rücksicht auf Spitäler und andere gemeinnützige Anstalten, läßt den modernen Toskaner erkennen, so gerne er auch Beispiele aus der verehrten Antike vorbringt. Durchaus modernem Gefühl ist auch die sehr beachtenswerte Erörterung der landschaftlichen Wirkung des Bauwerks entsprungen, womit das, was die Vita von Albertis Naturgefühl zu berichten weiß, stimmt. Kommt aber der reine Theoretiker zu Wort, so fühlen wir uns sogleich in der dünnen und klaren Luft des strengen Klassizismus; was die »mittlern« Zeiten nach dem Altertum geschaffen haben, wird mit einer Gebärde feinsten Hochmuts auf die Seite geschoben. Es ist das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit, das nicht zuletzt da wirksam ist; von den nostri antichi (zu denen er mit besonderem Nachdruck auch die alten Etrusker rechnet) spricht er schon in der Einleitung; das macht ihn auch ungerecht gegen die große Entwicklung der eigenen Väterzeit. Es steht im Zusammenhang damit, daß er bemüht ist, Vitruvs griechische Terminologie überall durch lateinische zu ersetzen. Doch ist die ihm page 108 zugeschriebene Schrift über die fünf Säulenordnungen, wie Hoffmann mit Recht ausgeführt hat, nicht von ihm, sondern erst ein Niederschlag aus der Zeit des reifen Klassizismus, etwa Serlios. Aber Alberti hat nicht nur die Theorie der Baukunst, sondern auch die der beiden andern Schwesterkünste behandelt; die Schriften de pictura und de statua gehören zu den wichtigsten Dokumenten der Frührenaissance überhaupt.

Die erste, die von 1436 datiert ist und demnach die älteste theoretische Äußerung des Quattrocento, noch vor Ghiberti fallend, darstellt, trägt an der Spitze eine Widmung an Brunellesco, die eine wichtige Urkunde damaliger Künstlergeschichte ist. Der Zweck, den Alberti mit seiner Schriftstellerei verfolgt, ist hier klar ausgesprochen: gleich Ghiberti will er den Neueren das geben, was sie im Vergleich mit den Alten schmerzlich vermissen: Regel und System der Bildkünste. Er will hier aber populär, als »Maler«, nicht als »Mathematiker« reden, wenn er die unverrückbaren theoretischen Fundamente der Kunst behandelt. Bemerkenswert ist übrigens das Bekenntnis (im II. Buche), daß er die Malerei nur in seinen Mußestunden, also doch eigentlich als Dilettant, betreibe. Zwar beruht seine Darstellung, wie kaum anders zu erwarten, der Hauptsache nach auf Euklid, ist aber doch, schon des Themas wegen, selbständig und eigenartig.

In einer bemerkenswerten Einleitung scheidet Alberti sachgemäß zwischen der haptischen Form im Sinn der neuern Sinnespsychologie, der tastbaren, stereometrischen »Daseinsform« (nach Hildebrands sehr anfechtbarem Ausdruck) und der optischen, der »Erscheinungsform«. Diese hat veränderliche Eigenschaften, die dem Wechsel von Ort und Beleuchtung unterliegen. Daran schließt sich die Theorie der Sehstrahlen, in der bis ins 17. Jahrhundert hinein üblichen Weise abgehandelt, bevor Galileis Schüler, Bernardo Castelli, sie auf moderne Grundlage stellte. Der folgende Abschnitt von den Farben ist kurz, enthält aber manche feine Beobachtung, z. B. über Reflexe auf einer grünen Wiese. Auch seine »Demonstrationen« in Rom, die Versuche mit dem Guckkasten, deren die anonyme Vita gleichfalls gedenkt, werden kurz berührt; Burckhardt hat übrigens auf eine arabische Quelle (Ibn Firnas bei Hammer, Literaturgesch. der Araber I, 51, Kultur der ital. Renaissance, Ital. Ausg. I, 289) verwiesen. Alberti unterscheidet vier Hauptfarben: Rot, Blau, Grün, Gelb, die noch — ein merkwürdiger Zug — in mittelalterlicher Weise den vier Elementen parallelisiert werden. Weiß und Schwarz sind, gegen die aristotelische Lehre, hingegen keine Farben, sondern Modifikationen des Lichtes.

Nun folgt die moderne naturwissenschaftliche Definition der malerischen Darstellung als eines Querschnitts durch die Sehpyramide; page 109 hier steht Alberti völlig auf dem Boden seiner Zeit und seines florentinischen Mittels. Der Beweis ist mathematisch in großer Ausführlichkeit geführt; völlig neu ist die Anwendung auf die bildende Kunst, denn an die Antike konnte hier nicht angeknüpft werden. Kern hat jedoch in außerordentlich lehrreicher Weise dargelegt, wie das italienische Trecento, vor allem die sienesische Malerei, hier, wenn auch noch in tastenden Versuchen, vorgearbeitet hat. Sind Albertis Methoden der perspektivischen Konstruktion, der Bestimmung des Augenpunktes u. s. w. noch unvollkommen, so steht seine Schrift doch ehrwürdig da als der Beginn jener unabsehbaren Reihe von Schriften über künstlerische Perspektive, die Italien bis ins 18. Jahrhundert hinein hervorgebracht hat; Ghiberti ist zur Behandlung der gleichen Sache nicht mehr gekommen.

Nach dieser Grundlegung folgt im II. Buch die Systematik der Malerei. Auch hier ist Alberti der Ahnherr der zahlreichen Systeme der Kunsttheorie, die schließlich in die klassizistische Ästhetik des 18. und 19. Jahrhunderts ausmünden. Und auch hier befinden wir uns mitten in der praktischen Kunstübung von Florenz. Alberti stellt, wieder streng in mathematischem Geiste fortschreitend, drei Teile der Malerei fest, den linearen Umriß (circonscriptione), die Zusammensetzung der Flächen (compositione), die Modellierung der Körper im farbigen Licht (receptione di lumi). Bei dem ersten kommt das Hilfsmittel des Gradnetzes (velo), als dessen Erfinder er sich im lateinischen Text ausdrücklich rühmt, das aber auch Ghiberti kennt, zur Sprache; in der Tat etwas Neues, zum mindesten in seiner Anwendung auf die mathematisch fundierte Perspektive, das an Stelle des mittelalterlichen exemplum und der mechanischen Bausenschablone Cenninis und des Kunstbuches von Athos trat. Im zweiten Teil, der »Komposition« kommt die Proportionslehre zu Wort, die jetzt durch die Anatomie eine ganz neue und feste Grundlage erhielt. Alberti lehrt schon das Verfahren der Renaissance, die Figuren zuerst nackt anzulegen, aus sicherer Kenntnis von der Lagerung der Knochen, Sehnen und Muskeln zu beginnen, und sie dann erst zu bekleiden. Auch der dritte Teil, der vom Kolorit handelt, trägt echt florentinische Züge. Der Hauptakzent liegt auf der scharfen plastischen Modellierung, dem rilievo, das Leonardo noch zu Beginn des Cinquecento so stark betont. Es war kein Zufall, daß Toskana seit dem Trecento die Hegemonie in der Plastik Italiens innehatte. Auch die Farbenharmonie Albertis ist ausgesprochen florentinisch, ein Akkord von Rosa, Grün, Himmelblau; größte Sparsamkeit im höchsten Licht und Schatten wird sorglich eingeschärft — um des rilievo willen. Wenn Alberti vor zu reichlicher Anwendung des reinen Goldes warnt, es nur an untergeordneten Ornamenten und architektonischen Teilen page 110 duldet, so wendet er sich damit unmittelbar gegen seine Zeit, die den schweren plastischen Goldauftrag noch gerne in der Weise des Mittelalters anwendet.

Wesentlich kürzer, aber nicht minder inhaltsreich ist der Traktat de statua, am spätesten, wie es scheint, nach 1464 entstanden. Auch er ist ursprünglich lateinisch abgefaßt; hier gibt Alberti, wann auch an Plinius sich anlehnend, doch im Wesen völlig selbständig und in tiefer praktischer Einsicht, die berühmte, von der ganzen Renaissance angenommene Definition der Bildnerei per via di porre und per via di levare. Er unterscheidet drei Arten, von dem Charakteristikon der technischen Arbeit ausgehend: die Plastik, die Stoffe wegnimmt und zusetzt (Bildnerei in weichem Material, also Ton und Wachs), diejenige, die bloß wegnimmt und die lebende Form aus dem Werkstück herausholt (Steinplastik), endlich die dritte, die bloß zusetzt, die Toreutik, caelatura des Plinius, die Treibarbeit in Metall. Der Bronzeguß findet als rein technisch-manueller Vorgang keine Erörterung. Der Bildner bedarf jedoch einer festen Methode. Von einer merkwürdigen Scheidung des Gattungsgemäßen und Individuellen ausgehend, fixiert Alberti seine Regeln der Messung (diniensio) und Grenzbestimmung (definitio). Die erste, mit Lineal und Winkelmaß hantierend, umfaßt die Proportionslehre, die Alberti als einer der ersten, in streng klassizistischem Geiste ausgebaut hat; die zweite, der ein von ihm selbst ersonnenes Instrument, der definitor, dienen soll, hat die Aufgabe, die individuellen, temporären, durch die Bewegung hervorgebrachten Veränderungen in der anatomischen Erscheinung des Modells so genau als möglich festzuhalten. Es sind Probleme, die unter anderem (nach Vinc. Dantis Zeugnis) Michelangelo literarisch fixieren wollte und die der Erstgenannte, seinen Spuren folgend, zu lösen versuchte.

Albertis Traktat der statua ist wohl die am klarsten und folgerichtigsten gedachte unter seinen kunsttheoretischen Schriften, eine reife Frucht der Altersweisheit; hier namentlich sind zum erstenmal Ideen dargelegt, deren Wirksamkeit freilich erst viel später begonnen hat.

1. Albertis Hauptwerk, die X libri de re aedificatoria, sind erst nach seinem Tode (1472) in der Urausgabe, Florenz 1485 in Folio erschienen. Die wichtigsten Handschriften sind die der Laurenziana LXXXIX, 113; der Cod. Vaticanus Urbinas. lat. 24, geschrieben 1483 in Padua; eine vielleicht für Matthias Corvinus gefertigte Kopie auf der Bibliotheca Estense in Ferrara. Weitere Ausgaben, die den steigenden Anteil, den das 16. Jahrhundert an dem Werke nahm, beweisen, sind zu Straßburg 1511 und 1541, zu Paris 1512 und 1543 erschienen. Erste italienische Übersetzung von Pietro Lauro, Venedig 1546, an die sich die zumeist benützte, durch Holzschnitte erläuterte von Cosimo Bartoli, dem kunstverständigen Freunde Vasaris anschließt, zusammen mit den kleineren Traktaten (übers. von Lod. Domenichi), nel Monteregale, bei Torrentino, im gleichen Verlage und im gleichen Jahre wie Vasaris erste Ausgabe, 1550, erschienen; 2. Auflage, ebenda 1565, abermals mit Vasaris zweiter Auflage zusammenfallend (Nachdruck Venedig. 1565). Die page 111 italienische Bearbeitung, die Bonucci für Albertis Original selbst hält, ist erst von dem Genannten in seiner Ausgabe der Opere volgari di L. B. Alberti, Florenz 1843, vol. IV veröffentlicht worden (Hs. der Riccardiana in Florenz, nur drei Bücher umfassend). Weitere Ausgaben des gleichen Textes, London 1726 (und 1739, italienisch-englische Parallelausgabe), Bologna 1726 und 1782, Rom 1784, Perugia 1804 (von B. Orsini, mit Noten, in den Classici italiani, Mailand 1804 und Mailand 1833 (mit Noten von Ticozzi). Auf Bartolis Arbeit fußen die französische Übersetzung (mit den Holzschnitten nach Bartoli) von Jean Martin, Paris, Kerver 1553, ferner eine schlechte spanische von Franc. Lozano, Madrid 1582 (wiederholt 1640). Portugiesisch von Andrea Resendens, schon 1493. Erste deutsche Übertragung von Max Theuer, Wien 1912 (mit Anmerkungen, erläuternden Zeichnungen und Bibliographie). Über eine Sonderfrage (Inkrustation bei A.): Behne, Monatsh. f. Kunstwiss. 1914, 55.

2. De pictura libri II. Erste lateinische Originalausgabe, Basel 1540, und (mit Vitruv und Gauricus zusammen) Leyden, Elzevir 1649. Der italienische Originaltext Albertis ist erst von Janitschek zugänglich gemacht worden (s. u.). Italienische Übersetzungen von Domenichi, Venedig 1547 und Florenz 1568, von Bartoli, Venedig 1568 (opuscoli morali di L. B. A.). Il trattato della pittura e i cinque ordini architettonici con prefaz. di G. Papini, Lanciano 1911. Spanisch von De Silva. Madrid 1784. Eine neugriechische Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert befindet sich (nach Janitschek) in der Marciana. Zum Technischen: Berger, Beiträge IV, 1—3, sowie in einem Buche, das hier ein für allemal angezogen wird und eine wahre Schatzkammer technisch-historischen Wissens ist, bei J. Meder, Die Handzeichnung. Wien 1919.

3. De statua. Der lateinische Urtext ist erst von Janitschek publiziert worden. Die älteste italienische Übersetzung von Bartoli steht in dessen Venezianer Ausgabe von 1568 (s. o.). Deutsch (ohne Nennung Albertis!) von dem Vitruvübersetzer Walter Rivius, Fürnembster Notwendigster angehend mathematische und mechanische Künste eigentlicher Bericht, Nürnberg 1547 (s. u. sowie Stark, Handbuch der Archäologie, p. 95). Ob die in einem Brief von 1470 erwähnte, angeblich von A. herrührende Schrift de arte aeraria mit unserem Traktat identisch ist? (vgl. Voigt, Wiederbelebung des dass. Altertums. 2. A., I, 375 und weiter unten).

4. Imago Romae (mit Plan), teilweise her. von de’ Rossi, Piante de Roma, Rom 1878. Über das technische Verfahren der Planzeichnung, s. Winterberg im Repertorium a. u. a. O. 335 f.

5. De punctis et lineis apud pictores, her. von Mancini a. u. a. O. 66.

6. Elementa picturae (kurze Übersicht der für den Maler notwendigen geometrischen Probleme), ed. Mancini, Per nozze, Cortona 1864. Eine alte italienische Übersetzung (Albertis Volgareübertragung scheint verloren zu sein) bei Mancini, Opera inedita etc. 47 (s. u.).

Unechtes und Zweifelhaftes.

1. I cinque ordini architettonici, 1. A., bei Bonucci, IV, 377, nach der (einzigen) Hs. der Chigiana, ital. und deutsch bei Janitschek (s. u.). Nach Hoffmann erst aus Serlios Zeit.

2. Trattato della prospettiva (Optik) bei Bonucci IV, 95. Die Echtheit ist sehr zweifelhaft, vgl. Mancini und Brockhaus in seiner Ausgabe des Gauricus, p. 41.

Gesamtausgaben. Bartolis und Domenichis Übersetzungen von Albertis drei Hauptwerken über die bildenden Künste sind in der schönen Bologneser Folioausgabe von 1782 (und 1786) vereinigt. Auf Bartolis Text beruhen auch die Ausgaben von Dufresne (nur de pictura und de statua, zusammen mit Lionardos Traktat), Paris 1651 (Neapel 1733), dann die große italienisch-englische Parallelausgabe, London 1726 und 1793, ferner die der Classici Italiani, Mailand 1804. Die drei kleineren Traktate (de pictura, de statua, die 5 Säulenordnungen), deutsch von Janitschek, A.s kleinere kunsttheoritische Schriften in page 112 Eitelbergers Quellenschriften, Band XI, Wien 1877, guter Einleitung über die Handschriften etc.

Ferner die wichtigen Ausgaben: L. B. Alberti, Opere volgari, ed. Bonucci, Florenz 1842—1849, nicht völlig einwandfrei. L. B. Alberti opera inedita et pauca separatim impressa, ed. Mancini, Florenz 1890.

Über Albertis Kunstschriften: Außer der grundlegenden Biographie von Mancini, Vita di L. B. Alberti, Florenz 1882 (dazu desselben Autors Nuovi documenti e notizie di L. B. A. im Archivio storico Italiano, Ser. IV, vol. 19 und separat, Florenz 1897) und Janitscheks Einleitung zu seiner oben erwähnten Übersetzung: Pozzetti, L. B. Albertus landatus, mit Anhang: memorie e documenti intorno alla vita letteraria di L. B. A., Florenz 1789. Popelin, L. B. A., Gaz. d. b. arts XXV, 403 (Paris 1868). Janitschek, Albertistudien im Repertorium f. Kunstw. VI. Winterberg, L. B. A. s technische Schriften, ebenda, VI, 326. Hoffmann, Studien zu L. B. A. s zehn Büchern de re aedificatoria, Dissert., Frankenberg 1883. Vesco, L. B. A. e la critica l’arte in sul principio del Rinascimento. L’Arte XXII (1919), auch über die mittelalterlichen Vorgänger seit dem Heraclius, etwas wortreich. Staigmüller, Kannte A. den Distanzpunkt? Repertorium f. Kw. XIV. Panofsky, Das perspektivische Verfahren L. B. Alberti’s Kunstchronik, N. F. XXVI, 508, mit dem wichtigen Nachweis, daß A. das Verfahren des Distanzpunktes nicht gekannt hat, wie er auch in den übrigen Kunsttraktaten des Quattrocentos nicht erscheint. Irene Behn, L. B. A. als Kunstphilosoph; Straßburg 1911 (= Zur Kunstgesch. des Auslandes, Heft 85). Flemming, Die Begründung der modernen Ästhetik u. Kunstwissenschaft durch L. B. A. Leipzig 1916. Über L. B. A. s Rolle als Architekt: Schumacher, L. B. A. und seine Bauten, bei Borrmann und Graul, Die Baukunst, III. Serie, Heft 1.

Die übrige Literatur über A. findet man am bequemsten, obwohl nicht lückenlos zusammengestellt, in dem Artikel Suidas, in Thieme-Beckers Allg. Künstlerlexikon I, s. v. Alberti. Immer lesenswert bleibt der Aufsatz von A. Springer über A. in seinen Bildern a. d. neuern Kunstgeschichte, 2. A., I, 259. Über Albertis Stellung in der wissenschaftl. Literatur: Olschki, Gesch. d. neusprachl. Wiss. I, 45—88.

2. Die Romantiker der Frührenaissance.

Wesentlich anderer Natur ist die Schriftstellerei eines etwas jüngern Landsmannes Albertis, des Antonio Averlino, der sich mit einem gezierten Humanistenausdruck Filarete nannte. Architekt und Bronzebildner, hat er sein Leben außerhalb seiner Vaterstadt, wo man ihn, scheint es, nicht sonderlich schätzen wollte, verbracht, in Oberitalien, wo er das große Spital von Mailand baute, in Rom, wo er einen bedeutenden Auftrag erhielt, den Guß der Erztüren von S. Peter. Sein großer Traktat, der zwar bis auf den heutigen Tag nicht vollständig gedruckt ist, aber seine Beliebtheit durch zahlreiche Handschriften und die für Matthias Corvinus angefertigte lateinische Übersetzung bekundet, ist zwischen 1451 und 1464 entstanden. Vasari hat ihn recht abfällig beurteilt; er bleibt aber doch ein ansehnliches Dokument der Frührenaissance. Mit Alberti hat Filarete die starke Tendenz nach dem antiken Ideal gemein, von der nicht nur sein nom de guerre, sondern auch seine Werke — so die Odysseusplakette in Wien und die für Piero Medici gefertigte Bronzereduktion des Marc Aurel in Dresden — Zeugnis ablegen. Die romanhafte Einkleidung und das page 113 klassizistische Mittel nähern seinen Traktat dem später zu besprechenden Traum des Polifilo, aber an literarischer Formvollendung steht er weit unter Alberti. Wohl aber hat er nähere Beziehungen zur Praxis als dieser oder vollends als der Literat Colonna, der Autor der Hypnerotomachia.

Der Traktat besteht zum Teil aus Dialogen zwischen dem Verfasser (der sich hinter einem Anagramm Onitona = Antonio versteckt) und seinem Patron und Bauherrn Francesco Sforza sowie dem jungen Galeazzo Sforza. Diesem soll die vortreffliche neue antikische Manier zu Gemüte geführt und mundgerecht gemacht werden; Filarete spielt die Rolle des toskanischen Erziehers zum guten Geschmack in der Lombardei. Es ist bekannt, wie lange man hier, und noch mehr in Venedig, an den überlieferten »gotischen« Formen, freilich in ganz origineller Ausbildung, festgehalten hat, im Kirchen- wie im Profanbau, und wie diese gerade im 15. Jahrhundert zu reichster Blüte entwickelt worden sind. Filarete selbst hat in seinem Mailänder Spital, trotz aller Theorie, mit ihnen paktieren müssen. In seinem Buche ist er jedoch der leidenschaftlichste Parteigänger der maniera antica; dieser Praktikus prunkt mit dem humanistischen Gelehrtenkleide, das er freilich nicht mit dem Anstande und der Würde eines Alberti zu tragen weiß, ist es doch aus Flicken und Lappen aller Art auch wunderlich genug zusammengenäht.

Auch Filarete opfert dem Idol der Renaissance; auch er will die »regelmäßige«, auf Normen begründete maniera antica gegenüber der empirischen Willkür der maniera moderna — das ist bei ihm, entgegen sonstigem Sprachgebrauch, die freilich noch sehr lebendige Gotik — in seinem Werk darstellen. Einige Jahrzehnte später beginnt das Wirken jenes merkwürdigen Mantuaner Klassizisten, der tatsächlich wie ein Vorläufer des Empire erscheint, und sich ostentativ »L’Antico« nennt, wie dasjenige eines andern Oberitalieners, der sich, trotz ähnlicher Tendenzen, unter dem wie in bewußtem Gegensatz gewählten Decknamen des Moderno verbirgt. Als seine Vorgänger betrachtet Filarete Vitruv und Alberti, die aber in der Gelehrtensprache, die sie schrieben, nicht auf das große Publikum wirken konnten. Darum bedient sich Filarete mit eingestandener Absicht des Volgare, und er ist wirklich, trotz aller fadenscheinigen Gelehrsamkeit, ein handfester Praktiker.

Das Hauptthema des Buches ist jedoch dem Autor eigentümlich und von ihm selbständig behandelt. Es ist die romanhaft dargestellte Gründung einer Idealstadt, Sforzinda genannt, bei der auch nicht die literarische Anknüpfung an die Antike fehlt: die von Vitruv (II, 1) erzählte Geschichte von dem phantastischen Plan des Athosbaus durch Dinokrates. Die Sache selbst, tatsächlich einer der großen Gedanken page 114 der hellenistischen Architektur, von deren Schöpfungen auf diesem Gebiete die Renaissance freilich keine reale Vorstellung haben konnte, ist ein Lieblingstraum dieser Zeit, der völlig, nur in recht bescheidenen Grenzen, verwirklicht worden ist, im Corsignano-Pienza Pius II., teilweise im kleinen Sabbioneta einer Linie der Gonzaga, in noch kleinerem Maßstab im Kastell von Ostia. Wo aber sind Pläne wie Nicolaus V. Umbau der leonischen Stadt, Michelangelos kühne Idee des Ausbaus des Signoriaplatzes in Florenz geblieben? Bramantes Via Giulia in Rom ist ein Torso, aber Ferrara ward doch durch die Este des Cinquecento eine durchaus regelmäßige Stadt, sogar über das Bedürfnis hinaus, mit modernen breiten Straßen, freilich schon unter Preisgebung des Schutzes gegen Sonne und Wind, den die gewundene Straße des Mittelalters gewährt, der daher selbst Alberti (de re aedif. VI, 5, VIII, 6) aus ästhetischen wie praktischen Gründen das Wort redet. Von dem, was man wollte, geben die Architekturen der Maler einen Begriff, wohl auch der große Idealplan einer vollkommenen Renaissancestadt, der sich, von der Hand des jüngeren Vasari, in der Handzeichnungensammlung der Uffizien erhalten hat. Die starre Regelmäßigkeit, die Herkunft vom Reißbrett, ist, wie bei den meisten modernen Stadtplänen, auch hier merklich; die letzten Pfade führen bekanntlich in den Norden des 18. Jahrhunderts, zu den regelmäßigen Stadtplänen von König Stanislaus’ Nancy, von Mannheim und Karlsruhe.

Auch Filaretes Sforzastadt zeigt diese Linealmäßigkeit. Sie ist in Form eines achteckigen Sterns angelegt, eine Form, die die Renaissance besonders für Schloß- und Festungsbauten aus dem Mittelalter (Friedrichs II. Castel del Monte) übernommen und mit sichtlicher Vorliebe und genialem Blick ausgebildet hat (Sternschloß in Prag). Die merkwürdigste und sehr einflußreiche Anlage dieser Art ist aber die venezianische Festung Palmanuova von 1593, die Filaretes Idee, den dem Achteck eingeschriebenen runden Hauptplatz, auf den Radialstraßen von den Toren und Türmen der Ecken her ausmünden, in Wirklichkeit übersetzt darstellt.

Die Typen der Gebäude werden von Filarete bis ins einzelne hinab, bis zu den Kaufmannsläden und Handwerkerbuden, festgestellt. An der Spitze steht, wie billig, der Dom, dessen Mosaiken- und Steinschmuck Filaretes Beinflussung durch römische und oberitalienische Muster erkennen läßt. Merkwürdig ist ferner die Beschreibung des großen Spitals, im Hinblick auf des Autors eigene Tätigkeit in Mailand, merkwürdig auch, obwohl im Grunde auf national - antiker Basis ruhend, die Schilderung der Erziehungsanstalten. Daneben fehlt freilich, aus dem feudalen Mittel fürstlicher Höfe her, der Tierpark nicht. Besonders interessant ist das eigene Haus des Filarete (B. XVIII), page 115 mit seiner Büste über der Tür und einer Ruhmeshalle der Künstler (s. u.). Von der signorilen Haltung der Cavalieri- und Virtuosenzeit ist es freilich noch ein gut Stück entfernt, wie sie der Palazzo degli omenoni des Leone Leoni in Mailand — wo auch dessen bedeutendes Gipsmuseum untergebracht war — darstellt. Eher wird man sich an Giulio Romanos Haus oder das Vasaris in Arezzo erinnert finden.

An den Haupttraktat des Filarete schließen sich noch einige Bücher an. Zunächst ein Traktat von der Zeichenkunst (= B. XXII—XXIV), der die Grundsätze der Optik und Perspektive sowie die Farbenlehre, vielfach im Anschluß an Alberti behandelt, aber auch auf die Technik eingeht. Die Ölmalerei (auch die alte auf der Mauer, die schon Cennini beschreibt) wird behandelt, aber das Verfahren der Niederländer kennt der Autor doch augenscheinlich nur vom Hörensagen; daß ihn die Neuerungen der van Eyck und Rogiers beschäftigen, ist charakteristisch für das Italien dieser Zeit. Das Mosaik, das er in Rom und Venedig näher kennengelernt hat, erscheint ihm schon als eine veraltete Technik.

Das letzte (XXV.) Buch, bloß äußerlich angestückt, handelt über die Bauten und Sammlungen der Mediceer und enthält manche wichtige historische Nachricht.

In Einzelheiten ist Filaretes Traktat überhaupt eine ergiebige Quelle; die großen Künstlerverzeichnisse (besonders in Buch VI und XI) hat schon Vasari, wenn auch fahrig genug, benützt. Fast alle bedeutenden Künstler der Zeit kommen hier vor, mit fiktiven Arbeiten für Sforzinda beschäftigt. Die Nordländer, wie Jan van Eyck und Rogier sind nicht vergessen, Foucquet ist eine persönliche Bekanntschaft Filaretes aus dem Rom Eugen IV. Auch von den Sammlungen seiner Zeit weiß er Verschiedenes zu berichten; besonders merkwürdig sind seine Nachrichten über Gemmensammlungen, nicht nur in Italien; sie sind auch für die Renaissance eine wichtige Formquelle. Filarete weiß noch von der Sammlung des Herzogs von Berry; er ist der älteste Schriftsteller, der die berühmte, jetzt in Wien befindliche Gemma Augustaea erwähnt, von der er einen Gipsabguß kennt.

Dann hat Filarete vieles, das auf die Kunst seiner, wie der folgenden Zeit Licht wirft. Er ist, soviel ich sehe, der älteste Gewährsmann, der ein Requisit erwähnt, das damals gewiß schon längst in den Ateliers heimisch war: die Gliederpuppe, das antike Kinderspielzeug, auch schon ihre Bekleidung mit gummigetränkten Draperien, ein Verfahren, das bei den quattrocentistischen Künstlern, aber auch, im Zusammenhange mit diesen, bei den Deutschen der Vischerschule zu verfolgen ist (B. XXXIV).

Auch für die Ikonographie der ältern wie der zeitgenössischen Kunst seiner Heimat ist Filarete eine wichtige Quelle. Die Auslassung page 116 über die abgenützten Allegorien der Väterzeit (im XVIII. Buch) ist sicher nicht ohne Wichtigkeit; eine neue Seite, die für das Cinquecento besonders wichtig werden soll, tritt schon bei ihm hervor, angeregt durch die römischen Obelisken: das Hieroglyphenwesen (B. XII). Von besonderm Wert sind seine Nachrichten über Profankunst. Bei der Ausschmückung seiner Paläste steht er, wie wir heute noch verfolgen können, auf realem Boden und lehnt sich an wirklich Gesehenes an. Für die gemalte Weltchronik im Fürstenpalast von Sforzinda nennt er selbst eine sala in Rom als Vorbild; dergleichen Zyklen sind auch verschiedentlich in Handschriften erhalten, in dem fälschlich dem Giusto zugeschriebenen Skizzenbuch in Rom, in einer Bilderhandschrift des Lionardo da Besozzo und in der Bilderchronik, die Sidney Colvin dem Maso Finiguerra geben will. Wertvoll ist sein Bericht über die verlorenen mythologischen Fresken des Foppa im Banco Mediceo in Mailand, an deren Programm, wie es scheint, Filarete selbst Anteil gehabt hat (B. XXV). Die Gemälde aus der Geschichte des Spitals von Sforzinda finden ihr Gegenbild in den noch erhaltenen des Hospitals der Scala zu Siena. Auch die alte, auf Giotto zurückgehende Allegorie des Comune pelato (monumental am Tarlatigrab in Arezzo erhalten) kommt noch bei ihm vor (B. X). Aus der höfischen Kunst des Trecento stammt ferner die Geschichte vom Krieg um Theben (B. XI), die Guariento im Carraresenpalast von Padua gemalt hat und die sich auch auf altfranzösischen Wandbehängen findet. Ein Renaissancethema, die Verleumdung des Apelles, hat er dagegen aus Alberti übernommen; daß er bei Nennung der Quelle Lukian mit Lukrez verwechselt, wie ein andermal Polyklet (in florentinischer Aussprache Policreto) mit Polykrates, darf bei seiner Art von Gelehrsamkeit nicht Wunder nehmen (B. XVIII u. XXIII).

Solche Einzelheiten sind wichtig, denn sie lehren, wie Filarete, trotz aller antikischen Drapierung, enger mit dem Trecento und der Gotik zusammenhängt als Alberti, der Johannes der klassizistischen Hochrenaissance. Seine Begeisterung für die Antike ist romantischer Art, ganz in der Weise der älteren Malergenerationen. Sein merkwürdiger Einspruch gegen das antike Kostüm von Donatellos Gattamelata quillt aus dieser Gesinnung, deshalb tadelt er auch an Masolinos Heiligen das moderne Kostüm. Eigentümlich ist auch seine Einwendung gegen Donatellos Apostel auf der Erztür von S. Lorenzo, aus dem gleichen Renaissanceconcetto des decorum heraus: sie sähen wie schermidori aus. Das antike Mittel ist bei ihm märchenhaft phantastisch, fast noch mehr als in der Hypnerotomachia, die Schilderung der Hafenstadt von Sforzinda, wo das antike, jetzt geborgene Prachtschiff im Nemisee vorkommt (B. XI), ist dafür ebenso bezeichnend, als die opernhafte Maskerade des Kronprinzen, der als Apollo ver page 117 kleidet den Künstler im Atelier besucht, die Merkurstatue vor seinem Rathaus und die Mirabiliengeschichte des Grabmals des Remus, d. i. der Cestiuspyramide (auf seiner Erztür von S. Peter). Endlich mag die seltsame Künstlerhalle in seinem Hause noch einmal erwähnt sein; die Künstlerstatuen sind hier wie Heilige mit ihren Attributen aneinandergereiht, ihre Meisterstücke vor sich tragend. Auch das zeigt, wie Filaretes Buch viel mehr in der Vergangenheit und unmittelbarsten Gegenwart wurzelt, als Albertis erhabenes und posiertes Kunstgelehrtentum. Auf seine Zeit hat er darum auch mehr gewirkt als dieser; daß er mit seiner Generation veraltete, erklärt sich ebenso daraus.

An Filarete schließen wir den berühmten Roman der Hypnerotomachia Poliphili, als dessen (ungenannter, aber unter einem Kryptogramm sich verbergender) Verfasser längst Francesco Colonna von Treviso, ein hochbetagt 1507 zu Venedig verstorbener Dominikanermönch, festgestellt ist.

Sein Werk ist am Ende des II. Buches von 1467 datiert, die Vollendung hat sich aber noch durch Jahre hindurch hingezogen, so daß es erst 1499 in den prachtvollen, mit den berühmten, linienstrengen Holzschnitten gezierten Wiegendruck der Aldinischen Offizin in Venedig erschienen ist. Es folgt der herkömmlichen Form des allegorischen Romans, die vom Roman de la Rose bis in die Schriftstellerei Maximilians I. und weiterhin maßgebend ist; das von Dante verkündigte mittelalterliche Prinzip des Lehrgedichts herrscht hier noch unbedingt, und von Dante ist die Einleitung ebenso inspiriert, wie sich das Ganze, zuweilen sogar wörtlich, an Boccaccios Allegorica, namentlich dessen Amorosa Visione anlehnt. Die von »Poliphilus« geliebte »Polia« ist die Personifikation des antiken Ideals der Renaissance, ihre Rolle ist jener der Beatrice in der Commedia nachgebildet, und es scheint sogar, daß sich hinter ihr ebenfalls eine reale Person verberge. Auch die allegorische Architektur des Mittelalters setzt sich wie in der »Intelligenzia« und bei Boccaccio hier fort, der Palast der Eleutherilide hat auch hier moralischen Sinn. Freilich ist das die äußere Zurichtung, die hinter neuen Gedanken, der großen Renaissance-Rhapsodie über das Thema Vitruv im I. Buche zurücktritt. Die Grundstimmung ist romantisch im Sinne des Quattrocento. Schon die Sprache des Buches ist höchst charakteristisch; ursprünglich, wie aus der Vorrede sich ergibt, lateinisch begonnen, ist es dann in einem wunderlichen Misch-Idiom abgefaßt worden, einem venezianisch gefärbten Volgare, das nach Kräften latinisiert, aber höchst ernsthaft gemeint ist, und seine Parodie in der ungefähr gleichzeitig in Oberitalien entstehenden maccaroneischen und fidenzianischen Dichtung findet. Das von dieser mit so übermütigem Humor verspottete Bestreben der Pedanten, die lebendige Sprache zurückzuschrauben, dem gelehrten page 118 Idiom des nationalen Idols selbst in der Rechtschreibung zu nähern, ist in Italien seit langem wirksam, schon in den Notariatsurkunden, und eine merkwürdige Parallele zu verwandten Strömungen in Kunst und Schrift. So weit wie hier ist diese Sucht praktisch jedoch selten gegangen; man hat tatsächlich Zweifel geäußert, ob Colonna dem lateinischen oder italienischen Schrifttum beizuzählen sei, und wir müssen schon auf das Niveau neugriechischen Literaturwesens herabsteigen, um etwas Ähnliches zu finden. Daß die Humanisten allen Ernstes die Möglichkeit erörterten, das Volgare durch das Latein zu ersetzen, ist ohnehin bekannt genug. Dazu wimmelt es in diesem seltsamen Stil nicht nur von vitruvianischen Terminis, was nicht zu verwundern ist, sondern auch von griechischen, ja arabischen Brocken; und dergleichen ist ja wieder für dies nordöstliche venetische ambiente (man denke an Mantegna, den Medailleur Boldù, auch an Filarete) sehr bezeichnend. Der uns heute so sehr geläufige Ausdruck »Arabeske« begegnet hier vielleicht zum ersten Male; welche Rolle die Sache selbst im venezianischen Kunstgewerbe spielt, ist bekannt.

Das antike Trümmerfeld, auf das nun Polifilo im Traume geführt wird, spiegelt den Zauber der antiken Ruinen wieder, der seit den Tagen der Mirabilien, dann Cola di Rienzis, Petrarcas und Poggios die italienische Phantasie beherrscht und nicht mehr losgelassen hat.

Literarisch ist es hier zum erstenmal in großem Umfang fixiert; im selben Mittel erscheint auch, bei Mantegna, die antike Ruinenlandschaft, die dann von Raffael bis Poussin ihr heroisches Zeitalter erlebt und allgemein wird. An dem Faden einer ziemlich läppischen allegorischen Liebesgeschichte sind Phantasien über antike Bauten aufgereiht, die ihr Gegenstück in Architekturstaffagen der gleichzeitigen Malerei finden; hier tritt auch die Holzschnittillustration als wesentlicher Bestandteil verdeutlichend zum Texte hinzu. Der Bruder Colonna ist aber ein Literat, kein Architekt, wenn auch in geometrischen Problemen, deren er viele mit sichtlicher Vorliebe bringt, wohl zu Hause.

Im Grunde ist also das Buch ein romantischer Kommentar zu Vitruv; zahlreiche Punkte kommen zur Sprache, die die spätere Theorie aufgreift und breit ausführt. Vor allem ist die Rolle des ägyptischen Hieroglyphenwesens auffallend, die hier (wie bei Filarete) zum erstenmal hervortritt, vortrefflich in diesen allegorisch bildenden Kreis passend, wie sie denn in ihrer späteren Ausbildung (Valeriano) einen so bedeutsamen Bestandteil der inneren Geschichte des italienischen Manierismus bildet.

Im Zusammenhang mit der Grundstimmung des ganzen Buches steht die Polemik gegen die »Barbarei« der gotischen Formen und den Mischstil des eigenen venetischen Mittels, wie ihn die Künstlerfamilie der Lombardi damals am glänzendsten darstellte.

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Nicht alles, was in Colonnas Roman vorkommt, ist romantische Phantastik. Das berühmte Puttirelief, das sich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in der Miracolikirche zu Venedig befand, und das man dem Praxiteles zuschrieb, erscheint hier; ebenso der obeliskentragende Elefant von Catania, der durch Berninis Nachbildung auf dem Minervaplatz in Rom weithin bekannt wurde. Aus Vitruvs Beschreibung des »Turms der Winde« in Athen (I, 6) stammt die Kairosartige Figur als Windfahne, ein Motiv, das in den Seestädten der adriatischen Küste, von Venedigs Dogana bis nach Fano hinab, besonders beliebt wurde. Aus der mittelalterlichen Medizin schreibt sich dagegen wieder der Koloß her, an dem alle Teile des menschlichen Körpers, deren Krankheiten und Heilmittel angegeben sind: das bekannte Aderlaßmännlein, das schon im Stundenbuch des Herzogs von Berry zu Chantilly vorkommt.

Das oberitalische Mittel ist natürlich nirgends zu verkennen. Die Mosaikdekoration spielt eine große Rolle; anziehend sind die Beschreibungen (und Abbildungen) von Renaissancegerät in antikischem Stil. Das nahe Padua, in dem schon damals die Werkstatt des Riccio blühte, war ein Mittelpunkt solcher Gewerbstätigkeit in Bronze. Nicht zu übersehen sind endlich die Beschreibungen architektonisch angelegter Gärten mit ihren zu Figuren verschnittenen Buchshecken. Wie die berühmten und viel erörterten Holzschnitte des Buches endlich mit der lombardisch-venezianischen Kunst jener Tage Zusammenhängen, ist ein Thema für sich, das hier nicht einmal gestreift werden soll.

Filaretes Architekturtraktat, verfaßt für Francesco I. Sforza, um 1451 — 1464, nach dessen Tode Piero Medici gewidmet, ist in fünf Hss. bekannt; eine lateinische Übersetzung, auf Veranlassung Matthias Corvinus’ durch Ant. Bonfini aus Ascoli besorgt, ist in sechs Codd. erhalten. Nachrichten über die schon Vasari bekannte Schrift in Milanesis Vasariaausgabe (ed. Sansoni II, 458); über die Hss. ist die Einleitung zu der ersten, durch W. v. Oettingen besorgten Ausgabe zu vergleichen, in Eitelberger-Ilgs Quellenschriften, N. F. III, Wien 1896, die freilich nicht durchaus einwandfrei ist, den (nicht vollständig gegebenen) Text und die Übersetzung durcheinander mischt, auch nur einen sehr dürftigen Kommentar aufweist. Das Widmungsschreiben sowie einige Auszüge schon früher in Gayes Carteggio inedito I, 200 f.

Erläuterungsschriften: Dohme, Filaretes Traktat von der Architektur (mit ausführlicher Inhaltsangabe) im Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen I. W. v. Oettingen, Über das Leben und die Werke des A. Averlino Filarete, Beiträge zur Kunstgesch., N. F. IV, Leipzig 1888. Lazzaroni und Muñoz, Filarete, Rom 1908, mit Faksimile und Inhaltsangabe nach Büchern (in Kap. VII). Olschki, Gesch. d. neusprachl. wiss. Lit. I, 109—119. Berger, Beiträge IV, 6—9.

Fra Francesco Colonna (1433—1527), Hypnerotomachia Poliphili, Ed. princ. Venedig, Aldus 1499, mit den berühmten Holzschnitten, 2. A. bei Aldus' Söhnen, Ven. 1545. Eine vollständige Faksimilereproduktion der 1. Ausgabe ist bei Methuen in London 1904 erschienen.

Übersetzungen: Französisch, bei Kerver, Paris 1546 (mit andern Schnitten), dann 1551, 1554, 1561. Freie Bearbeitung u. d. T. Le tableau des riches inventions, von page 120 Verville, Paris 1600 und 1657. Schlechter Auszug u. d. T. Les Amours de Polia, Paris 1772. Neuere (freie) Übersetzung von Le Grand, Paris Didot, 1803 (Nachdruck von Bodoni Parma 1811), dann von Popelin, mit Geschichte des Textes und Reproduktionen der Holzschnitte, Par. 1883. (Fra Colonna ist auch der Held einer Novelle von Charles Nodier.) Erste englische Übersetzung von Waterson, London 1592.

Die Literatur über die Hypnerotomachia beginnt mit Temanzas Vite de’ più celebri architetti ecc., Venedig 1768, p. 1 ff. sowie mit Federicis Memorie Trevigiane, Venedig 1803, 98 ff. (mit Dokumenten). Fiorillo, Über den Dominikaner F. Colonna und sein berühmtes Buch Hypnerotomachia, in den Kleinen Schriften, Göttingen 1803, I, 153. Gegen Temanzas Hypothesen richtet sich z. T. Barca, Della geometria di Polifilo, Brescia 1808, in Fol. (mit Abb.). Santi, Ricordo di Fra F. C., in den Discorsi letti nella I. R. Accademia di b. arti, Venedig 1837. Marchese, Memorie dei più insigni pittori... Domenicani, 2. Ed., Florenz 1854, I, 332 f. Ilgs Tübinger Doktordissertation »Über den kunsthistorischen Wert der Hypnerotomachia Poliphili«, Wien 1872, ist eine recht leichtsinnige und oberflächliche Arbeit, nicht einmal der hier gegebene Auszug aus der Schrift ist verläßlich. Dorez, Études Aldines, des origines et de la diffusion du songe de Poliphile. Revue des bibliothèques VI (1896), 239 f. Eingehend und grundlegend ist die literarhistorische Untersuchung von D. Gnoli in der Bibliofilia, Bd. I, 1899. Biadego, Intorno al sogno di Polifilo. Atti del R. Istituto Veneto LX (1900/1901). Molmenti, Alcuni documenti concementi l’ autore delle H. P., Archivio storico ital., S. V, vol. XXXVIII (1906), mit 48 Urkunden, 1471 bis 1526, aus dem Venezianer Staatsarchiv. Barrand, Essai de bibliographie du songe de Poliphile in der Bibliofilia dir. da Leo S. Olschki XV, XVI, Florenz 1913—1915. Über das Hieroglyphenwesen der H. höchst lehrreich Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus etc., her. von Weixlgärtner, im Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerh. Kaiserhauses XXXII, Wien 1915, He 46—79.

Über die Holzschnitte der Hypnerotomachia Fillon, Quelques mots sur le songe de Poliphile, Gaz. d. b. arts 1879. Ephrussi, Étude sur le songe de P., Paris 1888. A'ppell, The dream of Poliphilus, London 1893, mit vollständigen Reproduktionen der Holzschnitte. Poppelreuter, Der anonyme Meister des Poliphilo. Straßburg 1904 (Zur Kunstgesch. des Auslandes, H. XX), der indessen trotz der schon durch Ephrussi nachgewiesenen Holzschneidermarken die unhaltbare Zuschreibung an den jungen Palma vertritt. Über den »gegenwärtigen Stand der Frage über die H. P. « orientiert O. Pollak in der Kunstchronik 1911/1912, Nr. 28.

3. Die strengen Theoretiker der Frührenaissance.

Wir fassen hier eine Gruppe von Schriftstellern zusammen, die in streng mathematischer Weise die formalen Grundlagen der bildenden Künste festzustellen suchen: Francesco di Giorgio, Piero della Francesca, Luca Pacioli; jeder von ihnen vertritt eine bezeichnende Seite dieses Schrifttums.

Der Sieneser Architekt, Maler und Plastiker Francesco (Cecco) di Giorgio Martini hat seinen Traktat über die Zivil- und Militärarchitektur nach 1482 am Hofe von Urbino verfaßt, und an die Fürsten der italienischen Renaissancehöfe richtet sich denn auch dieses Buch von den edlen Künsten des Krieges und des Friedens. Überall knüpft Martini an die Antike an, die Äußerungen ihrer Schriftsteller sind sein Leitstern und Ausgangspunkt für Wertung und Begriffsbestimmung der Kunst. Er beklagt es aufs bitterste, daß trotz der Bemühungen auch eines Herzogs Federigo noch keine page 121 Übertragung des Vitruv vorhanden sei — die älteste stammt bekanntlich erst aus dem römischen Kreise Raffaels. Auch Martini hat also den Ehrgeiz, einen modernen Vitruv zu schaffen, und die sieben Bücher seines Traktats zeigen schon in ihren philosophischen Einleitungen den Anschluß an das antike Vorbild. Gleich Alberti gebärdet er sich als Togaträger; eine antikische Schrulle, recht bezeichnend übrigens für die kleinen Tyrannenhöfe Italiens, ist sein Projekt einer Fürstenpfalz mit einem »Ohr des Dionysius«.

Trotzdem ist Vitruv für unsern Künstlerautor, wie für die Frührenaissance überhaupt, keine dogmatische Autorität. Ihm stehen die antiken Denkmäler selbst in erster Linie. Er teilt zahlreiche eigene Zeichnungen und Messungen nach antiken, teilweise nicht mehr vorhandenen Bauten mit und wird dadurch eine wichtige primäre Quelle. Der originale Charakter der Frührenaissance tritt bei ihm besonders stark hervor; er erzählt, wie er diese antiken Studien zu eigenen Entwürfen verwertet, klagt freilich auch darüber, daß sie ihm von Konkurrenten weggeschnappt worden seien. Über seine eigenen Bauten berichtet er manches und erlangt dadurch unmittelbaren Quellenwert. Überhaupt erweist er sich, viel mehr als Alberti, als Mann der Praxis.

Martini behandelt kurz den christlichen Kirchenbau, der bei ihm allerdings auch ganz antikisch auftritt. Der Rundbau steht ihm an erster Stelle, bezeichnend für diese Zeit; an zweiter und dritter behandelt er den basilikalen Langbau und das aus den beiden andern gemischte, in Italien seit alter Zeit national überlieferte System. Die schwierige liturgische Frage der Stellung des Altars im Rundbau ist bei ihm schon ausführlich mit Gründen und Gegengründen abgehandelt. Auch die Stadtanlage kommt zur Sprache mit mancher merkwürdigen Einzelheit über städtische Hygiene, endlich der Privatbau.

Allein der Schwerpunkt von Martinis Traktat liegt in der Erörterung des Festungsbaus (Buch V). Es ist das ein für die italienische Renaissance höchst bedeutendes Thema, diese Verbindung der Ingenieurtechnik, für die die Italiener bis zum heutigen Tage Geschick und Neigung bewahrt haben, mit der Architektur und der bildenden Kunst überhaupt. Es ist unnötig zu erinnern, welche Rolle Männern wie Brunellesco, Leonardo, Michelangelo und anderen bis auf Sanmicheli herab auf diesem Gebiete zugewiesen war, bei dem Zuletztgenannten ist es vielleicht die bedeutendste Seite seines Schaffens. Um zu erkennen, welchen Sinn dergleichen für die damalige Anschauung hatte, genügt es zu erinnern, daß die dreifache vitruvianische Forderung nach Festigkeit, Nützlichkeit und Schönheit des Baus auf diesem Felde in idealer Weise erfüllt werden konnte. Tatsächlich hat Italien hier auch eine klassische Höhe erreicht; sein Einfluß reicht page 122 noch bis in die moderne Befestigungskunst herab, wie es denn seit den Tagen seiner condottieri die hohe Schule der Kriegskunst überhaupt gewesen ist; hier entstanden Montecuccolis berühmte Aphorismen! Blanchs Scienza militare gilt den Italienern als ein klassisches Nationalwerk, und von hier ist noch zuletzt der edelste Typus des Feldherrn, Prinz Eugen von Savoyen, ausgegangen, wie endlich Napoleon, den man wohl gelegentlich den letzten der condottieri genannt hat. Francesco di Giorgio selbst steht hier an ansehnlicher Stelle; er gilt als Erfinder der baluardi, und seine Entwürfe zeigen einen ebenso hervorragenden Künstler als Techniker. Ebenso gilt er als einer der wichtigsten Theoretiker des heute zu solch unheimlicher Bedeutung gediehenen Minenkriegs, über den er sich ausführlich verbreitet. Sein VI. und VII. Buch behandeln Anlage und Verteidigung von Kriegshäfen sowie die Kriegsmaschinen. Daß in dem Traktat auch das Geschützwesen zu Wort kommt, versteht sich von selbst; Martinis Patron, Herzog Federigo, galt, wie später Alfonso von Este, für einen der bedeutendsten Kenner auf diesem Felde. Die Nachrichten unseres Autors über diesen Zweig der Technik sind sehr wertvoll; welche Bedeutung ihm in der damaligen Kunst zukam, ist bekannt. Von Pisanello bis auf Leonardo gibt es eine stattliche Reihe von Entwürfen für künstlerisch verzierte bombarde; und vollends die Rolle der Stückgießer in der Bronzeplastik ist ein wichtiges Kapitel der allgemeinen Kunstgeschichte. Martini erwähnt auch einen unmittelbaren Landsmann, jenen Giovanni delle Bombarde, von dem unter anderem noch ein bezeichnetes Weihbecken in der Fontegiusta zu Siena erhalten ist.

Wie Optik und Perspektive bei Ghiberti und Alberti, freilich in grundverschiedener Weise, in den Plan ihrer Traktate Aufnahme gefunden haben, ist früher gesagt worden. Vollständig auf exakter, mathematischer Basis durchgearbeitet wurde das schwierige Gebiet aber erst von Piero della Francesca, dem merkwürdigen, aus Borgo San Sepolcro gebürtigen, jedoch in Florenz ausgebildeten umbrischen Maler († 1492), einem der ersten, der den modernen Freilichtproblemen mit Bewußtsein und Erfolg nachgegangen ist. Für die ganze Stellung dieser Malerstudien zu der Wissenschaft der Renaissance ist Pieros bezeugter naher Verkehr mit seinem gleich zu erwähnenden engeren Landsmann Luca Pacioli, dem berühmten Mathematiker und Euklidübersetzer, wichtig und bezeichnend.

Die drei Bücher von Pieros Traktat De prospectiva pingendi ruhen denn auch völlig auf euklidischer Grundlage. Es ist eine strenge, trockene und sachliche Arbeit, die uns hier überliefert wird, in charakteristisch latinisierendem Volgare, mit mathematischer Präzision und Methodik vorschreitend. Das I. Buch handelt über die Punkte, page 123 Linien und Flächen, das II. über die stereometrischen Körper und deren Konstruktion, das III. über den perspektivischen Aufriß von Köpfen und Bauteilen. Der Vortrag ist bis ins kleinste hinein mathematisch geführt; das Buch läßt den großen Fortschritt gegenüber den noch stark empirischen Thesen Albertis erkennen. Diese exakte Strenge entsprach einem Ideal der Renaissance; tatsächlich ist das Werk auch rasch zu Ruf und Einfluß gelangt. Pacioli bezeugt, daß Lionardo ein von ihm geplantes Buch über Perspektive liegen ließ, als er von Pieros bereits fertigem Traktat Kunde erhielt; schon 1506 spricht Volaterrano in seinen römischen Kommentaren mit hoher Achtung von ihm, und noch Daniele Barbaro hat vieles daraus in seine 1568 gedruckte Perspektivlehre übernommen. Auch Vasari kennt Pieros Werk wohl; bei ihm findet sich auch jene Anklage gegen Pacioli, daß er die Arbeiten seines Lehrers Piero, da dieser blind geworden war, plagiiert und unter seinem eigenen Namen herausgegeben habe. Die lange Zeit erörterte Frage (vgl. die Note zu Milanesis Vasari II, 488) ist neuerdings wieder von Jordan aufs Tapet gebracht worden, der die Behauptung aufstellte, daß Pacioli in seinem Venedig 1509 gedruckten Libellus de V corporibus regularibus einfach ein italienisches Werkchen Pieros über den gleichen, für die perspektivischen Aufgaben wichtigen Gegenstand — das Jordan in einer vatikanischen Handschrift zu finden glaubte — sich angeeignet habe. Winterberg hat dagegen, wohl mit Recht, Einsprache erhoben. Es handelt sich höchstens um eine gemeinsame Arbeit beider Männer, und Paciolis obengenannter kleiner Traktat ist das Werk eines reinen Mathematikers auf streng euklidischer Grundlage; auf das Thema selbst kommt Pacioli abermals mit philosophischer Betrachtungsweise in seinem großen Werke über die »göttliche Proportion« zurück, in dem er überdies des Piero mit großem, aufrichtigem Lobe gedenkt. Im übrigen ist nicht zu vergessen, daß der Begriff des Plagiats erst sehr spät fest wurde, und für das Mittelalter wie für die Renaissance in unserem Sinne eigentlich kaum vorhanden war.

Der erwähnte Traktat des Luca Pacioli De divina proportione führt uns schon in ein anderes Mittel, an den Hof des Lodovico Moro in Mailand; er trägt das Schlußdatum 1497, ist aber erst 1509 in Venedig zum Druck gelangt. Wie die Widmungsschrift lehrt, ist er aus den wissenschaftlichen Unterhaltungen jenes geistreichen Kreises hervorgegangen, dem auch Lionardo angehörte; über dessen Wirken enthält er denn auch manche denkwürdige Einzelheit, so über das Abendmahl, die Reiterstatue des Sforza, über Lionardos Kunstbuch (Vorwort und Architekturtraktat cap. 6 und 23). Mit dem großen Florentiner ist der Verfasser überhaupt in den Jahren 1496 und 1497 in engem Verkehr gestanden; und so gehen auch die Zeichnungen page 124 des Buches, Paciolis ausdrücklicher Angabe nach (cap. 10), auf jenen zurück. Persönliche Freundschaft verband ihn mit seinem älteren Landsmann Piero della Francesca, dessen Perspektivtraktat er mit begeisterten Worten erhebt, als di tal facoltà delli tempi nostri dignissimo monarca. Bezeichnend ist, daß er in diesem Zusammenhang mit nicht minder emphatischen Worten eines berühmten venezianischen Intarsiators, des Lorenzo Canozzo von Lendinara gedenkt, wie des ihm ebenfalls befreundeten Sohnes desselben, des Ingenieurs Giovanni Maria; er nennt auch deren Werke in Venedig, Padua u. s. w. (Vorrede zum Architekturtraktat). Mit L. B. Alberti hat er in Rom noch Verkehr gepflogen (Architekturtraktat, c. 8). Diese Beziehungen zu bildenden Künstlern sind für den gelehrten Euklidübersetzer und Mathematiker charakteristisch. Selbst sein mathematisches Hauptwerk, die Summa arithmeticae (Venedig 1494) enthält in der Vorrede einen merkwürdigen Katalog von solchen florentinischen und oberitalienischen Künstlern, die sich in der Perspektive hervorgetan haben. In der Tat fühlt er sich als Lehrmeister der Künstler; sein Architekturtraktat, der mit der Divina proportio zusammen gedruckt ist, wendet sich an eine Anzahl landsmännischer Künstler (Cesare dal Saxo, Cera del Cera, Rainer Francesco de Pippo, Bernardo und Marsilio da Monte, Hieronymo da Jecciarino), die er als seine Schüler und Zöglinge bezeichnet. Er erwähnt gelegentlich selbst (c. 9), daß er im Klosterhof der Frari in Venedig seinen Eleven praktische Demonstrationen vorführe.

Auch Paciolis Traktate sind noch in dem schwerfälligen latinisierenden Stil wie alle die Werke der Art, die wir bisher kennen gelernt haben, abgefaßt; erst Lionardo hat den Italienern ein Muster klassischer wissenschaftlicher Prosa gegeben. Dazu gesellt sich bei dem Franziskanerpater Pacioli noch eine starke theologisch-philosophische Färbung. Hier, am Ende des 15. Jahrhunderts, wagen sich zuerst jene Spekulationen ans Licht, die später in der Kunsttheorie, nicht zu deren Vorteil, einen so breiten Raum beanspruchen.

Die Divina Proportio Paciolis ist nämlich der berühmte, in seiner Anwendung auf die Theorie der Bildkunst fast berüchtigt zu nennende »Goldene Schnitt« der alten Mathematik, reichlich durchsetzt von mystisch-spekulativen Elementen, deren Erörterung hier in die für die Konstruktionsmethoden des Quattrocento so wichtige Lehre von den fünf regelmäßigen Körpern ausmündet. Schon hier fehlt die Beziehung auf die Architektur nicht, es wird auf Bramantes Mailänder Bauten verwiesen, und so schließt sich denn endlich ein eigenes Traktat über diese Kunst selbst an.

Hier kommen dann auch alle jene Konstruktionsversuche des menschlichen Körpers, des Alphabets u. s. w. zur Sprache, erläutert page 125 durch Zeichnungen, die, wie gesagt, nach Paciolis eigenen Worten niemand geringem als Leonardo selbst zurückgehen. Merkwürdig ist die Aufzählung normal gebauter Säulen in Italien, unter ausdrücklicher Ablehnung von Albertis »toskanischer« Säulenordnung. Die von den Malern und Bildnern gern benützten, vom Barock wieder geflissentlich begünstigten gewundenen Säulen von S. Peter erscheinen hier ausdrücklich als Gegenbeispiel, ein Zeichen für die erwachende strenge Richtung, die mit der Romantik der Frührenaissance gebrochen hatte. Daß Pacioli ferner gegen die ältere lombardische Bauweise sich polemisch ablehnend verhält, zeigt, wenn wir es nicht aus den Monumenten selbst wüßten, daß sie ihre Macht seit Filaretes Tagen noch keineswegs eingebüßt hatte. Die toskanische Bauweise ist das Ideal und Muster auch für diesen Mittelitaliener, der Palast von Urbino sein vornehmstes Schulbeispiel. Daß Lorenzo Medici als Baudilettant gerühmt, eigener Modelle von seiner Hand für den Palast von Neapel gedacht wird, ist in diesem Zusammenhang auch nicht ohne Wichtigkeit.

Paciolis Tätigkeit leitet also schon auf den großen Florentiner hin, dessen Wirken in Mailand den Abschluß des Quattrocento und die Inauguration einer neuen Zeit bildet, auf Lionardo da Vinci, dessen »Vermächtnis« wir denn auch zum Schlusse behandeln wollen.

Dieser selbst war aber in Mailand keineswegs auf unvorbereiteten Boden getreten. Schon unter den älteren Mailänder Künstlern hatte eine theoretisierende Bewegung eingesetzt, deren Kunde uns allerdings nicht mehr unmittelbar, sondern durch spätere Quellen überliefert, wohl auch in ihren Nachwirkungen erkennbar ist. Der bekannte Mailänder Malertheoretiker G. P. Lomazzo bringt nämlich an verschiedenen Stellen seines 1584 erschienenen Trattato della pittura sowie in seiner Idea del tempio della pittura (Mailand 1590) die von den Späteren oft nachgeschriebene Nachricht, daß das Haupt der Altmailänder Malerschule, Vincenzo Foppa aus Brescia (in Mailand in den letzten vier Dezennien des 15. Jahrhunderts tätig, † gegen 1516) einen Traktat über die Malerei hinterlassen habe. Lomazzo wollte ihn sogar veröffentlichen; heute ist er verschollen. Es liegt kein zwingender Grund vor, die Glaubwürdigkeit des Autors in diesem Falle von vorneherein zu bezweifeln. Der Traktat befaßte sich mit den quadrature, d. i. der Konstruktion des menschlichen Körpers, namentlich des Kopfes, nach bestimmten geometrischen Schemen — etwas, das schon, freilich in ganz anderer Art, die Gotik (Villard, s. o.) versucht hatte, und wie es auch bei den toskanischen Perspektivikern (bereits bei Ghiberti) freilich nur in skizzenhafter Gestalt, zum Vorschein kommt. Ferner mit einem andern alten Hauptthema der oberitalienischen Kunst, der Konstruktion des Pferdekörpers. Bei den Toskanern finden wir dergleichen noch nicht; Lomazzo nimmt auch ausdrücklich die page 126 Rolle des Pfadfinders auf diesem letzteren Gebiete für Foppa in Anspruch. Phantastisch, aber im Sinne der Renaissance ist natürlich die Anmerkung, daß Foppa durch die figure quadrate des alten Lysipp angeregt worden sei. Die Handschrift war durch Federzeichnungen erläutert, und Lomazzo bemerkt ziemlich hämisch, daß Dürer in seiner berühmten, in Italien viel gelesenen »Unterweisung der Messung« sich die Hauptergebnisse zugeeignet habe. Auch Daniele Barbaro habe im achten Buche seiner Perspektive (es ist die berühmte, 1569 zu Venedig erschienene Prattica della prospettiva) vieles daraus verwendet. In dieser Form dürfte die Nachricht freilich, namentlich was Dürer anbetrifft (denn Barbaro hat die betreffenden Figuren, wie er auch selbst angibt, aus Dürer übernommen), wenig glaubwürdig sein, etwas Wahres ist aber doch an der Sache. Studien solcher Art wurden von den Nachfolgern Foppas weiterbetrieben, und Lionardo selbst wurde bei seinem Aufenthalt in Mailand in sie hineingezogen: Dürer und seine Nachfahren sind aber gerade von diesem Mailänder Mittel aus auf das stärkste beeinflußt worden, was freilich hier zunächst nicht weiter ausgeführt werden kann.

Obwohl wir damit zum Teil schon über die Grenzen der von uns angenommenen Periode hinausgeführt werden, wollen wir doch hier vorläufig zusammenstellen, was uns, freilich auch nur durch literarische Tradition, von der Fortsetzung dieser Studien in Mailand bekannt ist. Zwei Schüler Foppas, beide aus Treviglio gebürtig und Ateliergenossen, haben, wieder nach Lomazzos Zeugnis, theoretische Werke solcher Art hinterlassen, die freilich heute als verschollen oder verloren zu gelten haben: Bernardino Butinone und Bernardo Zenale (tätig bis gegen 1526). Von jenem erwähnt Lomazzo einen Architekturtraktat (?), von diesem aber besaß er selbst die Handschrift eines dem eigenen Sohn des Autors zugeeigneten und aus dem großen Pestjahr (1524) datierten Traktates über Perspektive und Architektur, den zu veröffentlichen er die Absicht hatte. Er gibt auch einige Auszüge, die uns den Charakter des Buches deutlicher erkennen lassen, um so mehr als Zenale Beziehungen zu Lionardo hatte und von diesem auch in seinen Aufzeichnungen neben Mantegna erwähnt wird. Daß er immerhin einen ältern Standpunkt vertrat, können wir aus seinen Ausführungen über die Luftperspektive entfernter und klein erscheinender Gegenstände erkennen, die Lomazzo aus Fragmenten seiner Schriftstellerei wiederzugeben versichert. Er steht nämlich, im Gegensatz zu hervorragenden Meistern seiner Zeit, auf dem Standpunkt, daß auch die entfernten Gegenstände deutlich, in Nahsicht wiedergegeben werden müßten; es ist die Forderung der Deutlichkeit, die die Kunst des Quattrocento beherrscht. Lomazzo zitiert hier wieder Dürer, der in Gemälden wie in Stichen das gleiche Prinzip verfolge. Im übrigen page 127 nennt unser Autor den Zenale wiederholt mit großem Lobe neben Foppa, Leonardo und Andrea Mantegna, von dessen schriftstellerischer Tätigkeit er gleichfalls Kunde zu haben behauptet und von dem er Skizzen und schriftliche Erläuterungen im Besitze des Perspektivikers Andrea Gallarato kennt. Unmöglich ist die Sache nicht, erscheint Mantegna doch als der erste Vertreter jener den Lomazzo so sehr interessierenden perspektivischen Scheinkonstruktionen, die gerade in Oberitalien durch den Padre Pozzo ihre letzte virtuose Ausbildung erhalten haben.

Noch vor Lionardo war ein anderer bedeutender Mittelitaliener in den Mailänder Kreis eingetreten, Bramante von Urbino, der dort (ca. 1476—1499) sich auch als Maler betätigt hat. Lomazzo nennt ihn als Autor eines Traktats, der, wie er gehört hat, in die Hände des berühmten Genueser Malers Luca Cambiaso geraten und diesem von großem Nutzen gewesen sein soll; was daran Wahres ist, läßt sich ebensowenig erweisen wie die allerdings ziemlich verdächtig klingende Angabe, auch Raffael, Polidoro und Gaudenzio Ferrari hätten ihn benützt. Das angegebene Thema, die Quadratur des menschlichen Körpers sowie des Pferdes ist allerdings in besonderem Maße oberitalienisch. Seltsam und mit größter Vorsicht aufzunehmen sind die Angaben des bizarren Querkopfs Doni in seiner z. T. phantastischen Bibliographie, der Libraria, wo er drei architektonische Traktate des Bramante aufzählt, auch einige Angaben über ihren Inhalt macht, um so mehr als Doni als literarischer Fälscher, z. B. des apokryphen Briefes Dantes an G. da Polenta erwiesen ist. Festeren Boden betreten wir mit den Nachrichten Lomazzos über die schriftstellerische Tätigkeit eines Schülers des Bramante, Bartolommeo Suardi, gen. Bramantino (bis 1536 nachzuweisen). Lomazzo nennt nicht nur ein Werk über die Altertümer von ihm, das man, anscheinend zu Unrecht, in einer Handschrift der Ambrosiana wiederzufinden geglaubt hat, sondern gibt auch ausführliche wörtliche Auszüge aus einer Perspektivlehre. Bramantino unterscheidet darin sachgemäß drei Arten perspektivischer Konstruktionen, die mathematisch fundierte, die rein empirische und mechanische mit dem althergebrachten Netz (graticola, velo), eine Sache, die bekanntlich auch Dürer lehrt. Ein Schüler Bramantinos ist der von Lomazzo erwähnte Agostino di Bramantino, dessen Indentifizierung mit dem bei Masini genannten und um 1525 angesetzten Agostino dalle prospettive schon Lanzi vorgenommen hat. Von seinen Konstruktionen werden Wunderdinge erzählt — bedeutend ist der Ort, wo er wirkte, Bologna, denn dort hat Dürer, eigener Aussage nach, die »heimliche Perspektive« lernen wollen.

Welchen Wert die Mailänder auf ihre perspektivischen Studien legten, ersieht man auch aus einem merkwürdigen, höchst seltenen Wiegen page 128 druck um 1500, den Antiquarie prospetiche Romane composte per Prospectivo Milanese depidore, ein Werkchen, das niemand Geringerem als Lionardo gewidmet ist; es wird uns noch gelegentlich in einem andern Umkreis beschäftigen. Der Anonymus hat den Titel Prospettivo in augenscheinlicher Absicht als seinen schriftstellerischen nom de guerre gewählt; sein Werkchen ist von einem Frontispitz in Linienholzschnitt geschmückt, das eine konstruierte nackte Proportionsfigur, wie wir sie von Lionardo und Dürer her kennen, zeigt, vor den Ruinen Roms, einen Zirkel handhabend und eine Armillarsphäre erhebend. Über den Autor ist viel, aber fruchtlos hin und her geraten worden; auch an Bramantino wurde gedacht.

Das übrige Italien hat sich an diesen theoretischen Studien der Frührenaissance, so viel wir wissen, nicht weiter beteiligt; nur aus Neapel kommt uns dunkle Kunde von dem Volgaretraktat eines Porcello de’ Pandoni de arte fusoria zu, das ein um 1470 anzusetzender Brief des Hieronymus Aliottus brevissimus libellus, nuper editus et vemacula lingua compositus nennt. Auch der Norden schweigt, er kommt erst in der nächsten Periode, freilich in nachdrücklichster Weise, mit dem größten nordländischen Künstler, Dürer, zu Wort, um dann wieder auf lange Zeit hinaus zu verstummen.

Zur Literatur über die Perspektivlehre im allgemeinen: Bossi, Del cenacolo di Lion. da Vinci. Mailand 1810 (Verzeichnis der altern Schriften). Libri, Histoire des Sciences mathématiques. Paris 1838, bes. Bd. III; auch Ferrari, La scenografia. Cenni storici dall’evo classico ai nostri giorni. Mailand 1902 kann genützt werden. Burmester, Die geschichtl. Entwicklung der Perspektive in Bez. zur Geometrie. Beilage zur Allgem. Zeitung. München 1906. no. 6. Kern, Die Anfänge der zentralperspektivischen Konstruktion in der ital. Malerei des 14. Jahrhunderts. Mitt. des kunsthistor. Institutes in Florenz. Berlin 1912. Derselbe, Das Dreifaltigkeitsfresko in S. Maria Novella. Jahrb. d. k. preuß. Kunstsammlungen 1913. Müller, Über die Anfänge und das Wesen der malerischen Perspektive. Rektoraisrede. Darmstadt 1913. Wolff, Mathematik und Malerei. Mathem. Bibliothek 20/21. Leipzig 1916.

Francesco di Giorgio Martini († 1506), Trattato (d’ architettura civile e militare), in 1. Ausgabe besorgt von Cesare Saluzzo, Turin 1841, 2 Bde mit Atlas. Die Einleitung zum I. Band enthält eine ausführliche Biographie des F. di Giorgio von Promis, der II. Band fünf Abhandlungen zur Geschichte des italienischen Festungsbaus und über Leben und Werke der berühmtesten Schriftsteller über dieses Thema, von Egidio Colonna (1285) bis auf F. Marchi (1560). Eine ausführliche Inhaltsangabe gibt schon Della Valle in den Lettere Sanesi II, 67 ff., bes. 106 f. Rumohr hat ihn eingehend gewürdigt. Ital. Forsch. II, 183 (in meiner Neuausgabe, Frankfurt 1920, 340 f.). Über F. di Giorgio: Pantanelli, Di F. di G. pittore, scultore ed arch. Senese, Siena 1870. Donati, Rocchi u. a., F. d, G. Martini (Festschrift zum IV. Zentenar), Siena 1903. Rocchi, F. di G. Martini nelle tradizioni dell' ingegneria militare Italiana, Bull. Senese di storia patria IX, 186. Olschki, Gesch. der neusprachl. Wiss. Teil I, 119—237. Über die Hss. ist die Einleitung Saluzzos zu vergleichen. Der Name des Autors ist zwar nicht in ihnen überliefert, jedoch seit alten Zeiten, durch gute Tradition und innere Gründe sichergestellt. Die Originalhs. scheint nach dem Tode Herzogs Federigo von Urbino (1482) verfaßt zu sein, in dessen Dienste Francesco 1477 getreten war. Noch Scamozzi hat den Traktat (ebenso wie den des Filarete) page 129 besessen und benützt (Della Valle a. a. O. II, 71). Zu Francescos Traktat sind die Ausführungen bei Jähns, Gesch. der Kriegswissenschaften, München 1889, X, 436 f. zu vergleichen. Eine Martini zugeschriebene Vitruv-Übersetzung auf der Nationalbibliothek in Florenz. Olschki a. a. O. II, 203. Anm. 1.

Piero della Francesca († 1492). 1. De prospectiva pingendi. Nach dem Original der kgl. Bibliothek in Parma, her. von C. Winterberg, Straßburg 1899 (mit deutscher Übersetzung). Zur Lit.: Comolli, Bibliografia III, 186. Janitschek, Des Piero della Francesca drei Bücher von der Perspektive, Kunstchronik XIII (1878), 670. Sitte, Die Perspektivlehre des P. de’ Francesca, Mitt. des Österr. Museums f. Kunst u. Industrie VII (1879). Funghini, Prefazione all’ opera su Piero della Francesca del prof. Felice Pichi, Sansepolcro 1892. Pittarelli, Intorno al libro: de prospectiva pingendi di P. d. F. Atti del congresso internaz. di scienze storiche, vol. XII, sez. 8 (1905). Über eine alte Kopie des Traktats in der Pariser Nationalbibliothek cf. Chronique des arts 1884, 424. Olschki a. a. O. I, 137—151.

2. Traktat über die fünf regelmäßigen Körper. Zusammenstellung der älteren Literatur von Harzen in Naumanns Archiv f. d. zeichnenden Künste II, Leipzig 1856. Jordan, Der vermißte Traktat über die 5 regelm. Körper des P. d. F., Jahrb. der preuß. Kunstsammlungen I. Winterberg, Der Traktat des P. d. F. über die 5 regelm. Körper und Luca Pacioli. Repert. f. Kunstw. In den Memorie della R. Accad. dei Lincei S. V. vol. XIV. Rom 1916 versucht G. Mancini neuerdings das Plagiat Paciolis an P. della Francesca nachzuweisen. Über P. d. F. außerdem die Spezialwerke von Witting, Straßb. 1896 und Water, London 1896.

Luca Pacioli. 1. De divina proportione. Ed. princ. Venedig 1509. Darnach neu her. und übersetzt von C. Winterberg in Eitelberger-Ilgs Quellenschriften, N. F. II, Wien 1889. Comolli, Bibliografia III, 11 ff. 2. Summa arithmeticae, Ed. princ., Venedig 1494. Die Vorrede mit dem Künstlerkatalog abgedruckt von E. Müntz im Courier de l’art 1886, 226. 3. Der Tractat de V. corporibus regularibus, Ed. pr., Ven. 1507, s. o. unter P. della Francesca, ferner Fiorillo in den Kleinen Schriften I, 320 f. Über Paciolis Verhältnis zu Lionardo vgl. Müller-Walde im Jahrbuch der preuß. Kunstsammlungen XIX, 233, bes. 242, dann Solmi, Le fonti dei manoscritti di Leonardo da Vinci, p. 219 f. Evelyn, Alcune notizie su Fra Luca Pacioli, L’Arte 1914, 224. Die Euklidübersetzung des Campanus (Ed. princ. 1482) wurde von Pacioli beaufsichtigt und Venedig 1509 neu herausgegeben. Über P. jetzt sehr eingehend Olschki a. a. O. I, 151—251.

Die Mailänder. Über Vincenzo Foppas Traktat sind die Hauptstellen in Lomazzos Trattato dell' arte della pittura ecc., Mailand 1575, p. 264, 275, 320 und desselben Autors Idea del tempio della Pittura, Mail. (1590), p. 16. Die Späteren, wie Rossi in seinen Elogi istorici dei Bresciani illustri, Brescia 1602, haben sie nur ausgeschrieben. Brockhaus in seiner A. des Gauricus, Lpz. 1886, p. 45 mit Anm. 4. Vgl. auch Constance Ffoulkes u. Maiocchi, Vincenzo Foppa, Lond. 1909, p. 243, wo die Glaubwürdigkeit Lomazzos sicher mit Unrecht in Zweifel gezogen wird. Über Bernardino Butinone: Lomazzo, Idea, p. 17. Über Bernardino Zenale und sein Manuskript von 1524: Lomazzo, Trattato, p. 164 u. 174, Idea, p. 107. Vgl. Tassi, Vite de’ pittori ... Bergamaschi, Berg. 1793, I, 85 f. Lanzi, Storia pittorica (Pisa 1816) IV, 172. (Murr hat in seiner schleuderhaften Bibliothèque de peinture II, 496 aus Lomazzos Angaben einen Druck, Mailand 1524, in Folio konstruiert!) Über A. Mantegnas Schriftstellerei: Lomazzo, Trattato, p. 264 u. Idea, p. 17. Über Bramante: Lomazzo, Trattato, p. 320 u. Idea, p. 16. Die Stelle aus A. F. Donis Libraria seconda, Venedig 1555, p. 44 lautet: Ottima cosa anzi necessaria sarebbe che colui che tien questo tesoro di Bramante ascoso lo desse fuori ... ha pur fatto un trattato del lavoro Tedesco, et delle volte di getto intagliato, del far lo stucco, delle colature dell' acqua, ehe si conducono le fontane rustiche, et l' ha chiamato Pratica di Bramante et dentro insegne i modi d’ apiccar ... le pietrecotte, il page 130 modo di fare pavimenti commessi onde chi legge questo non si tosto vede un edificio che subito conosce se gl’ è proportionato o no, et sapra dire di tutte le parti che se gli convengono a star bene universalmente. Doni erwähnt außer dieser Pratica di ßramante, L. I noch eine Architettura di Bramante libri V (über die Säulenordnungen) und Modo di fortißcare L. III. Neuerdings hat Vogel, Bramante und Raffael (Kunstwissenschaftl. Studien IV, Leipzig 1910) versucht, den berühmten, angeblich von Raffael stammenden Brief über die gotische Architektur Bramante zuzuschreiben, wodurch Donis Angaben einigermaßen erhärtet würden. Davon soll noch später die Rede sein. Über Bramantino: Lomazzo, Idea, p. 16, Trattato, p. 274 ff. (mit den Auszügen, die in deutscher Übersetzung bei Suida, Die Spätwerke des Bartol. Suardi, Jahrb. der Kunstsammlungen des Allerh. Kaiserhauses XXVI, 353 gegeben sind). Über das Quidproquo d’ Argenvilles, der eine angebliche Ausgabe von 1756 erwähnt, vgl. Comolli, Bibliografia III, 211. Die Rovine di Roma sind unter Bramantinos Namen von Della Croce und Mongeri Mailand 1875 herausgegeben worden. Vgl. Suida a. a. O. 297. Über Agostino (di Bramantino) dalle prospettive vgl. Masini, Bologna perlustrata, Bol. 1666, p. 612 und Lanzi, Storia pittorica (Ed. Pisa 1816) IV, 178 und V, 63. Die Antiquarie prospetiche wurden von Govi, Rom 1876 neu, mit guter Einleitung herausgegeben. Suida hält a. a. O. 383 ihre Zuteilung an Bramantino für möglich.

Über den Traktat des Porcello de’Pandoni aus Neapel, De arte fusoria, s. Voigt, Wiederbelebung des klass. Altertums, 2. A., I, 375 und Brockhaus, Gauricus, p. 32. Über die Schriften des Schöngeistes Pandoni, der Sekretär König Alfonsos von Neapel war, vgl. Tiraboschi (Venez. A.) VI, 656 f. Ein gleichfalls dort erwähnter Traktat des L. B. Alberti »Ars aeraria« ist kaum mit seiner Schrift de statua zu identifizieren.

III. Die historischen Thesen der Frührenaissance. Gesamtansicht.

Das hier berührte Thema ist in einem weiteren Rahmen und nach einer bestimmten Seite hin in meinen Prolegomena zu Ghiberti, Jahrbuch der k. k. Zentralkommission, Wien 1910, p. 5 (dazu p. 19 und 23 f.), behandelt. Über das Kunsturteil der Frührenaissance, nicht immer überzeugend, Lion. Venturi in der Arte XX (1917)» 305 f.

Man kann eigentlich nicht behaupten, daß die Frührenaissance besonders starke historische Tendenzen gehabt hätte; manche ihrer großen Männer, an ihrem Eingange L. B. Alberti (trotz des kurzen historischen Exkurses im VI. Buch seines Architekturwerkes) wie am Ausgange Lionardo, verhalten sich überhaupt gleichgültig, wenn nicht ablehnend gegen diese Richtung der Erkenntnis. Das Zeitalter ist noch zu voll von jugendlicher Schaffenslust, um Lust und Muße zu reflektierender Rückschau zu haben, es arbeitet mit allen Kräften an der Grundlegung des theoretischen Fundaments, und diese Seite tritt daher in seinen Betrachtungen viel stärker hervor.

Dazu hat es die Grundlage seiner historischen Konstruktionen, soweit sie, allerdings in höchst bedeutender Weise, bei Ghiberti und page 131 in Manettis Brunellescobiographie vorhanden sind, aus der vorhergegangenen Periode, dem Trecento, übernommen. Der Gedanke, eine Periodizität der Kunstentwicklung festzustellen, ist auf humanistischem Gebiet groß geworden und war zunächst ein literarisch, nicht durch Einsicht in das Kunstwerk selbst, entsprungener Gedanke. Er findet sich zuerst in Boccaccios berühmter Novelle von Giotto und Messer Forese (Decamerone VI, 5). Der Danteprofessor Boccaccio hat den Begriff des dolce stil nuovo in seiner Weise aus der Commedia übernommen und zuerst auf bildende Kunst angewendet. Die vorausgehende »griechische« Kunstperiode Italiens, in der die Kunst lediglich eine Augenweide für Unwissende war, wird abgelöst durch den neuen Stil Giottos, den großen Erwecker der wahren, durch Jahrhunderte begrabenen Kunst; die Natürlichkeit seiner Gestalten, die Boccaccio, wie schon der ältere Chronist Giovanni Villani († 1348) als das Neue und Entscheidende hervorheben, hat für diese Männer allerdings einen wesentlich andern Sinn als für uns Heutige. Dieser Begriff des rinascimento, dessen Zusammenhang mit der alten italienischen Mystik übrigens K. Burdach (Sitzungsber. der k. Preuß. Akademie 1910, 594) dargelegt hat, ist von da im italienischen Denken haften geblieben; die Dreiteilung der Kunstentwicklung ist damit festgelegt, zwischen die antike und die eigene, kräftig empfundene moderne Zeit schiebt sich die lange Periode eines Todesschlafes der Kunst, ein Mittelalter, ein. In dieser Art hat Filippo Villani in seinem Elogium von Florenz den Gedanken aufgenommen und weitergesponnen. Bei ihm erscheint schon die merkwürdige Legendenfigur von Dantes Cimabue als Altervater der neuen Richtung.

Unabhängig von Villani (nach allem, was wir vermuten können) hat Ghiberti in selbständiger Weise diese große Geschichtskonstruktion übernommen. Seine Ansicht ist in vieler Hinsicht merkwürdig und folgenreich. Mit dem Zeitalter Konstantins, das die Zerstörung der alten Denkmäler sowohl als der literarischen Kunsttradition einleitet, beginnt der Verfall, ja Stillstand aller Kunst. Erst mit Ghibertis 382. Olympiade (etwa um 1150) setzt die neugriechische Manier (Ghiberti denkt hier durchaus an seine toskanische Heimat) als schwacher und roher Anfang einer Besserung ein, bis Giotto und seine Schule wieder die arte naturale erringen. Die Vorstellung eines solchen »Wiederauflebens« der Kunst wurde durch eine Pliniusstelle unterstützt, die Ghiberti bezeichnenderweise mit rinacque übersetzt (Plin. H. N. 35, 29, rursus ol. CLVI revixit). L. B. Alberti zeigt, wie schon gesagt, nur geringes historisches Interesse. Bei ihm findet sich der vielgewendete, scheinbare und doch schiefe Gedanke, daß Blüte der Kunst mit politischer Blüte und Macht zusammenfalle. So blüht und verfallt die alte Architektur mit dem Römerreich; vor der page 132 großen Kathedralenkunst des Mittelalters, auch der heimischen, geht Alberti mit eisigem Schweigen vorüber (Widmungsbrief der Schrift della pittura an Brunellesco). Bei Filarete taucht, zum ersten Male in der eigentlichen Kunstliteratur, die berüchtigte »Barbarentheorie« — der die »Gotik« ihren Namen verdankt — in schattenhaften Umrissen auf; die ultramontani sind die eigentlichen Urheber des schlechten Geschmacks, der maniera moderna; auch die Zeit Giottos ist, was die Baukunst anbelangt, noch in ihrem Banne und die neue Zeit datiert erst von dem Auftreten Brunellescos und der Wiedergewinnung der allein echten maniera antica.

Am konsequentesten und ausführlichsten finden sich die Gedanken in Antonio Manettis Brunellescobiographie entwickelt, in dem großen Exkurs über die Geschichte der Architektur; es ist, von Ghiberti sowie dem verwandten Kapitel in Albertis VI. Buche abgesehen, das einzige und größte Dokument dieser Art, das uns das Quattrocento hinterlassen hat, und das Fundament, auf dem Vasari weitergebaut hat.

Der Exkurs beginnt mit dem Ursprung alles Bauens aus dem Zweckbau, der primitiven Hütte, und mit der altorientalischen Baukunst; Kunst wird diese jedoch erst unter den Händen der Griechen. Auch bei diesen ist der Profanbau das Vorausgehende; der Steinbau des Tempels wächst aus dem Handwerk des Zimmermanns hervor. Drei Jahrhunderte lang vor Goethes berühmtem Jugendaufsatz ist der Gedanke durchgeführt, daß die Kunst lange »bildend« gewesen, ehe sie »schön« geworden sei. In langem Entwicklungsprozeß keimen die antiken Ordnungen hervor, jenes Schiboleth der Renaissance, in dem sie ihren Traum von Harmonie und Regel verwirklicht erblickt. Der klassizistische Gedanke des Zusammenhangs von politischer mit künstlerischer Blüte tritt auch hier hervor, wie bei Alberti, wohl auch in unmittelbarem Zusammenhang mit ihm. Von Griechenland geht die Führerschaft der Kunst auf Rom über und mit diesem Weltreich ist auch sie zugrunde gegangen. Denn es folgen nun die Barbaren, Vandalen, Goten, Langobarden, Hunnen, die ihre eigenen Baumeister mitbringen, vor allem die Deutschen, da sie selbst zu jeglicher Kunstübung ungeschickt waren; ein seltsamer Rückschluß von dem den Italienern jener Tage wohlbekannten und von ihnen hochgeschätzten deutschen Handwerksmann auf eine ferne Vergangenheit. Diese »barbarische«, d. h. im Grunde »deutsche« Baukunst — wenig später hat man sie geradezu maniera tedesca genannt — überschwemmt nun ganz Italien, bis Karl d. Gr. die letzten Barbaren, die Langobarden, vertreibt, ihren collegi — darin stecken die alten Zünfte der maestri Comacini — ein Ende macht und den geringen Resten der Res publica Romana die Hand reicht. Der große Germanenkönig, der hier, page 133 wie man sieht, schon vollständig zum Charlemagne der heute noch in Italien volkstümlichen Reali di Francia geworden ist, zieht römische Baumeister an sich, unter denen sich noch kümmerliche Reste antiker Tradition erhalten haben; mit ihnen stellt er das verfallene Florenz wieder her, in dessen ältesten Bauten, S. Pietro in Scheraggio und SS. Apostoli, wenigsten noch ein Schimmer altrömischer Bauweise erglänzt. Wir Heutigen erkennen in diesen die legendarisch gefärbte Erinnerung an zwei große Tatsachen der Kunstgeschichte, an die mit der Erneuerung des alten Imperiums parallelgehende sog. karolingische Renaissance und an die mit dem sagenhaften Erneuerer von Florenz lokalgeschichtlich verknüpfte sog. Protorenaissance von Toskana und Umbrien. Vasari hat dann (in seiner Biographie des Tafi) die Anknüpfung Brunellescos an diese nationale Antike, namentlich den vermeintlich antiken Tempel des Baptisteriums, weiter ausgeführt. Mit dem Ausgang der karolingischen Dynastie kommt das Reich wieder an die Tedeschi und die kaum errungene »gute« Bauweise geht abermals verloren. In dieser fremdem »deutschen« Manier ist dann in Italien weitergebaut worden, bis Brunellesco, der große Erneuerer und Erwecker des neuen Stils, kam, der an die heimische Überlieferung und die römische Vergangenheit angeknüpft hat.

So stellt sich neben Ghibertis maniera greca die von den »Barbaren« — man weiß, welchen Klang dieses Wort noch immer für romanische Ohren hat — ausgehende maniera tedesca, viel später gotica genannt, als Parallelerscheinung. Wie der Klassizismus das Wort »Barock« als gattungsmäßigen Schmähnamen für die Kunst seiner Vaterzeit in Schwang brachte, so hat die junge Renaissance alles, was ihr von ihrer Ahnenzeit als überlebt und überwunden erschien, in ihrem leidenschaftlichen Zurücksehnen nach dem nationalen Idol der Vergangenheit als »barbarisch«, »gotisch«, »griechisch« verfemt. Es steckt immerhin eine dunkle Erinnerung an die zwei größten Kulturmittelpunkte des »Mittelalters«, Byzanz und Paris, darin.

Diese These hat dann Vasari sich zu eigen gemacht und sie derart zu kanonischem und europäischem Ansehen erhoben, daß ihr Einfluß noch heute nicht ganz überwunden ist.

IV. Zu den kunsttheoretischen Thesen der Frührenaissance.

Zur Literatur kommt fast allein das oben erwähnte Buch von Irene Behn, L. B. Alberti als Kunstphilosoph, Straßburg 1911, in Betracht. Gut geschrieben und klar disponiert, bietet es, wenigstens dem Historiker, nicht allzuviel. Im Besonderen über die Proportionslehre der Frührenaissance bis zu Lionardo die lehrreichen page 134 Ausführungen Panofskys, Monatsh. f. Kunstwiss. 1921, 207 ff. Sehr lehrreich wie immer, auch für den Kunsthistoriker, K. Vosslers Habilitationsschrift: Die poetischen Theorien der italienischen Frührenaissance (seit dem Trecento). Berlin 1900.

Tritt man aus dem Mittelalter in das Quattrocento hinüber, so muß man vor allem die Wahrnehmung machen, daß zumal der Begriff der bildenden Kunst eine entscheidende Umwertung erfährt. Als Prophet einer neuen Zeit, die freilich, wie seine eigentliche Wirksamkeit überhaupt, erst nach seinen Tagen einsetzt, erscheint L. B. Alberti. Es ist das erste Mal, daß (im Traktat von der Malerei) der Begriff der bellezza in engste Beziehung zur Bildkunst gestellt wird (wenn auch Vitruvs eurythmia den Ausgangspunkt bildet) als das Zusammenstimmende, während das nicht Zusammenstimmende häßlich ist (Beispiel: zu große neben kleinen Flächen, wie in den Gesichtern alter Weiber). Mit der neuen Kunst, die im Sinne Albertis selbst und seiner technischen Verfahren, wie des velo, auf bewußt genaue Wiedergabe der Natur ausging, war hier eine Auseinandersetzung unumgänglich. Alberti gibt sie, indem er neben die Ähnlichkeit die Schönheit als oberstes Gesetz stellt. Auch hier liefert die Antike Beispiel und Gegenbeispiel; die berühmte Anekdote von Zeuxis und den Jungfrauen von Kroton (aus Cicero) erscheint hier wohl zum ersten Male, um von den Späteren unaufhörlich wiederholt zu werden; als Gegensatz dazu die aus Lukian bekannte Geschichte von dem alten Realisten Demetrios von Alopeke. Vertieft wird das Thema noch in Albertis Buch von der Architektur (VI, namentlich Kapitel 5 — 7). Auch hier erscheint Vitruvs eurythmia in neuer Fassung zur Definition der architektonischen Schönheit verwendet: als Zusammenstimmung (concerto übersetzt Bartoli) aller proportioneil verbundenen Teile zu einem Ganzen; das »Ebenmaß« ist für Alberti ein Naturgesetz, und zwar das vollkommenste. Schon bei ihm meldet sich, in unmittelbarem Zusammenhang mit Vitruv, die später von der Renaissance ungemein ausgesponnene und wichtige Spekulation aus musikalischen Verhältnissen. Albertis scharfer Geist hat wohl auch nicht verkannt, daß die Bestimmung der künstlerischen Schönheit eines der schwierigsten und gefahrvollsten Probleme sei (IX, 5). Der Begriff der schönen Kunst ist damit angebahnt, den freilich erst eine spätere Zeit sich völlig zu eigen macht, mögen seine Wurzeln auch schließlich bis zur Lehre des schönen Scheins in der mittelalterlichen Kunstlehre zurück zu verfolgen sein.

Etwas Neues ist auch dem Mittelalter gegenüber die mit den Tendenzen des Quattrocento innig verwachsene Überzeugung, daß die Kunst auf Gesetzen und Regeln beruhe; jene Ansicht, die ihren höchsten, einseitig gesteigerten Ausdruck in der späteren Lehre von der »regelmäßigen« Tragödie gefunden hat. Wie die neuen Ge page 135 bilde des rhythmisch und harmonisch klar gefügten Florentiner Palast- und Basilikastils die Absage an das romantische, unregelmäßige »Mittelalter« verkörpern, so urteilt Alberti von der hohen Warte seines geläuterten Geschmacks herab verächtlich und abfällig über die Stadtburgen und Türme seiner toskanischen Heimat (VIII, 5), als Zeugen verworrener, roher und gesetzloser Zustände, die nicht mehr in das neue stadtbürgerliche Ideal passen. So haben schon die ältesten Theoretiker der Frührenaissance, Ghiberti wie Alberti, das klar formulierte Bestreben, die Kunst auf Regeln zu bringen; es ist vor allem die mit so vielem Eifer ausgebaute Lehre von der Perspektive und den Proportionen, die das Fundament bilden soll, und Alberti verkündet ungescheut seine Einsicht, daß den Werken der sonst so hochgestellten Antike, aus Mangel an Einsicht in die perspektivischen Probleme, eine Unvollkommenheit anhafte.

Das ist denn der feste Grund, von dem aus in dieser Zeit unablässig das Dogma von der Kunst (besonders der Malerei) als Wissenschaft verkündet wird; begreiflich genug bei den Künstlern, die von Ghiberti an eifrig und hingebend um die Gewinnung der wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit bemüht waren, auch bald in den Reihen der Gelehrten, wie Luca Pacioli, ihre Partisane fanden. Ihr Selbstbewußtsein ist begreiflich genug; sind diese toskanischen Künstler doch die Schöpfer einer vor ihnen, in der Anwendung auf bildende Kunst, unerhörten Lehre, die tatsächlich der Antike wie dem Mittelalter gegenüber etwas vollständig Neues darstellt. Diesen wissenschaftlichen Charakter betonen alle Theoretiker dieser Zeit, Francesco di Giorgio sowohl, in der Vorrede seines Architekturtraktats, wie Piero della Francesca, dessen Schrift das Ideal der Renaissance von streng mathematischer Beweisführung in vollendetster Form darstellt, nicht minder bei Pacioli, der sich wohl bewußt ist, welch ungemeiner Fortschritt damit gegenüber der Antike vollzogen ist, und der die Perspektivlehre als fünfte Wissenschaft in das alte Quadrivium eingereiht sehen will — wie es ein Künstler dieser Zeit, Antonio Pollajuolo, auf seinem Grabmal Sixtus IV. in St. Peter, wenigstens im Bilde der althergebrachten Allegorien wirklich getan hat.

Und hier kommen wir auf die eigentliche Triebfeder dieser Bestrebungen. So begreiflich uns bei diesen Pfadfindern auch der Zug zur Wissenschaftsseite hin erscheinen mag, dies einseitige Hervorheben der Theorie auf Kosten der Praxis, die ihr doch allein als das Primäre Leben zu geben vermag, so meinen wir doch, darin ein Erbteil des aus der Antike her fortwirkenden Intellektualismus zu erkennen. Historisch ist die Sache nur zu begreifen aus der altangesehenen Stellung, die die am höchsten gestellte Kunst des Altertums, die Musik, kraft ihrer ausgebildeten wissenschaftlichen Grundlegung, im page 136 Reigen der »freien Künste«, auch noch in der Erstarrung im bekannten Kanon des Mittelalters, einnahm. Die bildenden Künste waren in ihrer rein praktischen Ausbildung in die niedriger stehenden artes mechanicae verwiesen oder schwebten bestenfalls als ein unklares Zwischengebiet in der Mitte zwischen beiden, eben weil sie des theoretischen Fundaments entbehrten. Dieser Protest gegen die ältere Auffassung ist besonders von Francesco di Giorgio in der Vorrede seines Traktats scharf formuliert worden. Daß jene »freien Künste« aber gar nicht Künste in unserem Sinne, d. h. freie Betätigungen schaffender Phantasie, sondern eben, wie die »Poetik«, auch »Disziplinen« waren, Versuche, jene Tätigkeiten des bildenden Geistes gleichsam als Naturobjekt zu betrachten und auf den Seziertisch zu legen, das enthüllt uns die Kluft zwischen der noch immer fortwirkenden ältern und der späteren sowie vollends unserer heutigen Anschauung. Von hier aus trat, wie schon im Altertum, die Kunstspekulation ihren langen Weg an; einmal in der schon in der Antike vorgebildeten weitaus mächtigeren Tendenz, in der Kunst ein objektives, den Kategorien von Zeit und Raum wie dem Subjekt überhaupt entrücktes selbständiges Wesen zu erkennen, als das sich immer deutlicher der schon von Alberti als dunkel und schwankend empfundene Begriff normierter Schönheit entwickelte; dann in dem tastend bereits im Neuplatonismus, namentlich von Plotin (der auch für die Hochrenaissance vorübergehend zum Leben erwachte) beschrittenen Wege, die psychische Beschaffenheit und Tätigkeit des künstlerischen Subjekts zum Ausgangspunkt zu nehmen.

Zu beiden Richtungen finden sich schon in dieser Periode Ansätze, zu der zweiten naturgemäß viel dürftigere und unzusammenhängendere. Den Mittelpunkt des Strebens nach der objektiv zu fassenden Schönheit bildet schon jetzt die Lehre von den Proportionen, in kümmerlicher Gestalt von Vitruv überliefert, auch im Mittelalter nicht gänzlich vergessen, aber erst von dieser neuen Zeit mit vollem Eifer ausgebaut und ernstlich nutzbar gemacht. Daß damit eine gewaltige Überschätzung eines ursprünglich rein praktischen Atelierbehelfs Hand in Hand ging, ist begreiflich. Schon bei Alberti, der allerhand Anekdoten aus dem Altertum als Beispiele bringt, auch die uralte und viel nacherzählte, daß, wenn zwei Hälften derselben Bildsäule, die eine in Paros, die andere in Carrara, nach bestimmtem Kanon hergestellt würden, sie genau zusammenpassen müßten. Alberti ist sich freilich ganz klar darüber, daß es sich hier um die typische Darstellung, das Gattungsideal, handelt, dem er die individuelle Darstellung gegenübersetzt; diesen beiden dienen ja seine merkwürdigen Methoden, die der dimensio einer-, der definitio anderseits.

In diesem Umkreis tritt der schon aus dem Altertum überlieferte Gedanke des menschlichen Leibes als Vorbildes für den organischen page 137 Bau des Kunstwerkes, einschließlich der Architektur, hervor, veranlaßt durch die ja ganz richtige Überlegung, daß alles Maß (wie Fuß, Elle, Spanne) seinen Ursprung von jenem herleite. Der Vergleich wird schon bei Filarete (B. I) zu Tode gehetzt; ausgeführt und durch Zeichnungen erläutert ist er auch bei Francesco di Giorgio, der zu ganz seltsamen Thesen kommt, die letzten Endes noch in Goethes spaßhaftem Sprüchlein: »Kleid’ eine Säule, sieht aus wie ein Fräule« nachklingen. Was bei Vitruv noch literarischer Vergleich ist, wird hier ernsthaft ins Bild übersetzt, und so erscheint die dorische Säule als Mann, die jonische als Frau, die korinthische als Mägdlein; der menschliche Körper wird dem Grundriß einer Basilika eingezeichnet und sogar das Gebälk dem menschlichen Antlitz angeglichen. Auch die Hypnerotomachia streift das Thema. Es sind Dinge, die lange nachgewirkt haben und in breitester Ausführlichkeit auch in jenem von Henszlmann beschriebenen venezianischen Architekturtraktat aus dem Beginn des Cinquecento wiederkehren.

Von diesem, der älteren Geistesrichtung so natürlichen, anthropozentrischen Standpunkt beginnt auch Luca Pacioli (der das Thema gleichfalls, wenn auch nicht so geschlossen, behandelt hat) seine Ausführungen, die historisch wichtig sind, weil sie die Brücke zu den Bestrebungen der Oberitaliener und damit auch zu denjenigen Dürers schlagen. Aus solchen Anschauungen sind jene Konstruktionen des menschlichen Körpers, des Gesichts, endlich des Alphabets entstanden, die, schon bei den ältesten toskanischen Theoretikern kenntlich, ein schier unversiegliches Renaissancethema bilden.

Alle diese Dinge sind ein deutlicher Ausdruck für das Streben dieser Zeit nach einer praktischen Ästhetik, nach dem, was schon Landino, ganz aus seiner Umgebung heraus, als simmetria selbst dem alten Cimabue unterschob. Bei Pacioli mündet dieses Streben schon offenkundig in die Spekulation; die von ihm zuerst in diesem Sinne ausführlich behandelte Lehre der fünf regelmäßigen Körper als der aufsteigenden Leiter der Vollkommenheit bis zur Kugel, die Gott selbst repräsentiert, zeigt den salto mortale des mathematischen in das theologisch-philosophische Denken, zugleich aber auch den beginnenden Einfluß Platons, dessen Timäus denn auch hier schon den Ausgangspunkt bildet. Wichtig ist die praktische Anwendung auf die bildende Kunst, die Pacioli mit Selbstbewußtsein vorträgt (Anekdote vom Steinmetzen in Rom).

Die Folgerungen, die die Frührenaissance aus diesen Sätzen gezogen hat, bereiten schon der späteren Ästhetik das Feld. L. B. Alberti formuliert in seiner Schrift über die Malerei Forderungen des Ausdrucks, die bereits, wie so häufig bei ihm, Tendenzen der späteren Zeit vorausnehmen. Dazu gehört die Feststellung der ausdrucksvollsten page 138 Bewegung, der nach oben (verso l’aere), die, durch die pathetische Kunst der Hochrenaissance aufgenommen, durch die Niobidengruppe noch ein berühmtes Vorbild aus »klassischer« Zeit erhielt; J. Lange hat das Thema in seiner geistreichen Weise in einem Aufsatz (Die Geschichte eines Ausdrucks) behandelt. In diesem Zusammenhang kommt bei Alberti auch zum erstenmal in der italienischen Kunstliteratur ein großes und für die Renaissanceästhetik äußerst wichtiges Thema zur Sprache: der aus der alten Rhetorik stammende concetto des πρέπου oder decorum, das dann auch mit reichlicher Berufung auf antike Quellen, wie Cicero und Quintilian, abgehandelt wird. Alberti bringt aber auch Gegenbeispiele aus der zeitgenössischen Kunst; so wenn er es tadelt, in perspektivisch dargestellte Räume zu große Figuren zu stellen, ein mittelalterlicher Rest, der dem neuen Raumgefühl zuwiderläuft, aber z. B. noch in der Verkündigungsszene des Genter Altars fühlbar genug ist. Mit der These, daß nicht mehr als neun bis zehn Figuren die Handlung bestreiten sollen, nähert sich Alberti der strengen Kompositionsweise der Hochrenaissance; sein Tadel ist deutlich gegen die überfüllten Bildpläne des Quattrocento gerichtet. Auch die Forderung, widrige oder unanständige Teile zu bedecken — wobei wieder ein berühmtes antikes Beispiel, die Periklesbüste mit dem, den mißgeformten Schädel verdeckenden Helm, zitiert ist — läuft der herben Naivität des Quattrocento zuwider; Ghirlandajos Großvaterbild im Louvre braucht nur genannt zu werden. Endlich ist die Tendenz dieser auf »Schönheit« zielenden Kunst, im Sinne Albertis, ganz deutlich, wenn der formalistische Grundsatz aufgestellt wird, kein »edles Glied« zu verdecken; es handelt sich also um die in den Altarbildern des Cinquecento so deutlich betonte »schöne Pose«.

Es ist durchaus mit diesen Anschauungen im Einklang, wenn Alberti zum erstenmal das Historienbild auf die höchste Staffel der Kunst erhebt, auf der es fast bis auf unsere Tage mit dem langsam legendär werdenden »Historienmaler« verblieben ist. La istoria è summa opera del pittore verkündet er, und daß darin ein gutes Stück aus dem Mittelalter vererbter intellektualistischer Inhaltswertung steckt, ist nicht schwer einzusehen. Auch hier deutet und schreitet er seiner Zeit voraus, wie bei ihm zuerst jene Geringschätzung des Handwerksmäßigen und Technischen auffällt, die im weitern Verlauf zu der so manche seltsamen Erscheinungen aufweisenden, auch bis in unsere Tage hineinreichenden Scheidung von Kunst und Handwerk, zum Virtuosentum der auch sozial gehobenen Künstler führt, die Scheidung »hoher« und »angewandter« Kunst zur Folge hat. Auch hierunter verbirgt sich das Bestreben, die Kunst aus dem Reigen der artes mechanicae in den der »freien« Künste hinüberzuführen.

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Schließlich ist erwähnenswert, daß bei Alberti wie bei Filarete die ersten Spuren des Vergleichs und der Abschätzung der einzelnen Künste hervortreten, jener sogenannte paragone, der dann zu einem der am meisten abgeleierten Schulthemen der Renaissance wurde, letzten Endes aber noch in den Untersuchungen über die Grenzen der Künste seit dem 18. Jahrhundert mitschwingt.

Diesen objektiven Tendenzen gegenüber tritt natürlich die Aufmerksamkeit auf die Psychologie der Kunst und des Künstlers bedeutend zurück. Was Alberti darüber zu sagen weiß, mag man in der gedrängten Übersicht bei J. Behn nachsehen; viel ist es gerade nicht. Merkwürdigerweise finden sich gerade bei einem Empiriker wie Filarete einzelne überraschende Streiflichter. Das, wie wir gesehen haben, schon bei Dante anklingende Problem der »Einfühlung« (wie man heute sagt) in das Kunstwerk spielt auch bei ihm eine gewisse Rolle. In seiner Polemik gegen den gotischen Spitzbogen fügt er den (auch von andern gebrachten) Gegengründen technischer noch solche ästhetischer Art zu: nämlich den als peinlich empfundenen Widerstand, den das Auge bei dem Hingleiten über die gebrochene Linie finde, während dies bei dem Rundbogen nicht der Fall sei. Ähnlicher Art sind seine Äußerungen über die Raumwirkung der niedrigen alten Kirchen (er hat wohl an romanische Basiliken gedacht), die ein bestimmtes Kunstwollen, die Demut vor Gott, verdeutlichen, während in den neuern gerade die hohe, lichte Wölbung uns das Gefühl seelischer Erhebung einflöße, ein Gedanke, den die Romantik bekanntlich mit Vorliebe auf die Gotik angewendet hat. Eigentümlich ist auch seine Anmerkung über die Verwendung des Spiegels und perspektivischer Konstruktionsmittel, die weder die Alten noch Giotto und seine Schule gekannt hätten; er meint aber, vielleicht hätten sie davon gewußt, wollten aber dergleichen nicht anwenden; der fatica wegen, setzt er freilich hinzu. Die Überzeugung von der in das Werk übergehenden Persönlichkeit des Künstlers ist bei Filarete schon so stark, — im Gegensatz zu dem unpersönlich empfindenden Mittelalter — daß er die »Morelli«sche Methode schon vorausahnt. Wie aus den Zügen der Handschrift den Schreiber, so könne man, meint er, aus den künstlerischen Formen den Urheber erkennen. Es ist das immerhin bemerkenswert, wenn dabei auch eine leise Reminiszenz an die, übrigens von Ghiberti in ihrem wörtlichen Sinn als kindisch erklärte Anekdote von dem Wettstreit der feinsten Linie zwischen Zeuxis und Apelles im Spiele sein könnte.

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V. Leonardos Vermächtnis.

1. Einleitung.

An der Schwelle des neuen Jahrhunderts, dessen Mitte genau durch ein im wahrsten Sinne des Wortes epochemachendes Werk, die erste Auflage der Viten Vasaris bezeichnet wird, steht die problematische Gestalt des großen Suchers Leonardo da Vinci. Nach der Mitte des alten Jahrhunderts (1452) geboren und kurz vor Raffael gestorben (1519), ragt er aus der Welt des Quattrocento in die Zeit hinüber, die man gern als die età d’oro Italiens bezeichnet. Deutet das berühmte, von so viel Schöngeistern gründlichst mißverstandene und vergeheimniste Lächeln der Mona Lisa in seinem Archaismus auf die Befangenheit des Suchens und die Unfreiheit älterer Auffassung einem der schwierigsten Ausdrucksprobleme momentaner Erregung gegenüber hin (wie nicht minder seine noch ganz von der Tendenz zum »Vertikalismus« beherrschte Landschaft), so weisen anderseits gerade die von ihm gestellten Forderungen seelischer und körperlicher Bewegung schon der neueren Malerei die Wege. Wie über seinem künstlerischen Werk schien aber der Unstern allzu extensiven Wollens und Nichtvollendens auch über der schriftstellerischen Tätigkeit des geistig Größten unter allen florentinischen und italienischen Künstlern. Von dieser Seite seines Könnens und Schaffens soll hier nur, soweit sie sich auf die bildende Kunst bezieht, Rechenschaft gelegt werden; für alles andere sei auf die Literaturangaben verwiesen.

Aus Paciolis Divina proportione, also aus dem Leonardo zunächst stehenden Mailänder Kreise, wissen wir, daß dieser schon um 1498 einen Malertraktat de pittura e movimenti humani vollendet, zwei andere Schriften zur Mechanik (del moto locale und della percussione e pesi delle forze) unter den Händen hatte. In der Tat hat J. P. Richter ein Bruchstück solcher Niederschriften von 1492 in Ashburnham Hall nachweisen können. Zur Vollendung des großen Malerbuches, das das bedeutendste Monument der gesamten italienischen Kunstliteratur geworden wäre, scheint es aber doch niemals gekommen zu sein; immerhin zeigt uns der erhaltene summarische Entwurf (in Ludwigs Ausgabe unter Nr. 410) die Architektonik des Ganzen. Zwar berichtet Lomazzo, daß Leonardos Traktat über die Anatomie des Pferdes 1499 während der Mailänder Wirren verbrannt sei, und die Urschrift könnte allenfalls damals mit verloren gegangen sein. Immerhin bleiben starke Zweifel, ob sie überhaupt in abgeschlossener Form vorhanden war, page 141 und heute, wo die Handschriften nahezu vollständig bekannt sind, ist die Hoffnung so gut wie aufzugeben, daß sie jemals wieder zum Vorschein kommen könnte.

Leonardos Nachlaß besteht in Merk- und Skizzenbüchern, die in bunter Folge aphoristische Gedanken, größere Entwürfe, flüchtig hingeworfene oder ausgeführte Zeichnungen enthalten. Er hatte höchst merkwürdige Schicksale, über die man sich am besten aus Jordans unten zitierter Schrift (Malerbuch 303) orientiert.

Nachdem der Meister 1519 auf französischer Erde, fern von dem seit langem verlassenen Heimatboden, gestorben war, kamen die Schriften und Entwürfe an seinen Freund und Schüler Melzi; über ihr weiteres Schicksal geben die allerdings tendenziös gefärbten Aufzeichnungen eines Mailänder Barnabiten Gio. Ambr. Mazzenta (um 1570) Aufschluß; sie sind jetzt vollständig veröffentlicht worden. Melzis unwissende Erben vernachlässigten den Schatz; auch wurden sie von gewissenlosen Leuten ausgebeutet. Eine besonders schäbige Rolle spielt dabei Pompeo Leoni, der Sohn des berühmten Bildhauers Leone Leoni, der mit diesen Papieren einen förmlichen Handel trieb, auch gefälscht zu haben scheint, Zusammengehöriges auseinandernahm, anders zusammenstellte u. s. w. Auf diese Art ist auch der berühmte Codex Atlanticus zustande gekommen. Was noch in Leonis Händen verblieben war, gelangte in den Besitz des Mailänders Arconati, dessen großes Verdienst nicht zuletzt darin besteht, seinen Schatz, darunter den eben erwähnten Atlanticus 1637 in die Ambrosiana gestiftet zu haben, die sich infolgedessen im 17. Jahrhundert des stolzen Besitzes von dreizehn Bänden rühmen durfte.

Die großen Revolutionen der napoleonischen Zeit haben dann diese Kostbarkeiten 1796 nach Paris entführt. Zwölf Bände kamen ins Institut, der Atlanticus in die Nationalbibliothek. In Frankreich ging man recht autokratisch willkürlich mit den Zimelien um; sie wurden u. a. trotz der alten Vermerke umsigniert.

Bei der umfassenden Restauration des Jahres 1815 ist nur der Codex Atlanticus in seine alte und wahre Heimat zurück gelangt. Der Lässigkeit des österreichischen Kommissärs für das lombardischvenezianische Königreich, der die Spiegelschrift Leonardos für »chinesisch« hielt (es war übrigens der zu seiner Zeit als Romanschriftsteller und Original berühmte F. v. Meyern), wäre es beinahe gelungen, auch diesen, wie die unbeachtet gebliebenen Bände des Instituts, Frankreich zu erhalten, wenn nicht Canova und Benvenuti als die Kommissäre des Papstes und Toskanas dazwischen getreten wären.

So kommt es denn, daß Frankreich, wo Leonardo den letzten Atemzug getan hat, heute noch den Löwenanteil mit 17 Handschriften page 142 besitzt, die zum Teil noch die alten Signaturen A—M tragen (Traktat über Licht und Schatten; Merkbücher, die als Quellen für die spätere Redaktion des Malerbuches in Betracht kommen); freilich ist dieser Bestand auch durch die Eingriffe des sonderbaren Bibliomanen Libri gemindert. Der zweitgrößte Anteil kommt auf die königliche Bibliothek von Windsor (acht Handschriften: Proportionen des Menschen, Anatomie des Pferdes, vier Anatomietraktate). Diese sind zum Teil durch den Grafen Arundel, den bekannten Kunstmäzen, für Karl I. erworben worden. Italien selbst besitzt außer kleineren Beständen (in der Trivulziana in Mailand, in der ehemaligen Sammlung des Grafen Manzoni in Rom, Einzelblätter in Turin, Modena, Florenz) nur den berühmten Codex Atlanticus der Ambrosiana, der freilich der größte an Umfang ist (395 Folios, genaue Inhaltsangabe bei Jordan a. u. a. O. 344 f.). J. P. Richter zählt im ganzen 55 Handschriften und Fragmente (worunter freilich viele membra disjecta). Der älteste sicher datierte Anatomiekodex in Windsor stammt von 1489, die jüngsten Handschriften reichen aber bis ins Jahr 1518 hinab, so daß wir also Leonardos Schrifttum im ganzen wohl zu überblicken vermögen.

Zwei Umstände sind es, die sich von jeher der Verbreitung und näheren Kenntnis dieses Schatzes hinderlich erwiesen, abgesehen von der Verborgenheit mancher Stücke im Privatbesitz: seine ungeordnete Form und die eigentümliche, teilweise schwer lesbare Spiegelschrift a rovescio, deren sich der Linkshänder Leonardo bediente, wie er auch mit Vorliebe mit der Linken gezeichnet hat, ein Umstand, den schon Pacioli hervorhebt und Lermolieff-Morelli bei der Sichtung der Originalzeichnungen verwerten konnte.

Es sind nur vereinzelte Angaben, die auf eine wirkliche Bekanntschaft des Cinquecento mit Leonardos Schriften schließen lassen, zumal in seiner toskanischen Heimat, der der Meister seit langem entrückt war. Wohl wissen wir von Cellini, daß er eine Abschrift des Traktats über die Perspektive besessen hat (den er sogar veröffentlichen wollte), und Vasari (ed. Milanesi IV, 37) berichtet eine merkwürdige Geschichte von einem mailändischen Maler (der Name fehlt in der Ausgabe von 1568 und ist nur durch Punkte angedeutet), der ihn auf der Durchreise nach Rom in Florenz aufsuchte und die Absicht kundgab, dort Leonardos »Buch von Malerei und Zeichnung« in Druck zu geben. Daß es sich dabei wirklich um Originale gehandelt hat, beweist Vasaris Äußerung über die Spiegelschrift. Aber dieser weiß nichts von den ferneren Schicksalen zu melden; mit der Abschrift der Vaticana besteht hier schwerlich ein Zusammenhang.

In Mailand stand man natürlich der Sache von jeher näher; von Pompeo Leoni war schon die Rede. Leonardos Einfluß auf Dürer, der in neuester Zeit manche Aufhellung erfahren hat, liegt klar zutage; page 143 weniger jedoch der Weg, auf dem dieser Leonardos Studien kennen gelernt hat. Der mailändische Maler Figino besaß auch eine Schrift Leonardos. Lomazzo gibt einen Auszug des Paragone. Annibale Carracci und Guido Reni (der Abschriften besaß) waren mit dem Theoretiker Leonardo vertraut; andere, wie Armenino, wissen wieder nichts von ihm. (Über Kopien nach Leonardos Malerbuch in einem Traktate des Rubens über die Proportionen s. Pawlowski in l’Art, 1884, Juni.)

Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begann man sich nun aber ernstlich mit Leonardos Vermächtnis zu beschäftigen und an dessen Redaktion zu denken. Von Vasaris mailändischem Maler haben wir schon gehört. Die wichtigste dieser Bearbeitungen ist der berühmte Kodex 1270 der Vaticana, aus der herzoglichen Bibliothek in Urbino stammend (daher Urbinas genannt), eine Vorarbeit zur Drucklegung des Malerbuches, der Schrift und den Sprachformen nach von einem Lombarden um 1550 redigiert.

Der Name Melzis erscheint dreimal darin; an ihn als Bearbeiter ist aber doch kaum zu denken (Jordan, 279—284), obwohl es neuerlich wieder versucht worden ist. Aufgebaut ist die Arbeit durchaus auf Leonardos Originalschriften selbst; sie erscheinen am Schlusse mit ihren alten Siglen verzeichnet. Es sind darunter solche, die heute fehlen, so daß der Urbinas derart in die Reihe der unmittelbaren Quellen rückt. Die Anordnung des ungeheuren Stoffes ist eine selbständige und keineswegs unbedeutende Leistung des unbekannten Redaktors, der auch Anmerkungen beigesteuert und die Zeichnungen nach Leonardos Originalen kopiert hat. Von Fehlern ist diese Bearbeitung freilich nicht frei; aber der ungemeine Reichtum des Inhalts (944 Kapitel!), das Zurückgehen auf heute verlorenes oder verschollenes Gut machen sie höchst wertvoll und unersetzlich. Außerdem existiert aber noch eine Reihe anderer gekürzter Bearbeitungen (vgl. Jordan, 318 f.), so fünf Handschriften der Ambrosiana in Mailand, in der Riccardiana zu Florenz mit Zeichnungen des Kupferstechers Stefano della Bella († 1654), in der römischen Barberiniana u. s. w.

2. Bibliographie.

Ältere Drucke. Trotz dieses augenscheinlichen lebhaften Anteils ist im 16. Jahrhundert noch keine Drucklegung zustande gekommen. Auch der fast druckfertig vorliegende, sorgfältig ausgearbeitete Codex Urbinas ist liegen geblieben. Es mußten anderthalb Jahrhunderte nach Leonardos Tod verstreichen, bis die Editio princeps seines Malerbuches ans Licht trat, auch sie nicht in Italien, sondern in dem Lande, das ihm in Leben und Tod so bedeutungsvoll geworden war, in Frankreich. Diese erste Ausgabe wurde von einem in der Kunstliteratur bekannten Manne, Rafael Trichet Du Fresne, besorgt: ein stattlicher Foliant (Trattato della pittura di Lionardo da Vinci, nuovamente dato in luce con la vita dell’ istesso autore scritta da Raff. du Fresne), 1651 bei Langlois in Paris erschienen. Er page 144 enthält außer der im Titel erwähnten Biographie Leonardos noch den Traktat L. B. Albertis de statua und ist der Königin Christine von Schweden gewidmet, deren Hof ja ein Mittelpunkt solcher gelehrt-künstlerischer Bestrebungen gewesen ist, wie denn u. a. Baldinucci für sie das Leben Berninis geschrieben hat. Du Fresnes Druck beruht freilich auf Abschriften zweiter und dritter Hand, namentlich auf einer Kopie im Besitz des Sieur de Chantelou (jenes selben, dem wir das merkwürdige Tagebuch über Berninis Aufenthalt in Frankreich verdanken); ursprünglich war diese im Besitze des Cavaliere del Pozzo und ihre Zeichnungen rührten zum Teil von Poussin her. (Jordan 277, vgl. auch die übrigens recht abschätzigen Äußerungen Poussins selbst über die im selben Jahr 1651 erschienene, noch zu erwähnende französische Übersetzung des Sieur de Chambray in einem Brief an den Stecher Abraham Bosse, bei Guhl-Rosenberg, Künstlerbriefe, 2, II, 251; über Poussins Zeichnungen Hautecoeur im Bull. d’hist. d’art français 1913). Diese Illustrationen wurden von Errard für die Ausgabe umgezeichnet (ebenda). Del Pozzos Exemplar ging auf die Handschrift der Barberiniana zurück. Der Text enthält dementsprechend auch nur eine unvollständige Redaktion, ist überdies ziemlich willkürlich behandelt. Trotzdem wurde diese schöne Ausgabe Grundlage für etwa zwanzig spätere Drucke bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.

Die älteste in Italien herausgekommene Ausgabe, erst 1733 in Neapel erschienen, beruht auf ihr, ebenso die Bologneser von 1786, ferner die durch B. Orsini besorgte von Perugia 1805, auch noch die in den Classici Italiani, Mailand 1804, von Amoretti besorgt, mit bemerkenswerten Memorie storiche sulla vita, gli studj e le opere di L. d. V. des Herausgebers (Neue Ausgabe mit Zusätzen aus der römischen Ausgabe Manzis, Mailand 1859). Selbständig und auf dem Exemplar der Riccardiana beruhend ist nur die in Florenz 1792 erschienene, von Fontani besorgte Quartausgabe (Trattato della pittura ridotto alla sua vera lezione sopra una copia a penna di mano di Stefano della Bella con le figure disegnate del medesimo). Auch diese Edition schöpft übrigens aus dritter Hand, da der Kodex des Stefanino della Bella auf den Codex Pinellianus der Ambrosiana (Sec. XVI) zurückgeht. Das vollständige Exemplar, eben jener Urbinas der Vaticana, wurde von Manzi publiziert, Rom 1817, mit einem Atlas von 22 Tafeln und Anmerkungen von Gherardo de’ Rossi; diese Ausgabe ist Ludwig XVIII. gewidmet,

Von älteren hierhergehörigen Einzelausgaben sind zu erwähnen: die Publikation von Zeichnungen Leonardos durch Carlo Gius. Gerli, Disegni di L. d. V., Mailand 1781, in neuer Ausgabe unter dem Titel Disegni incisi sugli originali da C. G. Gerli, riprodotti con note illustrative da G. Vallardi con 61 tavole in rame, Mailand 1830 in Fol. Auch dem 18. Jahrhundert gehören noch die Stichwerke nach Leonardos Karikaturköpfen an: 1. nach Wenzel Hollars Stichen: Caricaturas by L. d. V. from drawings out of the Portland Museum, London 1786; 2. vom Grafen Caylus, publiziert von J. P. Mariette, Recueil de testes de caractere et charges, Paris 1780. Dann die Tabula anatomica e bibl. M. Britanniae Hannoveraeque regis (Anatomie des Coitus), Lüneburg 1830; die Schrift Del moto e misura dell’acqua (eine späte Redaktion), herausgegeben von Cardinali, Bologna 1828.

Auch die älteren Übersetzungen beruhen bis auf Ludwig herab (s. u.) durchwegs auf den alten Drucken zweiter Hand. Die älteste französische, die des R.(oland) F.(réard) S.(ieur) D.(e) C.(hambray), erschien gleichzeitig mit Du Fresnes Ed. princ. Paris 1651 in Fol. mit den Stichen Errards. Eine neuere ist die von Ganet de St. Germain, Genf 1820. Die jüngsten rühren von dem verdienten Ravaisson-Mollien, Paris 1903, in 1. Bänden, sowie von dem seltsamen Schwärmer Sar Peladan, Paris 1910, mit Kommentar und »ästhetischen« Zeichnungen her (Text des Cod. Urbinas). Englisch von J. W. Brown, London 1877. Die älteste (ganz gute) in deutscher Sprache rührt von J. G. Böhm her, Nürnberg 1724 und 1747 (auch Leipzig 1751), einem bemerkenswerten Versuch, den Stoff selbständig zu ordnen.

Die modernen Bestrebungen, das Schriftwerk Leonardos herzustellen und zu erschließen, lassen sich nach ihrer Art, des überlieferten Materials Herr zu werden, in drei Gruppen page 145 einteilen. Wir besitzen 1. die Originalhandschriften, 2. deren Kopien, 3. spätere Redaktionen, die teilweise verlorene Stücke enthalten. Den zuletzt genannten Weg, der seit alter Zeit gangbar ist, schlug Heinrich Ludwig (1829—1897), ein in Rom ansässiger gelehrter Maler, ein. (Ein pietätvolles Lebensbild des Mannes hat F. Knapp der Ausgabe der hinterlassenen Schrift Ludwigs über Erziehung zur Kunstübung und zum Kunstgenuß vorangestellt, Studien zur deutschen Kunstgeschichte, H. 78, Straßburg 1907). Er besorgte die höchst sorgfältige neue Bearbeitung des Codex Urbinas 1270 der Vaticana für Eitelbergers Quellenschriften, als deren XV.—XVII. Band sie Wien 1882 in drei Teilen erschienen ist; Band I und II enthalten den Text mit guter deutscher Übertragung und den Hilfszeichnungen, Band III birgt einen weitschichtigen Kommentar. Die deutsche Übersetzung ist auch besonders als Band XVIII herausgekommen. Eine neue Ausgabe dieser Übersetzung mit Einleitung von Marie Herzfeld erschien Jena 1909.

Ludwigs Stellung zu seinem Autor ist ganz eigentümlich. Er sucht mit großem Geschick, wenn auch nicht immer ohne Willkür (da ihm die Originalschriften nicht zugänglich sind), die richtige Lesart zu ergründen und nimmt, auch in dieser Hinsicht gleich den alten Editoren verfahrend, eine neue Ordnung des Stoffes vor, den er mit fortlaufenden Nummern versieht. Sein Bestreben ist das eines Praktikers, er will, seiner ganzen Richtung entsprechend, das Malerbuch Leonardos der modernen Kunst zugänglich und nutzbar machen; sein Standpunkt ist von einseitigen und veralteten ästhetischen Normen bestimmt, historische Schulung und historisches Interesse fehlen ihm. Daher auch die durchgehende, wenig erquickliche und ziemlich unfruchtbare Polemik gegen die Kunstforscher, namentlich seinen Antipoden J. P. Richter. Auch Ludwig schöpft, wie schon gesagt, aus zweiter Hand; wie er selbst betont, konnte und wollte er auch gar nicht anders; denn mit der Durchforschung der zum Teil schwer zugänglichen Handschriften war damals gerade erst begonnen worden. Nachdem Richters gleich zu erwähnende Arbeit erschienen war, hat Ludwig noch einen Nachtrag zu seiner Ausgabe geliefert: Leonardos Malerbuch, neues Material dem Cod. Vat. 1270 eingeordnet, Stuttgart 1885. Ein großer Teil dieser Publikation wird von einer recht ungesalzenen und nur zum Teil berechtigten Polemik gegen Richter angefüllt; einen nennenswerten Fortschritt bedeutet sie nicht mehr.

Auf dem Codex Vaticanus beruhen auch die jüngsten italienischen Ausgaben des Trattato, die von Tabarrini besorgte, mit Noten G. Milanesis und Vasaris Leonardobiographie, Rom 1890, und die billige, aber ganz hübsche zweibändige von Borzelli, Lanciano 1914.

Einen völlig andern und neuen Weg schlug J. P. Richter ein. Ausgedehnte Reisen, sein Aufenthalt in England befähigten ihn, überall die Originale selbst einzusehen und zu studieren; hier erschlossen sich ihm Schätze, die bis dahin unbekannt oder unzugänglich waren. Die historische Schulung, die er aus Th. v. Sickels Werkstatt mitgebracht hatte, leitete ihn zu dem glücklichen Gedanken hin, das vorliegende Originalmaterial in paläographisch getreuer Abschrift zu fixieren. Als Frucht dieser schwierigen Bemühungen ist das große zweibändige, mit echt englischer Opulenz ausgestattete Werk erschienen: The literary works of Lionardo, London 1883, mit einer großen Zahl vorzüglich ausgeführter Tafeln. Der architektonische Teil ist von H. v. Geymüller bearbeitet; dem Text steht die englische Übersetzung gegenüber. Leider hat das Werk sehr schwere Mängel; der Text ist nicht selten unrichtig wiedergegeben, die Übersetzung läßt zu wünschen übrig, ebenso die allgemeine Anordnung des Stoffes, dem dazu ein ausgiebiges Register fehlt. Allein diese organischen Fehler können dem Ganzen doch niemals das große Verdienst der Initiative nehmen. Richter hat tatsächlich als erster den ungeheuren Reichtum des Leonardischen Vermächtnisses erschlossen und seine Arbeit bleibt als Grundlage bestehen, wenn sie auch nur mit Vorsicht zu nützen ist.

Bei Richter sind ähnlich, wie dies in den älteren Redaktionen geschehen war, die Originalhandschriften, die ja freilich nur Bruchstücke und Entwürfe zu einem größeren Ganzen sind, auseinandergerissen und nach bestimmten Gesichtspunkten, fremdem Ermessen page 146 gemäß, eingeordnet worden. Ein dritter Weg war aber schon 1872 von der Leonardostadt Mailand aus gezeigt worden, ohne daß er zunächst Nachfolge gefunden hätte. Damals erschien der »Saggio sulle opere di Leonardo da Vinci«, herausgegeben von Belgiojoso, Mongeri, Cam. Boito und Govi, Mailand 1872; 24 Tafeln in Heliogravüre mit Reproduktionen von Schriften und Zeichnungen aus dem Codex Atlanticus umfassend. Die Herausgeber haben damals schon mit Recht auf die Gefahren hingewiesen, die auch heute noch solchen kostbaren Handschriftenschätzen drohen; der unselige Bibliotheksbrand von Turin hat sie uns erst neuerdings grell vor Augen geführt. Freilich mußten sie anderseits als einsichtige und sich selbst bescheidende Männer auf die großen Schwierigkeiten und die Kostspieligkeit eines so riesenhaften Unternehmens, als es die Gesamtaufnahme des Nachlasses in dieser Weise darstellt, verweisen. Sicher ist das aber der einzige wissenschaftlich gebotene und zum Ziele führende Weg. Mit Hilfe der gesteigerten Mittel moderner Reproduktionstechnik ist dann der von Mailand aus befürwortete Gedanke zuerst und besonders in Frankreich Tat geworden. Die Bibliothek des Institut de France nahm sich als alte Hüterin dieser Schätze der Sache an. Ein französischer Gelehrter, Ravaisson- Mollien, besorgte die monumentale Faksimilereproduktion: Les manuscrits de Léonard de Vinci de la bibliothèque de l’Institut publiés en facsimiles, Paris 1881—1891, also fast gleichzeitig mit Richters Werk in sechs starken Folianten erschienen. Die Lichtdrucke stehen hinter den Richterschen Heliogravüren zurück; dafür umfassen sie das gesamte französische Material auf 2178 Faksimiletafeln. Beigegeben sind die wörtliche Übertragung in Druckschrift sowie die französische Übersetzung. Der letzte Band enthält ein vortreffliches Gesamtregister, eine Chronologie und Bibliographie der Schriften Leonardos. Ravaisson-Mollien tritt dadurch an die Spitze der modernen Leonardoforschung, die immer und in viel höherem Grade mit seinem Namen als mit dem Ludwigs und Richters verknüpft bleiben wird.

Dieser Initiative folgten nun auch die übrigen in Betracht kommenden Länder. Ein Russe, Theodor Sabachnikoff, selbst Besitzer des ehemals dem Grafen Manzoni gehörigen, einst von Libri beiseite gebrachten Leonardomanuskripts, veröffentlichte im Verein mit dem italienischen Gelehrten Piumati sowie mit Ravaisson-Mollien, der die französische Übersetzung lieferte, seinen Schatz: Codice sul volo degli uccelli e varie altre materie, Paris 1898. Dann nahm er, von denselben Mitarbeitern unterstützt, die Publikation der in Windsor befindlichen Manuskripte in Angriff: I manoscritti di Lionardo da Vinci della R. biblioteca di Windsor. Dell’ Anatomia fogli A (mit Einleitung von Matthias-Duval), Paris, Rouveyre 1898. Diese vom englischen Königshaus autorisierte Ausgabe blieb jedoch infolge von Mißhelligkeiten mit dem Verleger leider unvollendet; ein zweiter Band erschien dann noch unter demselben Titel (Dell’ Anatomia fogli B) 1901 bei Roux in Turin. Der frühere französische Verleger Rouveyre unternahm dann auf eigene Faust eine unrechtmäßige Publikation, kastriert, mit wahllos durcheinandergeworfenem Stoff, ohne jede Übertragung des Textes; sogar die Lichtdrucke sind unglaublich schlecht. Diese Winkelpublikation: Feuillets inédits, réproduits d’après les originaux manuscrits à la bibliothèque du chateau de Windsor ist in Paris 1891 ff. in 22 Faszikeln erschienen, aber für die wissenschaftliche Leonardoliteratur ebenso unbrauchbar wie die gleichfalls unautorisierte desselben Verlages: Léonard da Vinci, Sciences physico-mathématiques, manuscrits inédits d’après les originaux conservés au British-Museum, Paris 1901 ff., auf 15 Bände veranschlagt. Dazu: Léonard da Vinci, Problèmes de géometrie et de hydraulique (Forster Library; South Kensington Museum), Paris 1901 ff., 3 vol. Neuerdings sind die anatomischen Studien Leonardos auf der Bibliothek in Windsor an einem sehr entlegenen Verlagsort herausgekommen: Vangenstein, Fonahn, Hopstock, Quaderni d' anatomia. Fogli della Royal Library di Windsor, mit englischer und deutscher Übersetzung, Christiania 1911 ff. (Vgl. den wertvollen Bericht von Seidlitz in der Deutschen Literaturzeitung 1913.) Gute Übersicht von Favaro, Passato, presente e avvenire delle edizioni Vinciane, Racc. Vinciana X, 165—221.

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Eine mustergültige Publikation ist dagegen die von Piumati besorgte, von der R. Accademia dei Lincei in Rom herausgegebene Prachtausgabe des Codice Atlantico in Mailand, bei Hoepli 1894— 1903 erschienen. Vorausgegangen war die Edition des Codice di L. da Vinci nella biblioteca del principe Trivulzio von Beltrami, Mailand 1891, mit 94 Tafeln, sowie die von Einzelblättern, die sich auf der Bibliothek von Turin befinden: I disegni di L. da Vinci nella biblioteca di S. Maestà a cura di P. Carlevaris, Turin 1888. Piumati hat 1902 vom italienischen Unterrichtsministerium den Auftrag erhalten, eine monumentale Gesamtpublikation der Schriften Leonardos zu veranstalten (Bacci - d’Ancona, Manuale della lett. Ital. II, 197).

Dieses gewaltige, heute noch schwer zu überblickende Material wurde der gebildeten Laienwelt in ein paar guten kleinen Anthologien zugänglich gemacht. In einem zierlichen Bändchen der bekannten Collezione Diamante: Frammenti letterari e filosofici trascelti dal Dr. Edm. Solmi, Florenz, Barbéra 1899, hat der inzwischen verstorbene Forscher den Text in der Originalsprache (freilich zurechtgemacht) gegeben, mit Noten, die namentlich wertvolle Aufschlüsse über die von Leonardo benützte ältere Literatur gewähren. Ferner die Bände von Beltrami, Scritti di L., Mailand 1913 und Fumagalli, L. prosatore, Mail. 1915. Eine geschickt gemachte Auswahl in deutscher Übersetzung hat dann Marie Herzfeld mit sorgfältiger Einleitung zusammengestellt: Leonardo da Vinci, der Denker, Forscher und Poet, in 2. vermehrter Auflage, Leipzig 1906, erschienen. Ferner Peladan, Textes choisis de L. d. V. traduits d’après les mscr. originaux, Paris 1907. Mc. Curdy, The note books of L. Rendered into English with introduction. London 1906.

Erläuterungschriften. Den Versuch einer Leonardobibliographie hat E. Solmi in seiner Darstellung: Lionardo da Vinci, Florenz, Barbéra, 1900, p. 225 f., gegeben. Seit mehreren Jahren ist vom Archiv des Castell Sforzesco in Mailand ein verdienstliches Unternehmen ins Leben gerufen worden, die Raccolta Vinciana presso l’ archivio storico del Comune di Milano, die unter diesem Titel Bulletins in zwangloser Folge herausgibt (seit 1905 in Mailand erscheinend). Die Faszikel enthalten eine Rubrik für Bibliographie von E. Verga sowie vortreffliche kurze Inhaltsangaben der im Archiv angelegten und ständig vermehrten Leonardobibliothek, Heft X ist als Festschrift zur Vierhundertjahrfeier 1919 erschienen. Dieses sowie das zuletzt erschienene XI. Heft (1920—1922) zeigt ein ungeheures Anwachsen der Lionardoliteratur, die sich in ihren Themen zuweilen schon bedenklich der »Dantologie« und »Goethephilologie« nähert. Jedenfalls wird aber niemand, der sich mit Leonardo beschäftigt, an der Raccolta Vinciana Vorbeigehen dürfen und können; auf sie sei daher auch ein- für allemal verwiesen.

Hier kann natürlich nur jene Literatur einigermaßen berücksichtigt werden, die sich auf das Schriftwerk Leonardos bezieht, namentlich soweit es kunstgeschichtliche Bedeutung besitzt. Doch soll immerhin, auch seiner schönen Abbildungen halber, das unvollendete Werk von Müller-Walde, Lionardo da Vinci, München, Hirth, 1889—1890. genannt werden. Ferner: Klaiber, Lionardo-Studien, Zur Kunstgeschichte des Auslandes, H. 56, und besonders W. v. Seidlitz’ Neues Leonardo-Buch, Berlin 1909 (s. u.).

Über die Handschriften. Dozio, Degli scritti e disegni di L. d. V. specialmente dei posseduti un tempo e posseduti adesso dalla Bibl. Ambrosiana, Mailand 1871. Die für das Schicksal des Nachlasses wichtigen Aufzeichnungen des Mailänder Barnabiten Ambrogio Mazzenta (von 1635) wurden bereits von Govi, mit unvollständig gebliebenem Kommentar, im »Buonarroti«, 1873—1878, veröffentlicht (vorher schon in französischer Übertragung von Piot in seinem Cabinet de l’amateur 1861), dann von Uzzielli (s. a. u.) in seinen Ricerche II, Rom 1884 (Alcune memorie dei fatti di L. d. V. a Milano e dei suoi libri). Sie liegen jetzt in einer sorgfältigen Ausgabe des derzeitigen Präfekten der Ambrosiana D. Luigi Gramatica vor: Le Memorie su L. da V. di Don A. Mazzenta ripubblicate ed illustrate, Mailand 1919. Ravaisson-Mollien, Les écrits de L. d. V., Gaz. d. b. arts 1881, 225 f. (ausgezeichnete Übersicht). J. P. Richter, Bibliographie der Handschriften L. s, Zeitschr. f. bild. Kunst, 1882. Favaro, Gli scritti inediti di page 148 L. d. V., Venedig 1885. Ders., Per la storia del codice di L. nella biblioteca di Lord Leicester. Arch. stor. Ital. 1916. Ders. Über L. s Trattato sul moto e misura dell’ acqua, Rendiconti della R. Acad. dei Lincei, Rom 1918. H. de Geymüller, Les derniers travaux sur L. d. V. (über Richter, Ravaisson, Ludwig), Gaz. d. b. arts 1886, bietet eine gute Orientierung. Levêque, Les manuscrits de L. d. V., Journal des Savants, 1892. Carusi, Per il »Trattato della pittura« di L.; Contributo di ricerche sui manoscritti e sulle loro redazioni in der Festschrift des Istituto Vinciano in Roma, her. von M. Cermenati, Bergamo 1919, S. 419 ff. Dorez, Un manuscrit precieux de L. d. V., Gaz. d. b. arts., 2. S., XXVIII, 177 (Mathematische Traktate mit Randzeichnungen nach Gemälden und Skizzen L. s von Melzi?). Ratti, Il Codice Atlantico, Mailand 1907, P. Nozze. Motta, Un ms. Vinciano a Roma? (18. Jahrhundert, verschollen.) Racc. Vinciana, 1909, 104. Marinis, Un ms. sconosciuto di L. (Madrid, verschollen), ebenda 1906. Cermenati, Un codice di L. in Germania? Racc. Vinc. X, 221 f. (über jene angeblich eigenhändige Hs. des Malerbuchs, die Sandrart in Rom eigener Aussage nach von seinem Freunde Poussin zum Geschenk erhielt). Ein besonderes Thema behandelt: Ballet, L’écriture de L., contribut à l’étude de l’écriture au miroir, Paris 1900.

Über L. s Quellen grundlegend Solmi, Le fonti dei manoscritti di L. d. V., Turin 1908, und Nuovi contributi alle fonti dei manoscritti di L. d. V., im Giornale storica della Lett. ital. 1911. Ferner: D’Adda, L. d. V. e la sua biblioteca, Mail. 1872. De Toni, L. d. V. e Luca Pacioli; Atti dell’ Ist. Veneto 1905/06. Duhem, L. d. V., ceux qu’il a lus et ceux qui l’ont lu (naturwissensehaftlich), Paris 1906. Derselbe, L. d. V., Cardan et B. Palissy; Thémon, le fils du Juif et L. im Bull. Ital. VI u. VII (1906/07). Müntz, L. d. V. et les savants du moyen âge, Revue scientifique 1901. Sappa, Una fonte di L. d. V., Giorn. stor. lett. Ital. 1909.

Über einzelne Schriften Leonardos. Das Malerbuch. Comolli, Bibliografia stor.-critica dell’ Architettura civile, Rom 1791, III, 189 ff. Gallenberg, L. d. V. (mit Übersetzung nach der Ausgabe Amorettis), Leipzig 1834. Jordan, Untersuchungen über das Malerbuch des L. d. V., in Zahns Jahrbüchern für Kunstwiss. V (1873), 272 f. Auch besonders Leipzig 1873. Vortrefflich und gründlich über die Redaktionen und Ausgaben des 16. und 17. Jahrh. orientierend, mit guter Inhaltsangabe. J. P. Richter, L. s Lehrbuch der Malerei, Zeitschr. f. bild. Kunst XVII (1882); dagegen Ludwig im Rep. f. Kunstw. V. Winterberg, L. s Malerbuch in seiner wissenschaftl. und prakt. Bedeutung; Jahrbuch der königl. preuß. Kunstsammlungen VII (besonders nach der mathematischnaturwissenschaftlichen Seite hin gut orientierend). Einen Auszug aus L. s Malerbuch hat neuerdings W. v. Seidlitz in seinem Buch über Leonardo, Berlin 1909, I, 299 f., gegeben; vgl. auch Seidlitz. Für eine neue Ausgabe von L. s Traktat. Mitt. des kunsthist. Instituts in Florenz 1908. Eine gedrängte Übersicht der Ausgaben und Übersetzungen jetzt in einem Per-Nozze-Schriftchen L. Beltramis, Il trattato della pittura di L. da V. nelle varie sue edizioni e traduzioni, Mailand 1919, wozu jedoch die ausführliche Note Vergas in der; Racc. Vinciana XI, 10 f. zu vergleichen ist.

Über den merkwürdigen Physiologus L.s Springer, Berichte der königl. sächs. Akad. d. Wiss., Leipzig 1884. Goldstaub und Wendriner, Ein tosko-venezianischer Bestiarius, Halle 1892 (mit Anhang zu cap. 6: Exkurs über L. s Bestiarius). Über eine Hs. mit autobiographischen Notizen: Mancini, Di un codice artistico e scientifico con alcuni ricordi autobiografici di L. d. V., Arch. stor. Ital. IV. S., vol. XV. Porro, Lionardo, libro di memorie, Arch. stor. Lombardo, VIII. Über L. s fiore di virtù: Calvi, Il manoscritto H. di L.; »Il fiore di virtù« e l’Acerba di Cecco d’Ascoli, Mail. 1898. Solmi, La festa del Paradiso di L. d. V. (Hs. der Bibl. Estense, Beschreibung eines Festes am Hofe des Lodovico Moro 1490, mit mechan. Erfindungen L. s;, Arch. stor. Lomb., S. IV, XXXI (1904).

Allgemeines über L. und seine Stellung zur Kunsttheorie. Über L. als Stilisten: Mazzoni, L. d. V. scrittore, N. Antologia 1901. Del Lungo, L. scrittore, ebenda 1909. Springer, L. s Selbstbekenntnisse, in den Bildern a. d. neueren Kunstgesch. page 149 2. A., I, 299. Dazu die merkwürdig einseitigen, aber tiefgehenden Ausführungen von Freud, Kindheitserinnerungen des L. d. V., Schriften zur angewandten Seelenkunde, H. 7, Wien 1910. J. P. Richter, Lionardo-Studien, Zeitschr. f. bild. K., 1880. Ders., L. im Orient, ebenda, 1882. Dagegen: Ravaisson-Mollien in den oben zitierten Aufsätzen der Gaz. d. b. arts und Douglas-Freshfield in den Proceedings of the Royal Geogr. Society, London 1884, vol. IV, 323. Uzzielli, Ricerche intorno a L. d. V., drei Serien, Flor. 1872, Rom 1884, Turin 1896. Ders., L. e le Alpi, Turin 1890. Baratta, Curiosità Vinciane, Turin 1905. L. da Vinci, Conferenze fiorentine, Mail. 1910. (Darin u. a.: Solmi, La resurrezione dell’ opera di L. — Favaro, L, nella storia delle scienze sperimentali. — Bottazzi, L. biologo e anatomico. — Croce, L. filosofo. — Del Lungo, L. scrittore. — Beltrami, L’aeroplano di L.). Modigliani, Psicologia Vinciana, Mail. 1913.

Kunsttheorie. Bossi, Delle opinioni di L. d. V. intorno alla simmetria de' corpi umani, Mail. 1811 fol. Brun, L. s Ansichten über das Verhältnis der Künste (unbedeutend), Rep. f. Kunstw. XV. Nielsen, L. og hans forhold til perspektiven (dänisch, jedoch mit deutschem Resumé). Kopenhagen 1897. Wolff, L. als Ästhetiker, Diss. Jena 1902. Klaiber, L. d. V. s Stellung zu der Geschichte der Physiognomik und Mimik; Rep. f. Kunstw. 1915. Beltrami, L. d. V. negli studi per il tiburio della cattedrale di Milano, Mail. 1903. Favaro, Il canone di L. sulle proporzioni del corpo umano; Mem. dell’ Ist. anatomico della R. Univ. di Padova 1917. Ders., Misure e proporzioni del corpo umano secondo L. Atti del R. Ist. Veneto di scienze, lettere ed arti. Ven. 1918. Malaguzzi-Valeri, L. e la scultura, Boll. dell’Istituto Vinciano in Roma V. (1923). Lionello Venturi, La critica e l’arte di L. da V. Bologna 1919 enthält im ersten Teil eine geistvolle und an neuen Gesichtspunkten reiche Darstellung von L. s Kunstlehre.

Über L. als Naturforscher existiert eine reiche Sonderliteratur, über die ich nur teilweise unterrichtet bin, die aber des Umstandes halber, daß der Naturforscher L. von dem Künstler L. gar nicht getrennt gedacht werden kann, wenigstens andeutungsweise anführt werden soll. Das älteste Werk dieser Art ist G. B. Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathématiques de L., Paris (1797). N. A. von Cermenati, Mailand 1911. Vieles zu L. in dem Buche des Conte Gugl. Libri, jenes Mannes, der in der Geschichte des leonardischen Vermächtnisses eine so zweideutige Rolle spielt, dessen beherzte Verteidigung durch P. Mérimée (in der Revue des deux mondes, 1852) wir aber auch nicht vergessen wollen: Histoire des sciences mathématiques en Italie depuis la renaissance des lettres jusqu’à la fin du XVII siècle, Paris 1838—1841, bes. vol. III, 10 ff. Eine Gesamtdarstellung bei Séailles, L. d. V. philosophe et savant, Paris 1906 (vorher in der Revue politique et littéraire, Paris 1881). Höchst eindringliche, ganz neue Aussichten öffnende und mit der herkömmlichen Apotheose brechende Darlegung der problematischen Natur des großen Florentiners bei Olschki, Gesch. der neusprachl. Wiss. Lit. 252—413. Grothe, L. als Naturforscher und Philosoph, Berlin 1879. Raab, L. als Naturforscher, Berlin 1880. Prantl, L. d. V. in philosoph. Beziehung, Sitzungsber. d. Bayr. Akad. d. W.. Phil. Hist., 1885. Croce, L. filosofo (eine ausgezeichnete scharfe Darlegung, ausdrücklich und etwas ironisch gegen den verstiegenen Leonardokult von heute gerichtet) in der oben erwähnten Sammelschrift, mit weiteren Literaturangaben wieder abgedruckt im Anhang zu Croces Saggio sullo Hegel, Bari 1913, 213 f. Solmi, Studi sulla filosofia naturale di L. d. V., Modena 1898. Ders., Nuovi studi sulla filosofia naturale di L., Mantua 1905. Ders., Il trattato di L. sul linguaggio, Arch. stor. Lombardo 1906. Vangenstein, L. og fonetiken, in den Schriften der Akad. von Christiania 1913. Von demselben Verfasser (ebeuda 1917) auch eine Abhandlung über L. s Stil und Syntax. Falchi, L. musicista, Rivista d’Italia 1902. Elsässer, Die Bedeutung L. s für die exakten Wissenschaften, Preuß. Jahrbücher, 1899. Bottazzi, L. d. V. filosofo, naturalista e fisologo, im Archivio di antropologia e di etnografia 1902. Rouna, L. peintre — ingénieur — hydraulicien, Paris 1902. Cook, The curves of life .... with special reference to the mss. of Leonardo. Lond. 1915; vgl. die Anzeige im Burlington Magazine XXVII, 246. Duhem, L. d. V. et Villalpand page 150 (Physikal. Theorien), Bulletin Italien (Bordeaux), V, 1905. Ders., Albert de Saxe et L. d. V., ebenda. Ders., L. d. V. et les origines de la Zoologie, ebenda, VI. Ders., L. el a macchina per volare, N. Antologia 1908. Baldacci, Über L. als Botaniker, in versch. Abhandlungen der Memorie della R. Accad. di Scienze dell' Ist. di Bologna 1914—1916 Beltrami, L. e il porto di Cesenatico, Mail. 1902. Ders. L. d. V. negli studi per render navigabile l’Adda: Rendiconti dell' Istituto Lombardo, XXXV. Baretta, L. d. V. e i problemi della terra, Turin 1903. Cantor, Über einige (math.) Konstruktionen von L. d. V., Leipzig 1890. Neuestens zusammenfassend von Feldhaus, L. d. V. der Techniker und Erfinder, Jena 1913 (mit vielen Abbildungen).

Marx, Über M. Antonio della Torre und L., die Begründer der bildl. Anatomie, Göttingen 1849. Lanzilotti-Buonsanti, Il pensiero anatomico di L., Mail. 1897. Perrod, L. anatomico, Rom 1899. Jackschath, Die Begründung der modernen Anatomie durch L., Medizin. Blätter (Wien) 1902, XXV, wo der (sehr fragwürdige) Nachweis versucht wird, daß die Werke des Vesalius, De humani corporis fabrica und Carlo Ruini, Anatomia del cavallo eigentlich als Schriften Leonardos anzusehen seien. Holl, L. und Vesal. Archiv f. Anatomie u. Physiologie 1905. Bottazzi, Un esperimento di L. sul cuore e un passo dell’ Iliade, Racc. Vinc. X, 153. Solmi, Per gli studi anatomici di L. d. V. in Miscellanee di studi critici pubbl. in onore di G. Mazzoni, Florenz 1907. Angelucci (Direktor der Neapolitaner Augenklinik), L’occhio e la sua fisiologia nelle scoperte di L. d. V., Giornale d’Italia 1906, April. Elsässer, Die Funktion des Auges bei L. d. V., Zeitschr. f. Mathematik, XLV.

Diese Liste kann und will gar nicht Vollständigkeit beanspruchen; sie soll nur einen beiläufigen Begriff davon geben, wieviel Federn gerechter-, mitunter wohl auch unnötigerweise durch die gewaltige Hinterlassenschaft Leonardos in Bewegung gesetzt worden sind. Die Bedeutung des großen Florentiners ragt eben weit über das enge Gebiet der Kunst hinaus; seine Tätigkeit auf diesem ist aber ohne das Korollar seiner sonstigen Bestrebungen überhaupt nicht zu verstehen.

3. Zu Leonardos Kunstlehre.

Leonardo erscheint am Schlusse des Quattrocento in vielem als die Erfüllung dessen, was L. B. Alberti am Beginn des Jahrhunderts verkündet und erstrebt hatte, und die Gegensätzlichkeit ihrer Weltanschauung ist vielfach nur scheinbar; übrigens ist es sicher, daß Leonardo an seinen Vorgänger unmittelbar anzuknüpfen gesucht hat. Auch in diesem Florentiner, der gleich Dante fern von der Heimat hat sterben müssen, lebt jener merkwürdige universelle Zug, der vor allen andern die Führer dieser auserwählten Stätte der Menschheit einzig kennzeichnet. Leonardos Entwürfe überflogen weit sein engeres Schaffensgebiet, die Malerei, der er doch mit so leidenschaftlicher Liebe ergeben war, als Michelangelo der Schwesterkunst. Darum zerrann ihm sein Schaffen unter den Händen; wenige haben mehr vermocht als er, keiner mehr gewollt, aber auch keiner weniger zu Ende gebracht. Wie bei Michelangelo liegt die Tragik seines Schaffens in ihm selbst, nicht in äußeren Umständen. Vom Künstler wie vom Denker sind fast nur Ruinen und Fragmente auf uns gekommen, deren größte das Abendmahl dort, das Malerbuch hier sind; andere page 151 hat ein böses Schicksal schon frühe zerstört, wie die Modelle seines Reiterdenkmals und den Schlachtenkarton, der mit dem seines großen Landsmannes und Gegenfüßlers unterging. Es ist wenigstens möglich, daß eine, wenn auch nicht endgültige Originalfassung seines großen Lehrbuchs existiert hat; aber auch diese müssen wir für vernichtet ansehen. Was jedoch an Originalwerken von ihm erhalten geblieben ist, vor allem der gewaltige Schatz seiner Zeichnungen, zeigt, daß er zwei Kardinalforderungen der Frührenaissance zu einer Höhe geführt hat, wie keiner vor ihm: bestimmte Modellierung im fließenden Licht (Rilievo-Sfumato) und seelischen Ausdruck.

Dieses unendliche Ausgreifen und nirgends zur Vollendung Kommen hat aber eine große positive Seite; was er bei größerer Sammlung uns an vollendeten Werken hätte schenken können, hätte schwerlich die Weite und Höhe seines Adlerfluges ersetzen können, von dem er auf die Welt herabblickte. Es steht bei ihm wie bei den größten und tiefsten Anregern unserer deutschen Frühromantik, bei Novalis und Friedrich Schlegel, deren ganzes unendliches Wollen, ausgesprochen in Fragmenten, durch innere Notwendigkeit ein »magisches« Fragment bleiben mußte. Unablässig den Gesetzen der Natur nachspürend, hat er vieles vorausgespürt und vorausgenommen, was erst spätere Wissenschaft und Technik ergriffen und begründet haben, gerade wie jene Romantiker. Er hat den Italienern zuerst das Beispiel wissenschaftlicher Prosa gegeben, auf einem Felde, das dann ein Galilei bestellen konnte, und das auch später noch bis ins 18. Jahrhundert und weiter wahrhaft klassische Stilmuster aufweist. Es ist staunenswert, wie dieser Maler von Florenz die Sprache meistert, auf Gebieten, die bis dahin kaum eine andere Terminologie besaßen, als die erstarrter scholastischer Schuldisziplin.

So steht er als der erste und größte jener bildenden Künstler da, die, wie in weiterem Abstande Dürer in Deutschland, Palissy in Frankreich die Ära des naturwissenschaftlich-mathematischen Fortschrittes einleiten. Doch wird man nicht vergessen, welche wackere Arbeit von Kleineren vor ihm geleistet worden ist, in seiner wirklichen wie in seiner Adoptivheimat Mailand, zum mindesten, was die mathematisch-physikalischen Grundlagen der bildenden Kunst angeht, und ebenso, welch ein großer Leser dieser Mann war, der das Schrifttum jener Vorzeit, der er als erbitterter Kämpe gegenüberstand, in reichstem Maß in sich aufgenommen hat.

Es ist unnötig, nochmals zu wiederholen, daß der Stern oder Unstern gigantischen Wollens und Nichtvollbringens auch über seinem Schrifttum geleuchtet hat. Über die Geschichte und die Schicksale seiner Handschriften haben wir das Nötigste mitgeteilt; hier soll uns nur noch der große Malertraktat beschäftigen, dessen Anfänge bis page 152 in das letzte Dezennium des 15. Jahrhunderts zu verfolgen sind, der uns aber lediglich als posthumer Notbau überliefert ist.

In Leonardos Malerbuch (das im folgenden unter Zugrundelegung der verdienstvollen Ludwigschen Ausgabe unter Beziehung auf deren fortlaufende Nummern besprochen wird) klingen sämtliche Themata der Renaissancekritik an, vom Rangstreit der Künste beginnend, jenem akademischen Schulpensum, das er geistreicher als alle andern behandelt hat, das aber selbst in einem bezeichnenden Zusammenhang mit Älterem steht.

Das Merkwürdigste ist jedoch Leonardos grundsätzliche Stellung zur Wissenschaft und sein erkenntnistheoretischer Standpunkt der Natur gegenüber. Wenn er seine eigene Kunst, die Malerei, ihrer mathematisch-physikalischen Grundlagen halber als Wissenschaft, und zwar als Naturwissenschaft anspricht und dieses Theorem mit feurigem Eifer verficht, so wandelt er zwar auf Bahnen, die schon die älteren toskanischen Theoretiker in naiver Empirie beschritten hatten; was er aber vor sich bringt, trägt den Stempel seiner hohen und originellen Geistesart wie den einer neuen Zeit, und es ist überhaupt zweifelhaft, welche Seite des Genies mehr bei ihm vorherrscht, die erkennende des Forschers oder die anschauende des Künstlers; sicher durchdringen sie sich beide. In den Anthologien von Solmi oder von M. Herzfeld kann man seine Ansichten in kompendiöser Form überblicken.

Leonardo stellt sich von vornherein auf den Boden des durch Erfahrung gewonnenen Wissens; er ist durchaus ein naiver Realist, dem die Gegenstände das Denken bestimmen. Hier liegt auch freilich die aus seinem Wesen selbst mit Notwendigkeit sich ergebende Schranke dieses großen und freien Geistes. Das Experiment nimmt bei ihm eine Zentralstellung ein; und von diesem seinem Bollwerk aus, in dem er fest auf der Erde zu stehen vermeint, macht er die heftigsten Ausfälle gegen die trügerischen »Geisteswissenschaften«, d. h. gegen die überkommene spekulative Naturphilosophie auf aristotelisch-platonischer Grundlage. Es ist die vollkommene Absage des erwachenden positivistischen Geistes an die Scholastik, die erste Morgenröte der neuen Erfahrungswissenschaft. Leonardo kämpft gegen die traditionelle Definition, die das aus der Erfahrung stammende Wissen als »mechanisch« brandmarkt und als allein wissenschaftlich die aus dem Geiste stammende Spekulation anerkennt. Als echter Radikaler stellt er die Sache vollständig auf den Kopf; alles Wissen, das nicht unmittelbar aus sinnlicher Erfahrung herstammt, ist ihm nichtig und trügerisch, er ist der umgekehrte Platoniker. Ja, er schreitet zu Anschauungen fort, die in etwas späterer Zeit ihn und sein Buch vor das Inquisitionstribunal gebracht hätten, gleich Galilei. »Wenn schon die Sinne angezweifelt werden«, ruft er aus, »wieviel trügerischer müssen die Dinge page 153 sein, die gegen die Sinneserfahrung sind, als die Existenz Gottes und der Seele, über die doch ohne Ende deklamiert wird und bei denen es wirklich zutrifft, daß jederzeit, wo Vernunftgründe und klares Recht fehlen, Geschrei an ihre Stelle tritt, was bei sicheren Dingen doch nicht Vorkommen kann.« (Ludwig, Nr. 6.) Nun ist freilich nicht zu vergessen, daß Ansätze zu solcher Betrachtungsweise schon in der älteren Wissenschaft des Morgen- und Abendlandes vorhanden waren, namentlich in der zu Padua blühenden merkwürdigen Schule der sog. Averroisten. Durch die künstliche Trennung von Glauben und Wissenschaft hat man aber sein Auslangen und Frieden mit dem Kirchendogma zu finden gewußt. Nun trat aber zum ersten Male ein richtiger und naiver Empiriker, mit frischen Sinnen, von seiner künstlerischen Anschauungsform ausgehend, auf den Plan und warf mit einem energischen Ruck den alten Schulranzen von sich. Der alte Philosoph, der sich da blendet, um gänzlich ungestört in innerem Schauen versinken zu können, ist ihm weiter nichts als ein bedauernswerter armer Narr (15). Es ist wie ein tiefes Atemholen in einer durch Gewitter gereinigten Luft. Daß er, wie schon gesagt, in seinem naiven, fast naturburschenhaften Realismus das Prinzip bis zu völliger Einseitigkeit überspannt, lag im notwendigen Gange seiner Entwicklung vorgezeichnet.

Für Leonardos Denken ist es sehr charakteristisch, daß er die Kunst, von der er ausging, als einen der höchsten Werte faßt, sie als Wissen, ja als Philosophie charakterisiert, weil sie von »Bewegung« handle. Ein merkwürdiges und inhaltreiches Wort, auch durch die ihm selbst kaum bewußten Hintergründe, aus denen es kommt! Leonardo stellt die Bildkunst sogar noch höher, weil das Auge weniger leicht zu täuschen sei als Ohr und Verstand.

Eigentümlich ist auch die Weise, wie Leonardo sich Dantes Wort von der Kunst als »Enkelin Gottes« zu eigen macht. Der alte Dichter hatte, wie wir wissen, die Tochterschaft der Kunst gegenüber der Natur selbstverständlich in seinem großen scholastischen Sinne aufgefaßt; bei dem Erben des Quattrocento gewinnt der Gedanke positive Form, »Kunst ist Nachahmung der Natur« (3); es ist der Concetto, der in der Praxis der Renaissance zu viel weitergehenden Folgerungen geführt hat als in der stets kompromißbedürftigen Theorie. Die Geschichte der Wachsplastik liefert dafür die merkwürdigsten Belege bis an den Ausgang der älteren Kunst. Hier flattern nun die uralten Geschichtchen von der Täuschung des Gesichtssinnes bei Mensch und Tier heran; aber auch eigene Erinnerungen (22).

Wie in seinem Kampf gegen die scholastische Metaphysik, so schreitet Leonardo auch auf seinem engsten Gebiet über die ältere page 154 Anschauung hinweg. Hatte das Mittelalter Schrift und Wort über das Bild erhoben (Hrabanus Maurus), so erklärt Leonardo, getreu seinem Standpunkt, die Anschauung, das Bild für bestimmter, deutlicher als die aus dem Verstande herstammende Schrift (7). Die Theorie der symbolischen Kunstlehre, wie sie zuletzt der Stil nuovo am raffiniertesten ausgearbeitet hatte, ist hier gänzlich überwunden.

Aus der hohen Einschätzung insbesondere seiner Lieblingskunst, der Malerei, erklärt sich auch die Stellung, die Leonardo den übrigen Künsten gegenüber einnimmt. Er hat als erster in weitem Umfang das später bis zum Überdruß behandelte und schließlich ganz leer gewordene Thema des Paragone, des Rangstreites der Künste, aufgenommen, ein Thema, das in einer inneren Verwandtschaft zu einem anderen, von Lessing und weiterhin behandelten steht, dem von den Grenzen der Künste. Die Herkunft des Paragone ist gleichwohl nicht zu verkennen, er wächst aus der volkstümlichen Tenzonen- und Kontrastliteratur des Mittelalters heraus (vgl. dazu die umfängliche Stoffsammlung von Steinschneider, Rangstreitliteratur. Ein Beitrag zur vergleichenden Literatur- und Kulturgeschichte; in den Sitzungsberichten der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-Hist., Kl., CLV, 1906, 4). Was Leonardo vorbringt, sind freilich zu einem guten Teil Sophismen, wenn auch solche eines geistreichen Mannes; übrigens sind sie, wie das aus der Sachlage sich von selbst ergibt, nicht durchaus sein Eigentum. Aber seine Argumente tauchen zum Teil im spätem Cinquecento wieder auf, als sein Nachlaß, im ganzen ungekannt und ungelesen, bei Melzi lag; ein merkwürdiger Ausklang verhallt noch im ersten Akt von Shakespeares »Timon von Athen«. Schon die Art, wie sich Leonardo mit der vornehmsten der Künste, der Poesie, auseinandersetzt (17 f.), erweist abermals den Gegensatz zur älteren Sinnesweise. Die Poesie gibt Schatten, die Malerei die Dinge selbst, die schattenwerfenden Körper. Der von keinerlei erkenntnistheoretischer Überlegung angekränkelte Gegenstandsglaube kann sich nicht naiver und unverhüllter zeigen. Auch hier tritt wieder die unbekümmerte, dem Malerwesen entstammende und für Leonardo so charakteristische Hochschätzung und Überschätzung des sinnlichen Elements hervor, der scheinbar unmittelbar und greifbar gegebenen Erfahrungstatsache. Auch hier nimmt er ein altes, in graues Altertum zurückreichendes Wort auf, das von der Malerei als einer stummen Poesie, es in seiner Weise scharf zugespitzt ins Gegenteil verkehrend und parodierend — er nennt die Poesie mit kaustischem Witz eine blinde Malerei. »Wer mag nun der schadhaftere Krüppel sein«, fragt er ironisch, »der Blinde oder der Stumme?«, und von seinem Standpunkt aus kann freilich die Antwort nicht zweifelhaft sein. Sein Beispiel ist aber die vollständige Antithese der alten Bilderstürmerei: der Name page 155 Gottes, in Schrift an eine Wand gemalt, erwecke lange nicht so viel Erinnerungen und Eindrücke als das Bild. Desgleichen war freilich nicht für das Volk der Schrift ϰατ' ἐξοχήν und bildscheuende Semiten gesagt — und nur ein weniges nach Leonardos Tod hat wieder ein Bildersturm durch die Kirchen des Nordens gefegt und sie von allem vermeintlichen Götzentum zuweilen nur allzu gründlich gereinigt.

Leonardo wird eben nicht müde, die sinnliche Wirkung des Bildes, die größere Kraft seiner Eindringlichkeit gegenüber dem körperlosen Wort immer und immer wieder zu betonen; er ist unbefangen genug, in seiner prächtigen Sachlichkeit sogar das laszive Bild für seine Theorie dienstbar zu machen (28). Auch darin lebt ein großer Forschergeist, der vor keiner Erscheinung des Lebens ängstlich halt machte; hat doch Leonardo auch mit wissenschaftlichem Eifer und Ernst die Anatomie der Zeugung behandelt.

Das schwerste Gegenargument, mit dem er zu rechnen hatte und das tatsächlich noch lange seine Kraft behalten hat, war die aus der mittelalterlichen Kunstlehre stammende Theorie der tieferen, symbolischen Bedeutung (und damit Rechtfertigung) des Bildes. Leonardo weicht hier scheinbar, wie ein gewandter Fechter, einen Schritt zurück und stellt sich auf den Boden der älteren Theorie. Er bemüht sich zu zeigen, daß die symbolische Sprache dem Maler ebensogut zugänglich sei; hier taucht wieder jenes berühmte Schulbeispiel von der Verleumdung des Apelles auf, das wir schon von L. B. Alberti her kennen. Während der Maler aber die Nachahmung der Naturdinge aus eigenstem Berufe unternehme, — so legt Leonardo zum Angriff aus — bleibe der Dichter an Kraft der sinnlichen Vorstellung unter ihm; will er dennoch den bedeutenden Inhalt, so muß er bei den Wissenschaften, als Rhetorik, Philosophie, Theologie, Anleihen machen (35). Es ist unnötig zu sagen, wie Leonardo hier, seinem Standpunkt zuliebe, die Kraft der poetischen Phantasie herabsetzt; der Dichter ist ihm ein Hehler von Dingen, die aus verschiedenen Wissensgebieten gestohlen sind; mit diesem Ausfall trifft er gerade die zu seiner Zeit noch immer im Schwange gehende Poetik. Darin steht der Maler dann freilich mit dem Dichter auf gleicher Stufe; »aber das ist das schwächste Stück der Malerei«, setzt Leonardo sogleich triumphierend hinzu. Man wird unmöglich verkennen, wieviel Modernes, trotz aller veralteten Ausdrucksweise, in diesen Worten enthalten ist; ist es doch die Opposition gegen das außerhalb der Form liegende, über sie hinausweisende, das lehrhafte und anekdotische Moment, die sich hier ankündigt. Leonardo steht völlig auf der Ausdrucksseite; was auf der Tafel ist, ist ihm das Wichtigste, nicht das, was hinter der Tafel ist, durch sie hindurchgesehen wird, im Sinne der scholastischen Poetik.

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Merkwürdig ist auch der Paragone der Musik, jener Kunst, die Leonardo selbst übte und so hoch einschätzte, daß er sie die »Schwester der Malerei« nannte (32). Beide wirken durch Harmonie und Proportion, doch muß auch hier das Ohr hinter dem Auge zurückstehen. Leonardo gibt einem alten Unmut der Künstlertheoretiker Ausdruck, wenn er, im Vollgefühl der neuen Errungenschaften, von Ungerechtigkeit spricht, daß die Musik, nicht jedoch ihre »Schwester« unter den freien Künsten figuriere. Das musikalische Gebiet wird auch weiterhin noch oft in Leonardos Theorie gestreift.

Dagegen hält er es nicht für nötig, sich mit der Architektur auseinanderzusetzen; sie steht völlig für sich und gerade bei ihr ist das Schwanken zwischen freier und mechanischer Kunst immer ein Stein des Anstoßes gewesen.

Am schlechtesten kommt die Kunst weg, die doch die eigentliche Zwillingsschwester der Malerei ist und in der Leonardo sich selbst episodisch versucht hat, die Skulptur (42 f.). Das starke Element handwerksmäßiger Arbeit in ihr scheint ihm nicht sympathisch gewesen zu sein, da berührt er sich mit Alberti; übrigens klingen hier immer Vorstellungen aus dem Altertum herüber, wie sie in Lukians elegant erzähltem Traum von der schmutzigen Magd Bildnerei im Arbeitskittel zutage treten. Die Sophismen Leonardos — es sind zum guten Teil solche — leben auch später weiter, sie sind auch von ihm nur geformt, nicht erdacht. Immerhin verraten sie den geistreichen und denkenden Künstler. Licht, Schatten, perspektivische Verkürzung sind in der Rundplastik von der Natur selbst gegeben, es fehlt also die künstlerische Verarbeitung, die theoretische Überlegung, das wissenschaftliche »Element der Malerei«. Höher steht in Leonardos Augen das Relief; es war auch nicht umsonst seit Ghibertis und Donatellos Tagen immer fühlbarer die Pfade des »Malerischen« gewandelt. Aber Leonardo hebt auch sogleich seine perspektivischen Mängel hervor; es ist immerhin nicht zu vergessen, daß die schwierige Reliefperspektive erst viel später, im folgenden Jahrhundert, durch den Mathematiker Ubaldi ihre wissenschaftliche Grundlegung erhalten sollte. Für die Zeitanschauung ist es sehr bezeichnend, daß Leonardo schon die Lehre von der farblosen Plastik der Hochrenaissance vorträgt und daß er noch auf dem älteren Standpunkt der zwei Hauptansichten fußt, der von der Kunst Michelangelos und seiner Nachfahren bald geleugnet werden sollte.

Trotz aller Rückständigkeiten denkt Leonardo doch tiefer und moderner als seine Zeitgenossen. Es ergibt sich aus seinen Worten, daß er die Nachahmung keineswegs wörtlich, sondern als geistige Tat, als tiefstes Wesen künstlerischen Ausdrucks erfaßt. Denn das ist’s, was ihn bei seiner Wertung der beiden Schwesterkünste leitet, so page 157 sehr er auch, was die Plastik anlangt, neben das Ziel schießt. Er hebt die geistige Verarbeitung durch den Maler hervor, der die drei Hauptsachen, Modellierung, farbiges Licht, räumliche Vertiefung, aus eigenen Mitteln beistelle, während sie die Plastik, wie gesagt, unmittelbar aus den Händen der Natur empfange. Darum ist für Leonardo der reine Naturalist, jener, der »unwissenschaftlich«, d. h. ohne Kenntnis der theoretischen Grundlagen, namentlich der Perspektive arbeitet, das Naturvorbild als roher Empiriker wiedergibt (wie der volkstümliche Plastiker, ein Guido Mazzoni etwa), nichts als ein Stümper (40). Deshalb sagt er, von da an, wo sich der Bildner auf die Stücke des Malers einließe, sei er eben Maler, und wo er diese nicht braucht, eben bloß Bildner. Und darum spricht er sich auch gegen den Gebrauch roher Hilfsmittel, der Camera optica, des Visierens durch die Glastafel oder des Albertischen Netzes aus. Das sind Behelfe, Erleichterungen für diejenigen, die die Sache theoretisch beherrschen, sich überflüssige Mühe sparen wollen, aber nichts als Eselsbrücken und Faulenzer für den reinen Empiriker und Naturalisten. Diese Dinge müssen geistig beherrscht werden, und sie erweisen sich als wirklich fruchtbringend nur für den, der aus seiner geschulten Phantasie heraus sich die Natur zu assimilieren weiß; hier läuft die Scheidelinie zwischen dem Künstler und dem handwerklichen Kopisten und Banausen. Wenn Leonardo dabei die Skulptur als Vertreterin des empirischen Naturalismus hinstellt, so steckt, wie in seinen Ausführungen überhaupt, sehr viel Tiefes und Wahres neben absichtlich Einseitigem und Falschem.

Für ihn ist also die Malerei die Kunst ϰατ' ἐξοχήν — ihr Wesen liegt in der Nachahmung beschlossen, die aber keine mechanische, sondern die innere, geistige Verarbeitung des Naturvorbildes ist; im Grunde ist das ein Gedanke, den das aristotelische Denken, aber auch der stets vielgelesene alte Rhetor Quintilian an seiner Stilschule entwickelt hatte. Und um »Stil« handelt es sich auch durchwegs. Deshalb nennt Leonardo die Malerei eine »zweite Natur» (57a); auf dem »zweiten« liegt der Nachdruck, sonst käme die tautologische Plattheit späterer Theorien heraus, die doch immer hilflos neben der Praxis einherlaufen. Noch schlimmer ist freilich die Nachahmung der Manier eines anderen Künstlers; wer sich dieser ergibt, ist nicht mehr Sohn, sondern Enkel der Natur (66); wir begreifen schon jetzt, daß die vielberufene Antike bei Leonardo keine Rolle spielt.

Die eigentliche Kunstlehre Leonardos läßt sich aus den zahlreichen Ansätzen und Wiederholungen nur mit einiger Deutlichkeit erkennen, soweit sie sich ihm überhaupt gefestigt hatte. Den Kern der Malerei erblickt er im Rilievo, in der strengen Modellierung durch Licht und Schatten. Alle seine Vorschriften gehen aus dieser Forderung hervor und haben sie zum Ziel. Sein eigenes Schaffen ist darauf eingestellt, page 158 und seine unvollendete, in der Untermalung erhaltene Anbetung der Uffizien ist deshalb ein so wichtiges Dokument nicht nur für ihn selbst, sondern für eine ganze große Phase der mittelitalienischen Renaissance. Aus ihr ersehen wir, wie er seine Lehre der Modellierung aus den Mitteltönen (129) praktisch verwertet, aber auch, wie er nicht aus der Farbe heraus denkt und von ihr herkommt, sondern aus der plastisch klaren Formvorstellung, als echter Florentiner, dessen Heimatland nicht ohne tiefen Grund schon seit dem Dugento die kaum bestrittene Führerschaft in der Plastik, jener von ihm so schnöde behandelten Kunst, inne hatte. Nur schlechte Lehrbuben, sagt er, malen ohne Schatten (52). Die Arbeiten des merkwürdigen frühen Pleinairisten und Lehrmeisters seines Freundes Luca Pacioli, jenes Piero della Francesca, werden schwerlich nach seinem Geschmacke gewesen sein. Gleichwohl hat niemand vor Leonardo und noch lange nach ihm die Wirkungen freien Sonnenlichtes theoretisch so eingehend erfaßt und beschrieben, wie überhaupt keiner, bis zur deutschen Romantik herab, gleich ihm die atmosphärischen Phänomene gewürdigt hat. Aber dergleichen bleibt ihm Theorie, wissenschaftliche Erkenntnis, vor deren Anwendung auf die malerische Praxis er höchst ernsthaft und eindringlich warnt (713). »Male nie von der Sonne durchschienenes Laub, es ist konfus«, leitet er den Schüler an (977). »Volles Licht zerstört die Form, macht sie flach«, sagt er mit vollem Recht; und daß er dergleichen ablehnt, ist durchaus verständlich, ist doch das rilievo der feste Grund, auf dem er fußen will. Zerstreutes Licht, bedeckter Himmel sind die vorteilhaftesten Bedingungen (117, 122, 129), eben weil sie die plastische Form am klarsten und natürlichsten geben. Er warnt auch davor, im Atelierlicht gemalte Figuren in freie Luft zu setzen, ein Verfahren, das noch die späteren Holländer unbedenklich ausüben. Sein Lehrgang, wie ihn der zweite Teil des Malerbuchs in der Redaktion des Urbinas und Ludwigs darstellt, ruht durchaus auf solchen Grundsätzen.

Das zweite Hauptstück der Malerei liegt für Leonardo im seelischen Ausdruck, der sich durch Bewegung im weitesten Sinn (movimenti bei Pacioli), Gebärdensprache und Physiognomik äußert. Leonardos eigenes Schaffen hat seiner Zeit die Wege auf diesem Felde gewiesen; deshalb besteht er auch mit solchem Nachdruck auf dieser Forderung, ohne die die Malerei »doppelt tot« ist (377, 378). Die höchst anschauliche Art, mit der er einzelne Affekte schildert (400 f.), namentlich im Hinblick auf die Gebärdensprache, ruft sofort die Erinnerung an sein berühmtestes und bis auf unsere Tage herab vielkommentiertes Werk hervor. Zu seinen ebenso berühmten Karikaturen leiten physiognomische Studien, wie die Merktafel der Nasenformen (404) hinüber. Allenthalben betont und studiert Leonardo das page 159 Eigenwüchsige; er warnt vor der Verwendung gleichförmiger Typen, die wie »Brüder« aussehen; hier findet er sich in offenem, von ihm selbst ausgesprochenem Gegensatz zu seinem großen Zeit- und Heimatgenossen Michelangelo.

Das dritte Hauptstück, die Farbe, steht bei Leonardo nicht nur äußerlich in letzter Linie. Er sagt das hart und gerade heraus; für den, der das Hauptgewicht auf die Modellierung in abstraktem Lichte verlegt, ist die Farbe Verdienst des Farbenreibers, nicht des Malers, und ein Bild mit häßlichen Farben ist dennoch verdienstlich, wenn es nur gut modelliert ist. Mit ähnlicher Schroffheit wendet er sich gegen die Schönmaler älterer Zeit, die fast ohne Schatten malen (95 f., s. o.). Das ist wieder der echte Toskaner, der hier spricht, und der völlige Gegensatz zur venezianischen Malerschule, der auch später immer wieder in gegenseitigen Anwürfen zum Vorschein kommt, liegt auf der Hand. Doch hindert das nicht, daß Leonardo, wiederum als Forscher, auf diesem Gebiet die feinsten Beobachtungen angestellt hat. Hieher gehören die schönen Bemerkungen über farbige Schatten (659), über Reflexe (713: das ganz moderne Bild der weißgekleideten Dame in vollem Sonnenlicht auf grüner Wiese!). Aber das sind, wie gesagt, Ergebnisse des Naturforschers, die Leonardo keineswegs in künstlerische Praxis umgesetzt sehen will. In der Farbentheorie steht er auf dem Standpunkt der aristotelisch-theophrastischen Schule, der noch von Goethe und der Romantik eingenommen wurde; er statuiert eine sechsfache Farbenskala, deren Endpunkte Weiß und Schwarz als Licht und Finsternis sind und zwischen die sich die übrigen vier, aus dem Zusammenwirken von Licht und Dunkel entspringend, einfügen. Leonardo parallelisiert sie in scholastischer Weise mit den vier Elementen. (Gelb = Erde, Grün = Wasser, Blau = Luft, Rot = Feuer, 160 f.)

Wie namentlich Solmi nachgewiesen hat, beschäftigte sich Leonardo, unbeschadet seiner Opposition gegen die scholastische Weltanschauung und Methode, sehr viel und sehr intensiv, trotz einem Gelehrten, mit mittelalterlicher Spekulation. Wie er den alten Physiologus zu erneuern sich vergnügte, so greift er selbst in einer so modernen Disziplin, als es die Lehre von der Perspektive ist, gelegentlich auf ein Lehrbuch gotischen Mittelalters zurück, die Prospectiva communis des Peckham († 1292); er hat ganze Stellen daraus wörtlich übernommen (in Solmis Anthologie, p. 407). Das Buch ist ihm wohl im Mailänder oder in dem durch Lucas Gauricus (dem Bruder des Theoretikers) besorgten Venezianer Druck von 1504 Vorgelegen. Der Zusammenhang mit der gelehrten Arbeit des Mittelalters ist hier noch ebenso vorhanden wie am Anfang des Jahrhunderts bei Ghiberti. Wie Leonardo die Wissenschaft der Linearperspektive im einzelnen ge page 160 fördert hat, läßt sich hier nicht ausführen; bedeutend ist aber, daß er die in Toskana von Alberti bis auf Piero della Francesca ausgebildete Disziplin mit ihren eigentümlichen und subtilen Methoden nach Oberitalien verpflanzt, wo schon die älteren Mailänder und Paduaner sich neue, den Florentinern noch unbekannte Probleme gestellt hatten. Leonardos Bemerkungen über perspektivische Scheinkonstruktionen (469, 470) zeigen, daß er sich auf diesem Gebiete mit Anteil umgetan hat, das ja gerade in Oberitalien auf der Linie von Mantegna über Correggio bis zum Padre Pozzo hinab eine so bedeutende Entwicklung fand. Vor allem ist er jedoch der erste, der über Licht- und Luftperspektive gründlich nachgedacht hat; er behandelt sie selbständig neben der linearen (204 f.), und seine Bemerkungen (besonders 449 f.) gehören zu dem Feinsten und Treffendsten dieser Art.

Besonders merkwürdig wegen weiterer Beziehungen, namentlich auch zu der wichtigen Lehre von den Proportionen, ist das von Leonardo anscheinend zuerst erkannte und formulierte Gesetz der Abstände in der perspektivischen Verkleinerung (471). Es besagt, daß Objekte von gleicher Größe, deren Abstände vom Auge in arithmetischer Proportion (1: 2: 3: 4) fortschreiten, in umgekehrtem Verhältnis, d. h. in harmonischer Proportion (½ : ⅓ : ¼) verkleinert werden. Die Sache ist von Bedeutung, weil Leonardo an anderer Stelle (25, dazu 32 u. 34) sich unmittelbar auf die sorella della pittura, d. i. die Musik, bezieht. Das solchen Spekulationen zugrundeliegende Bestreben ist leicht zu erkennen: es handelt sich darum, es der älteren festbegründeten Theorie der alten freien Kunst gleichzutun. Das von Plutarch in seinem Büchlein über die Musik der Alten ausführlich erörterte, aus der platonischaristotelischen Lehre stammende Thema der arithmetischen und harmonischen Progressionen war für die Renaissance von höchstem Wert; auf der pythagoräischen Musiktafel, die der Vertreter der Musik in Raffaels Schule von Athen so auffällig weist, findet es sich schematisch dargestellt. (Naumann in der Zeitschr. f. bild. Kunst, XIV, 1.) Dabei handelt es sich um die für die neuere mehrstimmige Musik so wichtige Theorie der Konsonanzen, die dann im Venedig des 16. Jahrhunderts durch die berühmten Institutioni armoniche Zarlinos (1558) zu der erst von der modernen Theorie ganz verstandenen und aufgenommenen Lehre der Dualität aller Harmonik (harmonische Progression der Obertöne in Dur — arithmetische der Untertöne in Moll) geführt hat; sie war übrigens schon in der arabischen Theorie vorgebildet. Auch bei den Späteren, wie Lomazzo, werden wir das Thema wiederfinden, vielleicht im Zusammenhang mit Leonardo; jedenfalls ist dieser, dessen Geist rastlos bemüht war, die formalen Beziehungen zwischen den Einzelkünsten und ihren Fundamenten aufzuhellen, auch daran nicht vorbeigegangen.

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Was die Lehre von den Proportionen anlangt, so hat Leonardo diese nicht nach dem überlieferten starren System behandelt, sondern auf sie in ihrer Veränderung durch die Bewegung sein Augenmerk gelenkt; »bewegtes Leben« war ja eine seiner Kardinalforderungen in Theorie wie in Praxis. Im übrigen kehrt die literarisch aus der Antike überlieferte Theorie der künstlerischen Auswahl auch bei ihm wieder (109). Mit seiner Anweisung, die Studien nach gut proportionierten Modellen in sorgfältiger Verwertung zu einem wohlgefälligen Ganzen zu verbinden, will er einer Gefahr begegnen, die dem Maler droht; eine Erinnerung aus dem naiv-realistischen Quattrocento klingt nach: Leonardo hat bemerkt, daß der Maler unbewußt seinen eigenen Körper, namentlich die Hände, zum Vorbild nehme, eine Sache, auf die er des öfteren zurückkommt (172, 173, cf. 251): Il pittore pinge se stesso. Das heißt jetzt, in der Renaissance, etwas wesentlich anderes, als Dante mit seinem seltsamen Vers: »chi pinge figura, se non può esser lei, non la può porre«, aussagen wollte. (Vgl. I. Buch.)

Was der Anatom Leonardo bedeutet, ist hier nicht Ort und Beruf auszuführen. Im Traktat (besonders 110 f.) finden sich Untersuchungen, die in den bisherigen Malerschriften etwas Unerhörtes waren; freilich überfliegt der Anteil am Gegenstande auch weitaus die Grenzen der Kunst. Die Leichensektion, eine im Altertum ausgefallene, an den Universitäten des italienischen Mittel alters nur selten und geheim betriebene Sache, war Leonardo ein wohlbekanntes Feld; der Äußerung eines Zeitgenossen ist zu entnehmen, daß er über dreißig Kadaver seziert hat: etwas, das damals bei einem Künstler noch etwas sehr Ungewöhnliches war. So hat er sich Kenntnisse und Folgerungen zu eigen gemacht, vor denen sich noch die moderne Wissenschaft in Ehrfurcht neigt; ich verweise auf die treffliche Orientierung in M. Herzfelds gediegener Einleitung zu ihrer Leonardo-Anthologie.

Auf besonderem künstlerischen Gebiet hat Leonardo die Muskellehre (Teil III des Malerbuchs) mit besonderem Anteil ausgebaut. Er sieht schon die Übertreibung, die im Verlauf des Cinquecento kurze Zeit nach seinem Tod gerade in dieser Richtung eintrat, voraus: seine Warnung vor allzu betonter Muskulatur, die den Körper wie einen Sack voll Nüsse erscheinen lasse, ist voll treffenden Witzes, und klingt wie an die Adresse eines Bandinelli und anderer Nachtreter des Michelangelo gerichtet. Auch da scheint ihm die horazische aurea mediocritas das erstrebenswerte Ziel.

Leonardos Lehren quellen überall aus Leben und praktischer Einsicht; graues Theoretisieren ist nicht seine Sache, im Gegensatz zu der Humanistenart seines Vorgängers L. B. Alberti, dem er doch manches entlehnt. Wo er sich auf dergleichen einläßt, wie in den Ausführungen über Komposition (236 f.), vermag er freilich seine Zeit page 162 nicht zu verleugnen. Der alte rhetorische Schulbegriff des πρέπον- decorum spielt auch bei ihm seine Rolle; wie sehr er jedoch innerlich über das Quattrocento, aus dem er leiblicher und künstlerischer Herkunft nach stammt, hinausgediehen war und das Cinquecento einleitet, zeigt neben vielem andern sein Tadel des naiven älteren Stils. (Vgl. n. 78, wo das breitbeinige Stehen bei Kindern und Frauen als unschicklich verurteilt wird.)

Vom eigentlichen Handwerk bringt Leonardo nicht viel; trotz seiner vielfachen Experimente hat er verhältnismäßig wenig technische Rezepte und Vorschriften des Aufzeichnens wert gefunden. Mit Alberti berührt er sich auch darin, daß historische Interessen ihm, dem eifrigen Naturforscher, im Grunde fremd sind; sie liegen ihm zu weit hinter dem unmittelbar Gegebenen zurück. Zeitgenössische Kunst und Künstler erwähnt er gleichfalls selten, und wo es geschieht, fast immer tadelnd. Bezeichnend ist seine abfällige Äußerung über Botticelli als Landschafter (79), der ja freilich auch einer absterbenden Generation angehörte. Merkwürdig ist indessen ein historischer Aphorismus, der sich im Codex Atlanticus findet (bei Solmi, Pensieri 35) und an die alte Giotto-Anekdote anknüpfend, dem großen Erneuerer der Kunst, den jungverstorbenen Masaccio an die Seite setzt. Es ist das lebendige Gefühl für die großen Originalgenies, für seinesgleichen, die der Kunst die Taktilwerte, jenes rilievo erobert haben, das ihm so sehr am Herzen liegt. Das stultum imitatorum pecus hat für ihn keinerlei Interesse; und deshalb hat er die Perioden, die ihm als epigonenhaft erschienen, die Kunst der Römer und der Giotteske, nur gering einzuschätzen vermocht.

Er steht am Ausgang des Quattrocento und erhebt den weithin schallenden Heroldsruf der neuen Zeit, so wie sein dämonischer Zeitgenosse der Spätrenaissance vorausschreitet. Darum steht er auch der älteren Periode und ihren naiveren und primitiveren Kunstmitteln, aus denen er selbst herauswuchs, vielfach unwillig und polemisch gegenüber. So tadelt er z. B., daß die Maler ein einjähriges Kind in den Proportionen eines Erwachsenen, d. h. mit acht Kopflängen darstellen, während das in der Natur zu beobachtende Verhältnis zwischen Kopf und Körper wie 5 : 8 sei; es ist bekannt, wie zäh die in Italien so geschätzte niederländische Modekunst an diesem Archaismus festhielt. Alles Fahrige und Hastige der Komposition ist ihm, dem strengen Stilpropheten der età d’oro, vom Herzen zuwider; sein Gegenbeispiel einer Verkündigung, wie man sie nicht machen solle (78), liest sich, als wäre es auf den Spätstil des Filippino gemünzt. Leonardo erhebt als Erster Protest gegen die uralt überkommene, diskursive Darstellungsform, die die Handlung in ihren sich folgenden Augenblicken im gleichen Bilde entwickelt. Was er dafür empfiehlt, ist freilich schon page 163 im Quattrocento, so in Ghibertis Paradiesestüren, angewendet worden: die Nebenszenen kleiner auf Terrasseschichten des Hintergrundes, auf Hügeln der Landschaft anzudeuten, um der voll und breit entwickelten Hauptszene des Vordergrundes nur als Staffage zu dienen. Das Herausringen aus der älteren Auffassung ist trotzdem deutlich, es ist das schon bei Alberti merkbare Streben nach durchaus einheitlich geschlossener Bildwirkung, dessen volle Konsequenz eben das Cinquecento trotz mancher Rückfälle gezogen hat: der große Stil, der Raffaels römische Periode kennzeichnet. Aus diesem Grunde verwirft Leonardo auch den naiven Gebrauch, den die ältere Zeit von den modernen Trachten gemacht hatte, weil sie in ihren Absonderlichkeiten dem Grundsatz des Dekorums widersprechen und die einfach große, bedeutende Linie stören. Aus der nämlichen Überzeugung stammt es, wenn er die (im Quattrocento, namentlich in Oberitalien, aber auch noch, wohl im Zusammenhang damit, in der Vischerschule des 16. Jahrhunderts zu bemerkende) Manier, die Draperie feucht über die Modelle zu legen und zu fixieren, ihrer Kleinlichkeit wegen ablehnt (536, 544).

Am merkwürdigsten ist aber bei Leonardo wohl die äußerst untergeordnete Rolle, die das nationale Idol, die Antike, spielt. Sie erscheint nur gelegentlich, wie eben in dem gerade berührten Zusammenhang, als Muster der Gewandbehandlung (543); sonst steht sie fast gänzlich außerhalb seiner Gedankengänge, was ja bei seiner Richtung auf das unmittelbar Gegebene, bei seinem Streben, nicht Enkel, sondern Sohn der Natur zu sein, wohl verständlich ist. Über eine kühle Empfehlung ihrer Vortrefflichkeit im allgemeinen (im Cod. Atlant., fol. 147, bei Richter II, 1445: L'imitatione delle chose antiche è più laudabile delle moderne) ist Leonardo, im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, nicht hinausgekommen, eben weil sie ihm, dem großen Wirklichkeitssucher, Natur aus zweiter Hand bedeuten mußte. Auch in dieser Beziehung steht er einzig und bedeutend da.

Leonardos Fragmente sind das großartigste Denkmal, das uns die gesamte italienische Kunstliteratur hinterlassen hat, schon aus dem Grunde, weil ein Geistesmächtigerer als er nicht mehr zur Feder gegriffen hat; nur Dürers literarisches Vermächtnis, das mit dem seinen durch manchen Faden verknüpft ist, kann neben ihm bestehen. Vasaris unvergleichlich größere historische Rolle war aber mit einer viel kleineren Persönlichkeit verknüpft. Wie die ehrwürdige Gestalt eines Künstlerpatriarchen, des alten Ghiberti, am Eingang des Quattrocentos steht, so leitet die größere und inkommensurable Figur des Künstlers Leonardo über seinen Ausgang und die Schwelle des Cinquecentos hinweg.

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Drittes Buch: Die Kunstgeschichtschreibung vor Vasari

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I. Die Vorläufer Vasaris.

1. Das Buch des Antonio Billi.

Was Ghiberti begonnen hatte, fand zunächst im Quattrocento keine eigentliche Nachfolge; über magere Elogien oder knappe Charakteristiken ist man kaum hinausgekommen, so bedeutend einzelne Ansätze zu universalgeschichtlicher Betrachtung, wie in Manettis Biographie des Brunellesco, auch sein mögen. Das Zeitalter war eben historisch nur mäßig angeregt; seine ganze Kraft widmete es der Theorie, den Versuchen, die Grundlagen der bildenden Künste exakt und spekulativ festzustellen. Zu gedankenvoller Rückschau fehlten zumeist Ruhe und Stimmung.

Erst das Florentiner Cinquecento lenkt wieder auf den von Ghiberti gebahnten Pfad ein. Das erste Werk dieser Art ist der sog. Libro des Antonio Billi, so nach einem öfters wiederholten Zitat bei dem ihn ausschreibenden Anonymus der Magliabecchiana genannt. Über den Verfasser wissen wir so gut wie nichts. Es ist sogar zweifelhaft, ob jener Antonio Billi der Autor und nicht eher bloß der Besitzer des »Buches« gewesen ist; nachgewiesen ist er als Großkaufmann aus einer angesehenen Florentiner Familie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sehr zum Unterschied von Ghiberti ist der Verfasser des »Buches« jedenfalls kein Künstler, sondern ein historisch interessierter Laie gewesen; das eigene Kunsturteil ist gering und unsicher, immerhin kennt er doch vieles, besonders in Florenz, aus eigener Anschauung. Im ganzen ist das Buch das erste Beispiel jener Schreibtischarbeiten von zünftigen und unzünftigen Literaten, die von jetzt an immer häufiger werden, durchaus von Stubenluft erfüllt und ohne rechten Zusammenhang selbst mit dem lebendigen Kunstschaffen der nächsten Umgebung.

Es liegt auch keineswegs eine vollständig ausgearbeitete literarische Leistung vor, sondern ein Konglomerat von Notizensammlungen, deren einzelne Teile sich wohl unterscheiden lassen und deren Entstehung zwischen den Jahren 1481 und 1530 einzuschließen ist. Der Versuch Freys, verschiedene Hände in dem überkommenen Material zu scheiden, ist durch die scharfsinnige Analyse Kallabs als unnötig und aussichtslos dargetan worden; wohl aber lehrt die Betrachtung page 168 der erhaltenen Abschriften sowie deren Benützung seitens der späteren Autoren, wie des Anonymus der Magliabecchiana, Gellis und Vasaris, daß der voraussetzliche Urtext dieser Kollektaneensammlung durch die Hände Verschiedener gegangen ist, die ihn mannigfach überarbeitet und ergänzt haben.

Trotzdem ist »Billi« an sich wie quellengeschichtlich von großer Bedeutung; das erstere durch die Fülle der von ihm überlieferten Notizen, das letztere dadurch, daß er die wichtigste Quelle Vasaris für die ältere Zeit ist. Er hat Villani, Landino und Manettis Vita des Brunellesco gekannt und benützt; merkwürdiger- und bezeichnenderweise sind ihm aber Ghibertis Nachrichten unzugänglich geblieben. Dadurch erscheint er in dem das Trecento betreffenden Teil als eine zweite selbständige Quelle, freilich durchaus nicht zu seinem Vorteil. Wir erkennen, welche große Entwicklung die legendenhafte Tradition seitdem genommen hatte; eine Menge Irrtümer, die Vasari übernommen und zu Ansehen gebracht hat, fallen auf Billis Schuldenkonto. Selbständigen Wert haben dagegen seine Nachrichten über das Quattrocento; hier ergibt sich auch im allgemeinen die Zuverlässigkeit seiner Nachrichten, aus denen Vasari wieder reichlichst geschöpft hat. Der Kern des Buches, das so gut wie ausschließlich florentinische Künstler berücksichtigt, reicht von Cimabue bis auf A. Pollajuolo; Nachträge behandeln zeitgenössische Künstler, namentlich Leonardo und Michelangelo.

2. Der Anonymus der Magliabecchiana. Gelli. Giovio. Wirkliche und angebliche Quellen Vasaris.

Das im »Buche des Billi« Begonnene hat in erweiterter Form und mit unmittelbarer Aneignung des darin Enthaltenen ein anderer, namenloser Schriftsteller von Florenz fortgesetzt, ohne auch seinerseits über einen ersten Entwurf hinaus zu kommen. Es ist das der sog. Anonimo Magliabecchiano (auch Gaddiano), so genannt nach dem Standorte seines Elaborats. Über seine persönlichen Daten wissen wir fast gar nichts, aus den Daten seiner Schrift ergibt sich bloß, daß er zwischen 1537 und 1542 gearbeitet hat. Baldinucci, der die Handschrift gekannt hat, meinte hier die erste Niederschrift Vasaris für seine Vite zu sehen; ebenso haltlos ist Milanesis Hypothese, der an Vasaris Freund und Mitarbeiter G. B. Adriani gedacht hat. Der Verfasser ist ein Mann, der in Künstlerkreisen wohlbekannt war; außer Vasari nennt er selbst Pontormo und Bandinelli als Berater; seine ausführlichen Angaben über Leonardo, der für Florenz schon lange verschollen war, dankt er vielleicht dessen Schüler G. F. Rustici. Aber ein Künstler ist er gewiß ebensowenig gewesen als der Autor des Billibuches, vielmehr dessen Geistesverwandter; man könnte page 169 wegen der frommen Sprüchlein, mit denen er jeden seiner Abschnitte einleitet, fast daran denken, daß er Geistlicher gewesen sein möchte.

Wie er Messer Giorgio persönlich kennt und von ihm auch Material erhalten hat, so erscheint er auch sonst als der eigentliche Vorläufer Vasaris oder, genauer gesagt, dessen Arbeit geht der seinigen parallel. Vasari seinerseits hat ihn nicht benützt, wohl aber haben beide, abgesehen von Ghiberti und »Billi«, Quellen gemeinsam, wovon gleich die Rede sein soll. Auch sonst hat die Arbeitstechnik des Anonymus viel Verwandtes mit der seinen, ist synkretistisch und pragmatisierend, auch die Terminologie verdient Beachtung. Zum Unterschied von dem rohen Brouillon »Billis« hat er schriftstellerische Ambitionen, sucht seinen Stoff zu gliedern und literarisch zu formen. Zur endgültigen Redaktion ist der Anonymus ebensowenig wie der Autor des Billibuches gekommen; seine Arbeit ist entweder durch den Tod unterbrochen oder, was vielleicht wahrscheinlicher ist, beiseitegelegt worden, eines Umstandes halber, der auch auf M. A. Michiel, wie sich noch ergeben wird, bestimmend gewirkt hat: daß nämlich Vasaris Viten 1550 im Druck erschienen.

Trotzdem das Elaborat, wie das Buch des Billi, ein unzweideutiges Stubenprodukt ist, geht dem Autor die Kenntnis der Denkmäler durchaus nicht ab; an einer Reihe von Stellen (die Kallab a. u. a. O. 181, Note 3, verzeichnet hat) will er die Angaben seiner Vorlagen durch eigenes Schauen berichtigen. An solchen Selbstermahnungen fehlt es überhaupt nicht und sie machen den Charakter des Brouillons noch deutlicher. Das bezeugen Randbemerkungen, wie meglio dire oder die besonders bezeichnende in der Vita des Buffalmacco: levare tutte tali fagiolate, vere, ma dirle con brevità e allargharle in altre istorie non dette per li altri. Diese ausgesprochen literarische Tendenz wird auch durch den wohldurchdachten Gesamtplan bekräftigt. Zum erstenmal seit Ghiberti ist wieder eine Darstellung des gesamten Kunstverlaufes von der Antike her beabsichtigt und versucht worden. Für die antike Kunstgeschichte hatte der Anonymus eine Hilfe, deren Ghiberti noch hatte entbehren müssen, die große, nunmehr längst im Druck vorliegende Pliniusübersetzung Landins. Aber sein eigenes Eigentum ist der Versuch einer Periodisierung und Gruppierung der alten Kunstgeschichte, alles freilich rein auf literarischem Wege gewonnen und ohne nennenswerte Kenntnis der Monumente, wenn auch gelegentlich eigene Nachrichten, wie z. B. über das seltsame, einst in Ghibertis Besitz gewesene Letto di Policleto, nicht ganz fehlen.

Der zweite Teil umfaßt die florentinischen Künstler des Trecento und des frühen Quattrocento. Hier arbeitet der Anonymus die Angaben der Apologie Landinos, namentlich aber Ghibertis (nach einer anderen Handschrift als der uns einzig bekannten, vielleicht sogar dem page 170 Original, wie er denn auch von einem originale spricht) sowie Antonio Billis (den er in dieser ausdrücklichen Weise als Autor zitiert) ineinander, was begreiflicherweise nicht ohne seltsame Entstellungen, Doppeldaten und sonstige Mißgriffe abgeht. Weitere Teile behandeln dann die sienesischen Künstler, über das von Ghiberti Gebotene hinausgreifend (Taddeo Bartoli, Vecchietta u. a.) und die Bildhauer von den Pisani bis auf Verrocchio. Daran schließt sich endlich ein am meisten den Charakter eines ersten Entwurfes tragender Teil, in dem manches sogar in bianco gelassen ist, der aber eine Fülle wertvoller Notizen enthält. Er umfaßt Nachträge zum Trecento, ausführliche Kompilationen über eine große Zahl der führenden Künstler des Quattrocento, sowie endlich besonders wichtige über Zeitgenossen, wie Andrea del Sarto, Leonardo und Michelangelo. Den Schluß des Manuskriptes bilden lose angehängte Ricordi über Bauten in Rom, Beschreibungen der Malereien in der Certosa zu Florenz und Pilgernotizen über Kuriositäten in Perugia, Assisi, Rom.

Die Vorlagen des Anonymus sind mit den früher erwähnten und uns wohlbekannten noch keineswegs erschöpft. In höchst mühevoller, aber technisch meisterhafter und mustergültiger Analyse hat Kallab (a. u. a. O., p. 187—207) klargelegt, daß gewisse, sachlich wie formal übereinstimmende Partien der drei miteinander parallel arbeitenden Schriftsteller, des Anonymus Magliabecchianus, Gellis und Vasari, methodisch einwandfrei nur durch die Annahme einer allen dreien gemeinsamen »Quelle K« erklärt werden können, die Billis Buch nach Inhalt und Form verwandt, doch ausführlicher als dieses gewesen sein muß. So sehr Kallab den Charakter seiner Aufstellung als einer methodisch geforderten Hypothese betont, so sehr bedeutet sie in philologischer Hinsicht einen großen Fortschritt über die in Einzelbeobachtungen scharfsinnigen, aber wirren und etwas dilettantischen Versuche Freys, eine Mehrzahl von Vorlagen anzunehmen. Nun erwähnt der Magliabecchianus tatsächlich an zwei hier in Betracht kommenden Stellen einen primo testo, der sich wieder in einem Passus (die Herkunft Giottinos betreffend) mit einer Nachricht berührt, die Vasari als den Ricordi des Ghiberti (wo sie sich jedoch nicht befindet) und des Domenico Ghirlandajo entstammend anführt. Es ist dies jedoch eine Spur, die sich sofort verliert und nicht weiter verfolgt werden kann.

Haben wir hier ein wirkliches und förderndes Ergebnis in der Quellenkritik der altitalienischen Kunstgeschichte zu verzeichnen, so ist das bei einer andern vorgeblichen Quelle Vasaris keineswegs der Fall. Es ist dies das in einer Jugendarbeit Strzygowskis herangezogene »Fragment« der Vaticana, das indessen längst von Wickhoff als eine Abschrift des 17. Jahrhunderts nach Vasari entlarvt worden page 171 ist. Die Sache ist längst abgetan und mit Recht aus der weiteren Literatur ausgeschaltet; sie wurde hier auch nur der Vollständigkeit wegen erwähnt.

Auf das engere Gebiet städtischer Kunstgeschichte kehrt dann wieder ein anderer Zeitgenosse und Vorläufer Vasaris zurück, Giovanni Battista Gelli (1498 — 1563), der Florentiner calzajuolo, Komödiendichter und Dante-Erklärer, in der italienischen Literatur vor allem bekannt durch seine capricci del bottajo. Von ihm rühren auch zwanzig kurze Künstlerbiographien her, die erst vor kurzem bekannt sind. Im Grunde bloß ein Bruchstück, tragen sie wie Gellis Schriftstellerei überhaupt, in Geist und Redeformen ursprünglich volkstümliches Florentiner Gepräge und sind auch sonst ein echtes Erzeugnis des Florentiner Kampanilismus. Aber ein Protest (wie Mancini meint) gegen den Aretiner, der seine Landsleute und die übrigen Toskaner zu sehr in den Vordergrund gestellt habe, liegt wohl doch nicht darin.

Gellis Memorabilien, die, wie schon erwähnt wurde, mit dem Anonymus der Magliabecchiana und Vasari selbst eine Quelle (»K«) gemeinsam haben, im übrigen jedoch von jenen ganz unabhängig sind, lassen sich weder an Zuverlässigkeit noch an Kritik mit ihnen vergleichen. Trotzdem beanspruchen sie ein erhebliches kunsthistoriographisches Interesse, nicht bloß vom Standpunkt der Quellenkritik aus. Im übrigen hat Gelli in seinen 1549 gedruckten Vorlesungen über die beiden Sonette Petrarcas auf Simone Martinis Bildnisse der Donna Laura einen kurzen Abriß der Florentiner Künstlergeschichte bis auf Michelangelo herab gegeben; er läßt seinen Anteil an der Sache und die Art seiner Geschichtsauffassung erkennen und ist trotz seiner Kürze bemerkenswert genug. Freilich, wie wenig Gelli unterrichtet ist, und wie sein Horizont durch das Weichbild von Florenz begrenzt ist, zeigt die dürftige und abschätzige Weise, mit der er sich mit dem alten sienesischen Künstler selbst abfindet.

Trotz aller Einseitigkeit und Mangelhaftigkeit verraten aber auch die Viten Gellis den scharfen Verstand und den Mutterwitz ihres Autors, wie sie aus seinen sonstigen Schriften sattsam bekannt sind. Gelli ist ein echter Sohn der Hochrenaissance; er, der sich gegen den Verdacht geheimen Luthertums wehren mußte, eifert gegen die beschränkten Köpfe, die sich in übelangebrachter Frömmelei gegen die antiken Statuen wenden, als ob schöne Männer und Frauen nicht Geschöpfe Gottes wären und ohne Sünde nicht angesehen werden könnten. Das ist noch der humanistische, heiter weltliche Ton des »goldenen Zeitalters«; eine Generation später werden wir das reumütige Paterpeccavi-Gestammel des armen alten Ammanati hören, obgleich trotz aller Hosenmalerei selbst im Palast der Päpste die alte italienische page 172 Freude an der Pracht nackter Menschenleiber nie gänzlich auszulöschen war.

Diese Stelle findet sich in der Vorrede der Viten an seinen Freund Francesco di Sandro; sie wendet sich freilich zunächst gegen die Päpste des »barbarischen« Mittelalters, das Gelli, dem Geist seiner Zeit entsprechend, mit den stärksten Ausdrücken der Verachtung bedenkt. Die »deutsche« Baukunst, bar jeder Proportion, hat auch die Plastik verdorben, mit ihren auf Kragsteinen kauzenden Figuren, die mehr Ungeheuer als Menschen sind. Gelli führt ein Beispiel aus seiner Umgebung vor: die Portalstatuen von S. Paolo. Der Sohn der Renaissance sieht sich vor das Problem gestellt, wie es möglich war, daß diese Zerrbilder den Vorfahren als schön erscheinen konnten, wie er doch annehmen muß, ihnen, die gleichwohl die Werke der Alten und die Natur selbst vor Augen hatten. Und dazu gesellt sich die Barbarei der griechischen Malereien, die alle nach einem Model gemacht scheinen; gleich Vasari (und deutlich an diesen anklingend) entwirft er eine Karikatur dieses Stils, in dem die hervorstechenden Merkmale aus der Auffassung des Gegensätzlichen heraus gut beobachtet sind: »Co’ piedi per lo lungho appiccati al muro et con le mani aperte e con certi visi stralunati e tondi, con occhj aperti che parevano spiritati«. Seit Cimabue, dem Pfadfinder, hat sich aber die Kunst derart entwickelt, daß sie die Alten nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen hat; hier taucht die Anekdote von Michelangelos für antik gehaltenem Eros auf. Michelangelo erscheint auch schon als der Gipfelpunkt aller Kunst; seine Werke, die in Nachbildungen durch die ganze Welt verbreitet sind, werden mehr als die Antike nachgeahmt. Und hier kommt Gelli auf den eigentlichen Zweck seines Werkchens; er will darin zeigen, daß Florenz Herd und Heimstätte der wahren und modernen Kunst sei. Das Gefühl, aus dem diese Worte herausgeschrieben sind, wird sofort deutlich aus der kaum verhüllten Invektive gegen Rom; es ist das Gefühl des alten, jetzt abdankenden und vom Schauplatz abtretenden Hegemonenortes von Italien. Gelli nennt Rom, das seit alter Zeit vom Kunstraub gelebt habe, bitter piuttosto un ricettacolo di forestieri che una città, wohin die Fremden alljährlich wie auf einen Jahrmarkt ihre Produkte tragen, weil sie dort größeren Gewinn denn anderwärts zu erhaschen hoffen.

Gelli sucht das ihn quälende Problem der mittelalterlichen Kunst durch eine natürliche Periodizität (la natura osserva sempre questo ordine) zu erklären; hohe alte Kulturen müssen durch äußere und innere Gründe, Kriege, Seuchen, Rassenmischung mit schlechteren Völkern, unabwendbar zu grunde gehen, und ihre Erneuerung kann nur durch das Genie auserwählter Menschen erfolgen. Das geschah eben im Herzen Toskanas, durch Florenz. Mit Cimabue und Giotto page 173 beginnt die Reihe dieser Kulturbringer. An Giotto hebt Gelli in einer feinen Beobachtung die unübertreffliche Prägnanz des Ausdrucks (dasjenige, was die Renaissance als πρέπον-decorum so hoch einschätzte) hervor, seine Figuren tun nur das, was sie sollen, etwas, worin Giotto nur von Michelangelo erreicht wird; über die Giottostudien des letzteren, namentlich an den Fresken von S. Croce, berichtet Gelli aus eigener Erinnerung Einzelheiten, die bei anderen fehlen und die durch Michelangelos Zeichnungen noch heute bestätigt werden.

Auf Giottos Leben folgen die Biographien seiner Schüler und Nachfolger: Giottino, Stefano, Andrea Tassi (Tafi), die Gaddi, Antonio Veneziano, Masolino, Orcagna, Buonamico, dessen Übername hier fehlt, Starnina, Lippo, Dello, dann die Künstler des Quattrocento: Ghiberti, Brunellesco, Buggiani, Donatello, Nanni di Banco, Verrocchio. Im Leben des Michelozzo bricht das Elaborat unvermittelt ab, weshalb ist nicht festzustellen.

Gelli hat sich ausgiebig älterer Vorlagen bedient; abgesehen von der Quelle K, hat er Ghibertis Manuskript, den libro di prospetiva, gekannt, das er selbst im Leben des Künstlers erwähnt. Daraus hat er die seltsame Notiz über den Maler Piserino, mit dem der junge Ghiberti nach Pesaro ging, was vielleicht ein weiteres Zeugnis für seine nicht eben sehr gewissenhafte Quellenbenützung ist. Aber Gelli hat eben andere, rein literarische Zwecke. Frey und auch Kallab schätzen seinen Quellenwert sehr gering ein; darin mochte ich ihnen doch nicht folgen, denn Gelli bringt manches florentinische Detail von Wert. Freys Meinung, daß er Vasaris Viten in der ersten Ausgabe benützt habe, hat Kallab übrigens in einleuchtender Untersuchung als irrig nachgewiesen.

Auf einem höheren Standpunkt als Gelli steht von vornherein die kunsthistorische Schriftstellerei des Paolo Giovio aus Como, des Bischofs von Nocera und Günstlings Leos X., bekannt und berühmt als Verfasser einer lateinischen Universalgeschichte († 1552 in Florenz). Mit ihm gelangen wir schon in die nächste Nähe Vasaris, denn dieser stellt als unmittelbaren Anstoß zur Publikation seiner Viten eine Abendunterhaltung beim Kardinal Farnese hin, bei der Giovio einen Vortrag über die Maler von Cimabue an hielt.

Am Gestade des Comer Sees, nahe den Trümmern der Villa des jüngeren Plinius, stand Giovios Landhaus, in dem sein berühmtes Porträtmuseum, das erste in seiner Art, untergebracht war; er hat dessen Beschreibung (Descriptio musaei) selbst 1546 veröffentlicht. Es ist, beiläufig gesagt, wohl das erstemal, daß dieser im klassischen Altertum in unserem Sinne nicht zu belegende Ausdruck (cf. Daremberg et Saglio, s. v. musaeum, p. 2072) in moderner Bedeutung auftaucht, und dadurch denkwürdig. Freilich ist die Benennung zunächst page 174 ganz individuell, wie auch Doni in seinen merkwürdigen Briefen von 1543 hervorhebt, und bezieht sich zunächst auf das Ganze der Örtlichkeit; allgemein wird sie, soweit ich sehe, erst im 17. Jahrhundert. Diese Sammlung hatte auch dadurch keinen geringen Wert, daß sie nicht bloß Kopien nach heute verlorenen Bildern und Fresken enthielt, die sich, wie z. B. die Scaligerbildnisse, in die Ableger von Giovios Sammlung in Florenz und Ambras weiter verfolgen lassen, sondern auch Originalwerke, vor allem Tizians, umfaßte. Von Giovios Porträtsammlung sind, wie gesagt, nicht nur die ähnlichen Sammlungen Großherzog Cosimos (im Uffiziengang) und die Erzherzog Ferdinands von Tirol, ehedem in Ambras, jetzt im Wiener Münzkabinett, angeregt und zum Teil abhängig, sondern auch die des Kardinals Federigo Borromeo in Mailand, und schließlich selbst Vasaris große Porträtreihe in der zweiten Auflage seines Werkes. Giovios Sammlung war nach einem herkömmlichen Schema in vier Kategorien eingeteilt, Gelehrte und Dichter, Humanisten, Künstler, Staatsmänner und Feldherren, und durch kurze Biographien erläutert, die auf cartellini unter den Bildern standen — letzten Endes Ausläufer des alten Titulus vom Trecento her (Petrarcas Elogien in der Carraresenburg zu Padua).

Giovio hatte die Absicht, diese seine Galerie nach dem Muster der traditionell berühmten Imagines des alten Varro in einem umfassenden ikonographischen Werke zu veröffentlichen. Nur zwei von seinen Klassen sind indessen zum Druck gelangt, die Elogia virorum doctorum (Florenz 1546) und die Elogia virorum bellica virtute clarorum (ebenda 1551). Gerade die für uns so wichtige Kategorie der Bildkünstler hat er nicht mehr bearbeiten können; immerhin haben sich aber daraus die Elogien der drei anerkannten Hauptmeister der età d’oro, des Leonardo, Raffael und Michelangelo, erhalten, die ziemlich früh, anscheinend vor dem Sacco di Roma 1527 entstanden sein müssen. Nach Vasaris freilich der Kritik sehr unterliegendem Bericht in seiner Selbstbiographie (Opp. VII, 681) hat Giovio ferner einen Traktat über das Thema, das er beim Kardinal Farnese behandelte, die Maler seit Cimabue, geplant, ist aber — gleich anderen — davon abgestanden, als er in die Arbeiten des Aretiners Einblick gewonnen hatte. Immerhin ist der Plan seines Werkes vielleicht noch in Umrissen erkennbar. Es liegt ein Dialog (De viris illustribus) von ihm vor, in den er, dem Beispiel so mancher Vorgänger folgend, Nachrichten über die bildenden Künstler seiner Zeit einflicht. Das antike Muster ist unverkennbar. Genau so wie in dem berühmten zehnten Buche der Rhetorik Quintilians ist hier, in zierlich preziösem Humanistenlatein, eine knappe Charakteristik des Stils der lebenden Hauptkünstler (nicht nur der Toskaner, sondern auch, was bei Giovio begreiflich, von Oberitalienern, wie Tizian und Dosso) versucht und der Vergleich mit dem literari page 175 schen Stil angestrebt. Da der achtzigjährige Perugino noch als lebend erwähnt ist, so muß der Dialog vor dessen Todesjahr 1524 angesetzt werden; recht interessant ist übrigens die Charakteristik, die Giovio von dem durch die jüngere Generation überholten Altersstil des Umbrers gibt.

Noch wichtiger sind aber die Elogien des klassischen Dreigestirns, an die sich kurze Notizen über andere zeitgenössische Künstler, wie Cristoforo Solari, Andrea Sansovino, Baccio Bandinelli, Sebastiano del Piombo, Costa, Tizian, Dosso, Sodoma und die Raffaelschüler Penni und Giulio, anreihen. Giovios scharf zugespitzte Urteile sind sehr merkwürdig, weil sie offenbar den Niederschlag der Kunstanschauungen in der führenden Gesellschaft des römischen Zentrums enthalten; gerade in jenem ausführlich begründeten Urteil über Perugino, dem damals noch lebenden Hauptvertreter des Quattrocento, tritt die Abwendung von den Idealen der Väterzeit scharf zutage. Mit Giovio gelangt das Kenner- und Dilettantentum zu Wort, dem wir bei Marc Anton Michiel und Sabba di Castiglione in weiterer Ausbildung begegnen werden.

An die historischen Schriften wäre noch, seiner großen Gesamtanschauung halber, das merkwürdige, dem Raffael zugeschriebene Gutachten über die alte und neue Architektur anzuschließen. Wer immer sein Autor sein mag, jedenfalls spiegelt es die Anschauungen der römischen Kreise unter Leo X. wider und läßt sich wohl als eine Art Proömium zu dem großen archäologischen Plan Roms denken, mit dem sich Raffael getragen hat. Wie im vorhergehenden Jahrhundert in Manettis Vita des Brunellesco ist auch hier ein Abriß der Entwicklungsgeschichte der Baukunst gegeben, mitten aus der Begeisterung für die Ruinen Roms und den Vitruvstudien heraus geschrieben. Die deutsche Baukunst gibt natürlich auch hier den Sündenbock ab; merkwürdig ist, daß hier, wohl zum erstenmal, jener später in der deutschen Romantik, ja selbst gelegentlich noch heute spukende Erklärungsversuch auftritt, der die gotische Architektur aus der urtümlichen Laubhütte der germanischen Wälder herleiten möchte. Hier ist die Sache aber wohl, ganz renaissancegemäß, als ein Gegenbild der vitruvianischen Lehre von der Entstehung der dorischen Ordnung aus dem primitiven Blockbau aufzufassen.

Dagegen ist die anonyme, von Comolli veröffentlichte Biographie des Raffael aus der Reihe der Quellenschriften zu streichen, obgleich sie noch Milanesi in seiner Vasari-Ausgabe für authentisch angesehen hat. Sie ist nichts als eine plumpe Fälschung, möglicherweise von dem sonst verdienten Comolli selbst herrührend, so plump, daß Springer ihre Abhängigkeit von einer bestimmten Vasari-Ausgabe, der römischen der Bottari von 1759, einwandfrei nachweisen konnte.

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Autobiographische Aufzeichnungen in althergebrachter Weise, wie Geschäftsnotizen und ricordi aller Art, gehen natürlich auch in diesem Zeitraum fort; erhalten sind u. a. dergleichen von Lorenzo Lotto, tägliche Aufzeichnungen über seine Arbeiten und die seiner Schüler, während seiner letzten Tätigkeit in den Marken angelegt. Aber das Beispiel des alten Ghiberti findet erst in dem nächsten Zeitabschnitt, nach Vasari, eigentlich literarische Nachfolge. Nur ein Fragment des jüngeren Sangallo könnte hier noch mit einigem Fug genannt werden.

Das »Buch des Antonio Billi« (1481—1538) wurde zuerst aufgefunden und bekanntgemacht von dem verdienstvollen C. v. Fabriczy im Archivio storico Italiano, Serie V, vol. 7 (1891), hierauf von Frey, Il libro di A. Billi, Berlin 1892. Konkordanz der Hss. (auch mit dem Magliabecchianus und Ghiberti), u. zw. der Biographien des Brunellesco, Cimabue, Giotto, Starnina, Masaccio, Masolino, Donatello nebst reichhaltigem Kommentar bei C. v. Fabriczy, Brunellesco, Stuttgart 1892, S. 430 (vgl. 412ff.). Der Traktat ist in zwei nicht gleichwertigen alten Kopien der Magliabecchiana enthalten, nämlich dem Cod. Strozzianus und dem Cod. Petrei (Magl. cl. XXV, 636 und cl. XIII, 89), von denen die erste sorgfältig, aber fragmentarisch, die zweite nachlässig, aber vollständiger ist. Eine dritte Kopie hat dem Anonymus Magliabecchianus Vorgelegen; auch Gelli, Vasari und Baldinucci haben die Schrift benützt. Die beste Analyse des »Buches« hat Kallab in seinen Vasaristudien, p. 177 ff., gegeben; dort ist auch die sehr verworrene Textgeschichte so weit als möglich klargelegt. Zu vergleichen ist wie immer Freys Einleitung zu seiner Ausgabe des Anonymus Magliabecchianus (s. u.).

Der Anonymus Magliabecchianus oder Gaddianus (um 1537—1442) liegt in einer aus der Gaddischen Bibliothek stammenden Hs. der Magliabecchiana (cl. XVII, 17) vor, die übrigens unvollständig geblieben ist. Zuerst hat G. Milanesi ein Bruchstück dieses Autors bekanntgemacht (das Leben Leonardos enthaltend) im Archivio storico Italiano, Serie III, vol. 16 (1872). C. v. Fabriczy gab dann die auf neuere Kunst bezüglichen Abschnitte in der gleichen Zeitschrift S. V, vol. 7 (1891) heraus, mit ausführlichem Kommentar und Quellennachweis. Etwas später folgte die vollständige Publikation von Frey, Il Codice Magliabecchiano cl. XVII, 17, Berlin 1892, von einer grundlegenden Einleitung über die ältere florentinische Kunsthistoriographie und überreichem, leider sehr wenig handlichem Apparat begleitet. Auch hier hat Kallabs mühevolle Textvergleichung in seinen Vasaristudien (S. 178ff.) die bis jetzt mögliche Klarheit gebracht, besonders den scharfsinnigen, aber häufig verworrenen Aufstellungen Freys gegenüber.

Die von Kallab erschlossene »Quelle K« ist in dessen Vasaristudien S. 178 ff. behandelt, das »Fragment« der Vaticana von Strzygowski in seiner Schrift Cimabue und Rom, Wien 1888, S. 9ff. (Konkordanz mit dem Magliabecchianus und beiden Vasari-Ausgaben). Strzygowski glaubte hier Vasaris certi ricordi entdeckt zu haben. Schon Wickhoff (Die Zeit des Guido von Siena, Mitt. des Instituts f. österr. Geschichtforschung, Bd. X, S. 282) hat hervorgehoben, daß es sich lediglich um einen späten und schlechten Auszug aus Vasari handelt.

G. B. Gellis Viten wurden zuerst von Mancini nach einer Hs. in eigenem Besitz bekanntgemacht, im Archivio storico Italiano, Serie V, vol. 17 (1896); das Ms. ist unvollständig und bricht zu Beginn der Vita des Michelozzo unvermittelt ab, vgl. Fabriczy im Repertorium für Kunstw. XIX (1896) und Gronau, Zu Gellis Künstlerviten, ebenda, XX (1897). Ausführliche Textanalyse mit Vergleichstabellen aus dem Anonymus Magl. und Vasari bei Kallab, Vasari-Studien 182ff.

Die Lezione Gellis über die beiden Sonette Petrarcas ist bei Vasaris Verleger Torrentino, Florenz 1549, gedruckt worden, sie enthält den Abriß der Florentiner Kunst page 177 geschichte. Vgl. die Ausgabe von Negroni, Scelta di curiosità letterarie inedite o rare, Bologna 1884 (disp. CCIV), p. 219 und bes. 229f. und 255. Über Gelli vgl. D'Ancona u. Bacci, Manuale della lett. Ital., Florenz 1905, II, S. 78f.

Paolo Giovio, De viris illustribus (vor 1524), gedruckt bei Tiraboschi, Storia della letteratura italiana (Modeneser Ausgabe von 1781, vol. IX, 254f., die Künstlernotizen ebenda 286f.). Die drei Elogien Leonardos, Raffaels und Michelangelos ebenda in den Aggiunte 290—293. Die beiden letzten Elogien auch im Anhang zu Springer, Raffael und Michelangelo. Über Giovios Porträtmuseum die freilich recht ungenügende Arbeit von E. Müntz, Le Musée des portraits de Paul Jove in den Mémoires de l'Académie des Inscr. et B. Lettres XXXVI, Paris 1900, und vor allem die inhaltsreichen Seiten in J. Burckhardts schönem Kapitel über die Sammler, Beiträge zur Kunstgesch. von Italien, 465ff. Ferner A. Lz., Il museo Gioviano descritto da A. F. Doni, im Archivio Stor. Lombardo, S. III, XXVIII (1901). (Zwei Briefe Donis, einer in humoristischem Ton an Tintoretto, der zweite an Agost. Landi gerichtet.) Fossati, I ritratti del museo Gioviano (Rassegna Nazionale XV, 1893). Hagelstange, Eine Folge von Holzschnittporträts der Visconti von Mailand, »Mitteilungen aus dem German. Nationalmuseum«, Nürnberg 1904, 85ff. Einzelnes bei Kenner, Die Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol. Die italienischen Bildnisse, Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses, Wien 1896—1897 passim. Der Brief eines Nachkommen der Familie G. B. Giovio an Tiraboschi von 1780 bei Campori, Lettere artistiche 235. Vgl. Frey in seiner Ausgabe des Magliabecchianus, p. LXII f.; über Vasaris Verhältnis zu Giovio bes. Kallab, Vasaristudien, p. 143 f. Eine scharfe Charakteristik des Journalisten Giovio gibt Fueter in seiner »Geschichte der neueren Historiographie«, p. 51.

Der dem Raffael zugeschriebene Brief über die Architektur liegt in zwei verschiedenen Redaktionen vor. Die eine kennzeichnet sich als an Papst Leo X. gerichtete Dedikation eines großen archäologischen Planes der Stadt Rom, also einer Arbeit, die, wie wir wissen, Raffael wirklich geplant hat. Sie ist unter dem Namen des B. Castiglione von Serassi in seiner Ausgabe von Castigliones Briefen, Padua 1769, I, 149, herausgegeben worden, nach einer Hs. beim Marchese Scipione Maffei, die zuerst 1733 gedruckt wurde. Darnach bei Passavant, Raffael, I, Anhang 13, und in deutscher Übersetzung in Guhl-Rosenbergs Künstlerbriefen I, 97. Die zweite Version befindet sich in der Vitruvübersetzung des Fabio Calvo († 1527) auf der Münchener Bibliothek, die nach einem darin enthaltenen Vermerk »im Hause Raffaels zu Rom« und unter dessen Aufsicht hergestellt wurde; gedruckt bei Passavant a. a. O. III, 42, und bei Eitelberger in den Mitt. der k. k. Zentralkommission III (1858), 321. Raffael wurde zuerst als Autor namhaft gemacht vom Abate Daniele Francesconi, Congettura che una lettera creduta di B. Castiglione sia di Raffaello d’ Urbino, Florenz 1799. Hiegegen wandte sich Herm. Grimms Dissertation: De incerti auctoris letteris quae Raphaelis Urbinatis ad Leonem X. feruntur, in Zahns Jahrbüchern f. Kunstwiss. 1871. J. Burckhardt hielt dagegen an Raffaels Autorschaft fest, vgl. Geschichte der Renaissance in Italien, ed. Holtzinger, p. 30. Referate über den Stand der Frage bei Kraus, Geschichte der christl. Kunst, II, 2, 694, und Pastor, Geschichte der Päpste, IV, 1, 467. Neuestens hat J. Vogel, Bramante und Raffael (Kunstwissenschaftl. Studien IV, Leipzig 1910), eine ausführliche Besprechung geliefert, den Text nach den Hs. mit Konkordanz der beiden Versionen abgedruckt und auch eine deutsche Übersetzung beigefügt. Nach seiner Meinung wäre Bramante als Autor anzunehmen, eine Ansicht, die vielleicht durch die in Buch II angezogene Stelle aus Donis Libraria von 1555 einiges Gewicht erhalten könnte. Über den Inhalt des Briefes, im Zusammenhang mit den Theorien der Zeit, habe ich in meinen Prolegomena zu Ghiberti, Wien 1910, S. 65f., gehandelt.

Mein hochverehrter Freund Christian Huelsen teilt brieflich folgendes mit, das ich wörtlich anführe, weil jedes Wort einer solchen Autorität auf diesem Gebiete Anspruch auf Beachtung hat: »Zu dem sog. Raffael-Briefe an Leo X., möchte ich bemerken, daß mir die Frage nach dem Autor immer noch ungelöst scheint. Vor allem ist mir fraglich, page 178 ob der lange Schlußpassus, der sich nur in der Münchener Handschrift findet, mit dem Anfange wirklich zusammengehört. Sollte dies der Fall sein, so wäre meines Erachtens sowohl Bramante wie Raffael als Autor ausgeschlossen; denn derjenige, welcher diesen Schluß verfaßt hat, ist ein jüngerer Mann, der sich dem Papste rekommandiert, namentlich durch eine Erfindung, durch die das Aufnehmen von Plänen erleichtert werden soll, und zwar mittels Anwendung des Kompasses. Praktisch verwertet findet sich dieses Verfahren, soweit ich mich erinnere, besonders auf Blättern des Baldassare Peruzzi, z. B. den von Lanciani, Memorie dei Lincei, ser. III, vol. XI, 1883 herausgegebenen Plänen der Curia (S. Adriano), und auch sonst würde manches in dem Briefe auf Peruzzi passen. Ich habe vor etwa sechs Jahren darüber ziemlich ausführlich mit Vogel korrespondiert, mich aber öffentlich nicht geäußert; jetzt liegen alle meine Notizen darüber in Florenz und aus der Erinnerung kann ich sie im einzelnen nicht rekonstruieren.«

Zuletzt ist A. Venturi (L'Arte XXI, 57 mit ausführlicher Bibliographie) wieder für B. Castiglione eingetreten. Dagegen glaubte Antoniewicz Fabio Calvo als Autor ansprechen zu können, mit Gründen, die mir freilich nicht allzu stichhältig erscheinen (vgl. zwei Berichte G. v. Kieszkowskis in der Kunstchronik 1919/20, 895 und 1921, 271).

Die gefälschte Raffaelbiographie, der sog. Anonymus des Comolli (vita inedita di R. da Urbino, illustr. con note di Angelo Comolli), ist in erster Auflage in Rom 1790, in zweiter vermehrter ebenda 1791 erschienen. Deutsche Übersetzung, München, Hübschmann 1817. Schon Passavant hatte in seiner Raffaelbiographie die Echtheit angefochten; vollständig klargelegt wurde die Fälschung durch A. Springer, Die Echtheit des Anon. Comolli, im Rep. f. Kw. V, 357.

Lotto Lor., Il libro dei conti, pubbl. p. c. del ministero della P. I., Rom 1895, dazu Anselmi, Del codice di L. Lotto scoperto in Loreto e degli scolari di lui nella nostra marca in der N. Rivista Misena VI (1893). Ein (unvollendeter) Kommentar zu Vitruv von dem jüngeren Antonio da Sangallo (auf der Bibl. Naz, in Florenz) enthält autobiographische Notizen, gedruckt bei Gotti, Vita di M. A. Buonarroti, vol. II., 129f. Ein »Discorso di A. da Sangallo circa la libreria di S. Lorenzo« im Buonarroti, III., Rom 1868 (mit Vorrede von F. Ricci) rührt jedoch von einem Literaten dieses Namens im 17. Jahrhundert her. Ricordi über den Bildhauer Zaccaria Zacchi aus Volterra (1473—1544) aus einer zeitgenössischen Genealogia familiae Zacchorum (im Archiv von Florenz) in Milanesis Vasari-Ausgabe IV, 548 nota. Zu der Aufzählung in Heft II, 26, sind noch die (verschollenen) Ricordi (»quidam libellus«) des Squarcione nachzutragen, die Scardeone (De antiqu. urbis Patavii l. II, cl. XV) zweimal zitiert.

Einen Versuch, die Nachrichten über Künstler aus den Dichtern der Renaissance zu sammeln, hat Colasanti unternommen: Gli artisti nella poesia del Rinascimento, fonti poetiche per la storia dell’ arte italiana, im Rep. f. Kw. XVII (1904), 193. Beigegeben ist ein alphabetisch nach den Künstlernamen geordnetes Register.

II. Erste Ansätze zur Kunstgeschichtschreibung außerhalb Italiens.

Der uns schon oft beschäftigende Anteil an der Kunst des Nordens jenseits der Alpen ist auch noch für diese Periode sehr bezeichnend. Wir haben gesehen, daß es Italiener waren, die als die ältesten Gewährsmänner der alten hoch- und niederdeutschen Kunstgeschichte erscheinen; ihnen reiht sich noch spät Lodovico Guicciardini mit seiner Beschreibung der Niederlande von 1567 an. Im nordländischen, zunächst im französisch-niederländischen Gebiet erscheinen nunmehr auch die ältesten Versuche eigener literarischer Tradition, freilich vorerst nur schüchtern und vereinzelt, auch in page 179 offenbarer Anlehnung an die italienischen Vorbilder. Bei der später zu erwähnenden Perspektivlehre des Jean Pélerin (Peregrinus Viator) von 1505 liegt der Zusammenhang offen zutage; aber er scheint auch in einem anderen literarischen Erzeugnis dieser Tage nicht gänzlich zu fehlen, der Couronne Margaritique des Jean Lemaire, der als Hofpoet und Hofhistoriograph 1503 bis 1511 in Diensten der Statthalterin der Niederlande, Margarete von Osterreich, stand; wir wissen übrigens, daß er in Italien gewesen ist, 1506 Venedig, 1508 Rom besucht hat. Das Gedicht ist ein ziemlich hölzerner Lobspruch auf die Prinzessin, in dem die mittelalterliche Allegorik noch ganz unverhüllt auftritt. Mérite beruft eine Anzahl von Künstlern, um eine kostbare (natürlich wieder allegorisch gemeinte) Krone für die hohe Frau zu entwerfen; derart kommt ein Künstlerkatalog in dreizehn Strophen zustande, dessen Urteile über die in der Umgebung der kunstfreudigen Dame herrschenden Ansichten wohl manches aussagen. Von italienischen Künstlern sind nur der Medailleur Cristoforo Geremia und Donatello genannt; dem Geiste des Quattrocento, wie er sich etwa in Filarete ausspricht, steht dergleichen aber wohl ebenso nahe, wie diese Künstlerkataloge tatsächlich einer alten italienischen Überlieferung entsprechen. Kürzere Listen solcher Art finden sich übrigens auch in der 1509 gedruckten Plainte du desiré Lemaires, einem gereimten Dialog zwischen Malerei und Rhetorik über den Tod des Ludwig von Luxemburg, und, wie schon erwähnt, in Pélerins Perspektivbuch.

Noch mit Händen zu greifen ist die italienische Anregung in dem ältesten Versuche, deutsche Art und Kunst, vornehmlich in einem seiner bedeutendsten Mittelpunkte literarisch festzuhalten. Es ist das durch die neuere Dürerforschung hervorgezogene Büchlein vom Lobe Germaniens, verfaßt von dem Nürnberger Christoph Scheurl, der seit 1504 Syndikus der deutschen Station in Bologna war und hier auch sein Werkchen 1506 hat drucken lassen. Es ist ein Lobspruch seiner Vaterstadt nach humanistisch-italienischem Muster, wo denn auch die größte Leistung auf dem Gebiete der Kunst zu ihrem Rechte kommt; die zweite, in Deutschland gedruckte Ausgabe von 1508 enthält aus persönlicher Erinnerung die wichtigen Nachrichten über Dürers Jugendjahre, namentlich seinen Aufenthalt in Italien; sie werden noch durch einen zweiten Bericht des mit dem Künstler nahe befreundeten Autors von 1515 ergänzt.

Scheurls Elogium ist charakteristisch genug für die Zeit des Autors und die Einflüsse, die er erfahren hat. Vor allem ist die klassisch-humanistische Färbung höchst auffällig. Dürer wird mit den Malern des Altertums verglichen, unter sofortiger Anrufung des Plinius. Dieser Zusammenhang stellt sich auch sogleich automatisch page 180 wieder her bei einem für die Geschichte der Künstleranekdote recht ergiebigen Bericht über das Selbstporträt Dürers (das Münchener?) und die von ihm bei einem Haushündchen bewirkte Täuschung; die Sache gehört in das weite Feld der bis auf Rembrandt herab immer wieder vorgebrachten Maleranekdote des Altertums, die in der Theorie der Renaissance eine so große Rolle spielt. Eine zweite ähnliche, über die Täuschung von Dienstmägden durch »mit Fleiß« (ex industria, ein beliebter Dürerscher Ausdruck!) gemalte Spinnenweben schließt sich daran. Von Dürers Werken werden außerdem das Rosenkranzfest im deutschen Hause zu Venedig, die drei Wittemberger Tafeln und das in Ferrara gemalte Porträt des Humanisten Riccardo Sbruglio aus Udine (später durch Scheurls Betreiben nach Deutschland berufen) samt den schwulstigen, echt italienisch-humanistischen Extempores desselben angemerkt. Bezeichnend für den nordischen Humanisten und seine Nachahmung italienischer Concetti ist Scheurls Bemerkung, daß die (wahre) Kunst der Malerei durch viele Jahrhunderte unterbrochen, durch die Nürnberger wieder zurückgerufen worden sei, doppelt merkwürdig in dem Lobspruch auf den deutschesten aller Maler, dessen persönliche Charakteristik durch Scheurl man übrigens nicht ohne Anteil lesen wird.

Daß dieser frühe Klassizismus keine vereinzelte Erscheinung ist, lehrt jedoch die merkwürdige Dürerstelle in einem Dialog des Erasmus. Die Lobsprüche, mit denen der große Meister hier bedacht wird, sind freilich nichts als Centonen aus der Künstlergeschichte des Plinius.

Etwas älter ist Johannes Butzbach, bekannt durch seinen vielverschlungenen Lebenslauf, den er in seiner merkwürdigen autobiographischen Aufzeichnung, dem durch D. J. Becker popularisierten Wanderbüchlein (Odeporicon), frisch erzählt hat. Zuletzt Prior in Laach (1478—1526), hat er um 1505 eine kleine Schrift verfaßt, die als ältester Versuch einer allgemeinen kunstgeschichtlichen Darstellung auf nordländischem Boden denkwürdig ist. Dieser Libellus de praeclaris picturae professoribus, handschriftlich auf der Bonner Bibliothek erhalten, ist schon durch den völlig mittelalterlichen Umkreis, dem er entstammt, merkwürdig; er ist nämlich für eine Nonne, Gertrud v. Nonnenwerth, die sich mit Miniaturmalerei befaßte, geschrieben. Und mittelalterlich ist auch, nach den bekannt gewordenen Proben zu schließen, Inhalt und Form des Werkchens. Voraus geht ein höchst seltsamer Versuch, die antike Kunstgeschichte (nach Plinius) in kürzester Form und voll abenteuerlicher Mißverständnisse, ganz in naivem Holzschnittstil zu kompendieren; daß sich daran die Aufzählung der authentischen Christus- und Lukasbilder sowie die Erwähnung von Malern geistlichen Standes aus Zeit und Umgebung des Autors schließen, ist page 181 bei dem Klostermanne nur natürlich. Höchst merkwürdig ist dann aber in diesem Umkreise ein Widerhall aus fernem Kunstleben einer großen Vergangenheit her; denn der Maler Zetus, der in Avignon unter Benedikt XI. (1303—1304) Geschichten der Märtyrer gemalt hat, kann kein anderer als der latinisierte Giotto (Joctus, Zotus) sein. Woher diesem frühen deutschen Humanisten im Mönchsgewande solche später durch Vasari weitverbreitete Kunde zugekommen ist, bleibt ziemlich rätselhaft, ebenso wie die Erwähnung des großen Erneuerers der Kunst selbst, wohl die erste, die jemals auf nordischem Boden geschah. Der Ausdruck, er habe die Malerei zu der »Würde der Alten« zurückgeführt, weist deutlich auf die Humanistenauffassung des Rinascimento und eine italienische Vorlage hin. Ferner erwähnt Butzbach noch einen bekannten Künstler, der ihm während seiner holländischen Studienzeit in Deventer nahegerückt worden sein mag: Israel civis Bucoliensis in arte sculpendi subtilissimus. Das ist der bekannte Kupferstecher Israel von Meckenem aus Bocholt († um 1503). Einige kunstliebende Klosterleute machen den Beschluß.

Alles dies waren aber nur vereinzelte Anläufe; es vergeht mehr als ein Menschenalter, bis sich wieder ein bescheidener Kunstverwandter, abermals ein Nürnberger, an eine ähnliche Aufgabe macht. Das sind die Nachrichten von Künstlern und Werkleuten, die der Schreib- und Rechenmeister Johann Neudörfer in Nürnberg (1497 bis 1563) 1547 verfaßt hat: kurze magere Notizen, eigenem Geständnis nach in der kargen Mußezeit einer Woche für privaten Gebrauch angelegt, und schon von Haus aus nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Das unterscheidet sie ebenso von den humanistisch-preziösen Vorgängern in Italien als die chronikmäßige Art der Aufzeichnung, die jeder Kritik und jedes künstlerischen Werturteils ermangelt. Trotzdem sind sie als der dürftige Beginn deutscher Kunsthistoriographie (wenn man von dem aphoristischen Scheurl absieht) ehrwürdig und schätzbar; der spätere, schon ganz im wälschen Fahrwasser schwimmende Sandrart hat sie benützt. Noch ärmlicher und magerer ist die Fortsetzung, die ein Andreas Gulden im 17. Jahrhundert angestückt hat.

Dies alles wird aber in den Schatten gestellt durch die autobiographischen Äußerungen und Aufzeichnungen, die uns von dem größten deutschen Künstler, Albrecht Dürer, selbst überkommen sind. Namentlich gilt dies von dem Tagebuche seiner niederländischen Reise 1520—1521, das seinem Stoffe nach eigentlich in das folgende, die Periegese behandelnde Kapitel gehört, aber auch schon hier genannt werden soll, weil es uns mehr als persönlichstes Dokument des großen Meisters als durch das darin überlieferte Tatsachenmaterial interessiert; es ist das erstemal, daß sich der Reichtum der altnieder page 182 ländischen Kunst, gesehen mit den scharfblickenden Augen eines Beobachters aus verwandtem Stamm, vor uns aufschließt.

Jean Lemaire, La couronne margaritique (von 1510). Posthumer Druck, Lyon 1549. (Eine französische Bibliophilenausgabe glaube ich gelegentlich gesehen zu haben, vermag sie aber gegenwärtig nicht mehr nachzuweisen.) Die Strophen mit den Künstlerlisten sind in Crowe und Cavalcaselles Geschichte der altniederländischen Malerei, englische Ausgabe, ferner in Springers Übersetzung desselben Werkes, 414f., und namentlich in der französischen Ausgabe, Brüssel 1863, II, CCXXf., zu benützen, wo sich auch der reichhaltige Kommentar von A. Pinchart, Les historiens de la peinture flamande, befindet. Dazu Becker, Schriftquellen z. Gesch. d. altniederl. Malerei 37, wo auch weiteres zu Guiccardini. Lemaires »Plainte du desiré« ist in Toul 1509 erschienen; die zwei Strophen mit dem Künstlerkatalog daraus bei Pinchart a. a. O. CCXLIX. Von Pélerin wird später die Rede sein. Der Libellus de laudibus Germaniae et ducum Saxoniae des Chr. Scheurl ist zuerst Bologna 1506, dann Leipzig 1508 erschienen. Vgl. dazu die Notiz von Kautzsch im Rep. f. Kunstw. XXI, 286. Über Scheurl die ausführliche Biographie von Mummenhoff in der Allg. Deutschen Biographie, Bd. XXXI, die allerdings auf seine literarische Wirksamkeit nur wenig eingeht. Zu der Stelle über Dürer ist Thausings Monographie, 2. A., I, 366, zu vergleichen; sie ist auch in meinen »Materialien« (Anhang zu Heft III), Sitzungsber. der Wiener Akademie, Phil. Hist. Kl. 180, abgedruckt. Zu Scheurl und zur deutschen Kunstliteratur überhaupt vgl. jetzt Waetzold, Die Anfänge deutscher Kunstliteratur, Monatsh. f. Kunstw., XIII (1920). Scheurls Nachrichten über Dürers Aufenthalt in Kolmar und Basel stehen in seiner 1515 gedruckten Lobrede auf Ant. Kreß. Ein Elogium auf L. Cranach in der Zueignung vor Scheurls 1509 gedruckter Oratio Dr. Scheurl attingens literarum praestantiam. Die Stelle aus Erasmus’ Dialog: De recta latini graecique sermonis pronuntiatione (Basel 1528), ist an der Spitze des Aufsatzes von R. Vischer, Über A. Dürer (Studien zur Kunstgeschichte, Stuttgart 1886, p. 156) vollständig abgedruckt. Ferner in meinen »Materialien« H. III. a. a. O. Über die Anleihen aus Plinius ist besonders Wölfflin, Dürer, S. 316, zu vergleichen. — Der Libellus de praeclaris picturae professoribus des Joh. Butzbach (1505) auf der Bonner Bibliothek wurde durch Alwin Schultz in Zahns Jahrbuch für Kunstwissenschaft, II, Leipzig, 1896, S. 62—72 veröffentlicht und besprochen, freilich nicht ohne seltsame Mißverständnisse (der Zetus des Textes ist unter anderem gänzlich verkannt; der Papst im Widerspruch zum klaren Wortlaute als Bonifaz IX. ausgegeben). Butzbachs Wanderbüchlein wurde zuerst durch J. D. Becker, Regensburg, 1869, als Chronika eines fahrenden Schülers verdeutscht und ist in neuer Ausgabe in der trefflichen Insel-Bibliothek erschienen. Zu Butzbach vgl. Waetzold, Monatschr. f. Kunstwiss. XIII, 137. — Anzuführen sind auch die von Brandt gegebenen Auszüge: »Kunsthistorisches bei einem Mystiker des 15. Jahrhunderts (Notizen über Nürnberg, Brüssel, Koblenz, Brixen). Rep. f. Kunstw. 1913, 297.

Joh. Neudörfers (aus Nürnberg) Nachrichten von Künstlern und Werkleuten von 1547 (mit der Fortsetzung des Andreas Gulden) sind zuerst von Heller in Jäcks Beiträgen zur Kunst- und Literaturgeschichte, Nürnberg 1822, behandelt worden. Die erste Ausgabe erfolgte, jedoch nach einer schlechten Hs., durch Campe, Nürnberg 1828. Den ersten brauchbaren und vollständigen Abdruck gab nach der ältesten, aus dem 17. Jahrhundert stammenden Hs. Lochner in Eitelbergers Quellenschriften, X, Wien 1875. Eine ältere und bessere liegt aber noch auf der Nürnberger Stadtbibliothek, vgl. Schwarz, A. Hirschvogel, Berlin 1917, S. 7 (mit Abdruck der Stelle über Hirschvogel). Über Neudörfer: Waetzold a. a. O. 140.

Dürers Tagebuch der niederländischen Reise ist zuerst von Murr im Journal zur Kunstgeschichte von 1779 veröffentlicht worden; hierauf von Heller-Campe in den Reliquien von A. Dürer, Nürnberg 1828; auf diesem Text beruhen die französische Übersetzung von Narrey, Dürer à Venise et dans les Pays bas, Gaz. d. b. arts 1865/66, auch sep., page 183 Paris 1866, und die ältere holländische mit Einleitung von F. Verachter, A. Dürer in de Neederlanden, Antwerpen 1840 sowie die modernisierte Ausgabe von Thausing, Dürers Briefe, Tagebücher und Reime, in Eitelbergers Quellenschriften, III, Wien 1861, lange Zeit auch wegen ihrer wertvollen Anmerkungen eine Grundlage der Forschung. Eine (unvollständige) englische A. erschien von Conway, Literary remains of A. Dürer, Cambridge 1883. Dürers Letters and Diary, mit Einleitung von Roger Fry (D. and his contemporaries). Merrymount Press. Boston 1909. Durch die Entdeckung und Veröffentlichung der lange verschollenen Abschrift des Kupferstechers Hauer von 1620 in Bamberg wurde eine neue Basis geschaffen; sie liegt vor bei Leitschuh, Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande, Leipzig 1884. Die abschließende Publikation des gesamten schriftlichen Nachlasses Dürers erfolgte aber erst durch Lange und Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlaß auf Grund der Originalhandschriften und teilweise neuentdeckter alter Abschriften herausgegeben, Halle 1893. Heidrich, Dürers schriftlicher Nachlaß, Berlin 1910, wendet sich an ein größeres Publikum, hat jedoch gute Anmerkungen. Neue (illustrierte) A. des gesamten Materials zur niederländischen Reise jetzt von Veth und Müller, A. D. s. niederländische Reise, Berlin 1918, 2 Bde. (I. Die Urkunden über die Reise, II. Geschichte der Reise). Zucker, A. Dürer in seinen Briefen, Leipzig 1908, eine treffliche Auswahl von einem der besten Kenner Dürers. Vgl. außerdem Kinkel, Über die Handschrift von Dürers niederländ. Reise in der Zeitschr. f. bild. Kunst, 1879 und die Besprechung in Beckers Schriftquellen z. Gesch. d. altniederl. Kunst, S. 38ff. Waetzold a. a. O. 139.

III. Die Kunsttopographie; Beginn der Guidenliteratur.

Es kann kein Zweifel sein, wo die Wurzel der mit dem Beginn des Cinquecento anhebenden und seit seiner zweiten Hälfte so mächtig anschwellenden Literatur der Städteführer mit künstlerischen Interessen liege. Die mittelalterliche Kirche war zugleich das Museum ihrer Zeit; und das Caput mundi Rom zog seit den letzten Tagen der Antike durch seine geweihten Orte wie durch den stets wirkenden Zauber seiner Ruinen — es hindert nichts, diesen Ausdruck wörtlich im mittelalterlichen Wundersinn zu nehmen — den Pilgerstrom der ganzen Christenheit an sich; die Nebenbuhlerin am Bosporus mit ihrer unvergleichlich geringeren Herkunft hat darin nie mit ihm Schritt zu halten vermocht. Wir haben gesehen, wie aus diesem Pilgrimsanteil zunächst rein sachlicher, sakraler Natur (dem aber vom Anfang an die Richtung zum Historischen nicht fehlt, mag es auch noch so seltsam vermummt sein) jene Mirabilienbücher hervorgegangen sind, die, auf spätantiken Grundlagen fußend, ihre Geistesverwandtschaft mit den aus Pausanias zu erschließenden Tempelführern nicht gänzlich verleugnen können. Die Mirabilien haben auch in der vollen Renaissance noch ihre Stelle; sie gehören zu dem ältesten Inventar der neuen aus Deutschland kommenden Druckerkunst.

Von dem seltenen Blockbuch, das nur in wenigen Exemplaren bekannt ist (vgl. Schreiber, Manuel de l’amateur de la gravure sur page 184 bois IV, 11 ff.), war schon früher die Rede (Buch I), und die deutschen Drucker des 15. Jahrhunderts in Rom, die Stephan Plannck, Johannes Besicken, Eucharius Silber, fanden hier einen der lohnendsten Artikel ihrer Offizinen, früh auch in deutscher Sprache für ihre Landsleute. An die alten zum Teil gekürzten Wundergeschichten schließt sich der eigentliche Pilgerführer an, die Aufzählung der Kirchen, ihrer Reliquien, Indulgenzen und Ablaßstationen, ferner ein kurzer chronologischer Abriß der Geschichte der römischen Könige und Kaiser bis auf Konstantin. Das Interesse der Reisenden für das Caput mundi war eben immer lebendig, so gut für den phantastischen, in Zahlenmärchen schwelgenden Besucher aus einer anderen Welt, wie den Araber Abû Hâmid im 12. Jahrhundert oder den spanischen Juden Benjamin von Tudela, als den gläubigen Pilger deutscher und sonstiger Nation: den Nürnberger Bürgermeister Nikolaus Muffel oder, im weiteren Umkreise, den Ritter Arnold von Harff. Im Kreise des Humanismus war ferner schon im 14. Jahrhundert der leidenschaftliche Anteil an den Trümmern des alten Rom, an seinen Inschriften und Bausteinen eine nationale Angelegenheit Gesamtitaliens geworden und die archäologisch interessierten Teilnehmer aus den Ländern der Barbaren folgten ihnen nach. Poggios Bericht über die Ruinen Roms ward in dem Straßburger Druck von 1513 auch der Welt jenseits der Berge zugänglich, wie Flavio Biondos Roma instaurata von 1446 in einem Baseler Folianten von 1531. Von den nordischen Ährenlesern mag nur einer, der Wiener Aug. Tyfernus, im Vorbeigehen genannt sein. Seit dem Ausgang des Trecento saßen schon die Künstler auf den Trümmerstätten des alten Rom und zeichneten und maßen mit nicht erlahmendem Eifer; ihre Skizzenbücher sind ja längst eine wichtige Quelle für die Archäologie geworden. Auch hier stellten sich die Nordländer bald ein. Ein Künstler in bevorzugtester Stellung am päpstlichen Hofe, kein Geringerer als Raffael, war es, in dem zuerst der Gedanke an einen großen, auf systematisch betriebenen Ausgrabungen beruhenden Plan des alten Rom erwachte. In diesem Zusammenhang ist noch einmal an das seltsame Elaborat zu erinnern, das in einem höchst seltenen Druck (um 1500) existiert und schon im zweiten Buche genannt wurde, die Antiquarie Prospettiche Romane composte per Prospettivo Milanese dipintore. Der Geist dieser wunderlichen halbbarbarischen Terzinen, die einen dem Kreise des Leonardo nahestehenden Mailänder Maler zum Autor haben, sind ein merkwürdiges Gemisch von quattrocentistischer Romantik und archäologisch inspiriertem Humanismus des beginnenden Cinquecento. Die volkstümlichen Anschauungen und Fabeln der alten Mirabilien sind noch immer merklich genug: der Caballo di Constantino spielt noch ebensogut seine Rolle wie die Kolosse des Phidias und Praxiteles, das page 185 Grabmal des Remus oder die Akademie des Virgil, manche Einzelheit ist so phantastisch wie das märchenhafte Rom auf den Bildern des Quattrocento. Aber daneben zeigt sich der Anteil der Künstler an den Antikenresten, wie sie sich in Ateliers und Privatsammlungen angesammelt hatten, und manches merkwürdige, wenn auch schwer deutbare Material wird hier vermittelt. Die künstlerisch beteiligten Laien und Dilettanten blieben nicht zurück, freilich ist in ihnen, wie aus den Anhängen des Anonymus Magliabecchianus hervorgeht, das alte Pilgrimsinteresse noch sehr stark; es erstreckt sich im übrigen auch auf andere berühmte Wallfahrtsstätten.

Unter diesen Umständen ist es erklärlich, daß die gedruckten Führer für den Rompilger, ohne ihre Herkunft von den alten Mirabilienbüchern im mindesten zu verleugnen, im Cinquecento allmählich ein anderes Gepräge annehmen. Der Concetto des mittelalterlichen (übrigens an die Antike anknüpfenden) »Wunders« beherrscht noch immer, wie ihren Titel, so den Inhalt. Aus dem Latein in die Volkssprache übertragen, verpflanzen sich diese Cose maravigliose dell' alma città di Roma seit dem ersten Venezianer Druck von 1544 bald auch in die übrigen Sprachen, wie es ebenso bei den alten Mirabilien beobachtet werden konnte. Aber diese löschpapierenen Büchlein, die in zahllosen Auflagen bis tief ins 17., ja ins 18. Jahrhundert reichen, haben sich doch schon beträchtlich modernisiert.

Immerhin bleibt der Charakter der Pilgerführer auch jetzt im wesentlichen unberührt. Die alten Mirabiliengeschichten sind freilich ausgemerzt, dafür ist aber der im 15. Jahrhundert hinzugekommene Teil, verschiedentlich in den einzelnen Ausgaben vermehrt, derselbe geblieben. Die Aufzählung der einzelnen Kirchen, ihre Gründungsgeschichte, ihre geistliche Organisation, die in ihnen zu erlangenden Indulgenzen, ihre hervorragenden Reliquien stehen durchaus an erster Stelle; die in ihnen enthaltenen Kunstwerke und gar deren Urheber kommen nur in besonderen und seltenen Fällen zur Erwähnung. Den zweiten Teil bildet charakteristischerweise der Führer durch die Ruinen des alten Rom, als moderner Ersatz der einstigen Wundergeschichten (la guida Romana per li forestieri, che vengono per vedere le antichità di Roma, a una per una, in bellissima forma e brevità, wie es z. B. in der Ausgabe von 1575 heißt). In drei Tagen wird hier der Fremde von seinem Cicerone durch die ewige Stadt geleitet; die Belehrung ist knapp, populär, beiläufig dem Stand der archäologischen Kenntnisse des Cinquecento entsprechend; die Fabeln der Mirabilien sind, wie gesagt, verschwunden. Gelegentlich fällt ein Hinweis auf die eine oder andere Privatsammlung jener Tage. Wie der erste Teil von einem Verzeichnis der Ablaßstationen abgeschlossen wird, so dieser zweite von einem chronologischen Abriß, die Regierungszeiten der page 186 Päpste, Kaiser, der Könige von Frankreich und Neapel, der Herzoge von Venedig und Mailand umfassend. In vielen Ausgaben schließt sich daran, in gleichem Format und Ausstattung, das Kompendium des Palladio über die römischen Altertümer. Die neuere Kunst ist, wie man sieht, fast vollständig vernachlässigt, wenn es auch nicht an Versuchen fehlt, sie wenigstens in ihren modernsten Äußerungen heranzuziehen, vor allem in den späteren Ausgaben; der schon erwähnte Druck von 1575 beispielsweise bringt über S. Peter nichts als hagiologische Notizen und Schatzverzeichnisse, wie sie ebensogut in dem alten Liber pontificalis ihre Stelle haben könnten. Trotzdem hatte die Aufmerksamkeit auf das, was die kunstfreudigen Päpste der Renaissance geleistet hatten, längst begonnen; schon Giannozzo Manetti hatte in seiner Biographie Nikolaus V. ein Beispiel dafür gegeben; seine Beschreibung der Bauten hat Vasari in seiner zweiten Auflage fleißig benützt. Daneben setzte sich die antiquarische, auf die Sammlung der christlichen Altertümer gerichtete Tendenz aus dem Mittelalter her fort; an die Schrift des Petrus Mallius (vgl. Buch I) knüpft im 15. Jahrhundert das Buch des unter Eugen IV. lebenden Kanonikus Maffeo Vegio aus Lodi über den alten Petersdom unmittelbar an.

Das ist nun der Boden, aus dem sich die Anfänge der später so bedeutenden Guidenliteratur Italiens entwickeln. Daß dergleichen von Florenz ausging, ist um so begreiflicher, als hier ja der Grund zu der italienischen Kunstschriftstellerei überhaupt gelegt worden war. Seit Ghiberti war die Inventarisierung vornehmlich des heimischen Kunstbesitzes nicht mehr ins Stocken geraten, unter dem Gesichtspunkt des biographischen Anteils, der diesen durchaus individualistisch gestimmten Zeitraum beherrschte. Innerhalb der Künstlerviten war die topographische Einstellung ohnehin schon merkbar, da chronologische Fixierung außerhalb des Vermögens und des Wollens lag — dergleichen hat im größeren Umfang erst Vasaris pragmatische Geschichtserzählung versucht. So lag der Gedanke nahe genug, diese topographische Umschau zunächst für einen einzelnen wichtigen Mittelpunkt zu versuchen. Dies geschah zuerst und zunächst in dem wichtigsten von allen, in Florenz selbst, wenn auch noch primitiv und dürftig genug.

Im Jahre 1510 erschien bei Tubini in Florenz das Memoriale di molte statue e picture che sono nell' inclyta ciptà di Florentia, dessen Verfasser, »Francesco Albertini prete fiorentino«, Kanonikus von S. Lorenzo war und um 1520 in Rom gestorben ist. Der Titel zeigt schon, daß das wenige Seiten umfassende Büchlein ausgesprochen kunsthistorische Interessen hat, wie die zahllosen Nachfahren seiner Art. Aus welchen Kreisen es hervorgegangen ist, erweist die Vorrede, an einen Jugendfreund des Verfassers, den Bildhauer Baccio di Montelupo, gerichtet, dessen Anregung es auch seinen Ursprung page 187 verdankt. Wir kennen dieses künstlerische Laien- und Dilettantentum schon zur Genüge aus dem Quattrocento, der Verfasser des Polifilo gehört ebenso in diesen Kreis wie Luca Pacioli oder in weiterem Umkreis die Florentiner Dame, die ein Modell für die Domkuppel präsentiert (in Manettis Brunellescobiographie), endlich viel später noch der von Springer köstlich geschilderte »gotische Schneider« von Bologna. Albertini berichtet selbst (in seinem Rombüchlein), daß er in jungen Jahren durch Ghirlandajos Werkstatt gelaufen sei, er stellt seinem Freund ein Modell di mia fantasia für die Florentiner Domfassade in nahe Aussicht (weil die alte Fassade senza ordine e misura sei), ja er rühmt sich, daß eine Tür im päpstlichen Palast nach seinen Zeichnungen ausgeführt worden sei, vergißt auch nicht, seine Belesenheit in Vitruv und Alberti selbstgefällig hervorzuheben.

Diese älteste Guida von Florenz, ja Gesamtitaliens, die auch noch jahrzehntelang auf einen Nachfolger gewartet hat, ist nun freilich ein recht eilig während eines kurzen Besuches in der Vaterstadt hingeworfenes Heftchen, das häufig den Eindruck von dem macht, was man heute einen Privatdruck nennt. Selbstverständlich, zumal bei dem geistlichen Autor, stehen die Kirchen voran; die Nachwirkung mittelalterlichen Geistes ist in der starken Aufmerksamkeit auf Reliquien und Kirchenschätze merklich genug. Immerhin werden aber auch schon Privatsammlungen (so die des Ghiberti) aufgeführt. Der Florentiner Kirchturmstandpunkt ist ebenso stark ausgeprägt wie bei Gelli. Der Autor nennt grundsätzlich nur Werke einheimischer Künstler, die Nennung Peruginos (und mittelbar wohl auch die des Gentile von Fabriano) wird gleichsam entschuldigt, da er durch Erziehung zum Florentiner geworden sei. Die Notizen sind mager und trocken, der formale Anteil tritt schon stark hervor, da sehr im Gegensatz zum stets inhaltlich interessierten Mittelalter der Gegenstand der Kunstwerke häufig gar nicht angegeben ist. Auffällig ist, wie das Trecento schon in der Schätzung abfällt: von Giotto sind lediglich zwei Kapellen in S. Croce namhaft gemacht, jedoch, wohl aus bestimmtem Anteil an der noch blühenden und hochangesehenen Familie, zahlreiche Werke der Gaddi genannt. Ferner sind zwei Helden der Legende, Cimabue und Giottino, mit verschiedenen Arbeiten bedacht. Orcagna und Andrea Pisano nennt Albertini überhaupt nicht, obwohl er sowohl das Tabernakel von Orsanmichele als die lediglich als »alt« bezeichnete Baptisteriumtür nennt. Am besten kommen natürlich das Quattrocento und die eigene Zeit weg. Im übrigen ist das Büchlein an seltsamen Mißverständnissen und Irrtümern, die der eiligen Entstehung zur Last fallen, nicht gerade arm. Der Zenobiusschrein des Ghiberti wird dem Donatello gegeben, desgleichen das Lavabo Buggianos in der Sakristei des Doms; die Fresken Fra Filippos in Prato sind dem Fra Angelico zugeteilt. page 188 Der Quellenwert des Buches ist also nicht übermäßig hoch zu veranschlagen, die Attributionssucht (Cimabue, Giottino!) beginnt schon deutlich zu werden. Neben mündlicher Tradition »gut unterrichteter Gewährsmänner« nennt Albertini ausdrücklich als Quelle scripture antiche; es mögen das Schriften in der Art der Quelle »K« oder des Billi sein, ohne daß allzu großer Wert auf diese Angabe zu legen wäre. Trotz seiner Mängel ist Albertini merkwürdig und ehrwürdig als Ahnherr der emsigen Ciceroni Italiens; indessen hat es gerade in Florenz noch fast zwei Menschenalter gedauert, bis die erste ausführliche Guida von Florenz, schon nach Vasaris großem Werk und unter seiner Einwirkung entstanden, erschien, Bocchis Belleze di Fiorenza (1591). Im übrigen ist Albertini als eine der Quellen Vasaris, schon für dessen erste Auflage, wichtig genug.

Daß Albertini wirklich als der älteste Vertreter jener Abati erscheint, die sich als Führer vornehmer Fremden der Sache und dem eigenen Säckel nützlich zu machen verstanden, lehrt seine sonstige literarische Tätigkeit. In der Widmung seines gleich zu erwähnenden Romführers sagt er, daß er für Kaiser Max I. ein Büchlein über die Reliquien und Stationen der ewigen Stadt geschrieben habe, und ein Auszug aus seinen einschlägigen Schriften, die Septem mirabilia orbis et urbis Romae et Florentiae für König Emanuel von Portugal verfaßt, ist tatsächlich auch 1510 im Druck erschienen. Mit Rom, wo er ja ansässig war und gestorben ist, hat er sich als Antiquar überhaupt viel beschäftigt; die älteste gedruckte Inschriftensammlung Roms, die 1521, jedoch ohne Nennung seines Namens, bei Jacopo Mazochi herauskam, rührt von ihm her. Vor allem ist hier aber sein zweites periegetisches Werk zu nennen, das schon in seinem Titel zeigt, wie ihm die Anregung zu seiner Schriftstellerei aus den alten Pilgerbüchern zufließt, ja wie er vielleicht der erste ist, der diese in der im Cinquecento geläufigen, uns schon bekannten Weise modernisiert. Es ist dies das Opusculum de mirabilibus novae et veteris urbis Romae, Rom 1510 gedruckt, mit der charakteristischen überlieferten Zweiteilung der heidnischen und christlichen Stadt. Es ist Julius II. gewidmet. Im Gegensatz zu dem Führer durch Florenz tritt aber hier der Anteil am Kunstwerk als solchem stark zurück. Immerhin wird doch manches über die Kunstsammlungen in den Häusern der Kardinäle berichtet, freilich lange nicht so ausführlich und sachkundig wie später von Aldrovandi. Die Schilderung ist übrigens nicht eigentlich topographisch, sondern nach Klassen geordnet; die Kirchen stehen voran, dann folgen die päpstlichen Paläste, die Häuser der Kardinäle, die öffentlichen Bauten, Spitäler, Bibliotheken. Zum Schluß die Grabmäler und Bronzetüren, endlich die von Julius II. angeordneten Bauten. Der Standpunkt des Florentiners ist überall gewahrt, florentinische Künstler werden, wenn page 189 überhaupt, vorwiegend genannt. Als Anhang erscheinen auch zwei Elogien: de laudibus civitatum Florentiae et Saonensis, das letztere an die Adresse des aus Savona gebürtigen Papstes gerichtet. Sie bestehen, echt italienisch-humanistisch, in einer Nomenklatur ihrer Bauten und ihrer berühmten Männer, diese nach herkömmlicher Art in Klassen geteilt, unter denen wieder die Künstler (und Musiker) einen bevorzugten Platz einnehmen. Besonderes bieten diese Listen übrigens kaum, wie denn die Bedeutung der Schrift überhaupt weit weniger — trotz mancher wertvollen Notiz — auf kunsthistorischem, als auf allgemein kulturgeschichtlichem und antiquarischem Felde liegt; Vasari hat sie auch nicht als Quelle benützt.

Eine viel merkwürdigere Erscheinung als dieser geistliche Cicerone und Antiquar stellt sich uns in einem Manne dar, mit dem wir aus dem toskanischen Mittel in ein wesentlich anders geartetes hinüberschreiten. Das ist der Venezianer Marc Anton Michiel, in dem man seit Bernasconis Aufdeckungen den früher nach seinem ersten Herausgeber, dem gelehrten und verdienstvollen Abate Jacopo Morelli genannten Anonimo Morelliano, zu erblicken hat. Michiel entstammt der uralten venezianischen Patrizier- und Dogenfamilie dieses Namens, hat hohe Staatsämter bekleidet, 1514 in Florenz, 1518 in Rom, und ist in seiner Vaterstadt 1552 gestorben. Ein Mann von feinster künstlerischer Bildung und voll geistiger Interessen, stand er mit Künstlern und Gelehrten in regem Verkehr; seine literarischen Pläne sind freilich, was für den Mann charakteristisch sein mag, nicht gereift oder zurückgelegt worden, nur eine historische Beschreibung von Bergamo hat er, widerstrebend genug, in den Druck gegeben; sie zeigt übrigens ebenfalls schon seine Aufmerksamkeit auf die Kunstdenkmäler. Einer, der dergleichen beurteilen konnte, Aretino, lobt sein Kunstverständnis, und Serlio, der ihm Nachrichten über den königlichen Palast Poggio Reale in Neapel verdankt (in seinem Architekturtraktat, Buch III, p. 122), zollt ihm noch in späterer Zeit hohes Lob als Bauverständigem, etwas, worin Michiel übrigens unter seinen Standesgenossen nicht allein steht. Aus den Briefen, die sich von ihm erhalten haben, spricht ein lebhafter, gebildeter Geist voll reicher Erfahrung, einer vom echten Schlage jener Staatsmänner Venedigs, die an Beobachtungsgabe und scharfem Urteil nicht leicht ihresgleichen finden. Selbst Sammler, steht er mitten im Kunstleben seiner Zeit: in einem Brief aus Rom von 1520, in dem er den Tod Raffaels nach Hause meldet, verbreitet er sich (wie in einem früheren von 1519) über dessen archäologisches Wirken, seine weitaussehenden Pläne, über Arbeiten Michelangelos und andere römische Kunstinteressen jener Zeit. Sehr merkwürdig ist auch das Urteil über Mantegna in einem Briefe an den Maler Guido Celere von 1514.

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Nach einer alten Postille, die sich in der Abschrift des noch zu erwähnenden Briefes des Summonte über Neapel, einst im Besitze Jacopo Morellis, befand, hat dieser venezianische Edelmann Lebensbeschreibungen moderner Maler und Bildhauer (vite de' pittori e scultori moderni) herausgeben wollen; der Druck sei jedoch unterblieben, weil unterdessen das »Werk eines anderen« (Vasari) erschienen sei. Tatsächlich scheint dieses geplante Werk niemals zur Reife gediehen zu sein, obwohl sich Michiel selbst an einigen Stellen seiner Notizie darauf zu beziehen scheint. Die Scheu, die der feingeistige Mann zeitlebens vor der Druckerschwärze hatte — sie tritt in der Geschichte der Publikation seiner Schrift über Bergamo zutage — mag daran auch ihren Anteil gehabt haben. Welchen Verlust das für die Kunstgeschichte bedeutet, kann völlig aus der uns einzig hinterlassenen Materialsammlung, den Notizie del Disegno, ersehen werden. Ganz abgesehen davon, daß uns eine Fülle von Tatsachen zugeflossen wäre, über die Vasari niemals verfügen konnte, weil er über Oberitalien mangelhaft und aus zweiter Hand unterrichtet war, so wäre neben und gegenüber dem häufig befangenen toskanischen Fachmann der vornehme Kunstfreund und Kunstkenner an bedeutendster Stelle zu Wort gekommen.

Die unvollständig überlieferten, überdies vollkommen den Charakter von unfertigen Entwürfen tragenden und daher niemals für die Öffentlichkeit bestimmten Notizie del disegno enthalten ausschließlich Nachrichten über Kunstwerke in Venetien und der Lombardei, vom topographischen Gesichtspunkt (Padua, Cremona, Mailand, Pavia, Bergamo, Crema, Venedig) aus angelegt und trotz des knappen Skizzenstils von erheblicher Fülle und innerem Leben. Sie sind in einer langen Reihe von Jahren allmählich angesammelt worden, wie die beigesetzten Daten im letzten, Venedig betreffenden Teil der Handschrift zeigen, und beruhen augenscheinlich fast allenthalben auf persönlicher Erfahrung; nur die Angaben über den Dom von Mailand und das Kastell von Pavia entstammen einer gedruckten Quelle, dem Vitruvkommentar des Cesariano von 1521. Der intime Verkehr, in dem Michiel mit Künstlern und Gelehrten stand, hat ihm gute Früchte getragen. Für Padua stehen ihm zwei Quellen zur Verfügung, die auch Vasari benützt hat, die aber für uns leider verloren sind: der lateinische Brief des gelehrten Malers Giulio Campagnola an Leonico Tomeo, den Philosophieprofessor und Sammler, dessen Figur wir noch bei Gauricus begegnen werden, dann die Mitteilungen des berühmten Bronzebildners Andrea Riccio, auf dessen Meinung er sich des öfteren beruft. Der veronesische Gemmenschneider Niccolò Davanzi lieferte ihm mündliche Mitteilungen über Münzen. Wie er sich von auswärts wohl für das von ihm geplante biographische Werk Nachrichten zu verschaffen page 191 wußte, zeigt der merkwürdige Brief, den Pietro Summonte 1524 an ihn richtete und der die älteste Übersicht der neapolitanischen Kunstgeschichte enthält.

Von besonderem Wert für uns sind Michiels Nachrichten über Privatsammlungen, denen er begreiflicherweise besonderen Anteil entgegenbringt und die einen großen Teil seiner Notizen füllen. Er erwähnt gelegentlich Originale Giorgiones im eigenen Besitz und wir können ihn uns ohne dies Korollar gar nicht denken. Namentlich der ungemeine Reichtum der venezianischen Sammlungen jener Zeit erschließt sich hier in einer Weise, für die es anderwärts kaum ein Gegenstück gibt. Von Werken von solcher Bedeutung wie der Josuarolle (heute im Vatikan), dem Breviarium Grimani, verschiedenen Gemälden des Giorgione, ist hier die erste Nachricht gegeben; die ungemeine Rolle der kleinen Bronzeplastik wird uns greifbar, wie uns Michiel denn z. B. von dem Bellerophon des Bertoldo (heute in Wien) zuerst berichtet. Eine besondere, aus dem ganzen Mittel sich ergebende Rolle spielt die altniederländische Malerei, derart, daß Michiel als einer der ältesten Quellenschriftsteller für diese erscheint.

Vor allem wird hier aber die Stimme des gebildeten Dilettanten im besten Goetheschen Sinne des Wortes vernehmbar, unbeeinflußt von den Schulbefangenheiten, die der zünftig beschränkten Kritik, vor allem der Vasaris, ankleben.

In knappen Sätzen verrät sich oft eine Beobachtungsgabe, die des venezianischen Diplomaten würdig ist, neben einem feinen Kunstverständnis, das nicht so leicht seinesgleichen hat und uns daran erinnert, welche Höhe das Kunsturteil in der venezianischen Welt jener Tage erreicht hatte, auch wenn es sich, freilich in einer ganz anderen Sphäre, nicht in der faszinierenden Figur des Pietro Aretino darstellen würde. Neben mancher flüchtig hingeworfenen feinen Bemerkung fällt da z. B. die Schilderung von zwei Porträten des Gentile da Fabriano (Notiz über Casa Pasqualino in Venedig von 1532) ins Auge, in der eine ganz sachgemäße Charakteristik der malerischen Wirkung versucht ist. Michiel bleibt auch seinen Gewährsmännern gegenüber selbständig und hält mit seiner eigenen Meinung nicht zurück. Auf äußere Beglaubigungen wie Inschriften hat er wohl geachtet und sein Blick ist so sicher, daß die moderne Forschung viele von seinen Zuschreibungen bestätigen konnte. Im Besitze einer ausgebildeten Kunstterminologie (das später so viel gebrauchte Wort Galanterie für Nippsachen tritt z. B. schon bei ihm auf), weiß er das Kunstwerk nach der ihn vorzüglich interessierenden formalen Seite hin knapp und klar zu umschreiben.

In einen viel beschränkteren Kreis, doch gleichfalls nach Oberitalien, führt uns eine andere, nicht weniger sympathische Figur. Wir page 192 deuten hier auf die liebenswürdige Selbstschilderung des Rhodiser Ritters Sabba di Castiglione, der schon im Orient Sinn und Blick für Kunst und Altertum geschärft hatte; wir wissen, daß er auf Rhodos für Isabella d’Este Antiken eingekauft hat (Gaye, Carteggio ined. II, 53, 82). In dem gelehrten Stilleben seines Alters, in der friedlichen, heute noch in ihrem Verfall rührend anmutigen Magione von Faenza hat er dann seine Lebensweisheit in dem Buche der Ricordi niedergelegt, die zuerst in Venedig 1554 erschienen, aber noch ganz in die Zeit vor Vasari gehören. Eines der Kapitel dieses »goldenen Büchleins«, wie man es wohl genannt hat, schildert sein bescheidenes künstlerisches Ambiente und gewährt einen der reizendsten Einblicke in das mit Kunstwerken gezierte Studio eines Renaissancegelehrten. Aus diesem Grunde mag er auch hier gleich nach Michiel erwähnt werden. In Sabbas Besitz waren Werke von Künstlern, mit denen ihn wie mit manchen andern persönliche Freundschaft verband, von Gio. Cristoforo Romano, Alfonso Lombardo, aber auch Antiken und Waffen. Eine schon von ihm dem Donatello zugeschriebene Knabenbüste befindet sich noch im Museum von Faenza. Vor allem ist jedoch der Überblick wichtig und lehrreich, den er über das Sammelwesen seiner Zeit gibt, mit manch singulärer Nachricht über Künstler und Kunstwerke und mancher hübschen Anekdote. Für den Mann der Hochrenaissance ist auch die wiederholt hervortretende Vorliebe für Dürers Stiche sehr bezeichnend.

Das schon oben besprochene Gedicht des Lemaire leitet uns schließlich zu einer anderen Art historischer Quellen, in der die Gestalt der von ihm verherrlichten fürstlichen Frau bedeutend genug hervortritt, den Kunstinventaren dieser Zeit, denen noch einige Worte gewidmet sein mögen. Frankreich und die ihm eng verschwisterten Niederlande behaupten hier durchaus ihren alten Vorrang, wie er schon in den musterhaft angelegten Urkunden dieser Art im 14. Jahrhundert, vor allem den Inventaren des Herzogs von Berry (vgl. Buch I) sich so auffallend offenbart. Nicht einmal die reichhaltigsten und bedeutendsten der italienischen Inventare, die der mediceischen Sammlungen, können sich an sachlicher Genauigkeit der Beschreibung mit denen des Burgunder Schatzes messen. Tritt hier aber noch, anders als bei Berry, der Charakter der mittelalterlichen Schatzkammer noch deutlich hervor, so geben uns die Inventare der Sammlungen Margaretens von Österreich in Mecheln (1480—1530) das Bild einer großen fürstlichen Amateursammlung jener Tage, in der ausgesprochen künstlerische Interessen vorherrschen. Als Tochter Kaiser Maximilians und der Maria von Burgund vereinte sich ja in ihr das Blut von zwei erlauchten Ahnenreihen, denen die nordländische Kunst page 193 die stärksten Antriebe zu danken hatte. Welchen Platz Margarete als Mäzenin in der bildenden Kunst ihrer Tage einnimmt, ist hier nicht der Platz zu erörtern; Lemaires Lobspruch ist auch für einen Hofhistoriographen nicht zu hoch gegriffen, und man weiß, wie Dürer, dem »Frau Margarete« am 7. Juni 1521 persönlich ihre Sammlung gewiesen hat, von dieser dachte. Diese, in der neben den herrlichsten Stücken altniederländischer Kunst auch manche Probe antiker und italienischer Art nicht fehlte, nimmt in vielem Betracht die großen Kunstsammlungen der dritten und vierten Generation voraus, eines Philipp II., Leopold Wilhelm, Karl I. von England. Der persönliche Anteil der Fürstin (die selbst dilettierte) an dem Zustandekommen dieser Aufzeichnungen ist augenfällig, wie manche intime Einzelheit lehrt. Durchwegs (und das ist ein Neues im Norden) tritt der Anteil an der künstlerischen Persönlichkeit bestimmend hervor.

Daß ein solcher persönlicher Anteil der mit den Männern auf gleicher Bildungsstufe stehenden Frauen der Renaissance im Norden keineswegs eine Ausnahme war, lehrt ein anderes, bisher wenig beachtetes Dokument. Es ist das Inventar, das Frau Michelle Gaillard von Lonjumeau eigenhändig von dem großen Kunstbesitz ihres verstorbenen Gemahls, des Ministers Franz’ I. Seigneur Florimond Robertet, auf Schloß Bury im Jahre 1532 angelegt hat. Es ist jener denkwürdige Ort, an dem sich ein berühmtes, freilich längst verschollenes Originalwerk Michelangelos, der Bronzedavid von 1502, befunden hat. Der Charakter dieser Sammlung ist freilich ein ganz anderer als jener der Mechelner; neben dem eigenwüchsig Französischen tritt, der Renaissance Franz’ I. entsprechend, das antike und wälsche Element viel stärker hervor; bedeutend ist aber auch hier der freilich viel mehr nach der inhaltlichen und der Gemütsseite als nach der formalen Seite hin sich zeigende persönliche Anteil am künstlerischen Besitz, und französisch ist es endlich, wenn die Verfasserin wiederholt Verse auf ihre Zimelien von einem der berühmtesten Poeten jener Zeit, dem jungen Pierre de Ronsard, mit Stolz anführt.

Die Mirabiliendrucke des 15. und vom Beginn des 16. Jahrhunderts: Mirabilia urbis Romae sind meist von deutschen Druckern in Rom besorgt (Stephan Planck, Eucharius Silber al. Franck); datiert sind Ausgaben von 1472, 1475, 1487, 1491, 1492, 1494, 1496, 1497, 1499, 1509, 1513, 1515 (diese drei letzten aus der Silberschen Offizin), zum Teil mit Holzschnitten (vgl. auch Kinkel, Mosaik zur Kunstgeschichte, S. 172). Dazu die schon erwähnte Faksimileausgabe nach einem Blockbuch der herzogl. Bibliothek in Gotha, mit Einleitung von R. Ehwald, Weimar 1904. In deutscher Sprache bei Joh. Besicken, Rom 1500 u. 1518. Vgl. Tessier, Una stampa del s. XV in idioma tedesco contenente una guida storica di Roma. Il Buonarroti, Serie III, vol. I (Rom 1883). Die italienischen Bearbeitungen des späteren 16. Jahrhunderts u. d. T.: Le cose maravigliose della città die Roma con le reliquie e con indulgentie etc. tradotte di Latino in volgare, Venedig, Fontaneto 1544; weitere Ausgaben ebenda 1552, 1565, 1588; Rom 1589, 1600, 1622, 1634, 1646, 1675, zum Teil illustriert und mit Hinzufügung der Antichità di page 194 Roma di M. Andrea Palladio. Diese Ausgaben sind vielfach überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht, so z. B. die Ausgabe Cicognara 3687: Di nuovo corretto ed ampliato con le cose notabili fatte da Papa Sisto V. e Clemente VIII. per Flaminio da Colle e Camillo Franceschini Migliorato, Rom 1600. Sie erhalten überhaupt immer mehr kunsthistorischen Charakter, so die A. Cicognara 3689 (ohne Ort und Jahr, Mitte des 17. Jahrhunderts): ...Le cose maravigliose... cioè chiese e luoghi con la delineazione dell' edificio, loro istoria, ornamenti, pitture e sculture ecc. Spanisch: Las cosas maravillosas de la s. ciudad de Roma, Rom 1589 und 1648. Cabrera, Las iglesias de Roma con todas reliquias etc., R. 1600, und La guida de los forastieros para ver las cosas mas notables de Roma, R. 1600. Französisch: Curiositéz de l’une et de l’autre Rome, Paris 1558; Les merveilles de la ville de Rome avec la guide... aux estrangers, Rom 1665 u. 1725. Dazu die englischen Mirabilien, ed. Nicholas, London 1889.

Abû Hâmid da Granata, La descrizione di Roma nel sec. XII, trad. ed illustr. da C. Crispo-Moncada, Palermo 1906. Benjamin von Tudela liegt u. a. in einer sorgfältigen, A. v. Humboldt gewidmeten englischen Ausgabe von A. Asher, The itinerary of Rabbi B. of Tudela translated and edited. London u. Berlin 1840, 2 Bde., vor. Nikolaus Muffels Beschreibung von Rom a. d. Jahre 1452, herausg. von W. Vogt, Bibl. des Literar. Ver. Stuttgart, CXXVIII, Tübingen 1876. Vgl. Michaelis im Bull, dell’Imp. Istituto Archeologico germanico; Sez. Rom. III. (1880), IV. (1889). Poggios Ruinarum urbis descriptio in seinen Opera, Straßburg 1513, wiederholt bei Sallengre, Novus thesaurus antiquitatum Romanarum, Haag 1716, I, 501 f. Flavio Biondos Roma instaurata (von 1446), 1. anonyme Ausgabe (Rom 1481), dann Basel 1531, spätere ital. Ausgaben von Fauno (mit der Italia illustrata). Venedig 1542, 1543, 1548, 1558, cf. Masius, F. Biondo, s. Leben und s. Werke, Leipzig 1879. Bern. Ruccellai (1449—1514), De urbe Roma bei Becucci, RR. Italicar. SS., Florenz 1770, II, 757. Über die Handschrift des A. Tyfernus (1507 in Neapel) vgl. Mommsen in den Monatsberichten der Berliner Akademie 1865. Doch geht dies alles viel mehr die klassische Archäologie an. Die römischen Skizzenbücher von Künstlern des 15. und 16. Jahrhunderts sind zusammengestellt von Fabriczy, Il libro di schizzi di un pittore olandese nel museo di Stuttgart im Archivio storico dell’arte VI, 1893, auch in Sittls Handbuch der Archäologie 124; vor allem sind jedoch die grundlegenden Arbeiten Herm. Eggers über den Codex Escurialensis, Wien 1906, und Römische Veduten, Handzeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts, Wien 1912, zu vergleichen; auf weiteres einzugehen verbietet sich an dieser Stelle von selbst. Die Antiquarie prospettiche Romane im Neudruck von Govi, Rom 1876. G. Manettis Beschreibung der Bauten Nikolaus' V. (in dessen Biographie) bei Muratori, SS. RR. Ital., III, 2, 929 ff., darnach bei Müntz, Les arts à la cour des papes, I, 339; über Vasaris Benützung derselben s. Kallab, Vasaristudien, 342. Die Schrift des Maffeo Vegio († um 1457), De rebus antiquis memorabilibus basilicae S. Petri, ed Janning in den Acta Sanctorum Boll., Juni, VII, 61—85, vgl. darüber Piper, Monum. Theologie, S. 671 ff.

Francesco Albertini, Opusculum de mirabilibus novae et veteris urbis Romae. Ed. princ. Rom 1510, dann 1515 und 1523. Nachdruck Leyden 1520. Neudruck (nur die nova Urbs) von Schmarsow, Heilbronn 1896 (mit Einleitung). Desselben Autors Septem mirabilia orbis et urbis Romae et Florentiae civitatis, Rom, Mazochi 1510. (Sehr selten, ein Exemplar auf der Bibl. Corsini in Rom.)

Albertinis Memoriale di molte statue e picture della ciptà di Firenze, Florenz, Tubini, 1510, im Neudruck (per nozze Mussini-Viaggio) von Gaetano und Carlo Milanesi sowie Cesare Guasti, Florenz 1863, und im Anhange zu Jordans Übersetzung von Crowe und Cavalcaselle, Geschichte der italienischen Malerei, Leipzig 1869, II. Ein schöner Facsimiledruck besorgt von Herbert P. Horne, in der Florence Press, Letchworth 1909. Über das Verhältnis zu Vasari s. Kallabs Vasaristudien, 166 f. A. F. Doni scheint eine Art von Firenze illustrata in 6 Büchern geplant zu haben. Vgl. die Inhalts page 195 angabe dieses unruhigen Projektenmachers in seinem Disegno (Venedig 1549), Anhang, p. 45 ff. (Brief an Morosini). Ebendort noch andere Briefe, die Übersichten der bedeutendsten Kunstwerke in Florenz u. a. Städten zu geben suchen. Hier sind noch einmal die Florentiner Diarien von Luca Landucci (1450 bis 1519), ed. del Badia, Florenz 1883, und Agostino Lapini (bis 1592), ed. Corazzini, Florenz 1900, wegen ihrer zahlreichen kunstgeschichtlichen Notizen zu nennen. Einzelnes aus Landucci schon in Gualandis Memorie originali IV, 94, und bei Gaye, Carteggio ined. II, 464. Janitschek hat (vor Del Badias Ausgabe) die wichtigsten Notizen im Auszug zu geben versucht, Rep. f. Kunstw. III, 377 f. Landucci, der übrigens selbst dilettierte — einen architektonischen Entwurf übergibt er 1505 dem Cronaca — ist freilich nicht immer verläßlich (so macht er Donatello zum Schöpfer des Grabmals des Leonardo Aretino), aber als Augenzeuge, der so vielen künstlerischen Ereignissen seiner Vaterstadt getreulich folgt, höchst wertvoll.

Vor Vasaris erster Auflage von 1550 ist auch noch die umfängliche Beschreibung Italiens von Fra Leandro Alberti erschienen, Descrittione di tutta Italia, Bologna 1550. 2. A., Venedig 1561. Sie enthält nach traditioneller Art bei den einzelnen Städten Listen ihrer hervorragendsten Künstler und Kunstwerke, mit manch merkwürdiger Notiz, berichtet auch hier und da über Privatsammlungen. Ich zitiere einiges nach der A. von 1561: fol. 44 v. Kirchen von Florenz, 47 v. Künstlerliste; f. 328 Bologna, Kirchen, 336 Maler, Bildhauer, Architekten, Sammler; 348 v. Ferrara, 351 v. Künstler; 394 v. Mantua, Privatsammlungen; 403 v. Künstler in Brescia; 411 v. Künstler in Bergamo. (Ausführliche Nachrichten über den Intarsiator Fra Damiano.) Im Anhang, f. 75 ff., u. a. eine ausführliche Beschreibung von San Marco in Venedig. Erwähnenswert ist auch das Tagebuch eines Nordländers, des frankfurtischen Rechtsgelehrten Joh. Fichard, Iter Italicum, von 1536. Vollständig abgedruckt im Frankfurter Archiv f. ältere deutsche Literatur u. Geschichte, H. III, Frankfurt 1815, S. 1—130. Auszüge daraus von Schmarsow im Rep. f. Kunstw. XIV, 130f. F. beschreibt verschiedene Kunstwerke in Rom, Neapel, Loretto, Ancona, Pisa, Lucca, Siena, Florenz, Pistoja, Bologna, Pavia, Ravenna, Ferrara, Verona, gibt merkwürdige Kunsturteile, aber nur selten — für den Nordländer sehr bezeichnend — Namen von Künstlern.

Marc Anton Michiel (L’Anonimo Morelliano), Notizia d’opere di disegno (der Titel rührt von Morelli her); die Daten der Materialsammlung laufen von 1521 bis 1543, reichen aber wohl noch weiter zurück. Erste Ausgabe (nach der Hs. der Marciana) mit vorzüglichem, sehr ausführlichem Kommentar des Abate Jacopo Morelli, Bassano 1800. Zweite Ausgabe, mit guten Ergänzungen zu Morellis Noten, die jedoch nur teilweise wieder abgedruckt sind, von Gustavo Frizzoni, Bologna 1884. Hier auch einige Nachträge aus dem Originalmanuskript, die Morelli übersehen hatte. Dessen Text ist übrigens nicht immer verläßlich. Nach der Hs. der Marciana revidierter Text mit deutscher (stellenweise freilich recht mangelhafter) Übersetzung von Th. v. Frimmel in Eitelbergers Quellenschriften, N. F., I, Wien 1888. Der angekündigte Kommentar ist jedoch nie veröffentlicht worden; bloß Teile daraus (mit Wiederholung des revidierten Textes) sind in Frimmels Blättern für Gemäldekunde 1907 (Beilage) gegeben. Englische Übersetzung (mit Illustrationen) von Williamson, London 1903. Der Brief Michiels an Celere abgedruckt (nach Cicogna) in Frizzonis Ausgabe 253. Michiels Agri et urbis Bergomatis descriptio anno 1516 ist (gegen den Willen des Autors) in das Werk des Bellafini, De origine et temporibus urbis Bergomi, Venedig 1532 aufgenommen worden (später im Thesaurus Histor. Italiae IX, 7), vgl. Frizzonis Einleitung, p. XXI, Note. Über Michiel ist vor allem die wichtige, sehr viel Material enthaltende Abhandlung von Cicogna in den Memorie dell’ Istituto Veneto IX, 359f. (1800) zu vergleichen, dann Bernasconi, Studj sopra la storia della pittura Veronese, Verona 1864. Weitere Beiträge (Inventare Alvise Odoni und Aless. Ram) in den Archival. Beiträgen zur Gesch. der venez. Kunst aus G. Ludwigs Nachlaß (Ital. Forschungen, herausg. vom kunsthistor. Institut in Florenz, IV, Berlin 1911). Über Michiels Verhältnis zur altniederländischen Kunst eingehend Becker, Schriftquellen zur Gesch. d. altniederl. Kunst, Leipzig 1897. Den Inhalt des Briefes Girolamo Campagnolas an page 196 L. Tomeo gibt Vasari (ed. Milanesi III, 385, v. di Mantegna) mit folgenden Worten an: nella quale gli dà notizia d’ alcuni pittori vecchi che servirono quei da Carrara signori di Padova. Über Vasaris Benützung dieser Quelle s. Kallab, Vasaristudien, 347f., mit Übersichtstabelle, aus der man über den Inhalt der Schrift (aus den Zitaten bei Vasari und Michiel) orientiert wird. (Nachrichten über Uccello, Squarcione, Ansuino, Pizzolo, Altichiero und Avanzi, Guariento, Giusto, Foppa, Miretto.) Über Campagnola s. Pietrucci, Biografia degli artisti Padovani, Padua 1858, p. 62. Über A. Riccios Nachrichten ist nichts weiter bekannt. Dem Verbleib von Michiels Künstlerviten habe ich seinerzeit in Venedig vergebens Dachgefragt. Die Hinweise auf ein paginiertes Manuskript stehen wiederholt in der Notizia bei den von 1521 datierten Materialien aus der Sammlung Grimani (ed. Frizzoni, p. 195, 196, 200); sie beziehen sich durchwegs auf niederländische Künstler (Ouwater, »del quale ho scritto a carte 96«; Patinir, Bosch und G. David. Neuerdings hat v. Hadeln (Jahrb. der k. preuß. Kunstsammlungen 1910, 149) darzutun versucht, daß Francesco Sansovino (s. u.) in seiner Venezia descritta ein vollständigeres als das uns noch vorliegende Exemplar von Michiels Notizen ausgeschöpft habe. Auf einen merkwürdigen Reisebericht macht mich G. Gronau freundlichst aufmerksam: Gio. Ridolfis Ricordo dell’andata mia da Milano a Vinegia e da Vinegia a Firenze (1480) in der Bibl. Naz. in Florenz. Magliabecch. II, IV, 95, nach einer Anmerkung von Müller-Walde, (Jahrb. d. preuß. Kunsts. XVIII 1897, 104), z. T. in der Zeitschrift Il Zibaldone anno I, n. 3 veröffentlicht.

Der Brief des Pietro Summonte an Michiel über die Kunstdenkmäler von Neapel (1524) ist zuerst von Cicogna a. a. O. 411 veröffentlicht worden, nach dessen Text von Müntz im L’Art 1885, IV, 158, ferner von Croce in der Napoli notilissima 1898, XII, und nach der Handschrift Jacopo Morellis, mit Kommentar von Fabriczy im Rep. f. Kunstw. XXXI, 143ff. Serlio (Delle antichità di Roma, lib. III, Venedig 1551) spricht von einem lateinischen Briefe des M. A. Michiel über die Kunstwerke in Neapel; liegt hier eine Verwechslung vor?

Sabba di Castiglione, Ricordi, Venedig 1554 und 1559. Kap. 109 enthält die Schilderung seines Amateurstudios, dazu die wichtigen Notizen in Kap. 111, 113, 118. Vgl. Gaye, Carteggio ined. II, 53, 82; d’Arco, Arti in Mantova, II, 44; Luzio, im Archivio stor. Lombardo 1886, I., und die zusammenfassenden Aufsätze, die Bonnaffé in der Gazette des beaux arts 1884, und Massaroli, Fra Sabba da Castiglione e i suoi ricordi, im Archivio stor. Lombardo, XVI (1889) dem Autor gewidmet haben.

Die burgundischen Inventare sind in der (unvollendeten) Publikation des Comte de Laborde, Les ducs de Bourgogne, Paris 1849ff., 3 voll., publiziert. Dazu Pinchart, Archives des arts, Gent 1860ff., 3 voll., und Prost, Inventaires, mobiliers et extraits des comptes de Ducs de Bourgogne, Paris 1902. Die beiden Inventare der Sammlungen der Margarethe von Österreich (von 1516 und 1524) sind publiziert von Michelant in den Comptes rendus de la Commission Royale d’histoire, Brüssel 1871, Serie III, vol. XII, p. 10f., unvollständig, jedoch mit Konkordanzen aus Le Glay, Correspondance de Maximilien I et de Marguérite d’Autriche. Paris 1839, II, 466f., von Laborde in der Revue archéologique VII (1880), 46f., von H. Zimmmermann im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, III (Urkundenteil), p. XCIII unter Nr. 2079. Weitere Verzeichnisse ebenda, III, Nr. 6286, XII, 8347, XIII, 9118. Vgl. Becker, Schriftquellen z. Gesch. d. altniederl. Kunst, 27f. Glück, Kinderbildnisse aus der Sammlung Margaretas von Österreichs im Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses, XXV, 227, auch meine »Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance«, Leipzig 1908, 33. Das Inventar des Schlosses Bury, verfaßt von Madame Michelle Gaillard (1532), ist gedruckt in den Mémoires de la Societe nationale des antiquaires de France, vol. XXX (= 3 Série, t. X, 1868, p. 55f.). Die Florentiner Sammlungen bei E. Müntz, Les collections de Médicis au XV Siècle, Paris 1888. Über die niederländischen Gildenregister s. Becker, Schriftquellen z. Gesch. d. altniederl. Malerei, S. 20f.

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Viertes Buch: Die Kunsttheorie der Ersten Hälfte des Sechzehnten Jahrhunderts

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I. Die Kunsttheorie Mittelitaliens vor Vasari.

Zeitlich am frühesten ist ein kleiner Traktat des Florentiner Malers und Kriegsmannes Francesco Lancilotti erhalten, in einem höchst seltenen anonymen Druck (Rom 1509). Über den Verfasser ist kaum mehr bekannt, als was er uns in den Terzinen seines Lehrgedichtes mitzuteilen für gut findet. Er hat darnach bei Abfassung seiner Schrift schon die Hälfte des Menschenalters überschritten; Milanesis Aufstellung, daß er 1472 als Sohn eines mailändischen Malers Jacopo di Lancilotto in Florenz geboren worden sei, wird seine Richtigkeit haben. Eigenem Berichte zufolge hat er frühzeitig die Vaterstadt verlassen (virtù lascia chi lascia Firenze, sagt er bezeichnenderweise) und weite Reisen gemacht, die ihn durch ganz Italien, durch Spanien, das damals noch maurische Granada, nach Tunis und in die Barbareskenstaaten geführt haben. Er muß kein ganz unbekannter Mann gewesen sein; wenigstens hat sich eine Medaille mit seinem Bildnis erhalten. Wie die poetische Form selbst, so weist auch die Inspiration auf Dante zurück. Das Ganze, dem eine Widmung an den sienesischen Patrizier Francesco Tommasi voransteht, ist in Form einer Vision gehalten; bei einer Seefahrt erscheint (auf der Höhe von Ischia) dem Autor die Malerei als ein mächtiges Weib. Ihre (noch in den Anschauungen des Quattrocento befangene) Klage, daß sie aus dem Kreise der sieben freien Künste ausgeschlossen sei, führt uns in ein wohlbekanntes Gebiet. Sonst bietet das Werkchen eben nicht viel, es wäre denn das hohe Lob, das den Landschaften der Fiandreschi gespendet wird, auch ein Nachklang von der Modekunst des vorhergehenden Zeitalters her, zumal in dem süditalienischen Umkreis, in den wir geführt werden. Auch die Forderung an den Maler, daß er bella maniera besitzen müsse, wollen wir uns merken. Endlich erscheint die später so viel gebrauchte Einteilung der Malerei in Disegno, Colorito, Compositione und Inventione hier schon fest ausgebildet und eingebürgert.

Außerdem haben wir eigentlich nur eine Figur von größerer Bedeutung zu nennen, mit der wir schon in Vasaris unmittelbare Zeit page 200 und Nähe geführt werden. Es handelt sich um zwei Vorlesungen (über Malerei und Plastik) des berühmten florentinischen Historikers und Philologen Benedetto Varchi (1503—1565), die 1546 in der Akademie von Florenz gehalten wurden und für die in Bildung begriffene Kunsttheorie der Toskaner nicht ohne Belang sind. Varchi stand ja in lebhaftem Verkehr mit den Künstlern seiner Zeit; wie er später, ein Jahr vor seinem eigenen Tode, 1564, Michelangelo die offizielle Leichenrede gehalten hat, so knüpfte er in seiner ersten Konferenz an ein berühmtes Sonett seines großen Stadtgenossen (das vom »ottimo artista«) an; sie ist zugleich ein beredtes Zeugnis für den Michelangelokultus, der bald durch Vasari (dessen Viten Varchi selbst hier schon ankündigt) das größte literarische Denkmal erhalten sollte. Michelangelo selbst hat den Mann der grauen Theorie nicht ohne überlegene Ironie behandelt; es sind pedantische Elaborate, die, ohne daß ihnen sonderliche Tiefe innewohnen würde, weit in die platonisch-aristotelische Ästhetik der Renaissance hineinführen. Die Exposition ist ganz schulmäßig; der Boden künstlerischer Wirklichkeit wird nur gestreift in praktischen Beispielen aus der zeitgenössischen Kunst: Cellinis Perseus, Tribolos Flußgötter des Arno und Mugnone im Garten von Castello, Montelupos hl. Cosimus.

Varchis zweite Lektion behandelt den viel berufenen Paragove, das übliche Paradepferd der italienischen Ästhetiker vom 15. bis ins 18. Jahrhundert. Auch hier ist der Vortrag ganz schulmäßig. Den Ausgangspunkt bildet die berühmte aristotelische Definition der Kunst, die ausführlich erläutert wird. Die Gedanken bleiben völlig im alten Geleise; von einer Sonderstellung der Künste in unserem Sinne, bedingt durch die Rolle der schaffenden Phantasie, ist noch keine Rede, sie sind vielmehr noch durchwegs den Fertigkeiten im mittelalterlichen Sinne, artes mechanicae, koordiniert.

Varchi, der sich selbst als in der Malerei wenig, in der Skulptur als gar nicht erfahren bekennt, hat, um sein Problem des Paragone einer Lösung zuzuführen, zu einem echten Literatenmittel gegriffen, das, später bis zum Überdrusse verwendet, hier wohl das erste Mal auf dem Gebiete der Kunsttheorie erscheint, der Enquête (1546). Die Antworten, die er auf seine Umfrage von einer Reihe florentinischer Künstler seiner Zeit erhalten hat, liegen noch vor. Sie kommen von Malern wie Jacopo da Pontormo, Angelo Bronzino, Vasari, von Bildhauern wie Benvenuto Cellini, Tribolo, Francesco da Sangallo, endlich dem berühmten Holzintarsiator Tasso. Im einzelnen sind sie natürlich nach Temperament und Geistesanlage sehr verschieden; und gerade darin, in diesem Vergleichsmaterial, liegt der eigentliche Wert und der psychologische Reiz dieser Gutachten. Natürlich plädiert jeder wacker für die eigene erwählte Kunst, die Gemeinplätze, die page 201 wir schon von Leonardo her kennen, tauchen in der Diskussion immer wieder von neuem auf. Wie nicht anders zu erwarten, rühren die lebhaftesten und persönlichsten Antworten von den beiden Männern her, die, ohne der Schriftstellerzunft anzugehören, ihren dauernden Platz im Schrifttum Italiens erobert haben, von Benvenuto Cellini und dem jungen Vasari, der sich hier noch ganz ohne literarische Pose und Prätention gibt; er ist noch nicht der, als welcher er nach der Jahrhundertmitte erscheint, der anerkannte und berühmte Autor des großen Künstlerbuches, der neue Plutarch. Cellinis in echtem, volkstümlichem Florentinisch geschriebener Brief ist doch der lebendigste von allen. Er springt mit beiden Füßen in die Sache und nimmt sogleich eine Fechterstellung ein; die Skulptur sei siebenmal besser als die Malerei, weil sie nicht mit einer, sondern mit acht Ansichten (den zwei Haupt und den sechs Nebenansichten) zu rechnen habe. Es ist ein Bekenntnis aus der Zeit des beginnenden neuen Stils, namentlich mit dem Seitenblick auf den bequemen (und rückständigen) Meister, der sich mit den beiden Hauptansichten begnügt, das reichlichen Anspruch auf Beachtung hat. Auch die Art, wie Michelangelo als der größte Maler der alten und neuen Zeit gepriesen wird (als angiolo, wie Cellini sich wortspielend ausdrückt), ist für das Mittel aus dem Vasaris Werk (in seiner ursprünglichen Gestalt) herauswachsen wird, überaus bezeichnend, ebenso der Grund dafür, der zunächst in einer uns auch sonst wohlbekannten und lange dauernden Atelierpraxis gesucht wird: im Arbeiten des Malers nach dem kleinen plastischen Modell, nicht nach der Vorzeichnung. Der Seitenblick auf die eigentliche Farbenkunst, die Fioralisimalerei, ist echt toskanisch; dergleichen nennt Cellini mit gewohntem Temperament eine Bauernfängerei un ingannocontadini). Der Platonismus seiner Zeit hat übrigens auch auf Cellini abgefärbt; der Gemeinplatz, daß die Skulptur das Ding selbst, die Malerei nur dessen Schatten gebe, erscheint auch hier zum guten Schlusse.

Im anderen Lager steht natürlich Vasari; er ist auch darin noch ganz Maler, noch nicht Schriftsteller, daß er sich schließlich von Freund Varchi mit der anmutigen Wendung verabschiedet, er hätte ihm wahrhaftig lieber ein Bild gemalt als diesen Brief geschrieben. Sein wesentlichster Grund, die unendliche Überlegenheit der Malerei in der Darstellung des gesamten Weltphänomens mit seinem Formenreichtum, weist auf die Wege, die die neue Malerei zu wandeln sich anschickt; interessant ist seine Bemerkung, daß »heutzutage schon keine Schuhflickerbude mehr ohne eine deutsche Landschaft sei«.

Am kürzesten und nicht ohne Anmut, mit einer hübschen Anekdote von Andrea del Sarto, zieht sich der Maestro Tasso aus der Affäre; ernsthaft und farblos, mit Ausführung des platonisierenden page 202 Gemeinplatzes, den wir kennen, Tribolo. Viel anregender und von einem gewissen Humor erfüllt ist der Brief Jacopos da Pontormo, der übrigens wie andere mit einem concetto plädiert, der in der Poetik der späteren Renaissance eine bedeutende Rolle spielt, mit dem der Schwierigkeit: die Zeit der Virtuosi, die diese Schwierigkeiten und deren spielende Überwindung zur Schau zu stellen lieben, ist im Anbrechen.

Die beiden ausführlichsten, aber auch steifsten und langweiligsten Gutachten rühren von Bronzino und Sangallo her. Es sind Leute, die mit der Feder umzugehen und sich mit dem Humanistenmantel zu drapieren wissen, auch manches wohlgesetzte Zitat all'antica anbringen. Das Elaborat des Sangallo ist sehr weitschichtig, aber nicht eben klar gedacht; auch er arbeitet, doch im entgegengesetzten Sinne wie Pontormo, mit dem Kriterium des »Difficile«. Immerhin fällt auch hier manches Streiflicht auf die eigene Zeit; die Erwähnung der Kunstsnobs, die vier schlechte Medaillen gesehen und ein paar Fachausdrücke aufgeschnappt haben, dann der malenden Frauen, namentlich in Flandern und Frankreich, deren Werke auch in Italien geschätzt würden, gehört hierher. Das letztere soll natürlich wieder ein Argument gegen die »leichte« Kunst der Malerei sein, denn eine meißelführende Frau erscheint noch als etwas Unerhörtes. Freilich war auch da die Zeit nicht mehr allzu fern, wo eine Properzia de’ Rossi als ein Wunder gepriesen wurde.

In musterhafter Klarheit das Für und Wider abwägend, völlig im Ton und in der Anlage einer akademischen Abhandlung, erscheint dagegen das Gutachten Angelo Bronzinos: er ist nicht umsonst ein Cruscante gewesen. Freilich hat er uns über die alten Thesen hinaus, die er vorführt, eben nicht viel zu sagen. Es ist derselbe unpersönliche Reiz der glatten und kühlen Oberfläche wie in seinen Bildnissen vom Mediceerhof. Sein Brief scheint auch begreiflicherweise den stärksten Eindruck auf den Literaten Varchi gemacht zu haben.

Am Schlusse seines Werkchens hat dieser dann noch zwei Briefe des Michelangelo abgedruckt, in dessen einem der große alte Meister, der in die ganze Angelegenheit wohl nicht eben nach seinem Geschmacke persönlich hineingezogen wurde, das Wort ergreift. In dem zweiten, an Varchi selbst gerichteten, sagt er mit ernsten und doch für den, der die Ironie herausfühlt, deutlichen Worten, daß der ganze Streit im Grunde überflüssig und nur eine Zeitvergeudung für den Künstler sei, denen er Goethes »Bilde, Künstler, rede nicht« einschärft. Er selbst hat ja nicht mehr Zeit genug übrig und steht am Rande des Grabes. Einem Anzapfungsversuch Vasaris gegenüber hatte er sich, wie dieser in seinem Briefe an Varchi selbst berichtet, ganz anders und schärfer ausgedrückt; der Interviewer konnte nichts page 203 anderes aus ihm herausbringen als das sibyllinische Diktum: Skulptur und Malerei haben denselben Zweck, der von beiden sehr schwer erreicht werde. Man sieht förmlich das sardonische Lächeln (ghignendo) um die Mundwinkel des großen Alten, das Vasari denn auch als getreuer Berichterstatter zu melden nicht versäumt!

Einer Berühmtheit wie Varchi gegenüber, der als offizieller Redner auftrat, mußte er aber doch den literarischen guten Ton wahren. So orakelt denn der alte Danteleser, Varchis lichtvolle Darlegung (für sich wird er wohl so etwas wie den Ausdruck »gelehrte Windbeutelei«, den Justi braucht, gebrummelt haben) habe ihn seine Meinung ändern lassen: Skulptur und Malerei verhielten sich wie Sonne und Mond, und wie dieser von jener sein Licht erhalte, so sei es auch hier. Es ist das uralte mittelalterliche Gleichnis von Papst- und Kaisertum. Hier meldet sich dann jener berühmte, alte, schon bei L. B. Alberti auftauchende Concetto, der durch Michelangelos Autorität nun neues Ansehen erhielt: die Scheidung zwischen der echten eigentlichen Skulptur (im Sinne der Alten) per forza di levare (der Steinbildnerei) und der Plastik per via di porre, die der Malerei wesensverwandt sei. Borinski hat gezeigt, daß der Gedanke letzten Endes im christlichen Neuplatonismus wurzelt, also demselben Boden entwachsen ist wie Name und Begriff der Renaissance selbst (Burdach). Die Leichenrede auf Michelangelo, die wir vorwegnehmen wollen, obwohl sie über die hier behandelte Periode hinausliegt, ist im üblichen Akademiestil gehalten. Eingefügt ist ihr eine der seit langem herkömmlichen Revuen der florentinischen Kunstentwicklung; als deren krönender Gipfel erscheint natürlich der große tote Meister. Im übrigen bietet sie, kurz vor dem Erscheinen der zweiten Auflage Vasaris veröffentlicht, eben nichts Eigentümliches.

Varchi beruft sich selbst auf Vorgänger wie L. B. Alberti und Castiglione. Es ist in der Tat bezeichnend, daß das Modethema der Hochrenaissance auch in dem Brevier der vornehmen Welt dieser Zeit, das wie Giovanni della Casas Galateo bald europäischen Ruf erlangte, eben in Castigliones Cortigiano von 1527 abgehandelt wird. Nicht minder, daß einer der berühmtesten Ärzte dieser Zeit, Girolamo Cardano, es in seiner Schrift De subtilitate (1550) aufgreift, der Malerei den Vorzug gebend. Noch im folgenden Jahrhundert hat dann der große Galilei in einem Briefe an den Maler Cigoli (1612) in diesem Streite das Wort ergriffen. Der Traktat, den Giovanni della Casa († 1556) nach Vasaris Aussage der Kunst der Malerei widmen wollte, ist sicher nicht daran vorbeigegangen, wenigstens läßt die Notiz, daß er sich zur Erläuterung seiner Theorien von Daniele da Volterra das Tonmodell eines David herstellen und dieses dann in Vorder- und Rückenansicht auf eine Tafel malen ließ, kaum anders auffassen; die page 204 cosa capricciosa, von der Vasari spricht, ist dann eben wieder der sattsam bekannte Paragone. Bei Paolo Pino werden wir sogleich Ähnliches finden.

Verloren ist ein Traktat über Anatomie, der nach Vasaris Zeugnis (er will noch Zeichnungen daraus besessen haben) von dem Sartoschüler Rosso il Fiorentino († 1541 in Frankreich) herrührte. In den Tafeln des ältesten französischen Anatomiewerkes von Estienne (De dissectione corporis humani, Paris 1545) hat man ihn wiederzufinden geglaubt, doch ist nur ein von einem Schüler Rossos, Domenico del Barbiere gestochenes Blatt allenfalls damit in Verbindung zu bringen.

Francesco Lancilottis Traktat ist in erster, überaus seltener Ausgabe anonym (bei Giacomo Mazochi?) zu Rom 1509 gedruckt worden (Tractato di pictura composto per Francesco Lancilotti fiorentino allo nobile e magnifico Francesco Tomasi, Impressum Romae A. D. 1509 adì 26 de zugno). Die Terzinen wurden in Bottari-Ticozzis Lettere pittoriche VI, 268 ff. zuerst allgemein zugänglich gemacht. Eine eingehend kommentierte Ausgabe unter dem Titel: »Fr. Lancilotti pittor fiorentino, Trattato di pittura da rarissima stampa con nuova impressione, con prefazione, facsimile e bibliografia Mazocchiana ed annotazioni da F. Raffaelli« (Recanati), 1885, 4°. Die Medaille auf L., die auf der Vorderseite sein Porträt mit Umschrift, auf der Rückseite sein Reiterbild in Condottierenrüstung zeigt, bei Armand, Médailleurs italiens II, 50, no. 10.

Ben. Varchi, Due lezioni sopra la pittura e scultura. Erste Ausgabe (mit Vorrede 1546), Florenz 1549. Abgedruckt in den späteren Aasgaben, z. B. Mailand 1834 (»Biblioteca enciclopedica Italiana«, vol. 38). Varchis »Discorso della bellezza e della grazia«, der noch tiefer in die Renaissanceästhetik führt, ebenda. Die Lezione über den Paragone kam noch im 18. Jahrhundert in einer spanischen Übersetzung von de Castro, Madrid 1763, heraus. Die Leichenrede: »Orazione funerale fatta e recitata di lui pubblicamente nelle esequie di M. Angelo Buonarroti in Firenze nella chiesa di S. Lorenzo« ist bei den Giunti, Florenz 1564, in 4° gedruckt worden (Auszug von Ilg hinter Valdecke, Übersetzung von Condivis Michelangelobibliographie in Eitelbergers Quellenschriften VI).

Die Briefe der Künstler, die Varchi auf seine Umfrage erhielt, sind (zum Teile unter der irrtümlichen Adresse an Cellini) in Bottari-Ticozzis Lettere pittoriche I, 17 ff., die meisten in deutscher Übersetzung auch in Guhl-Rosenbergs »Künstlerbriefen« I, 152 f., 249 f., 289 f. abgedruckt.

Über Varchi: Manacorda, B. V. l’uomo, il poeta, il critico, Pisa 1903. Über sein Verhältnis zu M. Angelo selbst u. a. Justi, Michelangelo 363 f. Über das Problem des Paragone besonders lehrreich Borinski, Die Antike in Poetik und Kunsttheorie I, 168 ff. Ausführlich über Varchi und diese ganze Literatur der italienischen Renaissance (mit Auszügen) Carlo Milanesi in seiner Einleitung zu Cellinis »Trattati dell’orificeria e della scultura«, Florenz 1857, p. XX—XXXV.

Castigliones Cortigiano, Ed. princ., Venedig 1527, N. A. von Rigutini, Florenz 1892, behandelt in B. I, cap. 50—53 den Paragone, vgl. Ranftl, Über die Kunstanschauungen in B. Castigliones Cortigiano, Jahresbericht des fürsterzbischöflichen Gymnasiums am Knabenseminar in Graz 1907. G. Cardanus, De subtilitate 1. XVII. Über Gio. della Casas Traktat: Vasari im Leben des Daniele da Volterra, ed. Milanesi VII, 61: Avendo monsignor messer Giovanni della Casa ... cominciato a scrivere un trattato delle cose di pittura e volendo chiarirsi d’ alcune minuzie e particolari dagli uomini della professione, fece fare a Daniello il modello d’un Davit di terra finito; e dopo gli fece dipingere, o vero ritrarre in un quadro il medesimo Davit, che è. bellissimo, da tutte due le bande, cioè il dinanzi e il dietro, che fu cosa capricciosa.

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Das Büchlein des Mario Equicola, Instituzioni al comporre in ogni sorte di rima ... con uno eruditissimo discorso della pittura, Mailand 1541 (und Venedig 1555). sowie die Discorsi del reverendo Monsignor Francisco Patritij Sanese Vescovo Gaiettano (übersetzt von Gio. Fabrini, Venedig, bei Aldus 1545. Buch II. cap. 9. Dell’ architettura e degli inventori suoi; cap. 10 Della Pittura, Scultura e degli inventori loro, et chi in quelle fu eccellente) enthalten nur die üblichen Gemeinplätze und Anekdoten aus dem klassischen Altertum.

Über Rossos Anatomielehre vgl. Vasari (ed. Milanesi V, 171): fece appresso un libro di notomia, per farlo stampare in Francia, del qule sono alcuni pezzi di sua mano nel nostro Libro de’ disegni. Weiteres bei Mathieu-Duval und Cuyer, Histoire de l’anatomie plastique. Paris (1898), p. 89.

II. Oberitalienische Theoretiker.

Sie als eigene Gruppe zu betrachten, hat innere Berechtigung; ihr Kunstgebiet stellt sich dem mittel- und süditalischen trotz aller Zusammenhänge ebenso gesondert, häufig gegensätzlich gegenüber wie das kontinentale dem peninsularen Italien überhaupt, geographisch so gut als historisch betrachtet. In den venetischen Umkreis, vor allem nach Padua führt uns schon, trotz der südlichen Herkunft des Verfassers, eine sehr bedeutende Schrift.

Zwei Menschenalter nach L. B. Alberti hat nämlich wieder ein künstlerisch gebildeter Humanist, ihm in manchen Stücken nicht unähnlich, die Theorie der Plastik behandelt: Pomponius Gauricus aus Neapel, dessen Schrift De sculptura zuerst in Florenz 1504 gedruckt wurde und wohl weniger ihres klassischen Gegenstandes halber, als der eleganten Gelehrsamkeit, die in ihr, in der Gelehrtensprache, entwickelt wurde, große Verbreitung gefunden hat. Merkwürdigerweise nicht in ihrem Mutterlande — dort war die Wirkung beschränkt und dort ist sie auch nicht mehr aufgelegt worden —, wohl aber im Norden, in Deutschland und den Niederlanden, wo sie von 1528 bis zu Gronovs Thesaurus von 1701 eine Reihe von Auflagen erlebt hat; auch den modernen Neudruck hat ein deutscher Gelehrter besorgt.

Gauricus ist um 1482 in Salerno geboren, ein frühreifes Talent also (was sich schon aus dem Datum seines Hauptwerkes ergibt), wie ein Komet auftauchend und wieder verschwindend. Sein Ende ist von romanhaften Schauern umwittert; in einen Liebeshandel, wie es scheint, mit einer hochstehenden Dame in Neapel verwickelt, ist er 1530 auf auf einer Fahrt nach Castellamare verschwunden, ohne daß jemals eine Spur von ihm gefunden worden wäre. Gleich L. B. Alberti, an dessen geistige Potenzen er allerdings nirgends heranreicht, war er page 206 von einem fiebernden Streben nach Universalität erfüllt, Dichter, Humanist, Professor der Philologie an der Universität Neapel, ein guter Kenner des Griechischen, mit dem er gern und oft prunkt, Autodidakt in der Bildnerei; er selbst nennt uns eine Anzahl von eigenen Werken, die aber längst verschollen sind. Schon die Zeitgenossen erkannten die Schwächen des Mannes, so Giovio, der seine Zersplitterung hervorhebt.

Das halb künstlerische, halb gelehrte ambiente des Gauricus und seiner Schrift ist ebenso bezeichnend für den Mann wie für seine Zeit. Sein Bruder Lukas ist ein berühmter Mathematiker, also ein Vertreter jenes Faches, das für die Theorie der Bildkunst längst so wichtig geworden war, unter anderem auch Herausgeber der alten »Persfiectiva communis« des Johannes Peckham, die noch bis ins 16. Jahrhundert hinein studiert wurde. Das Buch des Pomponius, in Gesprächsform abgefaßt, spielt auf dem Boden der alten gelehrten Universitätsstadt Padua. Zwei Gelehrte sind die Protagonisten: der Philolog Regius, Kommentator des (von Gauricus stark benützten) Quintilian, und Leonicus Tomeus, der erste, der in Padua den Aristoteles im Urtext ausgelegt hat. Gerade dieser ist eine sehr charakteristische Figur. Seine reiche Kunstsammlung ist bei M. A. Michiel beschrieben; sie enthält neben Antiken solch merkwürdige Stücke wie ein Jagdbild des Jan von Eyck und die berühmte, jetzt im Vatikan befindliche Josuarolle. An den gelehrten Kunstmäzen ist auch jener Brief des Girolamo Campagnola über die alten paduanischen Maler gerichtet, dessen schon früher (im Buch III) gedacht wurde, der zu den Quellen Michiels wie Vasaris gehört und die historischen Interessen des Empfängers bezeugt. Auch mit Künstlern in Venedig und Padua hatte Gauricus, wie aus seinen Äußerungen hervorgeht, Umgang, so mit Tullio Lombardo und Severo von Ravenna.

Solche Verbindung von Gelehrtentum und Künstlerschaft gibt, ähnlich wie bei L. B. Alberti, dem Werke sein Gepräge. Der schwülstig antikisierende Vortrag ist reichlichst mit griechischen Floskeln durchspickt; so nennt er sein Bildhauerstudio in Padua hochtönend, ἀγαλματούριον'. Übrigens erinnert man sich, daß gerade die Künstler dieses venezianisch-paduanischen Mittels auffallend viel und gern mit gelehrtem Flitter prunken; die griechischen Inschriften bei Mantegna, des Medailleurs Boldù, des Bildhauers Simone Bianco geben einige Beispiele von vielen.

Gauricus benützt auch, fast möchte man sagen ostentativ, griechische Quellen. Philostrat und Pausanias erscheinen bei ihm, wohl das erste Mal in der Kunstliteratur. Daneben werden selbstverständlich Vitruv (dem er unter anderem das Kapitel über den Einfluß von Nationalität und Rasse auf die Physiognomie entnommen hat) und page 207 Plinius fleißig ausgebeutet. L. B. Albertis Schriften scheint er dagegen nicht gekannt zu haben, noch weniger Leonardo, dessen Abendmahl er jedoch erwähnt.

Diese humanistische Ziererei des Autors zeigt sich vor allem in der verzwickten griechischen Terminologie, in die er seine Begriffsbestimmungen und Einteilungen der Plastik zwängt, ebenso in den durchgehenden literarischen Vergleichen, bei denen besonders Virgil herhalten muß. Wichtig für die beginnende Ästhetik der Renaissance ist die ausdrückliche Berufung auf die antike Rhetorik, besonders in den Kategorien seiner Optik; hier schließt er sich an ein vielgelesenes und nachgeahmtes Lehrbuch, die »Ideen« des Hermagoras an.

Der Gedankengang ist oft rein literatenmäßig, in einer Weise, die von weitem an Lessings Laokoon und dessen exoterische, nicht von der Anschauung, sondern dem Begriffe beherrschte Stellung zur Bildkunst erinnert; namentlich gilt das von Gauricus’ merkwürdiger Darstellung der Lehre vom »prägnanten Moment«, seiner Empfehlung solcher Bewegungsmotive, die klar erkennen lassen, welche Stellung vorausging und welche nachfolgen wird. Die Beispiele dafür sind jedoch durchaus der Poesie entnommen, die Sache selbst wurzelt in antiker Tradition.

Gauricus will sich auf die Darstellung der nach seiner Ansicht schwierigsten Technik, der Bildnerei in Erz, beschränken; auch hier spielt wohl das paduanische Mittel mit seiner berühmten, durch Donatello begründeten Gießerwerkstatt mit, deren Wurzeln freilich in der Technik der Glocken- und Stückgießer des mittelalterlichen Venedig zu suchen sind. Auch hier gibt Gauricus wieder ein schulmäßiges Kategorienwesen, das sicher auf die alte Rhetorik, namentlich den ungemein einflußreichen Quintilianus zurückgeht. Die Theorie der Bronzebildnerei enthält zwei Hauptteile: die ἀγωγιϰή (ductoria), d. i. die Herstellung des Wachs- oder Tonmodells, und die χημιϰή die sich mit der eigentlichen Gußtechnik befaßt. Der erste zerfällt wieder in die γραϕιϰή (designatio) und die ψνχιϰή (animatio). Die erste, hinter der augenscheinlich der bekannte, zu immer größerer Bedeutung gelangende Terminus des Disegno als der Grundlage aller Bildkunst steckt, scheidet sich weiters in die σνμμετρία, Ciceros commensuratio, wie Gauricus selbst bemerkt, d. h. die Proportionslehre mit ihrem Anhängsel, der Physiognomik, und die ὀπτιϰή, die Lehre von der Perspektive umfassend. Die zweite, die Psychike, die im allgemeinen jener Kategorie entspricht, die man allmählich mit dem alten Schulausdruck Inventio bezeichnet, ruht namentlich auf der μίμησις und umfaßt die Lehre vom Ausdruck und der Anordnung. Die Chemike endlich ist gegenüber diesem vorwiegend theoretischen Teil eine Ergänzung wesentlich praktischer Natur.

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Merkwürdig und den humanistischen Charakter des Buches scharf beleuchtend ist der ausgesprochene Platonismus, der namentlich in der Lehre von den Proportionen heraustritt. Auf den vielberufenen Timaeus, aber auch auf andere Schriften Platos wird ausdrücklich Bezug genommen; man darf eben nicht vergessen, daß Plato schon im Quattrocento durch die Bemühungen des Marsilio Ficino in der italienischen Literatur eingebürgert worden war. Wenn Gauricus die Harmonie der Körpermaße mit ausdrücklichem Hinweise auf die Musik behandelt, wenn er die Dreiteilung des Gesichtes (Stirn-, Nasen-, Mundpartie) bespricht und sie mit den drei Ideen des Wahren, Schönen und Guten (sapientia, pulchritudo, bonitas) zusammenbringt, so ist der Zusammenhang mit der platonischen Spekulation deutlich genug, mag auch manches davon schon im Mittelalter gelegentlich aufflattern. Jedenfalls spielt jene berühmte und berüchtigte Trimurti hier zum ersten Male ihre Rolle in der Kunstliteratur.

Über die Proportionen des Kindes will Gauricus ein eigenes Buch schreiben, wie der junge Autor, das altkluge Wesen des ebenso frühreifen L. B. Alberti wiederholend, naiv sachlich bemerkt, »wenn seine Schwester ein Kind bekomme«. Es geht hier um Überlegungen, die gleichzeitig auch Leonardo in Mailand, etwas später Dürer in Nürnberg beschäftigen; schon früher wurde betont, wie lange die Darstellung des Kindes in den Proportionen des Erwachsenen befangen blieb und wie in antiker so gut wie in neuerer Kunst das Kind als letztes nach Mann und Weib in die naturalistische Beherrschung des Menschenkörpers eingeht. Ebenso ist ein Zeugnis der Hochrenaissance die Aufmerksamkeit auf die überlebensgroße Statue, die freilich besonders in der florentinischen Plastik schon eine lange Geschichte hat, jetzt aber immer bedeutender hervortritt. Auch der Koloß des Gauricus hat nicht mehr die immerhin bescheidenen Maße der überlebensgroßen Statuen älterer Zeit, etwa am Florentiner Dom oder an Orsanmichele (4—5 florentinische Braccien zu zirka 58 cm), sondern dreifache Lebensgröße (etwa 9 Ellen) wie Michelangelos David. Bei Cellini kommen diese Maße schon nur mehr den »mittleren« (colossi mezzani, Della Scult. 7) zu und das Barock ist hier vollends bis an die Grenze des Möglichen gegangen.

Das angehängte ausführliche Kapitel über Physiognomik umfaßt ein Thema, das in der späteren Renaissance, so in dem vielgelesenen Werke des Porta, gern und oft behandelt worden ist. Gegen die voreiligen Schlüsse auf den menschlichen Charakter hat schon Leonardo — wie später Lichtenberg contra Lavater — protestiert. Auch hier schöpft Gauricus reichlich aus antiken Quellen (Pseudo Aristoteles u. a.); daher stammt sicherlich die Charakteristik page 209 der Rassen (bei Brockhaus p. 156); stellenweise klingt sie an den Passus Vitruvs in dessen VI. Buch an.

Über die Perspektive, namentlich die in Oberitalien seit Foppa geübte, von der strengeren, mathematisch formulierten der Toskaner verschiedene Praxis bringt Gauricus wichtige Mitteilungen; Brockhaus hat in seiner trefflichen Einleitung diesen Punkt mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt.

Zu den wichtigsten Teilen der Schrift gehören aber, trotz des pedantischen und nicht immer leicht verständlichen Schulmeistertones, die Kapitel über die Technik des Bronzegusses, über die wir sonst aus so früher Zeit, vor Vasari und Cellini, nur höchst dürftige Angaben besitzen, zumal die früher erwähnte Schrift eines sonst unbekannten Neapolitaners Pandoni verschollen ist. Ob sie Gauricus Vorgelegen hat? wir haben freilich keinen andern Anhaltspunkt dafür, als daß er selbst aus Süditalien stammt. Da aber seine Notizen auf das bedeutendste Gießerzentrum, das nach Ghibertis Florentiner Werkstatt in Italien entstanden war, eben Padua, zurückweisen dürften, so ist ihr Wert nicht gering anzuschlagen. In diesem Umkreise bringt denn Gauricus auch recht beachtenswerte Nachrichten über Donatello und seine Paduaner Schüler, dann über die Lombardi, über G. Mazzoni und Mantegna; übrigens erwähnt er auch aus seiner süditalienischen Heimat den Koloß des sogenannten Heraklius in Barletta. Seine Kunsturteile sind merkwürdig genug; wie Leonardo steht er der naturalistischen Weise der älteren Generation als Vorkämpfer des großen Stils des Cinquecento gegenüber; das Pferd des Colleoni tadelt er z. B. als allzu peinliche Anatomiestudie; ein andermal lehnt er die übertriebene Muskelmanier eines Cristoforo Solari ab und gegen Bellano fällt — nicht ganz unbegründet — das harte Wort: ineptus artifex.

Vor der Jahrhundertmitte, die auf unserem Gebiete durch Vasaris Viten die stärkste Zäsur bedeutet, sind ferner ein paar Schriften entstanden, deren hier gedacht werden muß. Daß es sich bei ihren Verfassern vorwiegend um Zugewanderte, nicht Einheimische handelt, die sich aber völlig in die neue Heimat eingelebt haben, ist wieder sehr bezeichnend für dieses Mittel und seine Anziehungskraft, aber auch für seinen Zusammenhang mit dem Süden. Ist doch der hervorragendste Bildner und Baumeister der venezianischen Hochrenaissance, Jacopo Sansovino, ein Toskaner gewesen und in der eigentümlichen Mischung der beiden nationalen Elemente liegt seine reizvolle Originalität; und sein Landsmann ist jener Pietro Aretino, der nirgends anders existieren konnte, so wie er einmal war, als eben hier. Seinen Namen setzt in der folgenden Periode Lodovico Dolce auf den Titel eines Kunstdialoges. Gleich diesen ein Toskaner und ein echter Humanist ist der vielgeschäftige Doni, von dem gleich die Rede sein wird.

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Vielleicht auch kein Einheimischer, sondern möglicherweise wie Gauricus dem Süden entstammend ist ein im übrigen ziemlich obskurer Maler Paolo Pino, dessen Dialog von der Malerei 1548 in Venedig zur Ausgabe gelangte. Wenigstens berichtet er darin, daß er mit Antonello da Messina zusammen gearbeitet habe. Möglich, daß ihn dieser, wie die von Hackert herausgegebenen Memorie de’ pittori Messinesi annehmen, wirklich aus Sizilien nach Venedig mitgebracht hat; sein Zeitgenosse Francesco Sansovino nennt ihn auch in seiner Venezia descritta geradezu Pino da Messina. Anderseits erklärt er selbst sich für einen Schüler des Savoldo (der hier unter seinem in Venedig üblichen Namen Girolamo Bresciano erscheint); auch weist seine Schrift venezianische Dialektformen auf, die freilich angenommen sein können. Jedenfalls ist, was von seiner Tätigkeit überliefert ist, auf venetisches Gebiet beschränkt. Bezeichnete Werke von ihm kennen Sansovino, Federici und Moschini in Venedig, Noale und Padua; ein von 1534 datiertes und bezeichnetes Bild ist in Chambéry (Arch. Stor. dell' arte IV, 1891, 45). In Donis »Disegno« werden wir ihn endlich als Zwischenredner wiederfinden, so daß er also als eine in den künstlerischen Kreisen Venedigs nicht unbekannte Persönlichkeit zu gelten hat.

Tatsächlich ist sein Dialog auch durchaus vom venezianischen Mittel bestimmt; schon die Art, wie er die beiden Protagonisten aus einer Damengesellschaft kommen und am Schlusse wieder dahin zurückkehren läßt, ist dafür bezeichnend. Freilich hindert das nicht, daß im Verlaufe des Gespräches recht scharfe Äußerungen gegen die malenden Frauen des Cinquecento laut werden. Den Ausgangspunkt bildet auch ein Thema, das in dieser Zeit in eigenen Schriften (Niphus u. a.) viel debattiert wurde: die Frauenschönheit, und das hier entworfene Idealbild, dessen Züge schon in der Hypnerotomachia umrissen wurden, entspricht auch tatsächlich dem in der venezianischen Kunst, etwa von Cima und den Lombardi an bis zu Palma Vecchio und Tizian herab ausgebildeten Typus. Es sind zwei Maler, deren Unterhaltung wir belauschen, ein Venezianer Lauro, nicht übel gezeichnet, witzig und etwas frivol, und ein ernsterer und etwas pedantischer Forestiere Fabio, wie sich später herausstellt, ein Florentiner. Schon in dieser Gegensätzlichkeit der Personen liegt eine gewisse Pikanterie; tatsächlich ist das Gespräch auch die früheste Auseinandersetzung zwischen der »lombardischen« und der orthodoxen Kunstanschauung Mittelitaliens.

Nach dieser ästhetisierenden Einleitung folgt die Erörterung der Theorie der Malerei, nach den bereits wohlbekannten ständigen Kategorien Disegno, Invenzione, Colorito. Merkwürdig ist, wie schon Anschauungen und Kunstausdrücke des Manierismus durchbrechen; das difficile wird auch hier mit Nachdruck hervorgehoben, wenigstens eine figura tutta sforciata, misteriosa o difficile sei anzubringen, page 211 um den Maler dem Kenner gegenüber als valente (= virtuoso) zu erweisen. Echt venezianisch ist es aber wieder, wenn die Ölmalerei im Range über das Fresko gestellt wird. Pino überliefert manches nicht uninteressante technische Detail, spricht unter anderem über die beste Atelierbeleuchtung mit hoch angebrachtem, nach Osten liegendem Fenster, verwirft den Malerstock, die bacchetta, die auch die Alten niemals gebraucht hätten. Der Ausdruck Arabeske der schon in der Hypnerotomachia anklingt, erscheint hier bereits im Atelierjargon eingebürgert. Über die Lebenshaltung des Malers verlautet manches, das wieder für die Zeit und den Ort charakteristisch ist. Der Maler soll auf seine äußere Erscheinung achten, nicht mit farbenbeklecksten Kitteln und Händen einhergehen, sondern in Gewändern, die più disegno, zugleich aber eine gewisse Würde haben, Parfüms verwenden, namentlich als Porträtmaler witzig und unterhaltend sich erweisen, vor allem auch — es naht die Gegenreformation! — ein guter Katholik sein. Schon in einem früheren Abschnitte des Dialogs hat sich Lauro gegen den Verdacht des Luthertums kräftigst gewehrt. Wie im konservativen Venedig alte Bräuche länger haften denn anderswo, so kann sich der Forestiere Fabio nicht genug wundern, daß die Maler in Venedig sogar Möbel (sedili) zur Verzierung übernehmen, was bei ihm zu Hause eine Schande sei. Kurz vorher sind verächtliche Worte über den »Schmierer« Andrea Schiavoni gefallen; die Kluft zwischen hoher Kunst und Handwerk wird immer größer. Was Lauro zur Verteidigung ein wendet, die Kunst gehe eben nach Brot und die Produktion sei in Venedig so übergroß, daß jedes Haus seinen Maler habe und selbst ein Tizian kaum anständige Preise erziele, ist auch nicht ganz ohne Wichtigkeit. Schon wird ausdrücklich gefordert, der Maler solle in die wichtigsten Länder gehen, um seinen Ruf (als pittore vago) zu verbreiten; die Zeit der reisenden Virtuosen beginnt, wo dergleichen etwas ganz anderes bedeutet als bei dem Maler alter Zeit, der nach Handwerksbrauch reiste. Gegen die alte Generation ist man überhaupt schon recht hochmütig geworden; die übermäßige Sorgfalt im Vorbereiten der Tafel, das Untermalen im Chiaroscuro, wie es noch Giovanni Bellini übte, wird als unnütze Plackerei verworfen, da ja doch alles mit Farbe zugedeckt werde, ebenso altmodische Behelfe wie der von L. B. Alberti erfundene velo, als cosa inscepida e di poca construttione. Aber auch ein Zeitgenosse wie der Tizianschüler Sante Zago kommt eben nicht gut weg; eine Fassadenmalerei von ihm wird hart getadelt, weil sie trotz allen antikischen Aufwandes arm und leer in der Erfindung sei. An Anekdoten aller Art ist natürlich kein Mangel, von den alten und immer wieder neu erzählten Täuschungsgeschichten an, wie denn Lauro angeblich aus eigener Praxis von einem gefoppten Truthahn zu erzählen weiß. Nicht page 212 ohne psychologisches Interesse ist die aus des Verfassers eigener Erfahrung mitgeteilte von dem Bildnis eines Mädchens, dessen Mutter sich über den Schatten unter der Nase als vermeintlichen Schönheitsfehler ereifert; ein ähnliches Geschichtchen erzählen übrigens die alten Guiden Ferraras von einem Bilde des Carlo Bononi (Barotti, Guida di Ferrara 86). Die alte und immer neue Klage über das rückständige Laienurteil ertönt auch hier; neue Probleme wie schwierige Verkürzungen u. dgl. würden gar nicht verstanden, sondern getadelt, da chi non sa insin dove l'arte nostra s'estende. Die Leute erkennen auf der Tafel nicht, was sie in Wirklichkeit vor Augen haben; das habe Pinos Lehrmeister, der (damals noch lebende) Savoldo selbst an sich erfahren, der weit unter Verdienst geschätzt, wenig Aufträge erhielt und nur durch eine Pension des letzten Herzogs von Mailand vor Mangel geschützt wurde.

Von noch lebenden Malern wird Tintoretto schon mit Auszeichnung genannt, auch Vasari, auf dessen biographisches Werk, in ganz Italien mit Spannung erwartet, bereits hingewiesen wird, besonders aber der junge Bronzino, von dem sein Landsmann Fabio prophezeit, er würde der vollendetste Kolorist werden, falls er auf dem von ihm eingeschlagenen Wege weiter fortschreite. Lauro erwidert darauf, Tizian stehe ihm höher, und wenn Michelangelo und Tizian (die schon vorher dei mortali genannt wurden) ein Körper wären, d. h. die Zeichnung Michelangelos mit der Farbe Tizians verbunden sein konnte, so wäre der dio della pittura ins Leben getreten; wer andere Meinung habe, sei ein stinkender Ketzer. Ein eklektisches Programm ist hier angedeutet, das später in der Kunst Venedigs zu praktischer Bedeutung gelangt ist.

Von Giorgione wird eine merkwürdige Anekdote erzählt, die mit dem uns nun schon sattsam bekannten Modethema des Paragone verknüpft ist. Sie muß sehr populär gewesen sein, denn auch Vasari hat sie (und zwar ist er allem Anscheine nach hier nicht abhängig von seinem Vorgänger) sogar zweifach in seine Ausgabe von 1568 eingefügt, einmal kürzer in dem Proemio des Gesamtwerkes (Ed. Mil. I, 101), das zweite Mal ausführlicher und in seiner Weise pragmatisch verknüpft im Leben der Giorgione (IV, 98, es ist dort von einem nudo die Rede). Giorgione hat nach Pinos Bericht nämlich zur »ewigen Beschämung der Bildhauer« einen heiligen Georg derart dargestellt, daß die Figur sich verkürzt in einer Quelle abspiegelte und außerdem noch in angelehnten Spiegeln, also von allen Seiten her, sichtbar wurde: damit sollte in einer uns naiv anmutenden Weise bewiesen werden, daß die Malerei gleichzeitig alle Ansichten wiedergeben könne, was ihrer Nebenbuhlerin trotz ihrer prätendierten Körperlichkeit nicht möglich sei.

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Sehr bezeichnend für das venezianische Mittel und den einstigen Gehilfen des Antonello ist endlich die hohe Schätzung, die hier noch der altniederländischen Landschaft zuteil wird, deren stark hervorgehobene salvatichezza seit jeher einen starken exotischen Reiz auf das ganz anders eingestellte italienische Empfinden ausgelöst hat. Zur selben Zeit macht sich Francisco d’Hollanda trotz und vielleicht gerade wegen seiner nordischen Herkunft zum Sprachrohr des erwachenden Manierismus und verweist sie in die Rumpelkammer. Hier wird sie noch, zumal wegen ihrer Fernsichten (lontani), ernstlich zum Studium empfohlen, obwohl die italienische Landschaft, der »Garten der Welt«, weit die Heimat der Flandrer übertreffe; merkwürdig ist die Äußerung, daß jene indessen cosa più dilettevole da vedere che da pignere sei. Immerhin habe Tizians Landschaft bewiesen, welcher Zauber ihr innewohne. Hier findet Pino Gelegenheit, wieder von seinem Meister Savoldo zu sprechen, dessen atmosphärische Effekte, die wir noch auf der wundervollen Weihnachtsdarstellung in S. Giobbe bewundern, mit vollem Rechte hervorgehoben werden. Es ist eben ein Gebiet, auf dem die Niederlande des Nordens und des Südens ihre Wesensähnlichkeit offenbaren.

Die Schätzung der nordischen Kunst beschränkt sich nicht auf die Niederländer allein. Neben seinen italienischen Quellen Alberti und Gauricus nennt Pino ausdrücklich Dürers Unterweisung mit hohem Lob als Quelle, zum ersten Male in der italienischen Literatur, von der Stelle aus, die dem deutschen Meister die stärksten und entscheidendsten Anregungen gegeben hat. Dürers Buch selbst hat ja seinen zweifellosen und unverkennbaren Zusammenhang namentlich mit der oberitalienischen Kunsttheorie und bürgerte sich rasch in Italien ein.

Im Gegensatze zu Pinos mit anerkennenswerter Geschicklichkeit geschriebenem, munterem und witzigem Dialoge steht eine andere nur wenig später in Venedig gedruckte Schrift, ein schwerfälliges und ungeschicktes Machwerk. Es ist der Traktat Della nobilissima pittura (Ven. 1549), von Michelangelo Biondo. Der Verfasser ist ein gebürtiger Venezianer, der aber in Rom gelebt hat und dort 1570 verstorben ist; er gehört jener Kaste schriftstellernder Medikaster an, die seit jenen Tagen die Literatur unsicher machen. Er hat über alles Mögliche, über Medizin, Physiognomik, Astrologie geschrieben, auch einen Katalog der berühmtesten römischen Kurtisanen besorgt; charakteristisch für den Bettelliteraten ist übrigens die sentimentale Schlußklausel seines Werkchens, datiert dalla casuppola del Biondo nel tempo della rinovazione dei suoi martirj, aber auch der bombastische Titel und die Widmung an alle »Maler von Europa«, Im übrigen ist es ein recht elendes Machwerk, trotz Ilgs (der es page 214 ziemlich überflüssigerweise in unser geliebtes Deutsch übertragen hat) Verteidigung aus allen Ecken und Enden zusammengestohlen, obwohl der Autor seine Originalität (wie übrigens auch Pino) sehr großmäulig herausstreicht. Originell ist nur, daß er sich als begeisterten Verehrer des Meeres erklärt, an dem er geboren ist, und daß er sich als Belohnung für sein Werk einen guten Maler wünscht, der die See darstellte, ein echter Literatenwunsch, der auch im Venedig der alten Zeit niemals Erfüllung gefunden hat. Dagegen ist die Vision der Malerei mit dem Protest gegen ihre Einreihung als ars mechanica aus den uns schon bekannten Terzinen Lancilottis von 1509 übernommen; das Thema selbst schreibt sich ja aus dem Altertum her, aus Lukians Traum und der noch einflußreicheren Vision in Boethius vielgelesenem Trostbüchlein. Über römische Kunstzustände verlautet mehr als über die venezianische Heimat des Autors; er bringt einige historische Notizen über die Raffaelschüler, über Francesco Salviati, über Parmegianino und Pordenone, auch jenen Maler Bologna (Tommaso Vincidori), der in den Niederlanden eine Bekanntschaft Dürers wurde; wie es im übrigen mit Biondos Sachkenntnis bestellt ist, zeigt der Umstand, daß er Lionardos berühmtes Abendmahl für ein Werk des Mantegna ausgibt. Von Lionardo selbst weiß er fast gar nichts mehr. Auf ziemlich nichtsnutzige technische Rezepte folgt endlich der Teil des Buches, der noch der wertvollste sein könnte, wäre er nicht so wüst und wirr und verriete er nicht bei dem Manne, der sich doch für einen »Kenner« ausgibt, den gänzlichen Mangel an bildkünstlerischer Anschauung. Das ist die Beschreibung von zehn »Gemälden«, die als Malerprogramme gedacht sind, und auf die die Gemälde des Philostrat — schon seit Beginn des Jahrhunderts durch den Druck zugänglich gemacht — wohl nicht ohne Einfluß geblieben sind. Nur wenige Jahre später (1564) hat der gleich ausführlicher zu besprechende Doni seine »Pitture« herausgegeben, Erneuerungen der Themen, die in Petrarcas »Trionfi« behandelt worden waren. Unbegreiflich bleibt es, wie der deutsche Übersetzer Biondos aber auf den Gedanken geraten konnte, diese wüsten Phantasmagorien mit der allegorischen Kunst des alten Bellini zusammenzubringen. Vielmehr verrät sich in ihnen, wie es ja auf der Hand liegt, die Verwandtschaft mit dem Manierismus der Vasarizeit und seiner Freude an Hieroglyphen und sonstigem symbolischen Rätselkram. Die Gegenstände sind kurz folgende: 1. Das Chaos und die Erschaffung der Welt. 2. Das Universum, ein aberwitziger Brei neuplatonischer Allegorien. 3. Eine mappa mundi, mythologisch staffiert. 4. Hermes Trismegistos, der Großmeister aller Geheimlehre, mit einem Gefolge wüster Geschichten von Bacchus in Ägypten, Narziß, Thisbe, Kadmos u. s. w. 5. Die berühmtesten Ärzte der Antike. 6. Geschichten von Verrätern. page 215 7. Allegorie der menschlichen Schicksale, das Schiff im Meeressturm, ein Thema, das in dieser Zeit, z. B. auf deutschen Plaketten, vorkommt. 8. Allegorie des Unrechtes auf Erden, ein Thema, das schon das Trecento in seiner Art behandelt hatte. 9. Berühmte Frauen unter dem Bilde venezianischer Schönheiten. 10. Synopsis der Evangelien. Es ist die tollgewordene Scholastik des Mittelalters.

Dergleichen Dinge stehen jedoch in dieser Zeit keineswegs vereinzelt da. Das bezeichnendste Beispiel bietet das famose »Theater« des Giulio Camillo (Delminio) aus dem (durch Nievos Memorie d'un ottuagenario berühmt gewordenen) friaulischen Städtchen Portogruaro (um 1480—1544). Es ist schwer zu sagen, ob der Mann ein Faselhans oder ein Schwindler war; wahrscheinlich war er, wie das gewöhnlich der Fall ist, beides zugleich. Er hat zu seiner Zeit aber großes Aufsehen gemacht, kam an den Hof Franz’ I. nach Frankreich und soll dort an hölzernen Maschinen sein Wundertheater expliziert haben. Bekannt ist es uns aus seinem literarischen Programm L'idea del teatro, des posthum zuerst in einem hübschen, bei Vasaris Verleger Torrentino in Florenz 1550 gedruckten Büchlein erschienen ist. Von wüster kabbalistischer und mythologischer Gelehrsamkeit erfüllt, soll es das ganze Universum, nach den sieben Planeten geordnet, in einem architektonischen Aufbau darstellen, nach seinen eigenen Worten: »dovean essere per lochi et imagini disposti tutti quei luoghi, che posson bastare a tener collocati, et ministrar tutti gli humani concetti, tutte le cose, che sono in tutto il mondo, non pur quelle, che si appartengono alle scienze tutte et alle arti nobili et meccaniche«. Die allegorischen Schreinerarchitekturen des 16. und 17. Jahrhunderts kündigen sich hier an. Die Sache fand in dem zum Mysteriösen und Künstlichen geneigten, am Allegorischen und Hieroglyphenwesen reichlich Geschmack findenden Zeitalter eine uns fast unverständlich gewordene Bewunderung auch ernster Leute; und, was besonders lehrreich ist, die bildende Kunst bemächtigte sich ihrer. Wenigstens ist ein gleichzeitiger Bericht überliefert, daß ein mailändischer Edelmann, Pomponio Cotta, seine Villa mit einer Darstellung dieses Welttheaters ausschmücken ließ.

In Venedig ist endlich auch das zierliche Kunstbüchlein eines Toskaners erschienen, der neben seinem Landsmann und Gegner Pietro Aretino den echten Typus des italienischen Renaissancejournalisten repräsentiert, des Anton Francesco Doni aus Florenz. Dem geistlichen Stande entlaufen, hat er vielerlei versucht, in den Jahren 1546—1547 auch in seiner Heimatstadt eine Druckeroffizin gehalten; nach einem bunten Leben ist er in seinem Altershafen Monselice zur Ruhe eingegangen. Er hat Unzähliges geschrieben und noch mehr projektiert; auf den journalistenmäßigen Betrieb wirft sein page 216 eigenes Scherzwort ein munteres Licht, seine Bücher würden früher gelesen als geschrieben und früher gedruckt als verfaßt. Sein berühmtestes Werk sind die Marmi, Gespräche, die auf den Steinbänken des Florentiner Domplatzes spielen, voll Anmut und Laune. Wir sind ihm auf dem Gebiete der Kunstliteratur schon gelegentlich begegnet. Auch das Büchlein über den Disegno (Venedig 1549) ist, wie alles von Doni, witzig und geistreich, aber ohne rechten Zusammenhang das capriccioso, das seine Zeit so liebt, ist bei ihm zur besonderen Manier ausgebildet — und ohne tiefere Kenntnis des Gegenstandes; gewidmet ist es einem großen Herrn, dem damaligen spanischen Botschafter bei der Serenissima, Don Juan Hurtado di Mendoza. Den Hauptteil der Erörterung nimmt der unvermeidliche Paragone ein, der in Dialogform abgehandelt wird; Protagonisten sind der uns schon bekannte Maler Pino und der toskanische Bildhauer Silvio (Cosini?); der letztere erscheint hier auch als Sammler von Medaillen, Bronzestatuetten, Kameen und Münzen. Die Gegenüberstellung des Venezianers und des Toskaners ist lehrreich und bezeichnend, und das Traktätchen nimmt sich zum Teile wie eine polemische Postille gegen das kurz vorher erschienene Büchlein des Pino selbst aus, das freilich nicht genannt wird. Schließlich wird in dem Streite (an dem später auch die Personifikationen der Natur und Kunst teilnehmen) ein dritter als Schiedsrichter angerufen; es ist eine markante Persönlichkeit jener Tage, die mit maßlosen Lobsprüchen bedacht wird, ebenfalls ein Toskaner, Baccio Bandinelli; er entscheidet die Sache zugunsten seines Landes- und Berufsgenossen Silvio und der Skulptur, was auch bemerkenswert ist. An kuriosen und witzigen Geschichtchen ist, wie sich bei diesem Schriftsteller von selbst versteht, kein Mangel; aber den von Michelangelo mitgeteilten boshaften Ausspruch über das Kunstliteratentum: seine Köchin (fante) träfe das ebenso gut, hat sich Doni gerade nicht zu Herzen genommen. Daß er praktisch nichts von bildender Kunst verstehe, bekennt er mit edler Offenheit in einem (im Anhang gedruckten) Brief an den Maler Paris Bordone; aber daß er — mit seiner Libraria der erste italienische Bibliograph — kühnlich behauptet, niemand habe vor ihm über Skulptur geschrieben, ist ein starkes Stück; er kennt also das in seiner Vaterstadt selbst eine Generation früher erschienene Buch des Gauricus nicht. Allerdings hat es, wie wir sahen, in seinem Unsprungslande selbst sehr wenig Herausgeber und Leser, desto mehr aber solche jenseits der Alpen gefunden. Von Bedeutung ist, daß die hohe Schätzung der technischen Qualitäten, namentlich der Niederländer, noch anhält; mehr als die Italiener, wird gesagt, hätten sie il cervello nelle mani; auch da ist übrigens ein Wort des Michelangelo plagiiert. Die Naturwahrheit ihrer Stoffbehandlung wird besonders hervorgehoben. Merk page 217 würdig ist auch die Schilderung der personifizierten Skulptur, die im Dialog auftritt: eine ernste, würdig bekleidete Frau, in einsames Sinnen verloren unter ihrem Handwerksgerät, von allerlei künstlichen Instrumenten umgeben, sitzend. Es ist ein deutlicher Anklang an Dürers berühmten Stich der Melancholie, den später noch Domenico Feti (in einem Louvrebild) benützt hat. In der Tat erwähnt Doni auch in einem zum Schlusse beigedruckten Briefe an den Stecher Enea Vico, worin er seine Kupferstichsammlung beschreibt, das Blatt als in seinem Besitze befindlich. Nicht ohne Wichtigkeit sind auch die Äußerungen über die Elfenbeintechnik im vierten Dialog: die Schönheit des Materials, das dem lebendigen Fleische sehr nahekomme, wird gelobt. Man erinnert sich der Rolle, die dieser wesentlich nordländische Kunstzweig bis in späte Zeiten hinein, namentlich auch im venezianischen Gebiete, gespielt hat. Recht seltsam bei diesem Querkopf, der aus der Kutte geschlüpft ist, berührt uns ein ganz mittelalterlicher Dämonismus, der gelegentlich zu Worte kommt. Von Michelangelos Aurora sagt Silvio, sie habe nicht den Teufel im Leibe wie die antiken Idole.

Die Gestalt des greisen Michelangelo steht im Mittelpunkte aller Ausführungen; von Raffael ist niemals die Rede. Man sieht, wie der Boden für den Michelangelokult der zweiten Hälfte des Cinquecento bereitet war, der in Vasaris ein Jahr später erscheinendem Werke erster Hand den stärksten und einflußreichsten Ausdruck erhalten sollte. Die Aussprüche des Meisters werden als unfehlbare Axiome angezogen, und die Schlußentscheidung fällt mit einem Worte des großen Alten, das charakteristisch für diese letzte Phase der Hochrenaissance ist: die Malerei sei um so besser, je mehr sie sich dem rilievo nähere, die Skulptur um so schlechter, je mehr sie sich der Malerei untertan zeige. Das nahende Barock hat ja dann die Sache gerade umgekehrt. Auch für den Platonismus des Meisters und seiner Zeit ist der Aphorismus bezeichnend, Skulptur und Malerei verhielten sich wie die Wahrheit selbst zu ihrem Schatten.

Sehr merkwürdig sind die Anhänge zu Donis Disegno, Bruchstücke aus seiner ausgebreiteten Korrespondenz namentlich mit Künstlern seiner Zeit und Umgebung. Ein an Cipriano Morosini gerichtetes Schreiben enthält ein ausführliches Programm einer Art Firenze illustrata in sechs Büchern, also des frühesten Werkes dieser später in Italien so sehr gepflegten Gattung. Es sollte reich illustriert werden, Ansichten der Stadt und ihrer Umgebung bringen, die Bauten und Kunstwerke schildern, ihre berühmten Männer. Ein eigenes Buch sollte den Medaillen gewidmet sein — Doni hat ja selbst ein Werk dieser Art mit fiktiven Darstellungen, die Enea Vico stach, herausgegeben —, ein anderes einem besonderen Renaissancethema, den page 218 Festzügen, Turnieren und sonstigen Schaustellungen, das letzte den Inschriften, namentlich auf Grabmälern. Leider ist davon nichts auf uns gekommen, obwohl der Brief als Begleitschreiben zu dem Werke, das er den Adressaten durchzusehen bittet, erscheint. Bei dem Projektenmacher Doni ist indessen die Sache vielleicht doch nicht wörtlich zu nehmen.

Weitere Briefe, Alb. Lollio gewidmet, sind merkwürdig, weil sie ganz auf den Ton eines modernen Reiseführers gestimmt sind. Doni gibt Ratschläge für den Besuch seiner Vaterstadt, vergißt nicht anzumerken, man möge gleich bei der Ankunft die bedeutendsten Aussichtspunkte über die Stadt und das Arnotal aufsuchen, zählt die besten Gasthäuser (Agnolo, Campana, Insegna del Campanile) auf und schließt eine kurze Übersicht der Sehenswürdigkeiten daran. Ein anderer Brief behandelt in ähnlich gedrängter Weise die Sehenswürdigkeiten hervorragender italienischer Städte, von Rom (wo der Torso des Belvedere, il quale non è in molta consideratione de’ goffi, nachdrücklich hervorgehoben wird), von Neapel, von Pavia, von Venedig (wo die Altartafel Dürers in S. Bartolommeo besondere Erwähnung findet, aber auch einzelne Privatsammlungen namhaft gemacht werden), von Parma und Mantua.

Bemerkenswert ist auch der schon erwähnte Brief an den Stecher Enea Vico von Parma, der für Doni gearbeitet hat, weil dieser darin, wie schon erwähnt, seine eigene Stichsammlung schildert, die mit Blättern des Schongauer, »Dürers Lehrer« anhebt und die großen Blätter des letzteren, den Adam, den Hieronymus, Eustachius, die Melancholie, die Passion enthält, aber auch Stiche des Lukas von Leyden. Die älteren und zeitgenössischen Italiener, voran Marc Anton, dann Bandinelli, Enea Vico u. a., sind natürlich reichlich vertreten.

Ein Werkchen Donis, die Pitture von 1564, gehört nur uneigentlich zur Kunstliteratur; es sind die alten Trionfi Petrarcas, im neuen kapriziösen Concettostil entworfen und für die Auffassung der Zeit nicht ohne Wichtigkeit; der Titel ist wohl beeinflußt von dem Werke des alten Philostrat.

Pomponius Gauricus, De sculptura. Ed. princ. Fior. 1504. Weitere Ausgaben: Antwerpen 1528, Nürnberg 1542, Ursellis (Brüssel?) 1603, Antwerpen 1609, Straßburg 1622 (in einem Exzerpt in der Vitruvausgabe Amsterdam 1649), endlich Leiden 1701 (in Gronovs Thes. Graec. antiquitat. vol. IX). Neue Ausgabe mit vortrefflicher Einleitung und deutscher Übersetzung von H. Brockhaus, Leipzig 1886.

Eine Biographie des Pomponius Gauricus findet man in Giovios Museum (Elogium doctorum virorum LXXV).

Paolo Pino, Dialogo di pittura di Messer P. P. nuovamente dato in luce. In Venezia per Paulo Gherardo. 1548. Ein Privatdruck, als Geschenk für Crowe gedacht und besorgt von M. Jordan, Leipzig 1872, bringt das zierliche Büchlein in Faksimilereproduktion. Zum Technischen vgl. Berger, Beiträge IV, 17. Über Pinos erhaltene Werke vgl. Sanso page 219 vino, Venezia descritta (S. Marco p. 49, in Martinionis Ausgabe von 1663; p. 126, ein S. Sebastian in S. Giuliano). Federici, Memorie Trevigiane II, 67 (marmorner Bildstock in Noale, bez. Paulus Pino inv.), Moschini, Guida di Padova 108 (bez. Madonna von 1565 in S. Francesco). (Hackert), Memorie di Pittori Messinesi, Messina 1821, p. 22.

Michelangelo Biondo, Della nobilissima pittura etc. Venedig 1549. Übersetzt (freilich nicht einwandfrei) mit Kommentar von Ilg in Eitelbergers »Quellenschriften«, Bd. V, Wien 1873. Zum Technischen vgl. Berger, Beiträge IV, 17. Über Biondo s. auch Tiraboschi, Storia della lett. ital., Venezianer Ausgabe von 1796, III, 2, 648.

Giulio Camillo, L’idea del teatro. Florenz 1550. Dann in einer ebenfalls sehr niedlichen Ausgabe: Tutto le opere di M. Giulio Camillo. Venedig, Giolito 1554. Über Camillo handelt sehr ausführlich Tiraboschi, Storia della lett. ital., Venezianer Ausgabe von 1796. VII, 4, 1451—1461; dort auch (p. 1460) die Stelle über die Villa des Cotta

Ant. Francesco Doni, Disegno partito in più ragionamenti. Venedig, bei Giolito, 1549. Donis »Marmi« sind in erster Ausgabe Venedig, Marcolini 1552 u. ö. (Venedig 1609) erschienen. (Neuausgabe von Fanfani, mit ausführlicher Biographie des Autors von Salvatore Bongi und Katalog seiner Werke, Florenz, Barbèra 1863, in zwei Bänden). Doni, Le Pitture nelle quali si mostra di nuova invenzione Amore, Fortuna, Tempo, Castità, Morte ecc. sotto il titolo: Il Petrarca del Doni, Padua 1564. (Auch in der Ausgabe von Donis Zucca. Padua 1565.) Donis Medaglie, eine fingierte Kollektion von Denkmünzen auf berühmte Personen (Stiche von Enea Vico) sind Venedig 1550 erschienen. Ein kurzer Dialog über die Marmorplastik, der unter anderem auch eine öfter erzählte Anekdote von Michelangelos Steinmetzen enthält, auch gedruckt in der Piacevole raccolta di opuscoli sopra argomenti d’arti belle von Laurenti und Gasparoni, Rom 1844. I, 125. Über Doni handelt ausführlich Tiraboschi, Storia della lett. ital. VII, 3, 1001f. Über seine Beschreibung des Museo Gioviano und die Notizen über ein Werk der Bramante s. diese Materialien III, 48 und II, 59.

III. Fortsetzung der vitruvianischen Studien.

Das große, für die ganze Renaissance vorbildliche Lehrbuch des Vitruv war nach der allgemeinen Annahme 1414 in Monte Cassino wieder entdeckt worden; doch war es das ganze Mittelalter hindurch wenigstens den Gelehrten der Klöster bekannt geblieben. Aus karolingischer Zeit wissen wir von den merkwürdigen Studien Einhards; und die erhaltenen Handschriften, auf denen heute unsere Kenntnis des Textes beruht, reichen in ihren ältesten Exemplaren fast noch an dessen Zeit heran. Eines seiner wichtigsten Kapitel, die Proportionslehre, ist in die große scholastische Enzyklopädie des Vinzenz von Beauvais wörtlich übernommen worden, und daß Cennini und Villani ihn, wenn auch vielleicht nur auf Umwegen, kennen gelernt haben, ist in früheren Kapiteln erwähnt worden. Dagegen beweist die Aufnahme der vitruvianischen Proportionslehre in das Malerbuch vom Berge Athos nichts, da die Stelle (ganz abgesehen von der jungen Entstehung des Ganzen) wohl zweifellos einer italienischen page 220 Vorlage der Renaissance entstammt. Wie stark endlich Vitruvs Vorbild auf die Frührenaissance wirkte, haben wir schon bei Ghiberti und seinen naiven Plagiaten feststellen können.

Die »Editio princeps« des so sehr geschätzten Autors gehört natürlich zu den Inkunabeln der italienischen Offizinen (Rom um 1486, cf. Cicognara, Catalogo pag. 693; auf ihr beruht die Florentiner Folio von 1496). Der Beginn des 16. Jahrhunderts sah dann die jahrelang vorbereitete, mit Holzschnitten versehene Ausgabe des Fra Giocondo (Venedig 1511 und 1513); zugleich beginnt das schwierige Werk der Übertragung in die Landessprache nach den Ansätzen und Aneignungen des Quattrocento nunmehr Tat zu werden. Nicht zum Druck gediehen ist die höchst denkwürdige, in Raffaels Hause begonnene und durch Zeichnungen erläuterte Übersetzung des Marco Fabio Calvo aus Ravenna, die auf der Münchner Bibliothek liegt. Die erste wirklich zum Druck gekommene Übersetzung ist aber der schöne Foliant des Cesare Cesariano, der 1521 zu Como auf Kosten zweier Mäzene aus Como und Mailand mit Illustrationen und umfänglichem Kommentar das Licht der Welt erblickt hat und für den Kunsthistoriker besonders wichtig ist. Cesariano, um 1481 in Mailand geboren, nennt sich selbst einen Schüler Bramantes; er stand als Architekt im Dienste des Massimiliano Sforza und lebte später in Bologna, wo ihn Serlio um 1540 noch mit Ehren nennt. Sein Kommentar ist merkwürdig wegen der durchgängigen Aufmerksamkeit auf die heimischen Denkmäler; man sieht, welche Rolle ein Bau wie der Mailänder Dom trotz seiner »deutschen« Bauart noch immer in diesem Umkreis spielt. Cesariano bringt Grundriß und Durchschnitt mit den Zirkelkonstruktionen der alten Bauhütten als Erläuterung des vitruvianischen Textes, teilt auch Details der Pfeiler mit (fol. 14 r. und 15 v.). Diese besondere Aufmerksamkeit erklärt sich leicht dadurch, daß Cesariano jener Baumeister war, dem die Aufgabe der Vollendung des Innern zugefallen ist; seine Lehre der Triangutatur und Quadratur, die auch bei den spätgotischen Theoretikern wie Roriczer als festes System erscheint, ist in neuester Zeit, wenn auch nicht ohne starken Widerspruch, von Dehio als Grundsatz mittelalterlicher Architektur entwickelt worden. Auch sonst bringt Cesariano manches über Bauwerke seiner Heimat; die Notizen über einen von Bramante im Castel di Giove von Mailand konstruierten Kryptoportikus, über ein Fresko ebendaselbst, über S. Satiro, S. Ercolino, endlich über den Dom selbst sind ebenso wie die Nachrichten über die Gemälde des Pisanello im Kastell von Pavia, wie schon früher gelegentlich erwähnt wurde, von Marcanton Michiel (dem sogenannten Anonimo Morelliano) in sein Sammelwerk übernommen worden, zum Teil mit wörtlicher Benützung der Vorlage und mit Nennung der Quelle. Nicht ohne Wichtigkeit ist auch die Liste der besten zeitgenössischen Künstler page 221 die Casariano (auf fol. 48 v) gibt; als »den Alten gleich« erachtet er neben Michelangelo: Giovanni Cristoforo Romano, Cristoforo Gobbo, Agosti Busti, Tullio Lombardi, Bartolommeo Clementi von Reggio; von Malern: Boltraffio, Marco, d’Oggionno, Zenale, Bramantino und Luini.

Die Übersetzung Cesarianos, über deren pekuniären Mißerfolg Vasari einen anscheinend stark gefärbten Bericht (im Leben des Bramante IV, 149) bringt, hat schon als erstes allgemein zugängliches Unternehmen seiner Art starke Wirkung auf die Zeitgenossen und Nachfolger geübt. Die Übertragung des Vitruv, die Francesco Lucio aus Castel Durante in Venedig 1524 erscheinen ließ, ist in Wirklichkeit nichts weiter als ein etwas zurechtgestutzter Nachdruck; und nicht viel anders steht es mit dem unvollendeten Werke des Peruginoschülers G. B. Caporali, Venedig 1506. Erst zwanzig Jahre später erschien am gleichen Verlagsorte die berühmte Übersetzung des Patriarchen von Aquileja, Monsignor Daniele Barbaro (Venedig 1556), die alles frühere in den Schatten stellte.

Gegen Ende dieses Zeitraumes bemächtigte sich auch der Norden des alten Schriftstellers; freilich war Dürer in seinen einsamen Studien, als erster unter allen Künstlern des Nordens, längst diese Pfade gewandert. 1543 erschienen die Kommentare des Philander in der Knoblochschen Offizin zu Straßburg, ein Buch, das manches Merkwürdige, unter anderem den schon gelegentlich erwähnten »varronischen« Kanon enthält und das sogleich in Rom (1544) und Paris (1545) nachgedruckt wurde, auch 1550 in Straßburg, 1552 in Lyon in verbesserter Auflage erschien. Wenige Jahre vorher fällt die erste französische Übersetzung durch Jean Martin (Paris 1547) mit Holzschnitten nach den Ausgaben Fra Giocondos, Cesarianos, auch schon Serlios, zum Teile nach Zeichnungen Jean Goujons, der selbst eine kleine Abhandlung über die Baukunst beigesteuert hat.

Der Boden war also nach allen Richtungen hin wohl vorbereitet. Auf ihm konnte ein Buch wie das des Francesco Mario Grapaldi, De partibus aedium libri duo, entstehen, das in einer schönen Ausgabe schon 1494 bei Angelo Ugoletto in Parma herauskam, dann rasch neue Auflagen und verschiedene, auch deutsche und französische Nachdrucke erlebte. Die letzte Ausgabe, zu Dordrecht 1618 erschienen, bezeugt die langdauernde Beliebtheit des Buches, das einen gekrönten Hofpoeten Julius II. aus Parma († 1515), zum Verfasser hat. Diese Beliebtheit erklärt sich aus der Art von Gelehrsamkeit, die durch das Werk vermittelt wird. Der Kunstliteratur gehört es eigentlich gar nicht an; es ist ein Reallexikon aller Ausdrücke, die sich auf das Haus der Antike im weitesten Sinne beziehen, durchaus philologisch gedacht und gemacht. Aber die zahlreichen Ausgaben, page 222 die oben nach Comollis ausführlicher Bibliographie genannt wurden, zeigen, mit welchem Interesse man gerade dieses Thema aufnahm, und darin liegt ein nicht zu unterschätzendes Zeichen.

Der Baudilettantismus der vornehmen Kreise, der aus dem 15. in immer mehr sich steigerndem Maße in das 16. Jahrhundert hinübergeht und dem Jakob Burckhardt eine wie immer höchst anregende Schedensammlung gewidmet hat, ist eine charakteristisch italienische Erscheinung, die hier wenigstens mit ein paar Worten berührt werden muß. Erscheint doch schon bei dem berühmtesten aller spätgotischen Paläste Venedigs, der Cà d’oro (1421—1440), der Besitzer selbst, Marino Contarini, als sein eigener proto und Bauleiter, wie namentlich Paoletti di Osvaldo dargetan hat.

So ist es kein Wunder, wenn die vornehmsten und bekanntesten Schriftsteller des Cinquecento sich über Architektur als eine die Öffentlichkeit wie das Privatleben gleich nahe angehende Sache vernehmen lassen. Am merkwürdigsten ist hier wohl die Patriarchengestalt des Alvise Corner (Luigi Cornaro), 1565 fast hundertjährig gleich Tizian, der ihn gemalt hat, verstorben, der Verfasser der noch heute in Italien berühmten Vita sobria und der Erfinder der kaum weniger berühmten Panada. Einer der eifrigsten Baumäzene — die Gartenhallen seines Paduaner Tuskulums beim Santo, nach Plänen Falconettos 1524 erbaut, gehören zu den anmutigsten Schöpfungen der oberitalienischen Renaissance —, hat er selbst zur Feder gegriffen, um seiner Lieblingskunst zu huldigen. Bruchstücke eines Architekturtraktats von ihm sind in einem Sammelbande der Ambrosiana erhalten; die Urschrift ist bis heute nicht aufgefunden worden. Aus den wenigen Zitaten, die uns daraus zugänglich sind, leuchtet der praktische Verstand und die Unbefangenheit des Mannes hervor: er will das bequeme Haus des vornehmen Bürgers, wie es ja vor allem Venedig entwickelt hat, schildern, nicht den Fürstenpalast und die Utopie der Stadtanlagen, keine antikischen Themata, weder Thermen und Amphitheater, die längst außer Übung gekommen sind, auch nicht die Säulenordnungen, »von denen alle Bücher voll seien«. Sehr charakteristisch für den gesunden Sinn des trotz aller Modetheorien am Heimischen festhaltenden Venezianers ist die Äußerung, ein Bau könne Schönheit und Bequemlichkeit bieten, ohne antikisch, d. h. dorisch oder sonst etwas sein; als Beispiele gelten ihm S. Marco und der Santo von Padua. Dergleichen unbefangene Wertung ist damals schon eine Seltenheit.

Auch Gian Giorgio Trissino, der berühmte, aus Palladios Vaterstadt gebürtige Dichter der ersten »regelmäßigen« Dichtungen der Italiener, des Epos L’ Italia liberata dai Goti (1547) und der Tragödie Sofonisba, hat sich seiner ganzen Sinnesart nach von der Architektur angezogen gefühlt; die naive Unbefangenheit des Cornaro werden page 223 wir gerade deshalb bei ihm nicht suchen dürfen, bei ihm, der das »gotische« Stigma des Mittelalters wesentlich mitbegründet hat. Von seinem Architekturtraktat ist freilich nur ein Bruchstück erhalten, das aber, wie nicht anders zu erwarten steht, die Tendenz nach der von der Antike abgezogenen Regel aufweist, die das ganze Zeitalter in immer mehr steigendem Maße beherrscht und für die gerade Trissino der repräsentative Mann ist.

Am Ende des von uns hier behandelten Zeitraumes werden diese Tendenzen in der mächtigsten und einflußreichsten Kundgebung, die die Bauliebhaberei dieser Zeiten zu verzeichnen hat, zusammengefaßt. Im Jahr 1542 trat in Rom ein Verein von hervorragenden Männern zusammen, um im Rahmen des längst entwickelten Akademiewesens eine gelehrte Gesellschaft zu begründen, mit dem Zwecke, die philologisch-archäologische Bearbeitung des Vitruv im weitesten Umfange zu fördern. Ihr gehörten Männer wie Kardinal Cervini (der spätere Papst Marcellus II.), Kardinal Bernardino Maffei, ferner der Vitruvkommentator Philander und der junge Baumeister Vignola an, der sich im Dienste dieser Gesellschaft die ersten Sporen verdiente. Der eigentliche Begründer dieser Academia della Virtù war jedoch der zu seiner Zeit sehr berühmte Gelehrte Claudio Tolommei aus Siena, der das höchst umfängliche und in mancher Hinsicht sehr modern berührende Programm in einem Briefe an den Conte Agostino de’ Landi vom 14. November 1542 entwickelt. Eine mit philologischer Sorgfalt hergestellte und einen Apparat aller Lesarten des stark verderbten Textes bietende Ausgabe des alten Schriftstellers sollte den Ausgangspunkt bilden, zusammen mit einem ausführlichen illustrierten Sachkommentar. Daran sollte sich ein Lexicon Vitruvianum schließen, mit besonderer Aufmerksamkeit auf die schwierigen, namentlich griechischen Fachausdrücke. Da die vorhandenen drei Übersetzungen (es können nur Cesariano, Lucio und Caporali gemeint sein) nicht genügten, wurde eine neue in Aussicht genommen, ferner ein Verzeichnis der Fachausdrücke in toskanischem Idiom, begleitet von einem Reallexikon; dann ein Werk, das die Regeln Vitruvs mit den noch vorhandenen antiken Resten vergleichen sollte, eine ausführliche Beschreibung der Altertümer Roms, in erster Linie mit historischem und technischem Kommentar. Endlich große Corpuswerke der antiken Statuen, Reliefs, Gefäße, Werkzeuge, der Inschriften, der Gemäldereste, der Medaillen u. s. w.

Dieses Programm, das letzten Endes auf einen gewaltigen Thesaurus der Altertümer hinausläuft, ist in dieser Form nicht einmal teilweise Wirklichkeit geworden, wohl aber hat es das 16. und 17. Jahrhundert in seinen Künstler- und Literatenschriften einerseits, von den großen Architekturtraktaten bis zu Baldinuccis Vocabolario dell'Arte page 224 del Disegno hinab, in den Folianten antiquarischen Sammlerfleißes anderseits, nach und nach erfüllt.

Die Arbeiten der zünftigen Architekten hatten indessen keineswegs aufgehört. Von einem namenlosen venezianischen Architekturtraktat der ersten Hälfte des Cinquecento war schon früher die Rede (Buch III); soweit sich aus den von Henszlmann gegebenen Auszügen schließen läßt, handelt es sich freilich eher um eine Literatenkompilation. Wenigstens gehört das Hauptthema, um das es sich anscheinend dreht, das Verhältnis des menschlichen Körpers zum architektonischen Grund- und Aufriß, jener platonisierenden Beschäftigung mit den Zahlenverhältnissen, namentlich auch in der Musik, an, die für das Cinquecento so bezeichnend ist. Hier wirken freilich spekulative Ideen des scholastischen Mittelalters, die bekannte Auffassung des Kirchengebäudes als Abbildung des Leibes Christi nach; eine Schrift wie die des Sohnes des großen Jacopo, Francesco Sansovino (L’edificio del Corpo humano, nel quale brevemente si descrivono le qualità del corpo dell'uomo e le potentie dell'anima, Venedig 1550), sagt schon in ihrem Titel, wie die Renaissance die Sache wendet. Zugleich spielt hier aber (wie übrigens schon in den Visionen der heiligen Hildegard) die vitruvianische Proportionslehre herein. Daß dergleichen seine Bedeutung für das Leben der Renaissance hat, lehrt nicht nur der oben erwähnte Architekturtraktat, sondern vor allem das merkwürdige, schon von Temanza besprochene programmatische Gutachten, das Fra Francesco Giorgi im Jahre 1533 über den berühmten Bau des eben genannten Jacopo Sansovino, S. Francesco della Vigna in Venedig, abgegeben hat. Die wundersame Mischung des Platonismus der Hochrenaissance mit alten kirchlichen Vorstellungen tritt hier besonders drastisch hervor.

Von den Architekten der ersten Hälfte des Cinquecento sind uns nun freilich theoretische Werke nicht mehr erhalten oder bis jetzt nicht zugänglich. Von Bramantes Schriften, die Doni anführt, war früher schon die Rede (Buch II). Bautechnische Traktate des Sienesen Marco da Pino und seines Landsmannes, des berühmten Baldassare Peruzzi, werden von Baglione und Lomazzo erwähnt; erhalten haben sie sich nicht. Was den letzteren anlangt, so behauptet Lomazzo, dessen Glaubwürdigkeit freilich nicht immer die Probe aushält, daß Serlio sein Werk plagiiert habe; tatsächlich sagt dieser an verschiedenen Orten, daß er Zeichnungen seines Lehrmeisters für sein Werk benützt habe, und daher mag das böswillige Gerede seinen Ursprung haben.

Von Sebastiano Serlio, der die Reihe der großen Theoretiker der Architektur im Cinquecento eröffnet, wäre nun hier der Ort zu reden, zumal da seine ersten sechs Bücher von der Baukunst noch in page 225 der Zeit vor Vasari (Venedig 1537, 1540, 1547, Lyon 1550) erschienen sind. Wir ziehen es aber vor, in diesem Falle den Faden chronologischer Darstellung aus der Hand zu lassen und die Architekturtheoretiker an späterer Stelle im Zusammenhange zu behandeln.

An den Schluß dieses Zeitabschnittes gehört endlich noch ein Werkchen rein technischer Natur, das innerhalb der sonstigen, immer mehr schriftstellerische Prätensionen zeigenden Kunstliteratur ziemlich vereinsamt steht. Es ist einem Zweige des Kunstgewerbes gewidmet, der für Italien nationale Bedeutung hat, der Keramik, die schon im Mittelalter die Aufmerksamkeit auf sich zog und jenen merkwürdigen Bericht des toskanischen Chronisten Ristoro d’Arezzo zeitigte, von dem schon ebenso die Rede war wie von den Nachahmungsversuchen, die Vasari seinem Großvater Giorgio zuschreibt (vgl. Buch I).

Die Schrift, um die es sich hier handelt, sind die drei Bücher von der Kunst des Töpfers vom Cavaliere Cipriano Piccolpasso aus Castel Durante (später Urbania genannt); das Titelblatt des mit merkwürdigen Zeichnungen versehenen Manuskriptes, das erst 1857 in Druck gelegt wurde, trägt die Jahreszahl 1548. Es behandelt die Technik der Majolika eingehend bis in alle Einzelheiten hinab, jenes Kunstzweiges, der in den Marken, voran in Urbino, in dieser Zeit zu so hoher Blüte gelangte und durch seine Beziehungen zu der zeitgenössischen Malerei aufschlußreich ist. Der Vortrag ist durchaus sachlich und nüchtern, nur hie und da mit einigem gelehrten Aufputz versehen. Die lange blühende Industrie hat zu Ende des 18. Jahrhunderts in G. B. Passeri aus Pesaro noch ihren Geschichtschreiber gefunden (Istoria delle pitture in majolica fatte in Pesaro e ne'luoghi circonvicini, 1. Aufl., Venedig 1758); die bedeutendsten Äußerungen auf diesem Gebiete sind aber erst ein paar Jahrzehnte später und im Norden erfolgt, durch einen Mann, der dem Autor dieses ersten italienischen Traktates ebenso an Geist und Charakter überlegen war, als er in der Geschichte der Technik selbstschaffend eine unvergleichlich bedeutendere Rolle spielt, durch den großen französischen Keramiker Palissy.

Über die Vitruvstudien: Tiraboschi, Storia della lett, ital. VII, p. 2, 489 ff., der besonders auf Poleni, Exercitationes Vitruvianae, Padua 1739, fußt, sowie die einschlägigen Kapitel in Burghardts »Geschichte der Renaissance«. Der Aufsatz von Burger, Vitruv und die Renaissance (Rep. f. Kunstw. 1909) enthält ziemlich überflüssiges Gerede. Über die Vitruvausgaben Cicognara, Catalogo ragionato I, p. 127ff. Ganz vortrefflich, obwohl von ganz anderen Gesichtspunkten ausgehend, ist die Zusammenstellung bei Roettinger, Die Holzschnitte... zum Vitruvius Teutsch des W. Rivius, Straßburg 1914 (»Studien zur deutschen Kunstgeschichte« 167). Vgl. jetzt auch die Bibliographie bei Ebhardt. Die zehn Bücher des Vitruv und ihre Herausgeber seit 1484. Berlin 1918. Cesarianos Kommentar ist Como 1521, in fol. fig. erschienen; vgl. Cantù im Archivio stor. Lombardo II, 435; 120. Olschki Gesch. d. neusprachl. Wiss., Lit. II, 203 f. (mit weiterer Lit.) Dehio Untersuchungen über das gleichseitige Dreieck als Norm gotischer Bauproportionen, Stutt page 226 gart 1894. Dagegen besonders Reimers im Rep. f. Kw. XVII (1894). Zur ganzen Frage die Übersicht bei Kraus, Geschichte der christlichen Kunst II, 172, ferner J. Baum, Baukunst und dekorative Plastik der Frührenaissance, Stuttgart 1920, S. XV.

Grapaldus, De partibus aedium etc., l. II, Parma 1494, Brescia 1501, 1506, 1508, 1516, bei Francesco Ugoletto Turin 1516, Paris 1517, Venedig 1517, Basel 1533 und 1541, Lyon 1535, Dordrecht 1618. Vgl. Comolli, Bibliographia stor. critica dell’architettura I, 81 ff. und Tiraboschi a. a. O. VII, 849. Aus Alvise Corners (Luigi Cornaro) Trattato dell’architettura in der Mailänder Ambrosiana gibt Oettinger Zitate im Rep. f. Kw. XIV, 22. Trissinos Fragment eines Architekturtraktates wurde Vicenza 1878 publiziert; vgl. Morsolin, G. G. Trissino, Florenz 1894. Der große Trattato d’agricoltura des Gianvittorio Soderini (nach dem ersten, ziemlich schlechten Drucke Florenz 1811 neu herausgegeben von Bacchi della Lega in der »Collezione di opere inedite o rare dei primi secoli della lingua« vol. 47, Bologna 1902) enthält eine merkwürdige Abhandlung über Villenbau. Aus früherer Zeit datiert des Neapolitaners Jovianus Pontanus, De magnificentia (in seinen Opera, Basel 1538), vgl. Burckhardt, Kultur der Renaissance, 3. Aufl., p. 13. Der Brief des Claudio Tolommei mit dem Programm der virtruvianischen Akademie ist bequem zugänglich in Bottari-Ticozzis Raccolta di lettere II, 1 ff. Über den Sammelband beim Grafen Zichy (jetzt in der Stadtbibliothek zu Budapest) Henszlmann in Zahns Jahrbüchern f. Kunstw. 1869, 128. Das Programm des Frati Giorgi von 1533 ist abgedruckt in Moschinis Guida della città di Venezia, Venedig 1815, I, 1, 56f. Über sein seltenes Buch De Harmonia mundi totius, Venedig 1525 vgl. Panofsky, Monatsh. Kunstwiss. 1921, 209. Anm. 2. Über die verlorenen Traktate des Marco da Pino und des Bald. Peruzzi: Lomazzo, Idea del Tempio, c. 4. und Della Valle, Lettere Sanesi II, 120.

Piccolpassi, I tre libri dell'arte del vasajo (1548), 1. Ausg., Rom 1857. Neuausgabe von G. Vanzolini, Pesaro 1879 (wo auch die Zeichnungen wiedergegeben sind). Eine Übersetzung in altertümlichem Französisch gab Cl. Popelin heraus (Les troys libvres de l'art du potier..., translatés de l'Italien en langue francoyse par maitre Claudius Popelyn, Paris 1861).

IV. Erste Fernwirkung der italienischen Theorie auf das Ausland.

1. Viator.

Die großen Ergebnisse des Nachdenkens über die optischen Probleme, die »objektive« Richtigkeit in der bildenden Kunst, wie sie Italien bis zum Schlusse seines Quattrocento gezeitigt hatte, waren für das ganze außeritalische Europa, voran den Norden, bis zu dieser Zeit nicht vorhanden, weder was Anatomie und Proportionslehre, noch was Perspektive anbelangt. Kunst und Wissenschaft, in Italien längst zu einem merkwürdigen und für die ganze weitere Entwicklung bis auf unsere Zeit herab schicksalsvollen und entscheidenden Bunde sich die Hand reichend, gingen hier noch ihre getrennten Wege und hatten einander nichts zu sagen, Kunst war schlechthin zünftiges Handwerk, wollte und konnte nichts anderes sein, während die italienischen Maler längst ihr Können in Wissen verwandelt hatten, von page 227 diesem neue Richtlinien empfingen und als Literaten ihrer anders gearteten geistigen Organisation kräftigst Ausdruck gaben. Alles das lag den Leuten jenseits der Berge ebenso fern wie die Einstellung des Blickes auf den historischen Verlauf ihrer Fertigkeiten und dessen gedankenmäßige Konstruktion.

Was die Antike und ihre Fortsetzer im abendländischen und arabischen Mittelalter auf dem Gebiete der Lehre vom Sehen zustande gebracht hatten, die Optik und die rein mathematische Disziplin, die man perspectiva communis nannte, das war den Gelehrten dieser Gebiete natürlich ebenso gut und ebenso lange geläufig als ihren italienischen Fachkollegen. Die mittelalterlichen Perspektivtraktate des Vitellio, des gelehrten Erzbischofs von Canterbury Johann Peckham, gehören dem Norden an; wie sie von den Italienern bis auf Leonardo herab fleißig benutzt werden, so sind sie noch im 16. Jahrhundert in deutschen Drucken aufgelegt worden. Alles das aber war rein mathematische Wissenschaft, die Anwendung auf die bildliche Darstellung, das, was man später perspectiva artificialis nannte, fand hier keine Stelle, und vollends für die Maler waren diese schwergelehrten Folianten Bücher mit sieben Siegeln.

Untersuchungen der jüngsten Zeit, wie sie besonders Kern und Doehlemann angestellt haben, zeigen deutlich, wie z. B. die Altniederländer noch allen theoretischen Wissens und Überlegens bar waren; ihre Raumbilder waren ähnlich wie die der antiken Maler, Perspektiven ohne Bildfläche — das, was Burmester Aspektive nennt—, Einschreibungen der aus naiver Naturbeobachtung gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen auf rein empirischem Wege, häufig mit Annahme verschiedener Fluchtpunkte in derselben Bildebene, ein nur annäherndes Verfahren, das rein praktisch immer mehr vervollkommnet wurde, aber jeder theoretischen Grundlage entbehrte. Erst bei Dirk Bouts glaubt man Bekanntschaft mit einer solchen annehmen zu können.

Mit dem neuen Jahrhundert beginnen aber wie die Darstellungsprobleme der Bildkunst des Südens, so auch die theoretischen Grundsätze auf die ganz anders gestaltete Welt jenseits der Alpen zu wirken.

Das erste höchst merkwürdige Denkmal dieses Herüberwirkens liegt in einer Schrift vor, deren historischen Gehalt wir bereits in dem vorhergehenden Buche gestreift haben. Es ist dies das merkwürdige Buch des Jean Pélerin le Viateur (Peregrinus Viator), das schon in seinem Titel: De artificiali perspectiva seine Absichten klar zur Schau trägt, zuerst 1505 in Toul gedruckt, dann noch bei Lebzeiten des Autors in zwei neuen, zum Teile vermehrten Ausgaben 1505 und 1521 erschienen; selbst im 17. Jahrhundert wurde es seiner Seltenheit wegen noch einmal nachgedruckt. Besonders merkwürdig page 228 ist die deutsche Übersetzung, die nach der zweiten Auflage noch im Jahre 1509 von Jörg Glockendon in Nürnberg gedruckt wurde. Der Verfasser war ein gelehrter Domherr in Toul, wo er 1524 gestorben ist; seine Jugend hat er in Diensten des berühmten Geschichtschreibers Philipp von Commines zugebracht. Er ist also kein Künstler gewesen; zugedacht hat er aber in einer merkwürdigen gereimten Widmung sein Buch den Künstlern Frankreichs, Deutschlands und Italiens. In diese Widmung ist in bunter Reihe eine kurze Nomenklatur der Meister eingefügt, die er für die größten seiner Zeit hält, eine Ergänzung zu Lemaires Katalog in der Couronne Margaritique (vgl. Buch III) und für Auffassung und Kenntnisse des Nordens ebenso charakteristisch und wichtig. Genannt sind von Italienern Andrea Mantegna, Leonardo, Raffael (Urbain), Michelangelo (l’Ange Micael), wohl auch Perugino (le Pélusin), zweifelhaft ist Jean Jolys, den man in Giovanni Bellini übersetzen wollte, Benard (schwerlich Bernardo Zenale) und Berthelémi, mit dem kaum Fra Bartolommeo gemeint sein wird. Paul und Martin aus Pavia sind unbestimmbar. Von Deutschen und Niederländern, die hier so wenig als in Italien geschieden werden, figurieren in der Liste: Lukas von Leyden (Luc), gleich daneben Lukas Kranach (Lucas?), Dürer (Albert), Baidung (Hans Grün), vielleicht Hugo van der Goes und Schäufelein (Geffelin?), Hans Fris, möglicherweise der Freiburger Maler dieses Namens († um 1520 in Bern). Von Franzosen ist deutlich Foucquet genannt, die übrigen sind wenig bekannt oder ganz unbestimmbar; mehr oder weniger scharfsinnige Hypothesen anzuführen, lohnt kaum der Mühe.

Dieser sehr summarische und im einzelnen undeutliche Katalog verrät schon durch seine Zusammensetzung eine wenn auch oberflächliche Bekanntschaft mit der Kunst jenseits der Alpen und steht auf einem andern Niveau als das im selben Jahre 1505 geschriebene Traktätlein des Johannes Butzbach (s. o. Buch III).

Pélerins große, im ganzen noch wenig gewürdigte Bedeutung liegt jedoch im technischen Teile seines Buches. Wie schon gesagt, ist es ja der erste Versuch, die Errungenschaften der Künstler jenseits der Alpen dem Norden zugänglich zu machen, Jahre bevor das viel größeren Ruf erwerbende Buch Dürers von der Messung erschienen ist. Daß dieser selbst bei seinem eifrigen Suchen das Buch nicht gekannt haben sollte, wie Panofsky (s. u.) annimmt, ist kaum glaublich, um so mehr, als die deutsche Ausgabe Glockendons unter seinen Augen in Nürnberg selbst erschienen ist und Pélerins Werk in Deutschland sehr bald genutzt wurde, wie der ganz auf ihm beruhende Abschnitt in Reichs Margarita philosophica von 1512 zeigt. Wölfflins schon an sich nicht überzeugende Hypothese, Dürer habe page 229 für seine Marter der Zehntausend in Wien ein perspektivisches Schema aus Pélerin (fol. C. 8) benützt, erledigt sich durch die von Panofsky hervorgehobene Tatsache, daß das Bild aus dem Jahre 1508 stammt, die betreffende Tafel aber erst in der Ausgabe von 1509 vorkommt. Wenn also überhaupt, so wäre hier eher eine Herübernahme Pélerins zu vermuten, die in einem andern Falle wirklich vorhanden ist. In derselben Ausgabe von 1509 ist nämlich die Architektur von Dürers Holzschnitt der Tempeldarstellung im Marienleben (B. 88) benützt, was ja bei der bekannten Rolle der graphischen Blätter als Vorlagen wenig Befremdliches hat. Auch hier ist also Wölfflins Annahme umzukehren, denn das Datum 1511 der Buchausgabe ist nicht auf die viel später hergestellten Blätter zu beziehen, und es handelt sich nicht um eine mißverständliche Übersetzung Dürers, wie Wölfflin meinte, sondern Pélerin hat seine Vorlage perspektivisch richtiggestellt.

Hier liegt tatsächlich ein entscheidender Punkt. Denn Pélerins Traktat ist nicht nur das älteste Druckwerk über Perspektive, das überhaupt, auch wenn man Italien einbezieht, erschienen ist (der Traktat des Piero della Francesca war nur handschriftlich verbreitet), es ist eine höchst merkwürdige, bis heute nicht geklärte Tatsache, daß es zugleich das erste Werk ist, welches das so außerordentlich wichtige und fruchtbare Distanzpunktverfahren aufstellt. Die italienischen Theoretiker, Alberti und der strenge Piero, kennen es ebensowenig wie Leonardo oder Dürer; es wird in Italien erst von Vignola in seinem Perspektivbuche von 1563 gelehrt. Wir stehen vor einem ungelösten Rätsel, denn der obskure Touler Domherr ist kaum als Entdecker auzusehen, obwohl er einstweilen dafür gelten muß. Nicht einmal eine Vermutung ist uns nach dem bisherigen Stande der Dinge erlaubt, ob von ihm eine Brücke zu der fast vollständig verschütteten Theorie der Altmailänder führt, die für den Norden, soweit die unsicheren Spuren erkennen lassen, sehr wichtig war.

Eine zweite sehr merkwürdige Neuerung, die ebenfalls z. B. für Dürer unfruchtbar geblieben ist, betrifft die von Pélerin gelehrte und praktisch vorgeführte Darstellung von Architekturen in Schrägansichten über Eck, der »malerischen« Ansicht, auf die er in seiner Vorrede besonderes Gewicht legt.

Der Text des Werkes, das einen schmächtigen Kleinfolianten ausmacht, ist ziemlich knapp. Es ist bemerkenswert, daß er in den allgemeinen Vorbemerkungen zweisprachig, lateinisch und französisch, gehalten ist; die Verwendung der Landessprache war wie bei Dürer durch die Rücksicht auf die ungelehrten Künstlerkreise gegeben. Die Darstellung ist plan und populär, äußerst gedrängt, von Holzschnitten in strengem Linienstil begleitet. Daran schließt sich ein Anhang von Bildertafeln (18 Folios in der zweiten Ausgabe), in der page 230 selben Manier gehalten und in trefflichster Ausführung, Musterbeispiele perspektivischer Konstruktionen in großer Mannigfaltigkeit bringend und von naiven französischen Reimpaaren erläutert; ein vollständiges Verzeichnis hat Montaiglon gegeben. Die Darstellungen sind höchst merkwürdig und durchaus in Stil, Empfinden, Gegenstand französisch, auch dort, wo sie in einzelnen wenigen Fällen antikische Formen aufnehmen. Es sind Landschaften, Innenräume mit und ohne menschliche Staffage, Architekturbilder mannigfachster Art. Sehr eigentümlich ist das nationale und persönliche Moment in ihnen; sie geben, wie das die Unterschrift selbst immer wieder hervorhebt, zu einem großen Teile wirklich Örtlichkeiten und Bauten des damaligen Frankreich wieder und verdienen auch von da aus höchstes Interesse. Die Chambre dorée des Parlaments von Paris, der große (im 17. Jahrhundert abgebrannte) Saal des Justizpalastes, die berühmte Brücke von Brioude (eine Reiseerinnerung des »Reisenden«), die Brücke St. Esprit von Neuilly in ihrer alten Gestalt, der Durchschnitt von Notre Dame in Paris, gotische Kirchenansichten aus Angers, vielleicht auch die Pariser Sainte Chapelle sind hier vertreten. Das Merkwürdigste sind die Darstellungen aus Viators eigenem Hause: ein Hof mit einem sorgfältig in einem Gewächshause gehegten Maulbeerbaume, damals noch eine Seltenheit im Norden, eine zweite Ansicht des Hofes, in dem sein mit allem Detail (in Hilfsansichten) sorgsam abkonterfeiter Reisewagen (Carreta Pellegrina, die Anspielung auf den eigenen Namen Viator ist deutlich) sich befindet, endlich ein echt französischer, wohlbestellter Weinkeller mit seinen Fässern. Mit diesem freundlichen Eindrucke scheiden wir von dem Werke des wackeren alten Kanonikus von Toul, das von der Kunsthistorie noch keineswegs genügend beachtet erscheint.

Kurze Erwähnung verdient noch ein Werk des Pariser Buchhändlers Geoffroy Tory aus Bourges, der Champ Fleury (in drei Büchern) von 1529, weil er ein bezeichnendes Renaissancethema nach dem Norden verpflanzt, nicht als erster freilich, den Dürer ist hier schon vorangegangen. Es behandelt die Konstruktion der neuen Renaissanceschrift, der Antiqua, und zwar aus den Proportionsspekulationen der Zeit heraus, und noch in stark scholastischer Weise an allerhand Moralités, tieferen Sinn und Bedeutung aus Mythologie u. s. w. her (die neun Musen!) anknüpfend. Ohne die vorausliegende italienische Theorie, vor allem Luca Paciolis Divina Proportione, ist das Ganze undenkbar; Paciolis Illustrationen, die hier schon auf Lionardo zurückgeführt werden, sind auch zum Teile übernommen und seine Ausführungen einer sehr merkwürdigen Kritik unterzogen. Das gleiche geschieht Dürern gegenüber, von dessen Werken Tory übrigens mit gebührendem Respekte spricht. Das auch durch seine treff page 231 lichen Holzschnitte wichtige Buch ist eine bedeutsame Urkunde nordländischer Geistesentwicklung aus der Zeit, in der Frankreich in das Lager der Renaissance überging.

Gegen Ende des Zeitraumes, der uns hier beschäftigt, setzt auch in Frankreich das Studium Vitruvs ein. Zunächst behilft man sich mit einer Übersetzung des noch zu erwähnenden Spaniers Sagredo (1539 u. ö.), 1545 folgen die auch für den Kunsthistoriker manches Wichtige enthaltenden und vielbenutzten Annotationes des Gulielmus Philander; 1547 kommt endlich der erste französische Vitruv des Jean Martin, mit Schnitten von Goujon, heraus.

Was die Literatur der Perspektivkunde anlangt, so ist die im einzelnen überholte und dürftige Darstellung von Poudra, Histoire de la Perspective ancienne et moderne, Paris 1864, bis heute nicht ersetzt. Ganz gut orientiert die geschichtliche Einleitung in dem bekannten Handbuche der Linearperspektive für bildende Künstler des trefflichen G. Niemann, Stuttgart o. J. Burmesters Vortrag, Die geschichtliche Entwicklung der Perspektive in Beziehung zur Geometrie, Beilage zur »Münchener Allgem. Zeitung« 1906, 6, wurde schon erwähnt. Über die Perspektive der Nordländer besonders Doehlemann, Die Ent wicklung der Perspektive in der altniederländischen Kunst, Repertorium für Kunstwissenschaft XXXIV (1911), wo auch die weitere Literatur zu finden ist, und Kern, Perspektive und Bildarchitektur bei J. v. Eyck, ebenda XXXV.

Jean Pélerin le Viateur, De artificiali perspectiva, 1. Aufl., Toul 1505; vermehrte Aufl., ebenda 1505, 3. (dgl.) ebenda 1521. Deutsches Plagiat von Glockendon, Nürnberg 1509. (Ein Exemplar der letzteren, äußerst seltenen Ausgabe befand sich in der Hauslabschen Sammlung in Wien, jetzt in der Bibliothek des regierenden Fürsten von Liechtenstein auf Feldsberg.) Auch in den Anhang der Margarita philosophica des Gregor Reisch, Straßburg 1512, ist Viator übernommen worden. Neudruck des 17. Jahrhunderts von Mathurin Jousse, La Fléche 1635. Eine moderne Faksimileausgabe des Druckes von 1509, mit Vorrede von H. Destailleur ist Paris 1860 in der Librairie Tross (Verfahren von Pilinski) erschienen. Über Pélerin liegt die fleißige Studie von Montaiglon, Notice historique et bibliographique sur J. Pélerin, Paris 1861, vor. Dazu Fillon, Lettres écrites de la Vendee à M. de Montaiglon, Paris 1861. Ferner Pinchart in seinem Kommentar zu der französischen Ausgabe von Crowe und Cavalcaselle, Les anciens peintres flamands, Brüssel 1863, II, CCCXXVI ff. Der (hier wiedergegebene) Künstlerkatalog wurde zuerst von Cicognara in der ausführlichen Notiz seines »Catalogo ragionato« I, n. 868, Pisa 1921, abgedruckt. Über das Verhältnis zu Dürer Wölfflin in seinem Buche »Die Kunst Albrecht Dürers«, München 1905, S. 76 und 145. Dagegen Panofsky, Dürers Kunsttheorie, Berlin 1915, S. 13; 24, 25, 35, 36. Zu Hans Fries und Pélerin vgl. Leitschuh, Monatsh. f. Kunstw. 1913. — Geoffroy Tory, Champ-Fleury, auquel est contenu l’art et Science de lá deue et vraye Proportion des Lettres attiques, qu’on dit autrement Lettres antiques et vulgairement Lettres Roumaines proportionnees selon le Corps et Visage humain, Paris 1529 und 1549.

2. Dürer.

Es ist nunmehr an der Zeit, wenigstens in großen Umrissen des Wirkens jenes größten deutschen Künstlers zu gedenken, der zuerst im Norden, in fast völliger Einsamkeit, jene Probleme in seinem rastlosen Geiste durchdachte und seinen Kunst- und Landesgenossen zu page 232 gänglich machen wollte, die seit einem Jahrhundert die italienische Kunstwelt beschäftigt hatten, Albrecht Dürers. Ohne die Voraussetzungen italienischer Spekulation ist sein Wirken, so originell es sich darstellt, undenkbar, und es ist bezeichnend, daß es gerade in Italien am meisten Würdigung und Verständnis gefunden hat, freilich auch manch kleinliche Gegnerschaft. Panofsky hat vor kurzem das Verhältnis des großen Deutschen zu der italienischen Kunsttheorie zum Gegenstande eines ausgezeichnet fundierten, ernsten und sachliehen Buches gemacht, das ein Muster in seiner Art ist; sind gleichwohl die Ergebnisse nicht so aufklärend ausgefallen, wie man hoffen durfte, so liegt das viel mehr in dem zum Teile lückenhaften und der Forschung sich verbergenden Material als an der Methode des Autors. Wir beschränken uns also im folgenden darauf, die Stellung Dürers im allgemeinen und großen zu umschreiben.

Einzig wie das ganze Wesen des Mannes überhaupt ist sein theoretisches Mühen; er steht in seinem Lande, ja (von dem einzigen Viator abgesehen) im ganzen außeritalischen Gebiete, ohne Vorgänger und, man kann wohl sagen bis auf Raphael Mengs herab, auch ohne Nachfolger da. Sein Schaffen und Denken auf diesem Gebiete ist nicht weniger original und originell als das seines großen Zeitgenossen Leonardo, nur freilich dem so gänzlich verschiedenen Erdreiche, dem er entwachsen, entsprechend, viel weniger kultiviert und durchgebildet. Diesen großen Nebenmann nennt er gleichwohl nirgends, so mannigfache, auch heute noch nicht vollständig geklärte Einflüsse er von ihm und wohl überhaupt vom Altmailänder Kreise erfahren hat. Auch Dürer ist universal im Sinne der welschen Hochrenaissance, er hat sich nicht nur an der Betrachtung der Grundlagen seines eigentlichen Handwerks genügen lassen. Nur zwei seiner Schriften sind noch zu seinen Lebzeiten erschienen: die Unterweisung in der Messung 1525 und die Festungsbaukunst 1527; die Proportionslehre ist erst nach seinem Tode 1528 gedruckt worden, der große theoretische Traktat endlich, die Speis der Malerknaben, ist Bruchstück geblieben und erst in modernen Ausgaben zugänglich geworden. Ein in London bewahrter Entwurf lehrt uns, daß er sechs Teile umfassen und die Proportion des Menschen, des Pferdes, die Gebärden, die Linienperspektive, die Schatten- und Farbenlehre in sich begreifen sollte.

Dürer ist der erste Künstler des Nordens, in dem die Antike und die italienische Kunst lebendige Formen der Anschauung geworden sind. Welsche Stiche und Zeichnungen haben früh auf ihn gewirkt und ihn in ihren Bann gezogen. Durch Zeichnungen wird ihm Kunde von den neuen Antikenfunden wie dem Apoll von Belvedere; ein griechisches Originalwerk, die berühmte, 1502 auf dem Kärntner Zollfeld gefundene Erzstatue, heute im Wiener Museum, damals im Be page 233 sitze des Kardinals Matthäus Lang in Salzburg, bekanntgemacht durch einen schlechten Holzschnitt in des Apianus’ Inschriftenwerk, gibt ihm das Motiv zu seinem Adam. Er ahnt eine neue Welt, die jenseits der Berge, im Lichte des Südens und ferner Vergangenheit liegt, die anderen Gesetzen folgt als den von mittelalterlicher Überlieferung bestimmten der Heimat, und er sehnt sich mit aller Kraft seines starken, treuen und innigen Gemüts, dessen Schlüssel zu dieser verschlossenen Pforte zu finden. Ein zweimaliger Aufenthalt in Oberitalien bringt ihm teilweise, aber nie ganz gestillte Erfüllung seiner Pläne.

So sind Dürers theoretische Bemühungen erwachsen, die sich bis an die Wende des alten Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Aber diesen Bestrebungen nach der Seite der antikisch-welschen Idealform hin stand sein künstlerischer Ursprung aus der nordländischen Empirie und der ungebrochenen Tradition des Mittelalters namentlich in der Behandlung des menschlichen Körpers im Wege. Es mußte ihm ebenso schwer fallen, sich in diese Welt innerlich, nicht durch äußere Nachahmung, wie es das Los mancher Späterer war, einzuleben, als es uns heute noch dank der geistigen Revolution des nordländischen Menschen nicht leicht gemacht ist, uns auf seine eigene Kunst und die unserer eigenen nationalen Vergangenheit ohne fühlbare Hemmungen einzustellen. Das Problem individuell gebundener Schönheit und objektiver, von wissenschaftlichem Denken bestimmter Richtigkeit des Weltbildes, das die künstlerische Entwicklung Europas fortan bis auf den Impressionismus herab bestimmt hat und erst jetzt wieder zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten unsicher hinpendelt, trat, sich am stärksten in dem gewaltigen Individuum Leonardo verkörpernd, in bewußter Feindschaft dem ganz anders gearteten Schauen der »gotischen« Welt gegenüber, mit ihrer Negation und Geringschätzung »realen« Fürsichseins, ihrer deduktiven, von Leonardo so bitter gehaßten Art, ihrer Freude am Geistigen und am Eigenleben der Elementargeister.

Es war eine tiefe, tiefe, kaum oder nur mit Notbauten zu überbrückende Kluft, und Dürer hat sie wohl gefühlt, ist ihrer auch niemals ganz Herr geworden. Zum mindesten im neuen Jahrhundert ist sein unablässiges, deutsch-ernstes und deutsch-mühevolles Streben dahin gegangen, die Formgesetze jener rätselhaft bezaubernden Bildungen zu finden, sie sich anzueignen, auf seine Welt zu übertragen und letzten Endes zu überwinden. In einem Londoner Fragmente (Lange-Fuhse n. 346) erzählt er selbst, wie seine Jugendbekanntschaft mit dem venezianischen Meister Jacobus — es ist jener Jacopo Barbari, der später Hofmaler der Margarete von Österreich ward — gleich einer Offenbarung, aber auch gleich einem peinigenden Rätsel auf ihn gewirkt hat. Der zeigte ihm Mann und Weib, »die er aus der Maß gemacht« — es ist das Proportionsproblem, wie es die page 234 Italiener als erste geschaut und bearbeitet haben und das Dürern von da an keine Ruhe mehr gegeben hat. Noch 1521 bittet der reife Meister auf seiner Fahrt in die Niederlande die Statthalterin Margarete um »Meister Jakobs Büchlein«, obwohl der Mann schon längst stark in seiner Schätzung gesunken war, wie schon der Brief an Freund Pirckheimer aus Venedig von 1506 zeigt. In jenen Jugendtagen aber hat der welsche Maler dem jungen, naiven, wißbegierigen Deutschen die Auskunft über den Theoriegrund jener Proportionsfiguren verweigert, als ein Werkstättengeheimnis, wie heute noch jeder echte Handwerker das seine hat oder zu haben glaubt. Gleichwohl waren es Dinge, die damals schon längst Gemeingut in seinem Vaterlande waren; er muß doch den starken Konkurrenten gewittert und um seine schwächliche Künstlerindividualität, die er in der Fremde auszunützen gedachte, besorgt gewesen sein. So war der junge Nürnberger auf sich allein angewiesen und er ist tapfer ans Werk gegangen. Er nahm, vielleicht durch seinen gelehrten Lebensfreund Pirckheimer beraten, den »Fitrufium« vor, dessen Kenntnis, wenigstens was die Proportionslehre anbelangt, in den Kreisen des Nordens (s. o.), aber auch nur in diesen, nie völlig erloschen war. Dort fand er jene Maße des menschlichen Körpers, deren Ursprung in althellenische Künstlerateliers zurückreicht (Dürers Auszug aus Vitruv in der Londoner Handschrift bei Lange-Fuhse 314). Die Korrektur, die er an der kritiklos zusammengestoppelten oder verderbten Überlieferung echt künstlermäßig vornimmt, findet sich auch in Cesarianos Vitruvkommentar. Hier kommen wir schon in den Kreis der Mailänder Studien; die Sache vertieft sich aber durch den neuerdings (durch A. Weixlgärtner) erbrachten Nachweis, daß Leonardo nicht nur auf die gleiche Korrektur verfallen ist, sondern daß er auch sonst Dürers theoretisches und praktisches Wirken beeinflußt hat. Im besondern Falle wie in anderen (so wie in der Konstruktion bewegter Köpfe nach dem sogenannten Parallelverfahren) bleibt freilich immer, wie besonders auch Panofsky betont hat, die Frage offen, ob beide Künstler, der Nürnberger wie der Florentiner, nicht auf einer gemeinsamen Vorlage fußen, die eben wieder in den Mailänder Studien, vor allem des Foppa, gesucht werden könnte. Wie ernst es Dürer mit der Überzeugung, die praktische Kunstübung müsse durch theoretische Überlegung fundiert und gestützt werden, nahm, beweist am besten die Tatsache, daß er sich — eigenem Berichte nach — in Venedig die Euklidausgabe von 1505 gekauft hat, er, der ungelehrte Mann des Handwerks; etwas, das vor ihm sicher keinem nordländisehen Kollegen in den Sinn gekommen ist. Aber Euklid führte ihn über die Perspectiva communis des Mittelalters nicht hinaus, über die rein mathematische Begründung; Dürern dürstete jedoch nach der page 235 Perspectiva artificialis, der Anwendung dieser Lehrsätze auf den praktischen bildnerischen Betrieb, wie sie Viator damals in knappesten Umrissen gerade in den Norden einzuführen trachtet. Kurz vor seiner Abreise aus Venedig meldet er dann an Amerbach in Basel, er wolle »gen Bologna reiten, um Kunst willen in heimlicher Perspectiva, die mich einer lehren will« (Lange-Fuhse 40). Wieder die alte Heimlichtuerei in einer in Italien längst öffentlich diskutierten Sache, zugleich wieder ein Zeugnis für die Wichtigkeit, mit der man diese Dinge behandelte. Man hat früher an Luca Pacioli, den Vertrauten Leonardos, gedacht, der aber gerade damals nicht in Bologna gewesen zu sein scheint. Immerhin ist dieses Hinlenken auf den Mailänder und Leonardokreis wieder bedeutsam; eine freilich sehr undeutliche Notiz weiß von einem Bramantinoschüler, genannt Agostino dalle Prospettive, zu melden, der im ersten Viertel des Cinquecento gerade in Bologna gewirkt hat (s. Seite 127). Wir kommen wieder in die Sphäre des alten Foppa, seines einst von Lomazzo besessenen, heute verschollenen Traktats, mit den Kopfkonstruktionen und den spezifisch oberitalienischen Untersuchungen über die Proportion des Pferdes, ein Thema, das, wie wir oben sahen, auch in Dürers großem Werke figurieren sollte und in den knappen Kunstbüchlein seiner unmittelbaren Nachfolger wiederkehrt. In diesem Zusammenhange rückt auch Lomazzos hämische Äußerung, Dürer habe Foppa plagiiert, in neues, freilich von dem Autor nicht beabsichtigtes Licht. Bei der Geheimniskrämerei, mit der die Welschen den nordländischen Adepten und Fremdling fernzuhalten strebten, ist es kein Wunder, wenn von den Bemühungen Dürers heute nur mehr schmale Stege zur italienischen Theorie führen; Panofsky hat mit Ernst und Eifer auch die Ansatzstellen der abgebrochenen festzustellen versucht. Daß Dürer L. B. Alberti gekannt hat — dessen exempeda, die Sechsteilung, findet sich auch bei ihm und etwas dergleichen mag Meister Jakobs so sorgfältig gehütetes Geheimnis gewesen sein — ist anzunehmen. Albertis kleine Kunstschriften sind freilich erst nach Dürers Tod in Basel (1540) gedruckt worden, ebenso wie Walter Rivius auch erst nach dieser Zeit sein Plagiat aus Albertis Traktat »De statua« dem Norden vermittelt hat (Nürnberg 1547).

Einen andern zeitgenössischen Theoretiker Italiens, den Pomponius Gauricus, kann Dürer in Pirckheimers Bibliothek kennen gelernt haben (Weixlgärtner, l. c., p. 6), und ein Zusammenhang mit diesem in Italien wenig, im Norden desto mehr gelesenen Werke ist gewiß vorhanden. Sicher hat er von dem bedeutendsten und methodisch strengsten Perspektivlehrer Italiens, Piero della Francesca, Kunde. Aber er selbst nennt weder diesen noch überhaupt einen italienischen Autor, vielleicht in begreiflicher Mißstimmung nach den Erfahrungen, die er hat machen müssen. Wohl aber hebt er in einem in Dresden erhaltenen Entwurf page 236 zu einem Widmungsschreiben der Proportionslehre (Lange-Fuhse 254) seine Originalität kräftig hervor, und daß er nichts »Gestohlenes aus anderen Büchern« vorbringe. Dergleichen Versicherungen sind nun wohl auch in Italien nicht selten anzutreffen, auch wo wir das Gegenteil beweisen oder vermuten können, in einer Zeit voll starken Selbstgefühls, der der Begriff geistigen Eigentums noch eine zumeist fremde und überflüssige Sache ist. Aber Dürer ist unstreitig im Rechte; er hat fast alles, jedenfalls das weitaus meiste, durch eigenes angestrengtes Nachdenken erobern müssen, so unbestreitbar und richtunggebend auch die Anstöße von der italienischen Theorie her sind und der Sachlage nach sein müssen. Aber er ist seinen eigenen Weg, den des nordländischen Künstlers, gegangen, schon weil er nicht anders konnte; den Zusammenhang seiner Methoden mit gotischen Reißgewohnheiten — wie sie unter anderem in der Portraiture des Villard, Jahrhunderte vorher, zutage liegen — hat in neuester Zeit gerade wieder Panofsky eindringlich betont. Aber auch der Festungsbaumeister Dürer ist ohne die Einwirkung und den Anstoß der längst gepflegten und entwickelten Theorie Italiens her kaum zu denken (s. o. Seite 120 f. über Francesco di Giorgio), obwohl dieses Thema auch durch die große grundlegende Darstellung von Jähns noch keine Klärung erfahren hat. Eigenwüchsig ist er aber auch hier geradeso und in einem Grade, daß der große Erneuerer des Fortifikationswesens im 18. Jahrhundert, der Franzose Montalembert, ihn als seinen Ahnherrn betrachtet und auf ihn zurückgreift, so daß das klassisch gewordene sogenannte neupreußische Befestigungssystem zum Teile durch dieses Mittel auf den großen Nürnberger zurückzugehen scheint. Es ist das eine sehr wichtige, von der Kunstgeschichte kaum beachtete, freilich auch dem Laien schwer zugängliche Parallele zu Dürers sonstigem theoretischen Schaffen und eine wesentliche Grundtatsache in dem Lebenswerke des gewaltigen Deutschen.

Vor mehreren Jahren hat L. Justi den Versuch gemacht, den Spuren der vitruvianischen Porportionsstudien Dürers in jenen Köpfen und Figuren nachzugehen, die nicht auf Modellstudien beruhen, sondern nach bestimmten Schemen konstruiert sind. Daß es dem Meister darum zu tun war, die als unsicher empfundene Empirie des Kunstbetriebes, die er daheim vorfand und der er selbst entwachsen war, durch feste theoretische Grundlagen zu ersetzen, gleich jenen Italienern, in deren Gefilde er auch hier wie in ein Land der Verheißung hinab- und zurückschaut, das sagt er uns selbst an vielen Orten. Sein Buch von der Messung ist trotz allen Mühens um Bewältigung der euklidischen Lehrsätze kein einseitig wissenschaftliches Lehrgebäude geworden, sondern überall von der beständigen Rücksicht auf die Praxis des Bildkünstlers erfüllt und geleitet, und wenn Alberti einst die gelehrten griechischen Ausdrücke seines Vitruvius durch lateinische, d. h. in seinem Sinne page 237 nationale Terminologie zu ersetzen bestrebt war, so stellt Dürer kräftig und eigenwüchsig genug seine damals eben erst in Bildung begriffene oberdeutsche Muttersprache in den Dienst dieser Bemühungen, die für Kunst und Leben unmittelbar fruchtbar werden sollten. Auch in anderer Rücksicht verleugnet er nirgends den Zusammenhang mit seiner nördlichen Erde. Wenn er seine Figuren praktisch und theoretisch aus Zirkelschlägen konstruiert, hängt er wohl, wie wir bereits gesehen haben, mit der älteren Mailänder Schule zusammen, gleichermaßen aber auch mit der Überlieferung der gotischen Bauhütten, die gerade in Deutschland nicht lange vorher durch Roriczers Fialenbüchlein von 1486 literarisch fixiert worden war und noch tief ins 16. Jahrhundert hinein fortwirkte. Wie Dürer zu diesen Kreisen stand, lehrt unter anderem der Brief des kaiserlichen Baumeisters Tscherte an ihn, der Erörterungen schwieriger geometrischer Konstruktionen enthält. Dorthin weisen denn auch die Risse einzelner Details, gotischer Bündelpfeiler, »Laubbossen«, allerlei Kirchengeräte (im III. Buch der »Messung«), Dinge, die dann in Dürers Nachfolge, in der Literatur der deutschen Kunstbüchlein, weitergehen. Daneben laufen aber auch schon jene Konstruktionen von Gesimsen und dergleichen in antikischem Stil, die die deutsche Renaissance ankündigen. Dürer steht an ihrem Vorabend; wenige Jahre nach ihm kommt in Welschland Serlios erstes Buch heraus; und der Fahne des Vitruvianismus folgt dann allmählich die bunte Schar der architektonischen Kunst- und Schreinerbücher des Nordens, die bis zu Indaus Wienerischem Säulenbüchlein im 18. Jahrhundert hinabreicht.

Dürer ist übrigens in seiner Perspektivlehre trotz sauber und ingeniös erdachter Hilfsapparate, des Visiertischchens, des Fadenscheites u. s. w. nicht weit über Alberti, die Mailänder und ihre praktischen Behelfe, den velo u. s. w., noch viel weniger über das strenge System des Piero della Francesca hinausgekommen; jene primitiven Apparate waren Dinge, die die strenge mathematische Perspektive der Toskaner längst überwunden hatte. Die Konstruktion aus den Distanzpunkten, die Viator lehrt, ist ihm ebenso fremd wie den älteren Italienern; auch das ist bezeichnend. Eine kleine Einzelheit wird hier wichtig, die man zu Unrecht gelegentlich wohl aus seinen persönlichen Lebensverhältnissen herzuleiten versucht hat: der schwierige perspektivische Aufriß des Lautenkörpers, bei dem er gerne als Paradigma verweilt, stammt sicher nicht aus der Lautenwerkstatt seines kunstreichen Schwiegervaters Hans Frei, sondern führt bezeichnenderweise gerade wieder auf Italien zurück. Das durch seine wunderliche Gestalt und die Schwierigkeit seiner richtigen Wiedergabe anreizende Tonwerkzeug war schon lange vorher ein ständiges Requisit namentlich in den perspektivischen Stilleben der Intarsiatoren.

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Jenes Werk Dürers aber, das, wie die Ausgaben zeigen, den stärksten Erfolg gehabt hat, trotz seiner wunderlich abstrusen Art, war die Proportionslehre, zu der er selbst das Buch von der Messung als Einleitung gedacht hat. Entstanden ist es aus der innigen Überzeugung des deutschen Künstlers, der »ehrlichen Haut«, daß die heimische Empirie einen organischen Mangel habe, dem er abhelfen müsse, erfüllt von der Sehnsucht, seinen Deutschen den Zugang zu einem der antikischen und welschen Idealfigur zu vergleichenden, aber nationalen Kanon zu erschließen. Hatte ihn dort das Problem der objektiven »Richtigkeit« gequält, etwas, wofür dem Norden seiner Entwicklung gemäß noch jegliches Organ fehlte, so wurde er nun mit Notwendigkeit auf das Problem der objektiven »Schönheit« getrieben. Von den Italienern im Stiche gelassen, hat er sich tapfer abermals über seinen Vitruvius gemacht, und es ist fast rührend zu sehen, wie der ungelenke, aber tiefgründige Deutsche den Gedankenkampf mit der Erbschaft einer fernen und fremden Vergangenheit aufnimmt. Die ältere Forschung hatte im allgemeinen die Tendenz, den Zusammenhang dieser Spekulation mit Dürers künstlerischem Schaffen zu leugnen; seit Justis, Weixlgärtners, Panofskys Untersuchungen wissen wir, daß der Einfluß dieser Konstruktionen bis in die Zwanzigerjahre hinein an Gemälden, Zeichnungen, Stichen zu verfolgen ist. Sein Weg geht nicht, wie seinerzeit K. Lange gemeint hatte, von der »gotischen« Manier zum Naturalismus, sondern aus der gotischen Empirie nicht sowohl zur maniera im italienischen Sinne als zum objektiven »Stil«, wie wir heute sagen. Aber dem vom nationalen Klassizismus der Italiener unberührten Geiste Dürers, seinem Ursprung aus der handwerksmäßig ehrlichen Praktik der oberdeutschen Goldschmiedwerkstätte widerstrebte ein apodiktischer Schönheitskanon. So kommt er, vielleicht nicht ohne Einfluß der Proportionslehre des Gauricus, die von allen anderen italienischen Theorien besonders in ihrer Rücksicht auf die Lebensalter merklich abweicht, zu verschiedenen männlichen und weiblichen Typenpaaren von sieben bis zehn Kopflängen, deren Extreme der gedrungene »grobe bäurische« und der »lange dürre« Mann sind, und behandelt endlich auch die Proportionen des Kindes, ein Thema, das er bei Gauricus angedeutet, aber nicht ausgeführt finden konnte, und in dem gerade die nordländische Kunst am längsten und stärksten von der Naturform abgewichen war. Wie er das im einzelnen durchgeführt hat, zeigen besonders die Konstruktionen des Kopfes, ja des ganzen Menschen im Grundriß, die an die mühsam zu entziffernden gotischen Baurisse denken lassen, wobei aber freilich wieder der Zusammenhang mit den Mailändern von Foppa bis Leonardo deutlich wird. Nicht minder aber die große Selbständigkeit und Originalität des Mannes, der nichts ungeprüft und ungemodelt durch ihre page 239 eigentümliche nordische Natur hindurchläßt. Dazu gehört es ferner, wie Dürer auch den Abnormitäten theoretisch zu Leibe gehen will, ein Gedanke, der, abgesehen von Leonardo, dessen Einfluß hier besonders wirksam wird, den Italienern kaum gekommen ist. Wenn er zu diesem Behufe eine Menge kurioser, künstlich ausgeklügelter Instrumente mit seltsam klingenden Namen als Verkehrer, Wähler, Zeiger, Zwilling, Fälscher erfindet, mit denen er seine Normalfiguren nach bestimmtem Schema verschiebt und verdreht, so erinnert das nicht nur einigermaßen an Erscheinungen späteren nordländischen Kunsttreibens, wie die künstliche Nürnberger Drechslerei der Spätrenaissance, die verschoben, passicht u. s. w. gedrehten Gefäße mit ihrer eigensinnigen Abweichung vom geraden Profil, sondern fast auch ein wenig an die Seltsamkeiten der alten niederländischen Kontrapunktik, ihrer Krebs- und Judenkanons. Aber wie in diesen Künsten die Virtuosität des strengen musikalischen Satzes steckt, so will Dürer an Stelle empirischen Modellstudiums und ungezügelter Phantastik, wie sie seinem Norden kongenial war, einen durchgebildeten bildkünstlerischen Generalbaß setzen, als eine Schule für den Maler, als Anleitung für das Augenmaß, wie er selbst sagt, die er nur als solche betrachtet und keineswegs, wie es der südlichen Theorie im Blute lag, in einem »Gesetze« des Kunstschaffens hypostasieren wollte. Als der große nordische Realist, der er doch seiner eigenen Natur nach immer geblieben ist, wollte er das Charakteristische, wenn auch von irgendeinem Standpunkte aus »Häßliche« von dem Bereiche der Kunst nicht aus-, sondern ihm einschließen.

In dem berühmten langen Exkurs am Schlusse des dritten Buches der Proportionen hat der große Nürnberger seine ästhetischen Überzeugungen in echt Dürerscher Sprache und Gedankenfolge niedergelegt. Der Platonismus, der sich darin ausdrückt, entspricht den Neigungen des Zeitalters und dem Standpunkte seiner humanistischen Umgebung. Aus dieser angeflogenen Gelehrsamkeit taucht aber gleich die Figur des großen aufrechten Künstlers und Menschen in so festen, klaren Strichen wie nur auf einem seiner Kunstblätter hervor. Der Vergleich mit Leonardo drängt sich abermals auf, so weit auch beide nach Herkunft, Bildung und Temperament getrennt sind. Tatsächlich ist Dürer neben dem Florentiner, ja über diesen hinaus, der bedeutendste und originellste Künstlertheoretiker, den die Geschichte kennt. Er ringt mit dem Gedanken und seinem sprachlichen Ausdrucke wie der Erzvater mit dem starken Mann; es ist schier beweglich zu sehen, wie er in seinen Entwürfen denselben Gedanken immer wieder wendet und an ihm feilt, ohne sich doch Genüge leisten zu können. Und der Florentiner verfügte über ein ganz anderes Patrimonium, eine eben- und gleichmäßig aus nationalem page 240 Grunde gewachsene Bildung, über die der arme Nürnberger nicht gebot, den es daheim »nach der Sonnen fror«. Ihm stand auch nicht das seit Jahrhunderten fein ausgebildete und geschliffene Organ toskanischer Rede zu Gebote, sondern das kernige, aber formlos derbe und ungelenke Oberdeutsch, an das Luther eben erst die Hand legte. Wie bemüht sich Dürer um eine nationale Terminologie! Aber seinem Ausdrucke fehlte die Kulturperspektive, das Konzise und Feingliedrige der italienischen Rede, die einen Leonardo befähigte, der Ahnherr wissenschaftlicher Prosa in seinem Lande zu werden. Es ist wirklich, wie Goethe so herzlich gesagt hat, die ehrliche deutsche Haut; er möchte seinen deutschen Landsleuten auf den rechten Weg helfen, der ihnen gemäß ist. Voll tapferen Selbstgefühls, das ihn seinen Eigenwuchs wacker betonen heißt, ist er von der Bescheidenheit nicht der »Lumpen«, sondern der wahrhaft Großen erfüllt, er ist kein Dogmatiker, er möchte die folgenden Zeiten erleben, um noch zu lernen, und sieht allerhand schöne, ferne, ahnungsvolle Dinge im Traume, der überhaupt bei ihm in Leben und Kunst eine Rolle spielt, Dinge, die wiederzugeben er sich ganz außerstande fühlt. Auch darin steckt deutsche lichtfreudige Romantik, aber auch ehrliches Streben ohne jede Falschheit und Pose.

Nachfolger hat er keine gefunden, konnte sie wohl auch nicht finden. Man eignete sich von ihm an, nach der Weise der Zeit oft recht unbedenklich, was man brauchen zu können vermeinte, aber mit seinen nicht leicht zugänglichen Gedankenfolgen wußte man nichts anzufangen. Wohl erlebten seine Werke zahlreiche Auflagen, aber auch in Italien wurde er mehr mit Respekt zitiert als verstanden, gelegentlich auch angefeindet. Man nahm gerade das, was er nicht als Kern seiner Untersuchungen gelten lassen wollte, das Dogmatische, in die immer weiter gepflegte Proportionslehre nach italienischer Art hinüber. Seine Welt hatte, wie einst die der alten Niederländer, für den Süden immer etwas von der Anziehungskraft des Bizarren und Abseitsliegenden, wie sie spätere Zeiten in der Chinoiserie fanden. Als dann im deutschen 17. Jahrhundert wieder ein Nürnberger, Sandrart, mit einem großen, weitausgreifenden theoretisch-historischen Werke auf den Plan tritt, da erweist er sich als wenig originellen Bekenner des klassizistischen Dogmas, das inzwischen mit dem Weltstil des italienischen Barocco alle Länder erobert hatte. Den Abstand der Zeiten kennzeichnet nichts besser und lustiger als das zopfige Verslein, das Sandrarts Schulprogramm enthält:

Hier, Jugend, geh zur Schule Und mit der Musa buhle, Die man Antike nennt: Was neues man erfündet Sich auf die Alten gründet, Die Kunst man so erkennt. page 241

A. Dürers »Underweysung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheyt, in Linien, Ebenen und gantzen Corpora«, ist zuerst Nürnberg 1515 infol. erschienen; erweiterte Ausgabe (mit Zufügung neuer Holzschnitte) ebenda 1533 und 1538, zuletzt Arnhem 1603 und 1606. Lateinisch schon in den Pariser Ausgaben 1532 und 1535 (Arnhem 1605). Neue Ausgabe von A. Peltzer, auf Anregung und mit Vorwort von H. Thoma gedruckt, jedoch gekürzt und modernem Sprachgebrauche angepaßt, München 1908 (vgl. dazu Thoma, Ein alter Schatz. Über Dürers kunsttheoretische Schriften in den »Süddeutschen Monatsheften« 1907).

Dürers zweites Werk, »Etliche Underricht von Befestigung der Stett, Schloß und Flecken«, erschien Nürnberg 1527 in fol.; in neuer Auflage ebenda 1530 und 1538 (Arnhem 1603). Zwei (wegen der Wichtigkeit für das sogenannte neupreußische Fortifikationssystem) bezeichnende Neudrucke erschienen Berlin 1803 und 1823. Lateinisch schon Paris 1535. Eine moderne französische Übersetzung von Evreux mit Anmerkungen von Ratheau, Paris, im Schicksalsjahre 1870.

Posthum ist die Proportionslehre: Hierin sind begriffen vier Bücher von menschlicher Proportion, Nürnberg 1528, in fol. (Arnhem 1603). Lateinisch von Camerarius, Nürnberg 1528, 1532, 1534, Paris 1535, 1537, 1557 (man beachte die große Zahl der Ausgaben, die für die Verbreitung im Auslande besonders wichtig werden). Französisch von Meigret, Paris 1557, Arnhem 1613 und 1611. Italienisch von Gallucci, Venedig 1591 und 1594. Portugiesisch 1599. Holländisch Arnhem 1622. (Eine englische Ausgabe u. d. T. A. Dürer revided. London, um 1660, dann 1666 und 1680, scheint jedoch mit der Proportionslehre nichts zu tun zu haben.)

Eine Gesamtausgabe obiger drei Schriften Dürers ist die von Arnhem 1604 in fol.

Eine treffliche, vorläufig abschließende Ausgabe von Dürers nachgelassenen Handschriften (Speis der Malerknaben, Tagebücher, Briefe u. s. w.) wurde von Lange und Fuhse besorgt: Dürers schriftlicher Nachlaß auf Grund der Originalhandschriften und teilweise neu entdeckter alter Abschriften neu herausgegeben Halle 1893. Die ältere, stark modernisierte Ausgabe von M. Thausing (in Eitelbergers »Quellenschriften« III, 1871) ist dadurch veraltet und überholt.

Im allgemeinen ist die Dürerbibliographie von Singer (Studien zur deutschen Kunstgeschichte XLI, 1903) heranzuziehen (wobei jedoch auf die leider sehr zutreffende Charakteristik dieses »Versuches« durch A. Weixlgärtner in den »Kunstgeschichtl. Anzeigen« 1904, 73, verwiesen werden muß); über die älteren Ausgaben hat Heller in Schorns Kunstblatt 1850 berichtet.

Aus der reichen Literatur sei nur das hier in Betracht Kommende hervorgehoben: A. v. Zahn, Dürers Kunstlehre und sein Verhältnis zur Renaissance, Leipzig 1866 (dazu Zahns erster orientierender Aufsatz über die Dürerhandschriften des Britischen Museums in seinen »Jahrbüchern« I (1868), 1 ff.). C. B. Stark, Dürer und seine Zeit, in Arndts »Germania« I, 675 f. Cantor, Dürer als Schriftsteller, N. Heidelberger Jahrbücher I (1899). K. Lange, Dürers ästhetisches Glaubensbekenntnis, N. F. IX und X (1898—1899). Klaiber, Beiträge zu Dürers Kunsttheorie, Blaubeuren 1903 (zum Teile gegen Justi). Derselbe, Die Entwicklung in Dürers theoretischen Studien, Repertorium für Kunstw. XXXVIII, 238. K. L. Müller, Die Ästhetik A. Dürers, Straßburg 1910. Die tiefe Würdigung auch des Theoretikers Dürer in H. Wölfflins unvergleichlichem Dürerbuch muß hier wenigstens angemerkt werden. Neuerdings das grundlegende Buch von Panofsky, Dürers Kunsttheorie, vornehmlich in ihrem Verhältnis zur Kunsttheorie der Italiener, Berlin 1915. Eine ausgezeichnete Charakteristik Dürers, namentlich in seinem Verhältnis zur deutschen Mathematik und den Konstruktionen der deutschen Baukunst, bei Olschki, Gesch. der neusprachlichen wiss. Lit. Anhang 414—451, wo die tiefe »Sachlichkeit« des Deutschen besonders einem Leonardo gegenüber scharf und schön dargelegt wird.

Zu Dürers Perspektivlehre speziell Nielsen, D. og hans forhold til perspektiven, Kopenhagen 1895 (mit deutschem Resumé). Staigmüller, Dürer als Mathematiker. Pro page 242 gramm des kgl. Realgymnasiums in Stuttgart, 1891. Hünrath, Dürers annähernde Dreiteilung eines Kreisbogens, Bibliotheca mathematica 1906, 120.

Zur Festungsbaukunst: von der Goltz, Dürers Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Befestigungsbaukunst in Grimms Sammelwerk: Über Künstler und Kunstwerke II, Berlin 1867. Vor allem aber der zusammenfassende militärkritische Abschnitt in Jähns großem Werke »Geschichte der Kriegswissenschaften«, München 1889, I, 783 ff., das freilich auch über Dürers Verhältnis zu den Italienern im unklaren läßt. V. Imhof, Dürer und seine Bedeutung für die moderne Befestigungskunst, Nördlingen 1871. Allihn, Dürers Befestigungskunst, »Grenzboten« 1872. Wauwermanns, Dürer, son oeuvre militaire, son influence sur la fortification flamande, Paris 1880. Über Dürers Befestigungslehre ist eine kleine, vortrefflich orientierende Schrift von W. Waetzold zu verzeichnen, unter diesem Titel bei J. Bard in Berlin (1916) erschienen, die auch die Frage nach den Vorgängern und der Nachwirkung des Buches knapp und lehrreich behandelt.

Zu Dürers Proportionslehre: J. J. Trost, Die Proportionslehre Dürers in ihren wesentlichen Bestimmungen in übersichtlicher Darstellung, Wien 1859. Justi, Konstruierte Figuren und Köpfe in den Werken A. Dürers, Leipzig 1902; dazu A. Weixlgärtners ausgezeichnete Besprechung von Brucks Ausgabe des Dresdener Skizzenbuches in den »Kunstgeschichtl. Anzeigen« 1906; ferner derselbe über die Vorlagen zu Dürers anatomischen Studien im Dresdener Kodex (Leonardo) in den »Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Künste« 1906. Winterberg, Über die Proportionsgesetze des menschlichen Körpers auf Grund von Dürers Proportionenlehre, Repertorium für Kunstw. 1903. Holl, Die Anatomie Dürers, Archiv für Anatomie und Physiologie 1905.

Zu Dürers Alphabet C. Sitte und J. Salb, Die Initialen der Renaissance nach den Konstruktionen von A. Dürer, Wien 1882, fol.

Den wichtigen Nachweis, daß Dürer in seinen Entwürfen Marsilio Ficino benützte, hat Giehlow in den »Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Künste« 1903 erbracht.

Zu Dürers Briefen Zucker, A. Dürer in seinen Briefen, Leipzig 1908; vgl. Weixlgärtner am eben a. O. XXXIII, 66. Wustmann im Repertorium f. Kunstw. 1903.

3. Deutsche Kunstbücher.

Zwischen Dürer und Sandrart schiebt sich die merkwürdige Literatur der »Kunstbüchlein« mit ihren volkstümlich marktschreierischen Titeln ein, von der schon oben flüchtig die Rede war. Sie ist durchaus den oberdeutschen Landen eigentümlich und scheint anderwärts kein Gegenstück zu haben. Wir geben im Anhange eine bibliographische Liste ohne Gewähr der Vollständigkeit. Das Thema reicht über die uns gesteckten Grenzen hinaus; die Abbildung behauptet nun schon dem Texte gegenüber eine selbständige und vorwiegende Stellung. Auf welche Kreise diese Elementarbüchlein berechnet sind, sagen uns ihre Titel selbst meist genau genug; es sind die Kunstjünger, die Malerknaben, denen schon Dürer zu Hilfe kommen wollte, kurz die »anfahende Jugend« der kunstreichen deutschen Werkstätten, nicht nur der Maler und Steinmetzen, auch der Illuministen und »Briefmaler«, der Goldschmiede und Schreiner, kurz der »kunstbaren Werkleute« aller Art. Besonders das zuletzt genannte Handwerk, das in den seltsamen Kunstschränken des 17. Jahrhunderts gar wunderlich page 243 gelehrte und architektonische Allüren annahm, ist sehr zu beachten; die »Schweiffbüchlein« und »Säulenbüchlein« vitruvianischer Observanz bilden eine bis ins 18. Jahrhundert hinein blühende Literatur für die »Ebenisten« und Kunstverwandten, die noch im 19. Jahrhundert in den Kompendien der Bauakademien fortvegetiert und uns hier nicht weiter beschäftigen kann. Es ist klar, daß den »gar einfeltigen Jungen« und dem schlichten Handwerksverstand dieser Leute die tiefgründigen Untersuchungen eines Dürer viel zu ferne lagen; eines dieser Büchlein, die Stellung der Possen des Erhard Schoen, weist in seiner Vorrede ausdrücklich darauf hin, daß es eine Einführung in das Verständnis Dürers und Vitruvs sein wolle. Dabei hat es wohl auch sein Bewenden gehabt; der erste deutsche Vitruv des gelehrten Arztes und Mathematikers Walter Rivius (Ryff), der 1543 zu Straßburg herauskam und auch als die älteste außerhalb Italiens gedruckte Ausgabe denkwürdig ist, wandte sich doch in erster Linie an ein Publikum mit gelehrter Bildung.

Viel wichtiger für uns ist aber desselben Rivius Unterrichtung zu rechtem Verstand der lehr Vitruvii, in erster Ausgabe Nürnberg 1547 erschienen und, wie die Kunstbüchlein, allen möglichen Handwerksleuten zugedacht. Sie haben aber schwerlich nach dem dickleibigen Folianten gegriffen, der ihnen jedenfalls zu hoch und zu schwer war, sondern mit der Traktätchenliteratur, die wir gleich überblicken wollen, ihr Auskommen gefunden. Trotzdem ist diese Architektur des Rivius die wahre Bibel der deutschen Spätrenaissance und verdiente mehr Aufmerksamkeit, als ihr bisher zuteil geworden ist; bloß ihre merkwürdigen Holzschnitte wurden durch Röttinger genau untersucht, der sie in ausgezeichneter Weise auf ihre Vorlagen und Urheber hin bestimmt hat. Schon hier ergibt sich ein bemerkenswertes Resultat; eine große Zahl der Schnitte geht auf italienische Vorlagen, Cesarianos Vitruvkommentar, die Hypnerotomachia, Valturio de re militari (1. Ed. Verona 1472), Serlios erste Bücher (von 1537 und 1540), Tartaglias Quesiti (Venedig 1546), anderes auf deutsche und französische Quellen, wie Apianus’ Inschriftenwerk von 1534 und den Vitruvkommentar des Philander zurück. M. Jähns, also ein unserer Disziplin fernstehender Kriegshistoriker, hat für sein Sondergebiet die literarischen Quellen aufgezeigt, die Rivius spoliiert hat. Einige davon nennt dieser selbst in der Vorrede; später ist nicht mehr die Rede davon. Dieses Verfahren hat dem Rivius die schärfste Verurteilung als Plagiator schon von Seite des alten Jöcherschen Gelehrtenlexikons eingetragen; er geht darin auch vielleicht weiter als andere, aber wir haben im Verlaufe dieser Studien, von Ghiberti bis auf Dürer und Leonardo, Gelegenheit gehabt zu bemerken, wie lässig die Renaissance sich dem gegenüber verhält, was wir heute Plagiat oder unrecht page 244 mäßige Übersetzung nennen; und die seligen Bundeszeiten, in denen der Nachdruck blühte, sind noch nicht gar so lange vorüber. Wir haben einen besonders krassen Fall in der Nürnberger Übersetzung des Viator von 1509, die den Namen des Autors einfach unterschlägt, und solcher Fälle ließen sich noch viele belegen.

Die Unterrichtung des Rivius ist eine Kompilation in der Weise, wie sie auch der alte Ghiberti angelegt hatte. Die erste Abteilung bildet die new Perspectiva mit ihrer geometrischen Grundlegung, wie es scheint, wesentlich aus Serlio übernommen. Die beiden folgenden Bücher über Malerei und Skulptur sind Bearbeitungen der kleinen Schriften des L. B. Alberti, wie schon früher erwähnt wurde. Die geometrische Büchsenmeisterei geht auf N. Tartaglia zurück. Das Buch von Befestigung der Stadt, Schlösser und Flecken weist schon in seinem Titel auf Dürer hin, der hier zusammen mit dem genannten Tartaglia und des Grafen von Solms Kurtzem Auszug über Fortifikation von 1535 (Einleitender Dialog zwischen dem vitruvianischen Architekten und dem jungen Baumeister bei Rivius) als Quelle gedient hat. Der Schluß über Meß- und Wagkunde scheint auf deutschen Vorlagen zu beruhen.

Es handelt sich also durchwegs nicht um einfache Übersetzungen, sondern Bearbeitungen älterer Autoren; wie viel von eigenem hinzugekommen ist, läßt sich heute noch keineswegs sagen. Jedenfalls ist das Ganze ein sehr ansehnliches und stattliches Repertorium und dürfte den Titel einer Bibel der deutschen Renaissance, den wir ihm vorher gegeben, wohl rechtfertigen.

Um aber noch einmal auf die Kunstbüchlein zurückzukommen, so beginnen sie mit den allerelementarsten Kenntnissen aus der ebenen Geometrie und bleiben auch in ihren weiteren Erörterungen durchaus auf dem Boden handwerklicher Praxis. Die eigentlichen Perspektivbüchlein, deren Zahl nicht gering und deren ältestes das des Rodler von 1531 ist (das sich ausdrücklich an Stelle des »zu gelehrten« Dürer setzen will), bilden eine Klasse für sich, die im einzelnen, was ihre Ergebnisse anbelangt, so wenig untersucht ist als diese volkstümliche Literatur überhaupt. Wie diese ganze deutsche Renaissance mit dem oberitalienischen Mittel, dem venezianischen und unserem Sondergebiete wohl besonders mit dem mailändischen zusammenhängt, das lehren die Konstruktionsarten, die Verwendung des Gitters, die Quadrierungen, vor allem auch das ständig wiederkehrende Thema der Konstruktion des Pferdes (so bei Schoen, Seb. Behem, Lautensack), das ja schon Dürer in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen hatte, ferner manche deutliche Anleihe bei Leonardo, endlich wohl auch die z. B. bei Lautensack sich findende Konstruktion der Schneckenstiege, des venezianischen bovolo. Eine besondere deutsche Praxis page 245 scheinen dagegen die Possen (Bossen) darzustellen, kleine bewegliche Modelle in einfachsten kubischen Formen, aus Holz, zuweilen, wie es scheint, auch aus Karton, deren Anwendung besonders aus Schoens Kunstbüchlein deutlich wird, vermutlich aus gotischen Handwerksgewohnheiten stammt, aber ein gewisses Gegenbild in der Verwendung kleiner Tonmodelle und mannequins aller Art in den italienischen Malerateliers hat.

Diese ganze Literatur mündet schließlich (z. B. mit Jost Amman) in das eigentliche Vorlagenbuch aus, in denen die graphische Kunst, treu ihrer sonstigen Vermittlerrolle auf diesem Gebiete, eigentlich das Wesen des mittelalterlichen exemplum und simile wiederholt.

Kunstbüchlein :

Hans Sebald Beham. Dieses Büchlein zeiget an und lernet ein Mass oder Proportion des Ros, nüzlich jungen Gesellen, Malern, Goldschmieden, Nürnberg 1528. Derselbe, Das Kunst und Lerbüchlein Malen und Reissen zu lernen, Frankfurt 1546, 1552. Sebald Behams Kunst- und Ler Büchlin Malen und Reissen zu lernen, nach rechter Proportion, Maß und Aussteylung des Cirkels, Frankfurt 1565, 1582. Sebald Behams warhafftige Beschreibung aller fürnehmen Künste, wie man malen und reissen lernen soll, nach rechter Proportion, Maß und Außtheilung deß Cirkels, angehenden Malern und kunstbarn Werkleuten dienlich, Frankfurt 1605. Anonym, Kunstbuechlin gerechten gründlichen gebrauchs aller kunstbaren Werkleut. Von Ertzarbeyt... Malen, Schreyben, Luminieren etc., Augsburg 1535 und 1538.

Heinrich Vogtherr, Ein frembds und wunderbars Kunstbiichlin allen Malern, Bildschnitzern, Goldschmiden, Steinmetzen, Schreinern, Waffen- und Messerschmiden hochnutzlich zu gebrauchen. Der gleich vor nie keins gesehen oder inn Truck kommen ist, Straßburg 1537, 1538, 1572, 1608.

Erhart Schoen, Underweysung der Proportion und Stellung der Bossen, ligent und stehent, abgestolen wie man das vor augen sihet... für die jungen Gesellen unnd Knaben, auch denen so zu dieser Kunst lieb tragen, zu unterrichtung gestellet und inn Druck gebracht, Nürnberg 1534 (1561, 1565).

Facsimile-Ausgabe von L. Baer. Frankfurt 1920.

Jost Amman, Kunst- und Lehrbüchlein für die anfahenden Jungen daraus reissen und malen zu lernen, Frankfurt 1578, 1580. Als Enchiridion artis ebenda 1578. 1599.

Perspektivbücher:

Hieronymus Rodler, Eyn schön nützlich Buechlin und Underweisung der Kunst des Messens, mit dem Zirkel, Richtscheit oder Linial. Zu nutz allen Kunstliebhabern... so sich der Kunst des Messens, Perspectiva zu latein genannt, zu gebrauchen lust haben. Darinn man auch solche Kunst leicht, dann auss etlichen hievorgedruckten büchern, begreiffen und lernen mag. Siemeren auf dem Hunsruck 1531. Frankfurt 1546.

Ulrich Kern, Eyn new kunstlichs wolgegründts Visierbuch... der gleichen noch nie getruckt oder außgangen, Straßburg 1531.

(Augustin Hirschvogel,) Ein aigentliche und grundtliche anweysung in die geometria, sonderlich aber, wie alle regulierte und unregulierte Corpora in den grundt gelegt und in das Perspektiff gebracht, auch mit jren Linien auffgezogen sollen werden. Ohne Druckort 1543.

page 246

Wenzel Jamitzer, Perspectiva corporum regularium, das ist ein fleyßige fürweysung wie die fünff Regulirten Cörper, darvon Plato im Timaeo unnd Euclides inn sein Elementis schreibt, durch einen sonderlichen newen behenden unnd gerechten Weg... gar kunstlich inn die Perspectiva gebracht... werden mögen, (Nürnberg) 1548, 1568.

Heinrich Lautensack, Des Cirkels und Richtscheyts, auch der Perspectiva und Proportion der Menschen und Rosse, kurtze, doch gründtliche Underweisung dess rechten Gebrauchs, Frankfurt 1564, 1618.

Hans Lencker, Perspectiva, hierinnen auffs kürtzte beschrieben, mit exempeln eröffnet und an tag gegeben wird ein newer besonder kurtzer... weg, wie allerley ding, es seyen Corpora, Gebew oder was möglich zu erdencken und in grund zu legen ist, verruckt oder unverruckt, ferner in die Perspectyf gebracht werden mag, Nürnberg 1571, 1595. Derselbe, Perspectiva literaria, das ist ein klärliche fürreissung, wie man alle Buchstaben des gantzen Alphabets, Antiquitetischer oder Römischer Schrifften... durch sondere künstliche behende weiß und weg so bishero nicht ans liecht kommen, in die Perspectif einer flachen ebnen bringen mag, Nürnberg 1567, 1595.

[Ein recht inhaltloser Aufsatz von Frantz über »Kunstbücher« (d. i. über Cennini usw.) in den »Histor.-Polit. Blättern« XCIX (1887) hat nichts mit unserem Thema zu tun!]

Die Ausgabe des lateinischen Urtextes Vitruvs wurde von Dr. Walter Rivius, Straßburg 1543, besorgt. Von demselben rührt die erste deutsche Vitruvübersetzung her, der Vitruvius Teutsch, Nürnberg 548 (dann ebenda 1558 und Basel 1582, 1575, 1614). Rivius, Der furnembsten notwendigsten der gantzen architektur angehörigen mathematischen und mechanischen Künst eygentlicher Bericht und vast klare verstendliche Unterrichtung zu rechtem Verstandt der lehr Vitruvii in drey furneme Bücher abgetheilet Allen künstlichen Handtwerkern, Werckmeistern, Steinmetzen, Bawmeistern, Zeug- oder Büxenmeistern, Maleren, Bildhaweren, Goltschmiden, Schreineren... in Truck verordnet. Dermassen klar und verstendlich bissher im Truck Noch nit außgangen oder gesehen worden, Nürnberg 1547, 1558, Basel 1582. Vgl. Röttinger, Die Holzschnitte zur Architektur und zum Vitruvius Teutsch des Walther Rivius, Straßburg 1914 (»Studien zur deutschen Kunstgeschichte« 167), wo auch sonstige Literatur, und besonders Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften, München 1889, I, 509, 603, 707, 800 (im Register fehlt der Name).

4. Francisco de Hollanda.

Außer in Frankreich und Deutschland sind noch die ersten Einwirkungen italienischer Renaissancetheorien auf der Pyrenäenhalbinsel zu bemerken. Freilich führt uns der (zwischen 1547 und 1549 entstandene) Tractato de Pintura antigua des Portugiesen Francisco de Hollanda in einen ganz anders gearteten Landstrich, als es Dürers Heimat war; diese ultima Thule des europäischen Südens hatte aber doch im Grunde eine ähnliche künstlerische Vergangenheit, wenn auch die altniederländische Kunst hier eine viel stärkere Macht gewesen ist als dort. Schon der Name des Autors weist auf deren Heimatboden zurück; Franciscos Vater war ein Miniaturmaler holländischer Abkunft; den Sohn hat es aber schon nach Italien gezogen. 1538 kam er nach Rom, in den Dunstkreis der neuen Kunst und des Meisters, der damals schon als der Divino galt, Michelangelos. Dessen Name könnte, wie der Aretinos auf Dolces Dialog, auch den Titel der Schrift bilden, die Francisco, in die Heimat zurückgekehrt, verfaßt hat, denn der große Toskaner erscheint als der eigentliche Heros, als die Zentralsonne page 247 aller Kunst, und sein intimstes Altersbildnis ist uns gerade durch ein Miniaturbildchen des Portugiesen überliefert. Von der Pintura antigua will es handeln, der Name enthüllt schon sein Programm; denn dieser Romfahrer aus dem äußersten Winkel niederländischer Diaspora, nach Abkunft und Erziehung ein auf fremden Boden verpflanztes Reis nordischen Wesens, ist im Welschlande der überzeugteste fanatische Anhänger der schon fest ausgebildeten klassizistischen Lehre geworden und hat mit der Vergangenheit gründlichst gebrochen. Doch war auch auf der Pyrenäischen Halbinsel der Boden schon bereitet. 1526 waren zu Toledo die Medidas del Romano, d. h. die »Römermaße« von Diego del Sagredo, Kapellan Johannas der Wahnsinnigen, erschienen und das Buch wurde während Franciscos Abwesenheit in Italien auch schon in seiner Heimat gedruckt (Lissabon 1541), ein Jahr später auch ins Französische übertragen. Es ist die erste Aneignung Vitruvs in diesen Landen, in Form von Dialogen zwischen zwei Teilnehmern, von denen der eine, der Klassizist, den andern, einen Maler und Anhänger des alten heimischen Platerescostils, siegreich übertrumpft. Das Buch enthält manches beachtenswerte Detail, ist aber noch immer gemäßigter als die merkwürdige Geschichte der antiken Malerei, De pictura veteri, die ein Kammerherr Karls V., D. Felipe de Guevara, wenig später zu schreiben unternahm.

Wie alle Nachahmer ist auch Hollanda päpstlicher als der Papst. Vitruv und Plinius sind für ihn unfehlbare Autoritäten, die er ohne jede Kritik ehrfürchtig bewundert. Die, wie wir wissen, gerade im Auslande viel gelesenen Bücher des Gauricus, aber auch diejenigen Dürers hat er benützt; Vasaris Viten konnte er damals wenigstens noch nicht einsehen; ein noch vorhandenes Exemplar der ersten Auflage von 1550 mit Anmerkungen von Hollandas Hand zeigt aber, wie er sich später diesem Studium mit Eifer hingegeben hat. Alberti (den Sagredo fleißig benützt hat) ist ihm eigener Aussage nach erst spät bekannt geworden, was angesichts der damals schon vorhandenen und ihre starke Wirkung beginnenden Ausgaben nicht recht erklärlich ist. Was er nun in den beiden ersten Teilen seines Werkes vorbringt, scheint durchaus ein Niederschlag der in Italien entwickelten Kunstanschauungen ohne besondere Originalität zu sein. Am interessantesten dürften noch die von Vasconcellos (a. u. a. O.) eingehend gewürdigten Abschnitte über Porträtmalerei sein.

Das Zugänglichste und auch Wichtigste sind jedoch die vier Dialoge, die dem Traktat angehängt sind. Als dramatis personae erscheinen außer Hollanda selbst Michelangelo und seine verehrte Marchesa Vittoria Colonna auf der Szene. Der große Alte entwickelt Ansichten über die Kunst, die man bis in die neueste Zeit für vollkommen authentisch und als Eckermännisch getreu durch Hollanda page 248 wiedergegeben angesehen hat. Leider steckt aber ein beträchtlicher methodischer Irrtum dahinter: in einer musterhaften Untersuchung, wie deren unsere in philologischer Kritik sehr übel bestellte Disziplin nur wenige aufweisen kann, hat H. Tietze dargelegt, daß es einem allgemeinen, von Tasso und Dolce bis auf Leopardi herab geltenden Stilprinzip des italienischen Dialogs entspricht, berühmte Personen als Träger der Anschauungen des Autors erscheinen zu lassen. Daß diese Konstatierung an die uralte typische Anekdote vom Ei des Kolumbus erinnert, raubt ihr wahrhaftig nichts von ihrer Schlagkraft. Das ist nun auch — selbstverständlich möchte man beinahe sagen — bei Hollanda der Fall, der seinen Theorien in der Heimat um so mehr Gewicht zu geben glaubte, wenn er sie nach der Weise seiner Vorbilder dem großen Toskaner in den Mund legte, dessen Ruf schon längst alle Welt erfüllte. Der Erfolg hat ihm recht gegeben; aber heute muß, zumal nach Tietzes Untersuchungen, daran festgehalten werden, daß ein hier mitgeteilter Ausspruch Michelangelos anderweitig einwandfrei überliefert sein muß, bevor wir ihn als authentisches Selbstzeugnis betrachten dürfen. Dazu könnte beispielsweise die auch von Condivi überlieferte Äußerung Michelangelos bei Hollanda gehören, die das Wesentliche der Kunst in ihren mühelosen Ausdruck setzt. Wirkliche oder angebliche Aussprüche des Meisters wurden in Rom und auswärts ja in Menge umhergetragen; man vergleiche z. B. den Bericht eines französischen Reisenden von 1574, der im Repertorium für Kunstw. III, 288, abgedruckt ist. So ist es selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß Hollanda wirklich manches aus dem Gedankenkreise des großen Alten mit leidlicher Treue festgehalten hat, wie wir ihm denn, wie schon erwähnt, auch jenes ungeschminkte Altersporträt verdanken, das sich wiederum dem von Condivi überlieferten literarischen Bildnis vollkommen zur Seite stellt. Gedanken, wie sie im ersten Dialog Hollandas über die Weltflucht des Künstlers niedergelegt sind, passen wohl zu dem asketischen Wesen, das die Alterssonette widerspiegeln. Dergleichen betrifft aber Einzelheiten, nicht den ganzen Tenor dieser Dialoge. Die Ausfälle, die Hollanda durch den Mund des Meisters gegen die alte niederländische Kunst richtet, sind in Italien kaum mehr, wohl aber in der pyrenäischen Heimat aktuell, wo sie die Kunst der älteren Generation gewesen ist. Deren Standpunkt vertritt wieder die Marchesa mit der charakteristischen Äußerung, sie sei frömmer — es ist die bis heute gangbare und psychologisch leicht erklärliche, weil aus innerer Verwandtschaft des Religiösen und Primitiven entspringende Verwechslung von Ausdruck und Eindruck, die dem Concetto des sogenannten »kirchlichen« Kunststils fast immer zugrunde liegt. Hollanda will eben daheim für die seiner Ansicht nach einzig berechtigte neuklassische Kunst page 249 weise der Italiener Stimmung machen. Er hat im Auslande gut beobachten gelernt; die Gründe, die er für die verschiedene Wertung der Kunst in der Heimat und in Italien anführt, treffen durchaus den Kern der Sache, wie er denn ein offener Kopf ist. Der agonale Wettbewerb unter den Staaten, Städten und Individuen, der seit der Antike in diesem alten Vaterlande der Künste wohlvorbereitete Boden gibt den Ausschlag, endlich die daraus sich ergebende höhere gesellschaftliche Geltung des Künstlers. Es ist das Wurzeln in einer alten und starken nationalen Vergangenheit, wie es tatsächlich das Mutterland scharf von den einstigen Provinzen des Orbis Romanus scheidet. Nur hier und derart hat sich die Trennung des Handwerks von der Kunst, der ars mechanica von der liberalis, der notwendigen Vorstufe zur Proklamierung dessen, was man später schöne Kunst nannte, entwickeln können, die im Cinquecento schon voll da ist und auch von Hollanda verfochten wird, dessen bezeichnende Äußerung, daß handwerkliche Arbeiten und Entwürfe von Malern höchstens im Fürstendienste übernommen werden dürften, die Kluft beleuchtet, die sich zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert aufgetan hatte. Die Aufzählung der bedeutendsten Malerwerke, die Francisco in seinem zweiten Dialoge gibt, ist ebenso bemerkenswert für die Schätzung des Zeitgenössischen wie für das fast gänzliche Zurücktreten der älteren Kunst des Quattrocento.

Im letzten (IV.) Dialoge treten andere Personen auf, die Hollanda in Rom kennen gelernt hatte: der Miniaturenmaler Giulio Clovio und der Steinschneider Valerio Vicentino; er enthält manche historisch schätzenswerte Einzelheit.

Wenn nun also Francisco de Hollandas Werk den Wert einer Urkunde für Michelangelos Leben und Wesen nicht oder nur in höchst bedingter Weise beanspruchen darf, so bedeutet es dafür in dem vorliegenden Zusammenhange etwas viel Wichtigeres. Es ist ein Zeugnis für die Macht, mit der die nunmehr ausgebildete italienische Kunsttheorie noch vor Erscheinen ihres epochalen Hauptwerkes, der Viten Vasaris, über ihr Ursprungsland hinaus gewirkt hat. Auch Dürer hat an sie angeknüpft, ist aber dann seinen eigenen originalen — und einsamen Weg gewandert; der Portugiese, als Mensch und Künstler eine viel schwächere Natur, ist der fanatische Apostel des neuen klassizistischen Dogmas und der überzeugte Verleugner der eigenen Stammesüberlieferung geworden, gleich manchem Niederländer der Folgezeit.

Diego del Sagredo, Medidas del Romano necesarios a los oficiales que quisieren seguir las formaciones de las basas, columnas capiteles y otras piezas de los edificios antiguos, 1. Aufl. Toledo 1526, 2. und 3. Aufl. Lissabon 1542, 4. und 5. Aufl. Toledo 1549 und 1564. Französisch als Raison d’architecture antique von Simon de Colines, Paris 1539, page 250 1542, 1550, 1555, 1608. Dazu Llaguno-Bermudez, Noticias de los arquitectos... de España, Madrid 1829, I. Diese bibliographischen Angaben sind dem trefflichen Werke von Menendez y Pelayo, Historia de las ideas estéticas in España, 2. Ed., Madrid 1901, vol. IV, 11 ff., entnommen, der sich ausführlich über Sagredo verbreitet.

D. Felipe de Guevara, Comentarios de la pintura. Zuerst herausgegeben von Antonio Ponz, Madrid 1788. fc. Menendez y Pelayo a. a. O. p. 53f. Cicognara, Catalogo I, p. 134.

Francisco de Hollanda, Tractato de pintura antigua (1538). Die alte spanische Übersetzung (um 1563) von Manuel Denis auf der Akademie von San Fernando in Madrid ist jetzt von dieser, Madrid 1921, herausgegeben worden. Die darin enthaltenen Quatro dialogos da pintura antigua, zum ersten Male herausgegeben von Joaquin de Vasconceilos (Renascença, Portugueza, vol. VII), Oporto 1896. Dann portugiesisch und deutsch von Vasconcellos in Eitelberger-Ilgs »Quellenschriften«, N. F., Wien 1899. Die neue vollständige Ausgabe von Pellizzari, Le opere di F. de H. edite dal testo portoghese e nella versione spagnuola ill. con introduzione, versione e note, con la riproduzione integrale del codice di disegni delle Antichità d’ Italia conservato nella Biblioteca dell’Escuriale, Neapel 1914. Eine französische Übersetzung von Rouanet erschien Paris 1911.

Fournier, Die Manuskripte des F. d’Olanda in Zahns »Jahrbuch f. Kunstwissenschaft« I (1868). Menendez y Pelayo, Discursos leidos ante la R. Academia, Madrid 1901, sowie in seiner »Historia de las ideas esteticas« IV, 111 ff. und besonders H. Tieze, F. de Hollandas und Don Giannottis Dialoge und Michelangelo. Repert. f. Kunstw. XXVIII, 295.

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Fünftes Buch: Vasari

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Einleitung.

Über Giorgio Vasaris Lebenswerk kann ich mich im folgenden um so kürzer fassen, als die ausgezeichneten, aus meines früh verstorbenen Freundes und Mitarbeiters Wolfgang Kallab Nachlaß von mir herausgegebenen »Vasaristudien« seit geraumer Zeit vorliegen. Daß sie freilich nicht sonderliche Beachtung gefunden haben, daß man ihnen lieber in einem weiten Bogen ausgewichen ist, bildet eine charakteristische Seite der nach allen möglichen Zielen hin fackelnden und innerlich haltlosen Literatur unserer Disziplin.

Giorgio Vasari stammt aus einer Handwerkerfamilie; der Großvater gleichen Namens hat das in seinem Heimatsorte Arezzo, wo Giorgio 1511 zur Welt kam, seit uralten Zeiten bodenständige Gewerbe der Töpferei betrieben, von dem auch der Name der Familie (vasaio) stammt. Der Schwestersohn seines Urgroßvaters Lazzaro soll nach Vasaris Angabe jener Luca Signorelli gewesen sein, dessen schönes Greisenbild sich dem empfänglichen Knaben als eine frühe Jugenderinnerung tief einprägte, wie in der reizend erzählten Anekdote im Leben des großen Malers von Cortona (ed. Milanesi III, 693) berichtet ist. Mag nun hier schon die Neigung des Aretiners, Wahrheit und Dichtung aus seinem Leben phantasievoll zu mischen, sich selbst als schon früh vom Genius Erkannten und Erwählten darzustellen, hervortreten: seine Angabe, daß jener Lazzaro Maler gewesen sei, ist durch Milanesis mißglückten Versuch, ihn mit einem simpeln, in den Cortoneser Katastern aufgeführten Sattlermeister zu indentifizieren, nicht ernstlich erschüttert worden; die häufig an dem verdienstvollen Urkundenforscher zu belegende, etwas naive Buchstabengläubigkeit scheint sich auch hier geltend gemacht zu haben. Tatsache ist aber, daß Vasari das Werk dieses malenden Urgroßvaters sehr reichlich ausgestattet hat; es ist besonders verdächtig, daß er, namentlich in der zweiten Auflage, durch den Erfolg kühn gemacht, den bescheidenen Cassonimaler der ersten bereits auf die viel breitere Grundlage einer vielbeschäftigten Lokalgröße mit ausgebreitetem Werkstattbetrieb gestellt hat. Das muß uns notwendig stutzig machen und skeptisch stimmen, nicht minder auch gegen Vasaris Angaben über seinen Großvater, den kunstreichen Töpfer und seine Erneuerungen der antiken aretinischen Tonvasen, die als Schaustücke im page 254 Familienhause prangten. Merkwürdigerweise hat Vasari über seinen Vater Antonio uns gar nichts hinterlassen; dieser dunkle Ehrenmann und (voraussetzlich) biedere Handwerksmeister stand wohl noch als allzu reale Person im Gedächtnis der Mitlebenden, als daß der phantasiebegabte Sprößling hier allzu sehr hätte fackeln dürfen. Wir haben aber bei diesen Familiengeschichten deshalb so lange verweilt, weil sich hier sogleich eine sehr bezeichnende Seite unseres Autors enthüllt.

Denn Vasari war, was sehr ins Gewicht fällt, Humanistenzögling, ein gelehrter Maler, wie es den Idealen seiner Zeit recht entsprach. Er war des Lateinischen von Jugend auf mächtig; über den Unterricht, den er in Arezzo von dem Humanisten Pollastra, dann in Florenz, wohin der Kardinal Passerini den Dreizehnjährigen wohl als Spielgenossen des jungen Ippolito Medici gebracht hatte, von dem berühmten Autor der »Hieroglyphen« Pierio Valeriano empfing, hat Kallab sich ausführlicher verbreitet (a. a. O. S. 13 ff.), von der richtigen Anschauung ausgehend, daß die ganze Kritik seines Werkes mit dieser Frage zusammenhängt, und das Schulgut, das Vasari mit in die Unsterblichkeit genommen hat, einen wesentlichen Faktor seiner schriftstellerischen Individualität ausmacht.

Was Vasari als bildender Künstler geleistet hat, kann uns nicht weiter beschäftigen. Seine malerischen Hauptwerke, die Fresken in der Sala regia des Vatikans und die von ihm selbst in seinen Ragionamenti beschriebenen Allegorien im Palazzo Vecchio von Florenz, lassen ihn als einen keineswegs unbedeutenden Vertreter jenes sog. Manieristenstils erkennen, der, lange als Vorstufe des Barocks ziemlich einsichtslos und abschätzig behandelt, zu den problematischen und sicher nicht uninteressantesten Blättern der italienischen Kunstgeschichte zählt. Sein persönlichstes Werk ist die heute noch erhaltene Ausmalung seines eigenen Hauses in Arezzo.

Unbestritten große Bedeutung hat Vasari als Baukünstler. Die Uffizien mit ihrer merkwürdigen, auf malerische Wirkung im Stadtbild berechneten Anlage, das Haus des. Ritterordens von S. Stefano in Pisa mit seiner schönen Freitreppe, endlich die Badia (und sein eigenes schon erwähntes Haus) in Arezzo gehören zu den hervorragendsten Leistungen der künstlerisch wie historisch so eigenartigen Spätrenaissance in Toskana.

Nach einem langen und arbeitsvollen Leben, das an Erfolgen, aber auch an Mühen reich gewesen, ist Giorgio Vasari am 27. Juni 1574 gestorben, wenige Monate nach seinem Herrn und Gönner Cosimo I., dem er auch dasjenige seiner Werke gewidmet hat, das seinen Ruhm durch ganz Europa tragen sollte, die Viten, zu deren Besprechung wir nunmehr übergehen.

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I. Entstehungsgeschichte der Viten. — Verhältnis der ersten zur zweiten Auflage.

Vasari hat uns die Entstehungsgeschichte seines Hauptwerkes selbst überliefert: in seiner merkwürdig fragmentarisch, farblos und flüchtig behandelten Autobiographie, die an den Schluß seiner zweiten Auflage gestellt ist. Die Erzählung von der Abendgesellschaft beim Kardinal Alessandro Farnese in Rom 1546, an der Giovio und Annibale Caro teilnehmen, der erstere einen Vortrag über die Maler seit Cimabue hält, bietet, wie besonders Kallab dargelegt hat, chronologische Schwierigkeiten aller Art und scheint sichtlich zurechtgestutzt. Giovio, dessen Elogien berühmter Männer (s. Buch IV) Vasari übrigens nicht gekannt zu haben scheint, ist tatsächlich sein Vorgänger, aber Vasaris ernstlicher Anteil an diesen Dingen, für die er dank seiner humanistischen Erziehung wohl vorbereitet war, muß viel weiter zurückliegen; in der Widmung an Cosimo I. betont er, daß eine zehnjährige Beschäftigung mit dem Gegenstande vorausging. Mag auch hierbei das horazische Nonum prematur in annum einigen Anteil haben, das ungeheure, von ihm wesentlich durch eigenen Fleiß zusammengetragene Material läßt einen solchen Ansatz wohl verständlich erscheinen, zumal wenn wir bedenken, daß Vasari schon damals ein vielbeschäftigter Künstler war, der große Aufträge übernommen und ausgeführt hatte. Wir haben sichere Anhaltspunkte, daß seine Vorarbeiten mindestens bis 1540 zurückreichen 1547 konnte er tatsächlich, wie aus dem Briefwechsel hervorgeht, Annibale Caro eine Probe seiner Arbeit überreichen. Dessen Antwort ist interessant genug: er lobt Stil und Gehalt, tadelt nur gewisse stilistische Eigentümlichkeiten, die ihm der natürlichen Sprache zu widersprechen scheinen; mit feinem Takt vermeidet er, an diesen volkstümlichen Malerstil, den sich Vasari selbst zuschreibt, zu rühren. Darin hat ja dieser auch wirklich sein Bestes gegeben, nicht in den geschwollenen Einleitungen, mit denen er literarisch prunken wollte. Vasari erzählt selbst, wie das bis dahin Fertige vorher (1547) an den Abt des Olivetanerklosters bei Rimini, D. Gian Matteo Faetani, ging, der die Reinschrift durch einen Mönch und die Revision besorgte. Diese rein äußerliche Redaktion ist von dem letzten Autor, der Vasaris schriftstellerische Technik behandelt hat, Scoti-Bertinelli, unnötig aufgebauscht worden, der einen an sich fruchtbaren Gedanken, die fremden Bestandteile aufzuspüren, maßlos übertrieben hat; wir kennen vor allen Dingen den Stil dieser angeblichen »Helfer« nicht, so daß derlei page 256 Versuche ins Leere stoßen. Es wirken bei dieser Richtung der Anschauung noch Tendenzen aus alter Zeit mit. Gleich nach Erscheinen der ersten Auflage wurde, wie gewöhnlich durch den starken Erfolg wachgerufen, allerhand mißgünstiges Stimmengemurmel laut, das die Originalität des Werkes herabzusetzen oder zu leugnen bemüht war. So ward einem Mann aus dem Freundeskreise Vasaris, dem D. Silvano Razzi, das geistige Eigentum des Werkes zugeschrieben; ein törichtes Gerede, denn das noch vorhandene, druckfertig auf der Nationalbibliothek in Florenz erliegende Elaborat des Razzi entpuppt sich als ein erst nach der zweiten Auflage von 1567 gemachter schlechter Auszug (von 1615!).

Über diese »Helfer« Vasaris ist überhaupt viel geredet worden; wir erkennen das schon aus den boshaften Glossen, die Cellini über das Zwillingspaar Vasari und seinen gelehrten Freund Vincenzo Borghini, gemacht hat. Dieser Borghini (wohl zu unterscheiden von dem später zu erwähnenden Raffael Borghini) ist eine für das damalige Florenz recht charakteristische Figur, die uns durch seinen vor nicht langer Zeit veröffentlichten Briefwechsel etwas nähergerückt worden ist. Er war selbst Dilettant und Sammler, sein Libro wird von Vasari öfter erwähnt, und mit dieser Sammlung von Handzeichnungen alter Meister hat er Vasari zur Nachahmung gereizt. Er ist dem Freunde tatsächlich mit dem reichen Schatz seines Wissens fördernd zur Seite gestanden, hat mit Giambullari zusammen den Druck der ersten Ausgabe überwacht, Exzerpte aus Historikern wie Paulus Diaconus besorgt, auch eine lange platonisierende Abhandlung über die Bedeutung der Malerei (dem ersten über die Technik der Malerei handelnden Kapitel eingerückt) beigesteuert. Aber wie gerade die Zusammenstellung in Scoti-Bertinellis Buch vor Augen führt, hat Vasari das alles selbst umgearbeitet und in seinen eigentümlichen Stil gegossen. Scoti, der so sehr nach fremden Elementen spürt, muß selbst zugeben, daß diese Beisteuern inhaltlich gar keinen Einfluß ausgeübt haben. Auch die merkwürdigen moralisierenden Proömien der Viten, in denen Vasari sich ganz im Fahrwasser des zeitgenössischen Literatenstils ergeht, sind voll sein Eigentum. Das wirklich fremde Gut bei ihm ist leicht zu erkennen und schon äußerlich als solches gekennzeichnet, so namentlich die Grabschriften der ersten Ausgabe, die ihm Annibale Caro, Adriani, Segni u. a. lieferten, das Kapitel eines andern Freundes, Cosimo Bartoli, über Attavantes Miniaturmalerei (2. Auflage), der Brief des Adriani, ein ziemlich nichtswürdiger Auszug aus der alten Kunstgeschichte des Plinius, der ganz unorganisch während des Druckes der 2. Auflage vor der Vita des Beccafumi eingeschoben wurde. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß Vasaris Viten durchaus als sein eigenstes und persönlichstes Gut zu betrachten sind.

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So ist die erste Ausgabe, von Torrentino gedruckt, 1550 erschienen, 3 Teile in 2 Bänden. Das Buch war längst mit Spannung erwartet worden, selbst in Oberitalien hatte Pino in seinem Dialog von 1548 öffentlich darauf hingewiesen, und Marcanton Michiel, vielleicht auch der Anonymus der Magliabecchiana legten ihre nach ähnlichen Zielen strebenden Arbeiten still beiseite (s. Buch III). Tatsächlich ist diese erste Ausgabe ein Stück ganz aus einem Gusse, trotz vieler Mängel, die ihr anhaften, in viel höherem Grade ein Kunstwerk als die zweite. Straff komponiert, bleibt sie dem in der Florentiner Kunsthistoriographie schon vorher ausgebildeten Grundsatz treu, nur verstorbene Künstler, jedenfalls nur solche, deren Entwicklung abgeschlossen (wie bei dem erblindeten Rovezzano) und überschaubar ist, zu behandeln. Ein einziger macht eine Ausnahme, es ist der große Heros dieser Zeit und vor allem Vasaris selbst, Michelangelo, dessen Unsterblichkeit schon im Zeitlichen errungen ist. Er ist der Kulminationspunkt aller Entwicklung, der krönende Gipfel des ganzen Gebäudes, das zu ihm hinstrebt und in ihm seinen Abschluß findet. Diese eindrucksvolle Architektonik des Werkes ist der zweiten Auflage verlorengegangen.

Nach achtzehn Jahren, 1568, diesmal bei den Giunti gedruckt, erschien diese zweite Ausgabe. Vasari hatte unterdessen sehr viel gesehen und zugelernt; er hatte Reisen durch Gegenden unternommen, die er vorher entweder gar nicht oder nur flüchtig besucht hatte (Assisi, Oberitalien). Vieles wurde unleugbar verbessert, Flüchtigkeiten und Mißverständnisse wurden ausgemerzt; so ist z. B. den Pisani, die in der ersten Ausgabe seltsamerweise als Schüler des viel späteren Andrea Pisano figurierten, ein eigenes Kapitel gewidmet. Mißgunst hatte von infinite bugie gemunkelt; Vasari hat sich aber berechtigter Kritik nicht verschlossen, sein historisches Gewissen ist geschärft, und so entfernt er einen guten Teil jener Grabschriften, die ad hoc bestellt, dennoch aber vorgetragen waren, als handelte es sich um wirkliche Tatsachen. Wie er hinter sein Werk weitere Perspektiven zu stellen suchte, lehrt der schon erwähnte Brief Adrianis, so schlecht Vasari auch hier bedient war. Es erschließen sich ihm neue Quellen, vor allem die Porträts, da ihm durch seine Beschäftigung im Palazzo Vecchio die Darstellungen der geistigen Elite der Mediceer nahegerückt worden waren; Vasari stattet nun sein Werk mit den von ihm selbst und Schülern entworfenen Künstlerporträts aus und gibt dadurch das Vorbild für die Späteren. Über die venezianischen Holzschneider und ihre oft wenig getreue Wiedergabe klagt er selbst gelegentlich. Aber an innerer Einheitlichkeit hat sein Buch viel verloren; man sieht deutlich, wie er gearbeitet, die Druckbogen eines Handexemplars mit Erweiterungen und Streichungen bedeckt hat; page 258 dadurch erklärt sich mancher Flicksatz, manches ärgerliche Übersehen, so daß gewisse Sachen zweimal vorgebracht werden (Leben des Peruzzi). Sein Material ist ungemein gewachsen, schon der äußere Umfang der zweiten Auflage zeigt es; eine große Zahl ganz neuer Biographien (allein 34 im Cinquecento!) ist hinzugekommen, vor allem sind auch die Lebenden in einem eigenen starken Anhang berücksichtigt. Seine eigene, freilich, wie schon gesagt, merkwürdig trockene, leblose, selbst ungenaue Lebensbeschreibung fehlt gleichfalls nicht. Neben den bereits erwähnten Porträts erscheint eine weitere unmittelbare Quelle, die Handzeichnungen; Vasaris eigene Sammlung, der oft erwähnte Libro, erscheint erst hier zitiert. Das heiße Bemühen Vasaris, der sich jetzt mit Recht als anerkannten Literaten fühlt, geht dahin, Stil und Vortrag zu verbessern, nicht selten auf Kosten frischerer Natürlichkeit der ersten Auflage. Gewisse Naivetäten in dieser werden ganz unterdrückt oder gemildert, wie vor allem die Klatschgeschichten über die noch lebende Frau seines alten Meisters Andrea del Sarto. Aber, wie gesagt, die kühn gedachte Architektonik der ersten Auflage ist durchbrochen und undeutlich geworden; Vasaris Bild als Schriftsteller stellt sich uns in dieser unvergleichlich reiner und künstlerischer dar, so sehr wir ihm auch für seinen Fleiß und das beigebrache neue Material Dankbarkeit schulden.

II. Die Quellen Vasaris.

Vasari hat den größten Teil der vor ihm vorhandenen kunsthistorischen Literatur mit Umsicht und Fleiß genützt, namentlich in der zweiten Auflage in noch höherem Maße als in der ersten, hier auch, wie schon gesagt wurde, mit geschärfterem historischen Gewissen. Er nennt jetzt viele Quellen mit Namen, die er früher stillschweigend oder unter vagen Bezeichnungen herangezogen hat. Freilich müssen wir uns auch hier immer gegenwärtig halten, daß der Begriff des Plagiats für die Renaissance ein anderer, viel läßlicherer ist als für uns. Im übrigen ist gerade da wieder auf Kallabs Studien, die diesen Stoff besonders ausführlich und mit kritischer Schärfe behandeln, zu verweisen. Wir suchen im folgenden nur eine gedrängte Übersicht über Vasaris literarische Kenntnisse zu geben; sie sind groß genug.

1. Eigentlich kunsthistorische Quellen.

Wir dürfen nicht vergessen, daß Vasari die meisten Quellen dieser Klasse, die uns heute durch den Druck erschlossen vorliegen — eine Arbeit, die wesentlich erst das 19. Jahrhundert geleistet hat! — page 259 noch in ihrer zum Teil schwierigen handschriftlichen Gestalt einsehen mußte; die Umsicht, mit der er das tat, kann uns heute noch Respekt einflößen und uns seine gelegentlichen Flüchtigkeiten, seinen Mangel an Akribie vergessen machen. Den Standort gibt er zuweilen an; in anderen Fällen übergeht er ihn mit Stillschweigen. So hat er die Kommentarien des alten Ghiberti, den er gelegentlich mit einem treffenden Beiwort verissimo nennt (Vita des Giotto, 2. Aufl.), in jener Handschrift, die uns heute noch allein vorliegt, damals im Besitz seines Freundes Cosimo Bartoli, benützt, während, wie wir schon wissen, seinem Nebenläufer, dem Anonymus der Magliabecchiana, vermutlich noch das heute verschollene Original Vorgelegen ist. In jenem Zusatz der zweiten Auflage (Vita des Ghiberti), in dem er den Traktat des alten Meisters bespricht, hat er allerdings eine ganz schiefe, ungerechte, ja geradezu falsche und unehrliche Charakteristik desselben gegeben; er, der selbst Ghiberti als reichste und verläßlichste Quelle für das Trecento weidlich, manchmal wörtlich genützt hat, behauptet dreist, man könne aus ihm nur »geringen Nutzen« ziehen.

Neben Ghiberti ist der Libro (des Antonio Billi) seine wichtigste Quelle für das Trecento und besonders auch für das Quattrocento. Daneben rinnt jene hypothetische, von Kallab scharfsinnig analysierte »Quelle K.«, die er parallel mit seinen Konkurrenten, dem Magliabecchiano und Gelli, benützt. Manettis Biographie des Brunellesco hat er in großem Umfang ausgebeutet, namentlich auch den merkwürdigen Exkurs über die Architekturgeschichte. Erst in der zweiten Auflage wird ihm eine oberitalienische Quelle zugänglich, der Brief des Campagnola über die Maler von Padua, den auch M. A. Michiel genützt hat. Dagegen ist, wie schon früher (Buch II) bemerkt wurde, die von Becker ausgesprochene Ansicht, daß er das Schriftchen des Facius herangezogen habe, als irrig anzusehen. An Künstlerschriften theoretischer Art übersah er gleichfalls ein reiches Material, namentlich in der zweiten Auflage. Hier berichtet er zuerst über das Werkstattbuch des alten Cennini, damals im Besitze des sienesischen Goldschmieds Giuliano. Den Traktat des G. B. Bellucci aus S. Marino über Festungsbauwesen (dessen Handschrift sich damals in Florenz bei M. Puccini befand), erwähnt er in der Biographie des Genga (2. Auflage). Der des Francesco di Giorgio Martini ist (in der 2. Auflage) als bei Herzog Cosimo befindlich erwähnt. Den kunsthistorischen Roman des Filarete hat er für dieselbe Ausgabe ausgebeutet. Dagegen kennt er anderes nur vom Hörensagen, so vor allem das toskanischer Heimaterde längst entrückte Schrifttum Leonardos; immerhin hat er eine merkwürdige Notiz über einen nicht genannten Mailänder Maler, der den Traktat zum Druck befördern page 260 wollte. Über Piero della Francescas Traktat und das angebliche Plagiat des Luca Pacioli weiß er eigentlich nur Klatschgeschichten. Von seines Zeitgenossen und Nebenbuhlers Cellini Schriften hat er Kunde, obwohl die berühmte Selbstbiographie erst im 18. Jahrhundert gedruckt wurde, der technische Traktat aber erst im Erscheinungsjahre der zweiten Auflage Vasaris selbst (1568) erschien. Doch zählt dies natürlich nicht zu Vasaris Quellen im eigentlichen Sinn.

Viele handschriftliche Quellen, alte Malerschriften und dergleichen erwähnt Vasari in undeutlicher Weise. Dahin gehört ein Libretto antico (Vita des Gaddo Gaddi, 2. Aufl.), certi ricordi di vecchi pittori (Cimabue, 2. Aufl.: Geschichte des Karl von Anjou), ricordi di molti che ne scrissero (der sog. Giottino als Bildhauer weist auf Billis Buch). Besonders merkwürdig sind seine Hinweise auf stratti (estratti) und ricordi des Ghirlandajo und Raffael (1. Aufl., Stefano, Schlußwort des Werkes). Gar nicht faßbar sind Angaben wie si legge (Vita des Duccio, 2. Aufl.; über den angeblichen Moccio, Vita des Jacopo di Casentino, eine Familiennachricht über die Landini).

Das gedruckte Material hat Vasari natürlich ebenfalls benützt. Unbekannt ist ihm merkwürdigerweise der längst gedruckte Traktat des Gauricus geblieben; aber wir wissen bereits, daß das Buch in Italien überhaupt viel weniger gelesen wurde als im Norden. Dagegen kennt und nützt er die älteste Florentiner Guida des Albertini von 1508, die von seinem Freunde Cosimo Bartoli übersetzten Schriften des L. B. Alberti, deren Ausgaben (1550 und 1568) so merkwürdig mit den Viten zusammenfallen. Auch die lateinische, ihm vom Verfasser selbst mit einem schmeichelhaften Brief übersendete Vita des Lambert Lombard (s. u.) von Lampsonius (VII, 590) gehört hierher. Von Dürers in Italien so eifrig gelesenen Schriften dagegen hat er höchstens oberflächliche Kenntnis gehabt. Sehr seltsam ist sein Verhältnis zu der 1553 gedruckten Michelangelobiographie des Condivi. Vasari hat hier ein wirkliches und nicht eben schönes Plagiat aus Eifersüchtelei begangen. Er benützt sie ziemlich ausgiebig und berichtet die übernommenen Züge wie aus eigener Erfahrung. Den Namen des Autors nennt er nirgends, er erwähnt ihn nur flüchtig unter Michelangelos Schülern. Der Grund ist nicht schwer zu finden; Condivi hatte seinerseits Vasaris erste, drei Jahre vorher erschienene Auflage benützt, nicht ohne hämische Seitenblicke. Man sieht, daß der Künstlerautor sich nicht ungestraft in das Getriebe des Literatenwesens begeben hatte. Daß er den in Oberitalien gedruckten kleinen Dialog des Pino, in dem er selbst schon angekündigt wird, gekannt hat, ist nicht recht wahrscheinlich, obwohl beide eine Anekdote über Giorgione bringen, die auf eine gemeinsame, vielleicht mündliche Quelle deutet. Nicht recht klar ist sein Verhältnis zu Lodovico page 261 Guicciardinis Beschreibung der Niederlande (1567), der seinerseits Vasarts erste Auflage benützt hat, sie auch ausdrücklich mit großem Lobe nennt, dessen reichhaltige Übersicht aber in Vasaris zweiter Ausgabe von 1568 z. T. wörtlich übernommen erscheint. Daß Vasari seine Quelle nicht nennt, wäre nach dem, was wir von ihm wissen, nicht gar so wunderbar; aber es sind Unstimmigkeiten vorhanden, die auffallend sind, so daß zuerst Schnaase an Dom. Lampsonius als Vermittler gedacht hat, was aber nicht belegt werden kann; ebensogut (und vielleicht mit mehr Recht) könnte man an Lambert Lombard denken. Kallab hat dieses Quellenverhältnis nicht mehr untersuchen können.

Daß der Baukünstler Vasari die schon recht ansehnliche architektonische Literatur kennt, ist von vornherein anzunehmen. Die vitruvianischen Schriften und Kommentare des Cesariano (IV, 194; VII, 490), des Barbaro (VI, 364), Caporali (III, 547, 694), Barbaro (VI, 488), Serlio (V, 431), Vignola (V, 432) führt er selbst an; das damals noch nicht erschienene Werk des Palladio wird bereits angekündigt (VII, 531). Auch das Buch des Franzosen Jean Cousin (Cugini) ist ihm bekannt (V, 432), B. Peruzzis und Bramantinos Messungen römischer Bauten finden im Vorübergehen Erwähnung (IV, 604).

Vasari hat auch tatsächlich eine ganze Schar von Helfern in Bewegung gesetzt, die ihm Auszüge und Notizen, wie es damals üblich war, übermittelten; das gleiche fanden wir ja schon bei Marc Anton Michiel, mit dem er ja eine dieser Quellen, den Campagnola, gemeinsam hat. Von dem ganz im modernen Dissertationenstil gehaltenen Beitrag des Cosimo Bartoli über die Silvius Italicus-Handschrift in S. Giovanni e Paolo in Venedig war schon die Rede, ebenso von dem Brief des Lampsonius. Schriftliche Notizen solcher Art müssen wir auch bei sonst genannten Gewährsmännern voraussetzen, bei den Nachrichten über Pisanello und andere Veroneser, die ihm Fra Marco de’Medici in Verona und Danese Cattaneo lieferten, bei denen über friaulische Maler des G. B. Grassi in Udine, bei den sehr genauen aus Dominikanerkreisen stammenden Nachrichten über Fra Bartolommeo. Das Fehlen von Nachrichten aus Venedig beklagt er selbst (Vita des Carpaccio) noch in der 2. Auflage. Von einigem Interesse ist auch in diesem Umkreis ein noch erhaltener, vom Lokalpatriotismus eingegebener Brief des Bombaso aus Reggio über den einheimischen Künstler Prospero Clementi (erst von 1572). Jener nordische Maler, Lambert Lombard aus Lüttich, sandte ihm 1565 Notizen über ober- und niederdeutsche Künstler. Daß er seine ausgebreitete Korrespondenz auch sonst weidlich genutzt hat, liegt auf der Hand; er selbst schöpft aus seinem Briefwechsel mit Salviati und vor allem mit Michelangelo.

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2. Historische Literatur.

Diese hat Vasari in der zweiten Auflage in ziemlich großem Umfange verwertet. Das Gebiet ist von Kallab besonders eingehend und scharfsinnig behandelt und mit Konkordanzen belegt worden. Aus der Langobardenchronik des Paulus Diaconus hat ihm wohl Borghini Auszüge geliefert; der Autor war schon seit 1514 gedruckt, ebenso die italienische Übersetzung des Domenichi seit 1518. Auch Lokalchroniken von Florenz, Siena (des Andrea Dei), Venedig hat er eingesehen; manches davon — wie die Chronik von S. Domenico in Prato, schon zu Vasaris Zeit verstümmelt — ist nicht mehr vorhanden. Manettis Leben Papst Nikolaus’ V. (das erst Muratori in seinem großen Sammelwerk zum Druck befördert hat) lag ihm, wie es scheint, in einer italienischen Bearbeitung vor, die Papstleben des Platina zitiert er flüchtig im Leben des Gentile von Fabbriano, ebenso die Chronik des Biondo von Forlì. Das Merkwürdigste und für Vasaris Arbeitsweise höchst Bezeichnende ist aber die von Kallab durch Gegenüberstellung der Parallelstellen dargelegte Benützung der florentinischen Historien des Giovanni und Matteo Villani. Vasari hat die Stellen ausgehoben, die sich auf Bauten in und um Florenz bezogen, sie mannigfach ergänzt und vor allem, was bis dahin in der kunsthistorischen Literatur bezeichnenderweise gar nicht bemerkt worden war, in den Text der alten Chronisten, deren Angaben er häufig wörtlich benützt, eigene Zutaten aufgenommen. Diese betreffen vor allem Künstlernamen des Trecento, die Vasari, um sein dürftiges Material zu bereichern, in die durchaus anonymen Chroniknotizen aus freier Phantasie einsetzt; nahezu in allen Fällen haben sich diese Zuschreibungen als irrig erwiesen, obwohl sie in der kunsthistorischen Literatur häufig als bare Münze genommen wurden und werden. Für Vasaris historische Romantechnik ist aber dieses Verfahren so bezeichnend und lehrreich wie kaum ein zweiter Fall.

Auch Urkunden hat Vasari seiner Angabe nach gelegentlich eingesehen; er nennt den Libro Vecchio der florentinischen Malerkompagnie (Leben des Giotto), den Libro dell'arte della Calimala (A. Pisano). Kallab, der diesem Gebiet besondere Aufmerksamkeit widmete, hat aber gezeigt, daß bei Vasari von einer wirklichen Urkundenbenützung — wie sie später, in einem ganz anderen Zeitalter, der gelehrte Baldinucci betreibt — überhaupt keine Rede sein kann und daß die gelegentlich heute noch laut werdende Vermutung, er stütze seine sich als richtig oder wahrscheinlich erweisenden Angaben auf uns unbekannte und verschollene Dokumente, ganz und gar unkritisch und hinfällig ist. Die von Kallab mit vielem Fleiße angelegten Tabellen zeigen dies zur Genüge, namentlich, wie willkürlich Vasaris anscheinend so genaue chronologische Angaben konstruiert sind. Da page 263 gegen hat er den Inschriften schon in der ersten, noch mehr in der zweiten Auflage viele Aufmerksamkeit geschenkt; sie lagen ihm, enge mit dem Kunstwerke verbunden, näher und er hat sie zuweilen mit leidlicher Treue kopiert und wiedergegeben.

3. Sonstige Literatur.

Vasari, der eine gute Erziehung erhalten hatte und eine bei einem Künstler nicht gewöhnliche Bildung besaß, ist mit dem Schrifttum seines Volkes wohl vertraut und hat es für seine kunsthistorischen Zwecke, wo es anging, ausgebeutet. Das gilt vor allem von Dante und der um ihn gruppierten Scholiastenliteratur; den unter dem Namen des »Ottimo« bekannten Kommentar konnte er z. B. in der Bibliothek seines Freundes Cosimo Bartoli einsehen. Auch Sacchettis (damals noch ungedruckte) Novellen kennt er und hat sie zum Teil eingefügt (Leben des Giotto, Buffalmacco), ebenso Boccaccio. Petrarcas Sonette auf Simone Martini, die des Giovanni della Casa auf Tizian benützt er in seiner Weise als Quellen; ebenso fügt er an geeigneter Stelle zur Charakteristik des großen, von ihm so verehrten und verherrlichten Mannes Sonette des Michelangelo ein. Sie sollen zugleich Zeugnisse für seine Vertrautheit mit dem Gegenstande sein; hier stand er in der Defensive gegen Ausfälle wie die des Condivi, und demselben durchsichtigen Zwecke dienen auch die eingerückten, freilich mitunter verstümmelten Briefe des Meisters. Briefe von Künstlern und Kunstfreunden hat er, wie wir bereits sahen, auch sonst benützt und eingeflochten; hierher gehören außer denen Salviatis solche der Sofonisba Anguissola, des Raffael an Timoteo Viti; einen Brief Bembos an Cosimo I. über Pisanellos Medaillen hat Vasari dem 1560 gedruckten Epistolario dieses Humanisten entnommen.

Diese rasche Übersicht zeigt, wie vielseitig und weitblickend Vasari gewesen ist und wie er auf einem Material fußt, über das kein Künstler oder Kunstschreiber vor ihm in solcher Weise verfügen konnte.

4. Mündliche Überlieferung. — Vasaris Denkmälerkenntnis und Autopsie.

Vasari hat sich dank seiner weitverzweigten Beziehungen in sehr ausgiebiger Weise mündlich lebendiger Tradition bedienen können. Über deren Rolle in seinem Werk hat sich Kallab in einigen besonders eingehend und liebevoll ausgearbeiteten Kapiteln seines Nachlaßwerkes (p. 271 ff., dazu 390 f.) verbreitet. Besonders sind es zeitgenössische Künstler, die er in Bewegung zu setzen wußte; so haben ihm unter anderen Francesco da S. Gallo (über seinen Bruder Giuliano), ein Schüler Peruzzis, Francesco Senese, über diesen, Palladio über page 264 Fra Giocondo von Verona, Beccafumi über Quercia, Bronzino über Pontormo, Tribolos Vater über diesen seinen Sohn Stoff geliefert. Von Girolamo da Carpi hat er sich dessen Lebenslauf 1550 in Rom schildern lassen; die Mittel des modernen Interviewers sind ihm also schon vertraut.

Das Wichtigste ist natürlich Vasaris Verhältnis zu den primären Quellen, den Denkmälern selbst. Vasari hat dank seiner ausgebreiteten Reisen durch ganz Italien ein Material sammeln können, wie es keinem Künstler vor und nach ihm zu Gebote gestanden ist; das Ausland, das den reisenden Virtuosi der Folgezeit immer vertrauter wurde, hat sich ihm dagegen nicht erschlossen, er haftet durchaus in älterer Art auf heimischer Erde. Auch dieses sehr wichtige Kapitel in Vasaris Schaffen, sein Itinerar, ist von Kallab auf Grund der fleißigst ausgearbeiteten Regesten zum Leben des Autors (S. 41—135, 478 Nummern) dargestellt worden (247 ff., 375 f.), weiteres Material dürfte in dem noch der Veröffentlichung harrenden Vasari-Archiv (s. u.) zu finden sein. Wie er neue, bis dahin nur wenig oder gar nicht beachtete Quellen zu erschließen weiß, beweist seine schon erwähnte Aufmerksamkeit auf Porträts, Stiche und vor allem Handzeichnungen. Sein in der zweiten Auflage öfter erwähnter Libro zeigt ihn auch als Sammler auf diesem Gebiete; Reste davon befinden sich, wie es scheint, zum Teile noch an den eigenhändig gezeichneten Einrahmungen kenntlich, in den Sammlungen, so im Louvre, auch in der Wiener Albertina.

Vasaris Arbeitstechnik ist übrigens hier schon einer Bemerkung wert. Ihm stand nicht wie den modernen Kunsthistorikern ein reicher Abbildungsschatz zur Verfügung, obgleich er schon gelegentlich Stiche heranzieht, wie eben gesagt wurde. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß er sich zum Teile mit flüchtigen Skizzen und Kompositionsschemen, die er sich zur Unterstützung des Gedächtnisses angefertigt hatte, behilft; ein solches Schema liegt augenscheinlich z. B. bei der Schilderung der ersten Tür Ghibertis vor ihm. Die Hauptsache aber muß ihm doch die eigene, mit dem scharfen Blick des Malers festgehaltene Anschauung liefern; daß dabei Irrtümer und Verschiebungen unterlaufen, ist unvermeidlich, aber er unterscheidet sich darin doch ebensosehr von seinem alten, so gut wie durchgängig auf persönlich lebendigen Eindruck fußenden Vorgänger Ghiberti, zum Teile auch von dem trefflich beobachtenden Kunstfreund M. A. Michiel, als von den kunstschriftstellernden Literaten der älteren und eigenen Zeit, von Billi und dem Magliabecchianus. Wie viel er mit literarischen Quellen arbeitet, wissen wir bereits, und dieses Medium schiebt sich ihm, der in der zweiten Auflage namentlich schon ganz literarische Allüren angenommen hat, häufig genug trübend zwischen das Objekt und seinen offenen Künstlerblick, den er doch in vielen Fällen bestätigt hat. page 265 Nicht daß er in reine Schreibtischarbeit verfiele wie jene florentinischen Kompilatoren, denen man in vielen Fällen noch nachrechnen kann, daß sie die Werke ihrer nächsten Umgebung nicht einmal ordentlich angesehen haben und in mittelalterlicher Weise mit dem exemplum, der schriftlichen Vorlage, arbeiten; aber auch er hat sich in nicht wenigen Fällen durch jenes Material aus zweiter Hand ablenken lassen. Es ist nachzuweisen, daß er Wendungen seiner Vorlagen wörtlich übernimmt, statt Selbstgeschautes zu geben. So hat er bei Beschreibung der zweiten Tür Ghibertis dessen Text vor sich liegen, wie deutlich zu konstatieren ist, den er freilich dann durch selbständige Beobachtungen und formale Wertungen, die dem eigenen Mittel entnommen sind (infolgedessen freilich mitunter mit dem älteren Kunstwerk dissonieren), erweitert. Auch schiebt sich hier die von eigenen und fremden Erfahrungen gespeiste Kunstanschauung oft höchst merkwürdig dazwischen; so beschreibt er in dem Werk des alten Künstlers ikonographische Einzelheiten, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind, wohl aber häufigen Kompositionsschemen entsprechen.

III. Vasaris geschichtliche Orientierung und Arbeitstechnik.

1. Der Geschichtsbegriff der Renaissance.

Es ist nicht möglich, Vasaris Historik, die von der modernen Auffassung soweit entfernt ist, und damit die Grundlage aller Kritik seines Werkes zu würdigen, ohne auf den Begriff der Geschichte, wie ihn seine Zeit hatte, wenigstens mit ein paar Worten einzugehen. An Stoff mangelt es hier nicht; schon die Renaissance selbst hat eine Reihe von Schriften zu verzeichnen, die sich mit dem Gegenstande beschäftigen; eine Analyse und Übersicht derselben liegt in der Schrift von Maffei, I trattati dell'arte storica dal rinascimento fino al secolo XVII, Neapel 1897, vor. Der älteste unter diesen Traktaten ist der knapp vor Vasari fallende des Robortella aus Udine (1548). Besonders ausführlich und charakteristisch, noch ganz im Sinne der älteren Zeit, sind aber die fünf Bücher des Genuesen Agostino Mascardi (1590 bis 1640), Dell’arte Historica, zuerst Rom 1636 gedruckt (neue Ausgabe von Ad. Bartoli, Florenz, Le Monnier 1859).

Von moderner Anschauung abweichend ist vor allem die Auffassung des Wesens der Historie als Kunst, die die Renaissance aus dem Altertum übernommen hat; es ist übrigens bemerkenswert, daß bei dem bedeutendsten Philosophen des zeitgenössischen Italiens, Benedetto Croce, dieser Gedanke, freilich von ganz anderen Voraus page 266 setzungen her und nur als Durchgangsstadium, aufgetreten ist. Denn jener gleichfalls aus dem Altertum stammende Begriff der Kunst, den die Renaissance hatte, ist ein ganz anderer und viel weiterer als der unsrige; er stammt nicht aus der Sphäre des Ausdrucks, durch den wir heute das Wesen der Kunst zu erfassen glauben, sondern aus der des Eindrucks, ihrer Wirkungen. Das horazische Wort, das den Endzweck der Dichtung in Vergnügen und Nutzen setzt, kommt auch hier zur Geltung. Die praktische Bedeutung der Geschichte, schon vom Altertum an der typischen Anekdote von Thukydides als dem Lehrer des Redners und Staatsmannes Demosthenes formuliert, mußte dieser Zeit, die im Staate ein Kunstwerk erblickte, besonders naheliegen (wem fielen hier nicht Jakob Burckhardts tiefe Betrachtungen ein!). Für sie gilt unbedingt Ciceros vielzitiertes Wort von der magistra vitae und dem lux venlatis (De oratore II); die Geschichte als Lehrerin der Menschheit, den Spiegel dessen tragend, was sich »wirklich ereignet hat« — zum Unterschied von der Poesie —, aber wie diese, um ihrer Wirkung sicher zu sein, von dem reichen Prunkkleid der Rhetorik umhüllt. Daher der durchgehende, uns aus den antiken Historikern, Griechen wie Römern, so wohl vertraute Schmuck der eingestreuten Reden (und Briefe), die nicht nur in diesem Sinne wirken, sondern auch den Charakter der handelnden Personen deutlich machen sollen. Die Renaissance hat sich diese Anschauungen durchaus zu eigen gemacht. An Stelle der naiv erzählenden, an realistischem Detail reichen mittelalterlichen Chroniken und Memoiren tritt das Vorbild des Livius, das selbst schon in des Franzosen Froissart Werk bemerklich wird. Die Geschichtschreiber des neuen Florenz wandeln schon völlig in der Toga drapiert einher; was. ein Michelozzo in der gleichzeitigen Bildnerei erstrebt, zeigt sich auch bei P. Bracciolini und Leonardo Bruni. Schon ist man daran, auch Regeln für die Geschichtschreibung aufzustellen; Salviati erörtert in seinem Dialog Il Lasca (Florenz 1584) die Frage des rhetorischen Schmucks und kommt zu der ausdrücklichen Feststellung, auch bugie seien zulässig, wofern sie nützlicher als die platte Wahrheit erschienen, denn der Historiker habe wie der Dichter die Menschen im Auge, wie sie sein sollten. Ein Concetto, dessen Herkunft aus der alten Kunstlehre ohne weiteres einleuchtet.

Von dieser Grundlage ist also auszugehen, wollen wir den Historiker Vasari richtig verstehen und würdigen. Noch der verdienstvolle Milanesi behandelt ihn wie einen modernen Schriftsteller, bemißt Lob und Tadel aus heutigen Ansprüchen und Erfahrungen heraus: das denkbar Verkehrteste und ein neuer Beweis für die vollkommene Hilflosigkeit der kunsthistorischen Disziplin quellenkritischer Betrachtung gegenüber! Von allen historischen Wissenschaften steckt die page 267 Kunstgeschichte hier sicher am längsten in den Kinderschuhen; der Begriff der Distanz der Quellen ist ihr noch ebensowenig geläufig wie der Zeit Vasaris selbst, und Kallab durfte mit Recht in den einleitenden Worten zu seinen Vasaristudien dieses bis heute beliebte Verfahren also charakterisieren: »Wer Vasaris Aussagen in verschiedenem Zusammenhange verwerten kann, mißt ihnen urkundlichen Wert bei; wenn sie nicht passen, so wird ihr Autor nachlässig oder lügenhaft gescholten. Beides, die Zustimmung oder die Ablehnung seiner Ansichten, erfolgt nur auf Grund von zufällig herausgegriffenen Tatsachen. Sein Werk ist immer nur als eine historische Materialiensammlung betrachtet worden, über deren Tendenz und Zuverlässigkeit im ganzen man entweder nach vorgefaßten Meinungen oder nach einem allgemeinen Eindruck zu urteilen pflegt.«

Es ist sehr bezeichnend, daß Kallabs 1908 gedruckter Torso in Wahrheit der erste Versuch ist, Vasaris schriftstellerische Persönlichkeit im Zusammenhang zu betrachten; denn das Buch von Scoti-Bertinelli über den Schriftsteller Vasari mußte schon an der Einseitigkeit der Problemstellung lediglich vom philologisch-literarhistorischen Standpunkte aus, unter Ausschaltung des kunsthistorischen, scheitern; übrigens ist es, wie wiederum Kallab in einer geistreichen und tief dringenden Besprechung gezeigt hat, auch jenem ersten Standpunkt nur in höchst bescheidenem Maße gerecht geworden. Auch die so überaus wichtige Kunstterminologie Vasaris harrt noch der Bearbeitung; es liegt außer den Anläufen in der später zu erwähnenden Schrift von Obernitz nur ein einzelner, etwas spleeniger Versuch des Engländers John Grace Freeman vor, der freilich einen der wichtigsten termini, die maniera, lexikalisch darstellt. Kallab hat auch auf diesem Gebiet mit Vorarbeiten begonnen, aber sein vorzeitiger Tod hat leider nichts zur Reife kommen lassen.

Über Vasaris literarischen Stil zu reden, kann hier nicht unsere Sache sein; es muß uns genügen, daß die Italiener in seinen Biographien ein klassisches Werk ihrer Prosaliteratur sehen. Daß dies besonders von der ersten, unvergleichlich straffer und künstlerischer komponierten Ausgabe gelte, haben wir schon gesagt. Vasari selbst ist ein echter Toskaner aus dem durch die »Feinheit« seiner Luft von jeher berühmten uralten Arezzo, reicht er auch nicht in der Fülle und Kraft seiner Diktion, noch weniger in der Gewalt der Persönlichkeit, an seinen weiteren Landes- und Kunstgenossen Cellini heran. Er selbst betont gelegentlich seine penna di disegnatore, daß er »als Maler für Maler« schreibe, aber er hat doch, seiner halbgelehrten Erziehung gemäß, beträchtliche literarische Ansprüche, namentlich in der zweiten Auflage, wo er schon der in ganz Italien bekannte und berühmte, wenn auch da und dort befehdete Schriftsteller ist. Wie page 268 hochmütig sieht er da auf den alten Ghiberti herab, dem als einem, »der mit dem Meißel besser umzugehen wußte«, der Verstoß passierte, von der Dignität des objektiv berichtenden Geschichtschreibers in die plump familiäre Erzählung in der ersten Person herabzusteigen, überhaupt die Geschichte der älteren Künstler als Vorwand zu benützen, um zur Darstellung seines eigenen Lebens zu gelangen, ein Vorwurf, der in dieser Form überhaupt falsch und obendrein nur sehr bedingt richtig ist, jedenfalls zeigt, daß Vasari die »Denkwürdigkeiten« des alten Künstlers sehr oberflächlich eingeschätzt und in ihrem Wesen gar nicht erfaßt hat. Wie ein Paradigma dazu stellt sich die nun schon öfter erwähnte Tatsache, daß Vasaris, des vielfach so lebendigen und anmutigen Erzählers, Bericht über sein eigenes Leben ganz schablonenhaft und farblos ist. Vasari ist aber auch viel mehr Literat als etwa Cellini; das zeigen namentlich seine im echten Zunftstil gehaltenen, in langen Perioden gewundenen Einleitungen moralischen Charakters, eines seiner Steckenpferde; der alte Ghiberti hatte sich in solchen Fällen noch mit Entlehnungen aus der verehrten antiken Literatur zu helfen gesucht, die uns recht mittelalterlich naiv berühren.

2. Vasaris historische Absichten.

Aus dem eben Entwickelten ergibt sich schon, daß Vasari ganz im Banne seiner Zeit steht. In der Vorrede zur ersten Ausgabe von 1550 spricht er grundsätzlich aus, daß seine Künstlergeschichten der Erinnerung und dem Nutzen dienen sollen; das ist die von der gesamten Renaissance angenommene ciceronianische Forderung der Geschichte als lux veritatis, magistra vitae, vita memoriae. Ähnlich in der »Conclusione«: dilettando e giovando will er das Material für die kommenden Geschlechter sammeln — die alte horazische Formel des delectare und prodesse. Es ist klar, daß Vasari völlig im Sinne seiner Zeit, wie sich jene Forderung an den Dichter richtet, die Geschichte als Kunst auffaßt. Zugleich sind die beiden großen Leserklassen, an die er sich wendet, damit gekennzeichnet: die gebildeten Laien und die Künstler, an die er als Berufsgenosse natürlich in erster Linie denkt. Dieser antikisierende Togastil ist namentlich für die erste Auflage sehr charakteristisch. Die Würde des Geschichtschreibers liegt ihm sehr am Herzen; der seltsame Tadel des allzu persönlichen Stils Ghibertis, den wir schon kennen, mag von daher beeinflußt sein. Was ihn von den formlosen Auszugsammlungen rein literarischen Gepräges der älteren und der eigenen Zeit (wie A. Billi und dem Anonymus Magliabecchianus) trennt, weiß und empfindet er wohl: er verwahrt sich dagegen, daß seine Geschichte bloßes Inventar, nackter Katalog sei, und ist sich bewußt, daß er mit bestimmter Tendenz pragmatische Geschichte betreibe, wieder im Sinne einer schon im Altertum ausge page 269 bildeten und höchst einflußreichen Richtung. Es handelt sich ihm um die Motive, die den Künstler bewegen, und ihre Kenntnis soll zu größerer Lebensweisheit führen, im niederen technischen wie im höheren allgemeinen Sinne (Proemio zum zweiten Teil). Wie schon dem alten Ghiberti und der Renaissance überhaupt, schwebt ihm das Vorbild des Plinius vor, der großen Rüstkammer, die im besondem das kunsthistorische Wissen des Altertums den Späteren aufbehalten hat; sein einziger tatsächlicher Vorgänger unter den Neueren ist aber wieder jener von ihm so ungerecht und oberflächlich beurteilte Ghiberti, der eine wirklich große, an Tiefe und unmittelbarem treuen Verhältnis zum Gegenstande dem Aretiner überlegene Gesamtanschauung bekundet. Nicht vergessen dürfen wir aber, daß der erste Versuch einer literarisch-biographischen Stilkritik auf modern europäischem Boden dem provençalischen Mittelalter angehört, jenem Lande und Volke also, das für die literarische Kultur gerade Italiens die allergrößte Bedeutung hat und in seiner überfeinerten Kultur auch als erstes zu den Grundzügen einer poetischen Stillehre vorgeschritten ist. Es verschlägt natürlich nichts, daß weder Ghiberti noch Vasari jenes merkwürdige, schon im 13. Jahrhundert entstandene Sammelwerk der Troubadourbiographien kannten (Schulausgabe von Mahn, Berlin 1853); zum ersten Male war hier auf dem Gebiet der Kunst der Versuch gemacht worden, wenn auch in primitiv-anekdotischer Form, dem Ursprung aller wahren Poesie — fast im Sinne Goethescher »Gelegenheitsdichtung« —, dem Erlebnis des Dichters nachzugehen; die merkwürdige Einrichtung der sogenannten razos, d. i. der von dem Vortragenden selbst dem Lied vorausgeschickten Einleitungen, die über seine Entstehung berichten, geben den Anstoß, der zur novellistischen Schilderung des Sängerlebens selbst, mit fortwährender Beziehung auf das künstlerische Schaffen führt, sowie sie eben den Inhalt jener Biographien bildet. Einen Niederschlag auf dem Gebiet bildender Kunst haben wir aber in den berühmten figürlichen razos, den Miniaturen der Manasseschen Liederhandschrift, zu erkennen.

Die geschilderte Herkunft und dieser Standpunkt unseres Autors ist nun niemals außer acht zu lassen, wenn es sich um die Frage von Vasaris Glaubwürdigkeit handelt; wollen wir ihm gerecht werden, so dürfen wir eben, wie sich von selbst versteht (nur anscheinend in der Kunstgeschichte noch nicht), keineswegs den Maßstab des modernen Historikers, sondern den der älteren künstlerischen Geschichtschreibung, allenfalls der historischen Romantechnik anlegen. Soviel er auf dem Gewissen hat, das uns Heutigen als Geschichtsfälschung erscheint (jene schon erwähnten seltsamen Adaptierungen der Villanischen Chronikberichte gehören hierher), mala fides, bewußte Geschichtslüge, läßt sich ihm kaum nachweisen; wohl aber formt er seinen Stoff, wie es seinen page 270 besonderen, uns Modernen so fernab liegenden Zwecken entspricht. Das ist wichtig, weil schon Zeitgenossen wie Spätere den Vorwurf der Parteilichkeit, Gehässigkeit und Lügenhaftigkeit gegen ihn erhoben; namentlich F. Zuccaris boshafte, in ein Exemplar der Viten geschriebene Postillen sind hier zu nennen. Völlig grundlos sind diese Anklagen ja nicht, Vasaris toskanischer, florentinischer, ja letzten Endes aretinischer »Campanilismus« ist (besonders in der 2. Auflage) deutlich genug ausgeprägt, an Tatsachensinn und klarem Blick ist ihm der alte Ghiberti weitaus überlegen; aber Vasari hat doch das Bestreben gehabt, der scrittore fedele e verace (Leben des Pontormo) zu sein, und er war nur dort ganz oder halb bewußt unaufrichtig, wo er in das eigentliche Literatenfahrwasser geriet, wie im Fall Condivis. Daß er, kein zünftiger Schreiber, sondern ein bildender Künstler, mit vorgefaßten Meinungen aller Art an seinen Stoff heranging, ist im Grunde selbstverständlich. Viel Größere als er haben zu allen Zeiten Künstler, die ihrer Geistesrichtung fremd und feindlich waren, parteiisch und abschätzig beurteilt; die großartige Höhe von Goethes berühmtem, wie in Marmor gehauenem Wort auf Dantes »abscheuliche Großheit« dürfen wir freilich von ihm so wenig wie von anderen verlangen. Der Toskaner in ihm, des berechtigten Gefühls der Führerschaft nur allzu voll, hat über Bolognesen, Neapolitaner, Lombarden (Dosso) wirklich abschätzig, ja unverständig geurteilt; aber denken wir daran, wie schwer es noch einem Burckhardt wurde, etwa den Venezianern gerecht zu werden. Ein Palma Vecchio ist in der ersten Ausgabe tatsächlich sehr übel weggekommen; Vasaris von ihm selbst lebhaft beklagter Mangel an Tatsachenmaterial für Oberitalien ist dabei im Spiel, und er hat wirklich das Bestreben, derlei, wo es angeht, wie gerade im Falle Palmas, in der zweiten Auflage gutzumachen, wenigstens abzuschwächen. Er ist ungerecht gegen Sodoma; aus persönlichen Gründen auch gegen Boccacino (wegen dessen ablehnender Haltung Michelangelo gegenüber). Aber gewisse Klatschgeschichten, der Florentiner maldicenza entsprungen, die auf den marmi, den Bänken der Spötter auf dem Domplatz, so üppig ins Kraut schoß, hat er später doch mit gutem Takt wieder getilgt oder wenigstens gemildert. So was er in der ersten Auflage von seines alten Lehrers Andrea del Sarto noch lebender (erst 1570 verstorbener!) Frau Lucrezia erzählt hatte.

Aber es ist bemerkenswert, wie maßvoll und gerecht er über Zeitgenossen und Mitstrebende wie Cellini oder Bandinelli urteilt; sie haben ihm nicht immer mit gleicher Münze vergolten. Das gilt besonders von Cellini. Sein starkes Selbstgefühl werden wir Vasari nicht verargen; er gehört zu der älteren, noch nicht gleich einem Tasso, Ammanati u. a. innerlich durch die Reaktion der tridentinischen Zeit gebrochenen Generation; und er ist tatsächlich einer der bedeutendsten page 271 und geschätztesten Künstler seines Umkreises gewesen. Aus einem unbeeinflußten, dem Norden Italiens entstammmenden Zeugnis (Pino) wissen wir, wie sein großes Werk mit Spannung erwartet wurde; es ist ein Denkmal für alle Zeiten, dessen historische Bedeutung durch die teilweise schädliche Wirkung, die es bis auf unsere Tage herab ausgeübt hat, keineswegs gemindert wird. Das Bewußtsein dieser Bedeutung hat Vasari vor allem in der zweiten Auflage, wo er nicht mehr der Anfänger, sondern der in ganz Italien bekannte und geschätzte Schriftsteller, bald auch das Vorbild für die Oltramontani ist. Es äußert sich gelegentlich ganz naiv; so wenn er z. B. von Sartos (durch Wegschaffung der Büste) verunglimpfter Grabstätte sagt, er selbst habe ihm in seinen Schriften ein Denkmal dauerhafter als geformter Stein errichtet. »Für einige Zeit« (per qualche tempo), heißt es vorsichtig bescheiden in der ersten Auflage; in der zweiten streicht er dies und setzt kühn an die Stelle: per molti secoli — und wird recht behalten!

3. Vasaris historische Arbeitstechnik und Stilkritik im einzelnen.

Vasaris geschichtliche Zielsetzung ist, wie wir gesehen haben, mit Bewußtsein pragmatisch und von künstlerischen Absichten beherrscht. Er sucht das Leben der Künstler in seiner Totalität darzustellen, die äußeren Geschehnisse ihres Lebenslaufes mit dem, was es vornehmlich bestimmt und ihn in erster Linie interessiert, nämlich ihrem produktiven Schaffen, in Zusammenhang zu bringen. Die Methode, die er dabei verfolgt, ist die von der alten Historik ergriffene, von der Renaissance adoptierte; wir können sie uns deutlicher machen, wenn wir sie, wie schon gesagt wurde, der Technik des neueren historischen Romans vergleichen. Was ist das Material, über das er verfügt? Primäre und sekundäre Quellen fast gleichberechtigt nebeneinander, ganz anders als bei Ghiberti: Denkmäler, die er selbst geschaut hat, obgleich auch hier sein Blick durch das literarische oder persönliche Medium nicht selten getrübt oder abgelenkt wird, und eine schriftlich gefestigte oder mündlich überlieferte, vielfach anekdotische Tradition, die seit Ghibertis Tagen — der ihrer fast ganz entraten hatte, so gut wie ausschließlich auf Selbstgeschautem fußt und der äußerlichen Anekdote bewußt nur kargen Platz gewährt — schon zu gewaltigem Umfang angeschwollen war. Das eigentlich urkundliche Material tritt noch kaum in Vasaris Gesichtskreis.

Die Frage nicht nur nach Vasaris Autopsie, sondern auch nach der Art, wie er das, was wir heute Stilkritik nennen, betrieb, ist daher sehr belangreich. Auch das ist selbstverständlich, daß wir ihn nicht auf die Schulbank des modernen Zöglings kunsthistorischer Seminare setzen dürfen, wie es trotzdem geschah und noch immer geschieht. page 272 Er hat nicht das sichere Stilgefühl eines Künstlers wie Ghiberti, der aus einer großen, festgefügten, durch Werkstattgewohnheiten organisierten Tradition entsprossen ist, er steht auch nicht wie dieser allein dem Trecento gegenüber, sondern einer viel reicheren und vor allem in der eigenen Zeit viel mehr zerfahrenen und gärenden Welt, er läßt sich viel stärker als jener von Vorgefundenen Schulmeinungen, allgemeinem Gefühl und dunklen Erinnerungen leiten. Daher auch die zahllosen Widersprüche, nicht nur zwischen seinen beiden Auflagen — in den nahezu zwei Jahrzehnten, die zwischen ihnen liegen, ist Vasari selbst gründlich ein anderer geworden! —, sondern in diesen selbst. Er weiß es sehr gut, daß von der genauen Beobachtung des Einzelnen auszugehen ist, und sein kluges und scharfes Malerauge hat ihn dabei auch häufig sehr gut geleitet, wenngleich ihm in dieser Hinsicht der freilich auch künstlerisch höher stehende Ghiberti überlegen ist. Sehr merkwürdig ist da eine gelegentliche Beobachtung, die sich freilich in einer ähnlichen Weise schon bei Filarete findet. Er vergleicht (im Schlußwort seines Werkes) den Maler, der seinen Blick im Umgang mit älteren Kunstwerken schärft, einem trefflichen Kanzleibeamten (cancelliere), der an dem Duktus von Handschriften deren Herkunft mit Leichtigkeit erkennt. Diese Aufmerksamkeit auf die durch lange Übung fest gewordenen individuellen Handgewohnheiten, die eigentlichen Grundlagen jedes stets nur persönlich und individuell voll zu erfassenden »Stiles«, wie sie in unseren Tagen die Grundlagen der »Morellischen Methode« bildeten, ist ihm also ins Bewußtsein eingegangen; daß er den mühevollen Pfad, der zu der letzteren geführt hat, nicht wandeln wollte und konnte, ist selbstverständlich; dazu fehlen ihm und seiner Zeit alle Voraussetzungen, die erst schrittweise von der historischen Wissenschaft erobert werden mußten. Den Niederschlag individueller Ausdrucksmerkmale in einen objektiven »Zeitstil« hat Vasari zuweilen überraschend gut beobachtet. Dahin gehört die Charakteristik der griechischen Statuen von der maniera ihrer Köpfe, der Haartracht, den senkrecht flächig (quadro) gebildeten Nasen her (in dem einleitenden Kapitel über Architektur) oder das gerade in der Karikatur scharf gezeichnete Bild des »gotischen« Stils. Aber die Treue der Einzelbeobachtung für die inviduelle maniera, ist bei Vasari doch im allgemeinen sehr flüchtig und fast durchwegs durch seine literarischen Ziele in den Schatten gestellt oder getrübt. Der Vergleich zwischen den beiden Ausgaben ergibt da oft merkwürdige Resultate. So hat er aus stilistischen Gründen dem Quercia in der ersten Auflage das urkundlich von Nanni di Banco herrührende Seitenportal des Florentiner Doms zugeschrieben; in der zweiten Auflage eines bessern belehrt, hat er die Stelle einfach gestrichen. In anderen Fällen handelt er viel naiver. Von einer Tafel mit dem hl. Sebastian, die page 273 er in der ersten Ausgabe dem Giorgione zugeschrieben hatte, heißt es in der zweiten ganz offenherzig, der verrate nicht viel Kenntnis des Meisters, der sie für Giorgione halte!

Worauf es Vasari eben in erster Linie ankommt, ist das plastische Porträt seiner Künstlerindividualitäten, und die Art, wie er hier vorgeht, wird uns in der zweiten Auflage konzis und programmatisch durch die beigegebenen Bildnisse enthüllt, die er in vielen Fällen unbekümmert dort nahm, wo es ihm paßte und er irgendeinen Anlaß fand. Weder zeitlich noch in seiner Sinnesart ist er allzu weit von jener Naivetät entfernt, die z. B. in Schedels Weltchronik, doch auch noch in manchem jüngeren Werk bewußt nach einem erfundenen Porträt griff, ja aus reiner Freude am konkreten Anschauen ungescheut denselben Holzstock zur Charakteristik ganz verschiedener Personen und Orte verwendete, in einer Art von Symbolik, die noch viel Mittelalterliches hat.

Vasari geht also auf die Totalität im Aufbau seiner Biographien und verwendet dabei die Bausteine nach seinen bestimmten Zwecken, wie er sie eben braucht, und in mannigfacher Zurichtung. Er rekonstruiert diese Totalität so, als ob er durchaus aus eigener Anschauung und als Zeitgenosse berichtete, und läßt sich in derart intime Einzelheiten ein, wie sie nur von einem Augen- oder Ohrenzeugen herstammen könnten. Will man das richtig verstehen, so ist wiederum an die Technik der Renaissancehistorie und des modernen historischen Romans zu erinnern. Diesem Zwecke dient ein Moment, das uns heute sehr absonderlich dünkt, die wir durch das Mittel der positivistischen Geschichtschreibung hindurchgegangen sind, mit ihrer Forderung, die Tatsachen so darzustellen, »wie sie waren«. Dieses Element wird von den Reden der handelnden Personen, dem alten Versatzstück der rhetorischen Historie, dann von den Grabschriften der Künstler repräsentiert, die häufig in gebundener Form epigrammatisch die Summe ihres Wirkens ziehen und in gewissem Sinne die Porträts der zweiten Auflage vorwegnehmen und vertreten; sie sind von vornherein als rhetorischer Schmuck gedacht und Vasari hat sie in vielen Fällen unmittelbar bei befreundeten Literaten bestellt. In der zweiten Auflage ist er, wie schon erwähnt, strenger gegen sich geworden; so tilgt er im Leben des Ghiberti die Rede des Brunellesco, mit der dieser vor der Jury des Wettbewerbs für die Baptisteriumtür sein und des (gar nicht beteiligten, weil damals noch blutjungen) Donatello Zurücktreten begründet. Ebenso hat er einen großen Teil der fingierten Epitaphien geopfert. Aber sein System ist im ganzen nicht verändert, konnte es wohl auch nicht sein. Besonders gilt das für einen andern bezeichnenden Bestandteil seiner Technik, der unmittelbar aus seiner Zeit und der der vielreisenden virtuosi des Manierismus stammt und page 274 das chronologische Gerippe seiner Darstellung bildet. Das sind die Itinerare seiner Künstler, fast durchaus, wie sich nachweisen läßt, selbst für Meister, die ihm zeitlich nahestehen, künstlich ad hoc und sehr häufig den tatsächlichen Umständen entgegen konstruiert. Da Vasari ferner äußeres und inneres Leben seiner Helden, ihr Schicksal und ihr Schaffen, seiner Darstellungsart gemäß in Verbindung zu setzen bemüht ist, so ergibt sich ein starker moralistischer Einschlag dieser Pragmatik. Angelo Gaddi, dem als Angehörigem einer stadtbekannten reichgewordenen Familie ein bequemes Leben zugeschrieben wird, muß sich gefallen lassen, deshalb als Künstler einigermaßen herabgesetzt zu werden. Sehr kurios und nicht eines gewissen Humors entbehrend ist in dieser Hinsicht die Statistik der Todesursachen der Künstler bei Vasari, die Kallab aufstellen konnte (p. 237); selbst von ganz alten Künstlern, von denen er unmöglich mehr solche Intimitäten wissen konnte, gibt er gelegentlich förmliche klinische Befunde. Auch das gehört ja natürlich zu den Mitteln, mit denen er seine Darstellung plastisch anschaulich zu machen strebt. Dabei sind ihm so seltsame Dinge passiert, wie die Nachricht von der Ermordung des Domenico Veneziano durch Andrea del Castagno, angeblich aus Brotneid, in Wirklichkeit eine ganz unmögliche Sache, da der angeblich Ermordete später als der vermeintliche Mörder gestorben ist; die Autorität Vasaris bewirkte es aber, daß das Andenken eines wackeren Künstlers lange Zeit hindurch mit einem Makel behaftet ward, den erst moderne Urkundenforschung getilgt hat. Freilich steht die ganze Geschichte schon in der Kompilation des Billi und daher hat sie auch Vasari; aber er hat die dürftige Andeutung seiner Quelle zu einem breitzügigen Fresko ausgemalt, das denn auch die Wirkung auf die Nachwelt nicht verfehlte. Schon die dramatisch gespannte Darstellung pflanzt hier eine Warnungstafel auf; wir müssen eben gegen diesen erfindungsreichen Ulysses immer auf der Hut sein. Sprechen einmal die Tatsachen gar zu offenkundig gegen ihn und muß er, wie es in der zweiten Auflage so oft geschieht, den Rückzug antreten, so ist es unterhaltend zu sehen, wie er sich geschickt aus der Klemme windet, immer unter Wahrung seiner Pragmatik. So hatte er in der ersten Auflage das Programm von Giottos Fresken in Assisi dem Dante zugeschrieben; in der zweiten Auflage, belehrt darüber, daß Dante damals schon tot war, versichert er treuherzig, es sei doch im Grunde etwas Wahres daran. Unter Freunden rede sich derlei leicht herum und Giotto sei eben seiner Erinnerung an Dante gefolgt. Daß es ihm bei dieser Methode begegnet, ganz verschiedene, ja zeitlich weit entfernte Künstler auf äußerliche Ähnlichkeiten und Umstände hin in eine Person zu verschmelzen, liegt auf der Hand. Das ist der Fall bei Maso und dem viel jüngeren sogenannten Giottino; hier hatte page 275 allerdings schon die Konfusion in den Vasari vorliegenden Quellen wie Billi begonnen (vgl. darüber meine Prolegomena zu Ghiberti, Jahrbuch der Zentralkommission 1910, 70f.). Auch der Venezianer Buon wird mit dem viel älteren Bonamico zusammengeworfen.

Besonders dort, wo ihn persönliche oder lokalpatriotische Motive leiten, hat Vasari seiner Phantasie nur allzugern die Zügel schießen lassen. Von beiden ist er, wie früher erwähnt, in der sehr ins einzelne gehenden Schilderung seines angeblichen Künstlervorfahren Lazzaro beeinflußt, und wir können hier nicht vorsichtig genug gegen ihn sein. Das gilt namentlich wieder von der zweiten Auflage, wenn er sich hier auch in manchen Punkten viel behutsamer erwiesen hat. Aber während er in der ersten Auflage sich noch zuweilen mit einem si dice begnügte, fährt er hier lustig mit vollen Segeln drauf los. Sein Landsmann, der halbmythische Margaritone aus Arezzo, der früher noch bescheiden als simpler Maler figuriert hatte, rückt später bereits zum Universalkünstler im Sinne der Renaissance vor, ist auch Bildhauer und Architekt. Wie skrupellos Vasaris Verfahren ist, was diese alten Zeiten betrifft, wissen wir ja bereits aus seiner Behandlung der Villanischen Chroniken. Der naive Standpunkt, der noch heute die Ciceroni der italienischen Städte alles halbwegs Bessere dem Hauptmeister ihres Ortes zuschreiben läßt, zeigt sich auch bei ihm. Wenn Spinello Aretino als frühreifes Wunderkind erscheint, so gehört das eben wieder ins gleiche Kapitel, ist augenscheinlich eigenste Erfindung ad maiorem gloriam patriae. Daß Vasaris Lust am Fabulieren ihm sehr anmutig läßt, darf uns nicht verführen, seinen lebendig und graziös erzählten novellistischen Zutaten irgendeinen Wert des Erlebten oder echt Überlieferten zuzubilligen. Oberster Grundsatz aller Vasarikritik muß stets bleiben, nur das als vollkommen glaubwürdig hinzunehmen, was durch anderweitige Überlieferung streng urkundlich oder auf Grund gewissenhaftester Stilkritik sicher festzustellen ist. Die romantisch ausgeschmückte Jugendgeschichte Fra Filippos in der zweiten Auflage liefert nur eines von vielen Beispielen. Vasaris Bestreben geht eben immer nach dem plastischen rilievo seiner Personen. Dazu gehört selbst die Namengebung; er erscheint mitunter als Taufpate seiner Künstler, zum mindesten hat er ältere irregehende Tradition durch seine Autorität verewigt. Den wackern Ghiberti hatte Rumohr zu Unrecht beschuldigt, Giotto mit einem falschen Patronymikon (di Bodone) belastet zu haben, und eine sehr scheinbare Hypothese aufgestellt; erst der modernsten Urkundenforschung war es Vorbehalten, die Verläßlichkeit des alten Autors glänzend zu rechtfertigen. Bei Vasari liegt der Fall anders. Der urkundlich als Cenni (d. i. Bencivenni) Cimabue bezeugte Altmeister trägt schon bei Filippo Villani und Billi den Vornamen Giovanni — die Anlehnung an den Florentiner Stadtpatron scheint page 276 mit Händen zu greifen —, aber erst durch Vasari hat der Name kanonisches Ansehen erhalten. Sein »Vittorio« Pisanello hat erst durch die Archivforschung der letzten Jahre seinen wirklichen Namen Antonio zurückerhalten.

Daß Vasari sich unter diesen Umständen der weisen Zurückhaltung eines Ghiberti keineswegs befleißigte, liegt auf der Hand. Für ihn ist die anekdotische und novellistische Überlieferung ebenso wertvoll als die trocken dokumentierte, ja sicherlich im Grunde wertvoller, weil anschaulich lebendiger. So erscheint die in Florenz so reich entwickelte Künstlernovelle bei ihm als Quelle; er rückt ja, wie wir bereits andeuteten, ganze damals noch ungedruckte Novellen des Sacchetti in sein Werk ein. Er entnimmt ihnen geschichtliche Angaben; Andrea Tafi als Lehrer des Buffalmacco stammt z. B. daher. Wieviel Typik im Sinne des Mittelalters in dieser anekdotischen Form steckt, zeigt sich gerade auch bei Vasari. Die hervorragend typische Novelle von der Entdeckung des jungen schafehütenden Genies durch einen erfahrenen älteren Meister der Kunst hatte zuerst Ghiberti in seiner Jugendgeschichte Giottos als anmutiges Idyll gebracht, einer der seltenen Fälle, wo er anekdotischer Überlieferung folgt. Im Buche des Billi erscheint dieselbe Geschichte auf Andrea del Castagno angewendet. Vasari übernimmt beide aus seinen Vorlagen, wendet die Anekdote in der ersten Auflage aber noch auf Andrea Sansovino, in der zweiten überdies auf Domenico Beccafumi an. Es ist wirklich, wie schon oben gesagt wurde, etwas wie das naive Wiederholen desselben Holzstocks für die verschiedensten Städteansichten in Schedels Chronik. Daß jene Anekdote in neuester Zeit noch von einem unserer Zeitgenossen, Segantini, erzählt und lange geglaubt wurde, bis authentische Widerlegung erfolgte, sei nur nebenbei erwähnt. Haben wir doch i m Weltkrieg die merkwürdigsten Beispiele von Legendenübertragung an weit entfernten Stellen erlebt. Ganz lehrreich ist der jüngst von Chr. Hülsen (Byz.-neugriech. Jahrbücher, her. von Bees II, 453) erbrachte Nachweis, daß das lange geglaubte Geschichtchen von dem Zwischenfall, der sich bei der Aufrichtung des Obelisken auf dem Petersplatze in Rom durch Domenico Fontana (1586) ereignet haben soll, schon dreißig Jahre vorher vom Atmeidan-Obelisken in Konstantinopel berichtet wird!

Auf die gleiche Linie der historia altera gehört die durch Vasaris Autorität verbreitete Geschichte von der »Erfindung« der Ölmalerei durch Jan van Eyck; die Renaissance, die den Erfindertheorien ganze Bücher gewidmet hat, kann ihren individualistischen Tendenzen nach allgemeine Tatsachen der Entwicklung nicht anders als persönlich fassen. Wie das Porträt endlich in diesen anekdotischen Umkreis gehört, auch besonderen Anlaß zur Mythenbildung gibt, braucht nur ange page 277 deutet zu werden. Ein kurioses Beispiel mag uns belehren, wie auch dergleichen bis auf unsere Zeit herabreicht. In seinem Jüngsten Gericht in der Münchener Ludwigskirche soll Cornelius Goethe und Schiller unter den Verdammten angebracht haben, eine Sakristeifabel, die Cornelius’ Schüler und Biograph Ernst Förster noch zu widerlegen hatte. Es soll das nur zeigen, wie leicht und gerne Fabel und Sage um das Bildwerk rankt und wie sehr wir Grund haben, vor allen Elukubrationen dieser Art fortwährend auf der Hut zu sein.

IV. Vasaris historische Gesamtansicht.

Die Hauptstellen für die Kenntnis derselben sind die Proömien zum Gesamtwerk wie zu den drei Teilen, endlich das Schlußwort, die Conclusione. Wir wissen bereits, daß Vasari seinen Begriff historischer Entwicklung nicht als erster aufgestellt hat — die vorhergehende Literatur hatte ihm den Weg gewiesen und geebnet —, wohl aber hat er ihn folgerichtig durchgeführt und dank seiner Autorität und seinem alles überragenden, noch in die Gegenwart fortreichenden Einfluß für alle Folgezeit zum Gemeingut gemacht. Diese Ansicht ist entschieden optimistisch nnd unterscheidet sich, wie schon Kallab mit Recht hervorgehoben hat, auf das schärfste von der Art, wie etwa ein Macchiavelli der Gegenwart als einem tiefen Abfall von dem goldenen Zeitalter republikanischer Freiheit und Würde gegenübersteht. Doch ist hier sogleich an die im Gegensatz zum antik-heidnischen Pessimismus stehende christliche Geschichtsphilosophie seit Augustinus zu erinnern, mit ihrem Glauben an einen absoluten, freilich in unendlicher Ferne projizierten Fortschritt, worüber später noch ein weiteres zu sagen ist. Für Vasari ist die Gegenwart als die Epoche, die den (noch lebenden) größten Künstler aller Zeiten und Lande hervorgebracht hat, Gipfel und Krone, und wie die erste Auflage in der Schilderung des Wirkens dieses Einzigen ihren eindrucksvollen und harmonischen Abschluß findet, wurde wiederholt erwähnt. Freilich klingt der Epigonengedanke des nach dieser glänzenden Offenbarung unausbleiblichen Abstiegs bereits deutlich an.

Vasari hat das der organischen Natur entlehnte Bild von Wachstum und Blüte, das diesen Vorstellungen zugrunde liegt, freilich älterem Denken entnommen; von populären römischen Schrifstellern wie Florus und Velleius Paterculus auf das Leben von Nationen und Staaten angewandt, hatte es längst auch in der literarischen Stilkritik, in den Vorstellungen von einer goldenen, silbernen, ehernen Latinität (hier allerdings in absteigender, »pessimistischer« Form) page 278 Anwendung gefunden. Aber, soweit wir sehen, ist die konsequente Ausdehnung dieses Concetto auf die Geschichte der bildenden Künste ganz Vasaris Eigentum und von nachhaltigstem Einfluß geworden. Das bestimmt nun die architektonische Gliederung seines Werkes. Die drei Zeitalter (età wohl auch maniere), in die sich diese Entwicklung zerlegt, entsprechen den drei Teilen der Viten schon in der ersten Ausgabe; es sind die drei Perioden des Rinascimento, das Vasari allein darstellen will. Daß er hier einer älteren, schon von den Humanisten und Ghiberti ausgebildeten Idee folgt, ist bekannt; es handelt sich um die »wiedergeborene« Kunst, die seit dem Ausgang des Altertums erstorben war, denn dem »Mittelalter« fehlt von diesem in sich übrigens folgerichtigen Standpunkt aus die Berechtigung, sein Schaffen als Kunst angesehen zu wissen, als Kunst im Sinne der Renaissance natürlich, als Raumkunst und Beherrschung des natürlichen Vorbildes, des naturale. Der berühmte Ausdruck rinascita findet sich in dieser Prägung zum ersten Male in der Kunstliteratur an zwei Stellen des allgemeinen Proömiums (restaurazione e per dire meglio rinascita, — il progresso della sua rinascita, ed. Mil. I, 223). In der zunehmenden Beherrschung des naturale, in der sich steigernden Freiheit der maniera liegt das Kriterium, worüber noch später. So gliederte sich die Darstellung von selbst. Der erste Zeitraum (I. Teil der Viten) umfaßt die Anfänge, die Kindheit, die sich schüchtern von den Zerrbildern des Mittelalters löst, von Cimabue, den Pisani, Giotto, Arnolfo an bis zum Schlusse des Trecento. Es folgt der zweite Zeitraum (II. Teil) des Jünglingsalters, der Vorbereitung, von Quercia, Masaccio, Donatello, Ghiberti und Brunellesco bis zum Schlusse des Quattrocento. Die volle Natürlichkeit wird durch mühevolle Studien in Anatomie und Perspektive erreicht, auch die stilistische Vollendung durch die Regelmäßigkeit (regola, ordine, misura) angestrebt, aber beides noch nicht zur inneren Einheit verbunden. Daher sind diese Werke hart und trocken (maniera secca), am Modell klebend; die Künstler geben nur, was sie sehen, und nicht mehr. Es ist besonders lehrreich, wie Vasari das an der »Manier« der Bellini ausführt. Erst der dritte Zeitraum (= III. Teil) führt zur vollen Höhe; es ist die Zeit der Blüte und Reife, in der età d'oro Leos X. gipfelnd, das Cinquecento, gekennzeichnet durch die großen Namen eines Giorgione, Tizian, Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo, vor allem aber durch das schon von Giovio festgestellte Dreigestirn: Lionardo, Raffael, Michelangelo. Vasari hebt aber, wie wir wissen, den letzten heraus als den höchsten, nicht mehr zu überbietenden Gipfel, demgegenüber sich selbst die Antike für überwunden geben muß; er ist der divino, wie er nunmehr mit einem Nachhall neuplatonischer Genielehre heißt. Dieses Zeitalter erreicht die Vollkommenheit des disegno (im weitesten Sinne), schlechthin page 279 die perfetta maniera; sie ist gegründet auf der vollkommenen Freiheit der Handhabung des natürlichen Vorbildes, der licenza, die Grazie und Mannigfaltigkeit verleiht und an Stelle ängstlichen Kopierens das far di pratica (oder di maniera mit einem jetzt noch üblichen Ausdruck der Italiener) setzt, d. i. das freie, nur von bestimmten Kunstregeln gebundene Arbeiten aus dem Schatze gesammelter Naturstudien heraus — der Deutsche Dürer hatte schöner und tiefer von dem heimlichen Schatze des Herzens gesprochen. Der zweite daraus entspringende Vorteil ist die technische Erleichterung der Malerei, die sich in einer früher nicht erhörten Schnellfertigkeit zeigt, von Vasari aus eigener Praxis als große Errungenschaft seiner Zeit gepriesen. Der Schauplatz ändert sich, er rückt von Florenz nach Rom, die großen Antikenfunde vom Anfang des Cinquecento, der Laokoon, der Apollo des Belvedere, der Herkulestorso, die Kleopatra bringen den großen Stil der Alten zum Bewußtsein und eröffnen die neue Zeit.

Wiewohl Vasari mit dem Lob für die eigene Zeit und Umgebung keineswegs sparsam ist, so hat er doch, wie erwähnt, ein freilich nicht ganz klares Gefühl, daß schon aus theoretischen Erwägungen heraus auf das von ihm statuierte Erreichen des höchsten Gipfels der Abstieg folgen muß. Namentlich in seiner zweiten Auflage hat er dieser vierten età, d. h. seinen Zeitgenossen, ausführlichen Raum gegönnt; und hier ist der Ort, wo er jenem Epigonengefühl Ausdruck verleiht. Es ist die später sogenannte Manieristenzeit, in der er selbst seinem Schaffen nach mitten inne steht und deren bezeichnende Mängel — neben ihren Vorzügen — er recht gut erkannt hat. Das allzu sklavische Anlehnen an den Stil eines alle überragenden Meisters — nicht ohne Grund hat Burckhardt Michelangelo den Schicksalsmann der italienischen Kunst genannt — ist ihm nicht entgangen: er tadelt die Flickarbeit, das unorganische Zusammenstellen von Motiven aus fremden Vorlagen, wirklich eine der störendsten Eigenheiten seiner Zeit, und hält. z. B. einem Pontormo sein Kopieren Dürers vor, mit dem charakteristischen Zusatz, die »Flamänder« selbst wüßten doch nichts Besseres, als ihren heimischen Stil in Italien so rasch als möglich los zu werden. Das Pathos um jeden Preis, auch der gleichgültigsten Situation, die großen übertriebenen und darum so leeren Gebärden, das Zähnefletschen und Stirnrunzeln, wo es nicht am Platze ist, fällt ihm wohl auf; er spricht von den »Teufelsfratzen« der Apostel eines Rosso und charakterisiert gelegentlich treffend mit einem guten Wort die ariaccie spaventate eines Beccafumi — der übrigens wie so viele dieser »Manieristen« einer der besten Zeichner war —, das strafare und das sforzare der Natur wie in den Muskelmännern Francos. Er war ja ein hellblickender Mensch, wenn er auch in den eigenen Malerwerken seiner Zeit selbst reichlichst ihren Tribut entrichtet hat; in ihnen liegt auch page 280 nicht seine Bedeutung als Künstler, sondern in seinem Wirken als. Architekt und Dekorator; unter den vielen glänzenden Leistungen der florentinischen Spätrenaissance stehen die seinen an vorderster Stelle. Heute gewinnen wir ja allmählich wieder Abstand und Stellung zu den merkwürdigen Stilproblemen des Manierismus, nicht nur als Vorstufe des Barocks, sondern in seinem Eigenleben betrachtet, ganz abgesehen von den auch früher schon nach Gebühr gewürdigten Leistungen im Bildnis. Diese Vorstellung des Welkens war ja bei Vasari natürlich und bis zu einem gewissen Grade auch richtig; um im Bilde zu bleiben, die Blüten der Hochrenaissance mußten vergehen, um der früchteschweren üppigen Herbstzeit des Barocco Platz zu machen, und Vasari und seine Zeit befanden sich eben in einem unklaren und unbehaglichen Übergangsstadium.

Dieser Tagseite des Rinascimento steht die Nachtseite des »Mittelalters« gegenüber. Die Entwicklung dieses Concetto kennen wir bereits; Vasari hat ihn übernommen, wir treffen aber wohl zum ersten Male bei ihm den bis auf die Romantik herab immer wieder auftauchenden Greuel des »finstern« Mittelalters, die tenebre.

Die dreifache Gliederung des geschichtlichen Hergangs wiederholt sich nun auch in dem welthistorischen Prozeß. Der maniera antica des Altertums folgt die maniera vecchia, der Tiefstand der Mittelzeit, und die maniera moderna, die diese ablöst, wiederholt im Spiegel die erste. Die beiden Begriffe sind ja keineswegs neu, schon am Ausgange des 15. Jahrhunderts wählen sie zwei Künstler als. Decknamen (L'Antico, Il Modernd).

Auch die Geschichtskonstruktion des Altertums ist bereits vor Vasari entwickelt und in feste Form gebracht worden. Daß schon die älteren Toskaner das etruskische Element mit besonderem Anteil hervorgehoben hatten, wissen wir; der Abkömmling der alten Etruskerstadt Arretium konnte unmöglich daran Vorbeigehen. Vasari berichtet denn auch über den Fund der berühmten Chimaera im Jahre 1554 und weiß merkwürdige Dinge von den Nachahmungen der alten aretinischen Vasen durch seinen Großvater zu erzählen. Schließlich bleibt dieses aber doch nur eine vaterländische Episode; die große Entwicklung heftet sich an die drei Hauptstätten der alten Kunst: Ägypten, Griechenland, Rom. Auch hier findet ein aufsteigender Werdegang statt; die römische Kunst erreicht ebenso wie die terza maniera der Neuern den Gipfel und ist den Perioden der Vorbereitung in Ägypten und Hellas überlegen, eine Anschauung, die bekanntlich bis in die Winckelmannzeit hinein angehalten hat. Dann beginnt aber auch mit Naturnotwendigkeit der Abstieg und Verfall, er beginnt mit der Zeit Konstantins. Es ist höchst merkwürdig, wie Vasari diese beginnende Stillosigkeit an den Reliefs des Konstantinbogens dar page 281 stellt, in auffallender Übereinstimmung mit den Anschauungen, die in dem Raffael zugeschriebenen Exposé niedergelegt sind (vgl. Buch II.) Auch das ist bis in die neueste Zeit herein, bevor Riegls scharfsinnige Analysen einsetzten, ein Dogma geblieben.

Die Auffassung der »Barbarentheorie« ist ebenfalls wesentlich durch Vasari verbreitet worden. Hier ist er aber auch nicht originell; seine Darstellung fußt, wie ausdrücklich hervorgehoben werden muß, auf Manettis Biographie des Brunellesco und ihrem merkwürdigen historischen Exkurs über die Architektur (vgl. Buch II). Doch hat er sich ernsthaft durch die uns schon bekannten Auszüge aus P. Diaconus über diese Zeiten zu informieren gesucht und ist namentlich ihren Baudenkmälern mit starkem Anteil gefolgt. Von dem Stil des Mittelalters, dem infelice secolo, entwirft er ein Zerrbild, das aber gerade in seiner Karikatur richtig beobachtete Züge enthält: den charakteristischen Mangel an Raumsinn, die Linienmanier, das Stehen auf den Fußspitzen, die occhi spiritati u. s. w. Alles das sind natürlich Roheiten und Unvollkommenheiten für Vasari (rozzezze und goffezze), eine Auffassung, die noch heute nachwirkt, bei den Menschen der Renaissance mit ihren völlig anders orientierten Raum- und Lichtproblemen freilich begreiflich erscheint, als Höhepunkt der Reaktion gegen jene ganz anders gestimmte Kunst der Ahnenzeit. Nur die Technik dieser maniera greca und tedesca findet gelegentlich kühles Lob (Mosaiken von S. Giovanni). Die beiden großen Triebkräfte oder, sagen wir vorsichtiger, Begleiterscheinungen dieser Reaktion hat Vasari schon selbst hervorgehoben, er findet sie in der vom Trecento ab zu beobachtenden Rückkehr zum Naturvorbild und in dem Einfluß der Antike, wie er denn den freien großen Stil seiner dritten Periode ausdrücklich mit Rom und den bedeutenden Antikenfunden jener Periode zusammenbringt.

Es ist also der Entwicklungsgedanke, der Vasaris Darstellung beherrscht, natürlich nicht in der Form, wie er in der nachkantischen Philosophie und der modernen Naturwissenschaft auftritt, sondern in einer gleichsam mythologischen Hülle unter dem Bilde des natürlichen organischen Wachstums, seines Keimens, seines Blühens und Verwelkens, wie wir gesehen haben, ein Erbe der Antike. Aber in diesem waren zwei Strömungen vertreten. Die der heidnischen pessimistisch gestimmten Historik, mit dem Gedanken eines ursprünglichen bessern Urzustandes, von dem her die Gegenwart eine regressive Entwicklung darstellt, schon vom alten Hesiod in der mythologischen Dichtung der Weltzeitalter verkündet, aber auch vom Christentum im Gedanken des irdischen Paradieses übernommen; im Grunde die Erweiterung eines volkstümlichen, überall auftretenden Gedankens, die Menschheit sei in früheren Zeiten größer, schöner, besser, ge page 282 sünder, langlebiger gewesen, im philanthropischen Zeitalter Rousseaus neuerlich hervortretend und auch in den Anfängen der Sprachwissenschaft, in den Vorstellungen einer idealen Ursprache lebendig. Dann die von der christlichen Geschichtsauffassung des späten Altertums geformte Anschauung einer progressiven Entwicklung (vor dem Gesetz, unter dem Gesetz, im Stande der Gnade), die von dem gleichen Punkt, dem Elend und Verderbnis der Gegenwart heraus, auf eine Vollendung in idealer Ferne (Augustinus’ Gottesstaat), deutet, auch sie in der Geschichtsphilosophie der Romantik, Schellings, Hegels wie aller späteren, sozialistischen und kommunistischen in neuer Auffasung erscheinend. Es ist sehr merkwürdig, wie sich in der Renaissance und ihrem typischen Vertreter und Verkünder Vasari beide Strömungen mischen. Die gegenwartsfrohe, ihres Sieges über eine »barbarische« Vergangenheit selbstgewisse Zeit hat ja eben durch ihn diesen Fortschritt in der kräftigsten Weise bejaht, die eigene Zeit und das Wirken ihres größten Künstlers als den Gipfel aller Kunst überhaupt ausgerufen. Es war unausbleiblich, daß sich damit ein melancholisches Herbst- und Epigonengefühl, vergleichbar jenem Pessimismus der Antike, einstellen mußte, und Vasari gibt ihm gelegentlich unzweideutigen Ausdruck. So berichtet er eine epigrammatische, von ihm nach seinem Sinn zurechtgelegte Äußerung Michelangelos selbst über die Werke des Valerio Vicentino, jenes geschickten Erneuerers der alten Gemmentechnik; nunmehr sei die Todesstunde der Kunst gekommen, den darüber hinaus sei kein Fortschritt mehr möglich. Damit verbinden sich sehr eigentümliche kunstpolitische Gedanken. In dem an die Künstler seiner Zeit gerichteten, aber später geänderten Schlußwort seines Werkes erster Auflage verkündet Vasari, der hauptsächlichste Nutzen der Kunstgeschichte läge darin, daß sie auf die großen Werte der Vorzeit aufmerksam mache zu dem Zwecke, daß der neuere Künstler seinen Ehrgeiz darein setze, sie men chiare e men belle erscheinen zu lassen. Die pädagogische Absicht der magistra vitae erscheint hier in eigentümlichem Lichte; es ist die Negation aller wahrhaft historischen Betrachtung in unserem Sinn. Die starke Tendenz der Schrift wird deutlich, die, mitten im Kunstleben ihrer Zeit stehend, aus ihr emporwächst und folgerichtig in der Krönung des Ganzen durch Michelangelos Wirken (mit dem ja die erste Auflage schließt) ihre Apotheose findet.

In dieser merkwürdigen Form geht der Gedanke einer progressiven Entwicklung durch das ganze Vitenwerk Vasaris. Leonardo hatte das vile imitatorum pecus von den großen Pfadfindern Giotto und Masaccio geschieden, in der Nachahmung, die aus dem Sohn der Natur einen Enkel mache, das Kriterium des Verfalls gefunden. Für den Manieristen Vasari hat die Nachahmung eine ganz andere Bedeutung; und so erscheint ihm der später Kommende fast immer page 283 auch als der Fortgeschrittenere, also in gewissem Sinn höher Stehende, weil er in größerem Maße über ausgebildete Kunstmittel verfügt. Es ist die Schätzung und Überschätzung des Technischen in dieser Zeit des Virtuosentums. So steht Stefano zum Teil über Giotto und wird seinerseits von Spinello Arentino in Zeichnung und Farbe übertrumpft. Nino Pisano ist ein »besserer« Meister als Andrea, nicht aus stilistischen Gründen, sondern einfach als der Nachgeborene, der aus reicherer Erfahrung schöpfen kann, etwas rein Postuliertes, nicht aus der Analyse der Werke selbst Gewonnenes. Es ist nicht überflüssig, das zu erwähnen, noch in manchen unklar gedachten »Entwicklungsreihen« moderner Kunstgeschichte steckt derselbe technische Aberglaube.

Das, was man Vasaris mythologisches Denken nennen könnte, bleibt auch durchaus im Banne seiner Zeit. Die Erfindertheorie der Renaissance spielt bei ihm eine große Rolle. Kollektive Kunsttatsachen werden ohne weiteres zu individuellen Ursprüngen gemacht. So erscheint Duccio als »Erfinder« des Fußbodenmosaiks, Parri Spinellis gotische S-Linie wird auf seine Lust an der bravura zurückgeführt; in gewissem Sinne steckt ja etwas Richtiges darin.

So wenig aber Vasari ein strenger Dogmatiker ist und in so vielen Farben auch seine historische Konstruktion schillert, er war sich ihrer doch bewußt und rührt mitunter an Gedanken, die heute wieder lebhaft erörtert werden. Ausdruck und Begriff seines rinascimento hat er freilich aus dem älteren Schrifttum übernommen; aber es ist ihm doch schon die Ahnung eines typischen Verlaufs, der anscheinenden Wiederholung gleichartiger historischer Daseinsformen, aufgegangen. Den dreigliederigen Rhythmus der Entwicklung: Keim, Vorbereitung, Blüte, findet er auch im Altertum wieder, ist es auch nur ein literarischer Concetto, wenn er diese Typik an den Reihen Calamis-Myron-Polyklet einerseits, Polygnot-Zeuxis-Apelles anderseits darstellt. Es ist, wir wiederholen es, eine Konstruktion rein literarischer Herkunft, aber sie scheint wirklich Vasaris Eigentum zu sein. Ein Jahrhundert später hat der Neapolitaner Vico in seinem berühmten Werk, dem er mit gerechtem Selbstgefühl den Titel der Nuova scienza gab, den großen geschichtsphilosophischen Gedanken seiner corsi und ricorsi entwickelt.

Vasari hat auch über die Ursachen der Entwicklung nachgedacht. Die aus der Antike stammende Lehre des »Mittels« klingt wiederholt bei ihm an; so wird (im Leben des Gaddi) die sottilità der Luft als bestimmender Faktor erwähnt; in einem bekannten Bonmot Michelangelos ist gleichfalls davon die Rede. Der alte Arzt Galenus hatte hier schon den Weg gewiesen. Merkwürdige Betrachtungen über den in Italien tatsächlich so auffallend hervortretenden Regionalcharakter page 284 und dessen verschiedene Anlage zur Kunst hat Vasari in dem Kapitel über den sogenannten Prete Calabrese angestellt (Teil III). Daß er in den beiden ersten Teilen die Hegemonie von Florenz so stark betont und das übrige Italien ihm gegenüber als Provinzialentum behandelt, zum Teil — so was Oberitalien anlangt — aus eingestandenem Mangel an Kenntnissen, ist ihm bekanntlich sehr übel vermerkt worden; hier knüpfen, von ihm angeregt, aber zum Teil in bewußter Gegnerschaft, die zahlreichen Vitensammlungen bis ins 18. ja das 19. Jahrhundert hinein an. In Vasaris terza età tritt, wie wir schon wissen, Rom an die Stelle, die es schon im Altertum eingenommen hat. Die Milieutheorie triumphiert wieder: es sind die Antikenfunde, die diesen neuen Stil bestimmen; der Sacco di Roma und vorher schon Marcantons graphische Tätigkeit führen zur Verbreitung des wahren und echten disegno. Hier finden sich dann jene bezeichnenden Äußerungen, die namentlich in dem gänzlich anders gestimmten Oberitalien so viel Gegnerschaft gegen Vasari und seinen Toskanismus und Romanismus erzeugt haben. Vasari deckt sich freilich mit einer Äußerung seines Meisters Michelangelo, wenn er von Tizians Zeichnung sagt, sie wäre besser, wenn er in Rom gelernt hätte. Hier war der Boden für die lange vorbereitete Fehde zwischen der »lombardischen« und mittelitalienischen Kunstauffassung bereitet. Die Venezianer blieben die Antwort nicht schuldig; konnten sie angeblich nicht zeichnen, so konnten ihre Gegner nicht »malen«, und von ihrem Standpunkt aus hatte jede der beiden Parteien recht. Die römisch-klassizistische Orientierung ward überhaupt durch Vasaris Autorität ungemein gefördert; bei Correggio, ja selbst bei seinem Lehrer Andrea del Sarto beklagt er, wie sehr es ihren Werken zum Schaden gereiche, daß sie Rom nicht gesehen und an dessen Antiken den »großen Stil« gelernt hätten. Der nahende Barock kündigt sich an. Ein anderer Jugendlehrer Vasaris, der französische Glasmaler Marcillac, erreicht diesen »großen Stil« ebenfalls erst nach seiner Ankunft in Rom. Vollends charakteristisch ist Vasaris Stellung zu Dürer, dessen Kunst ihm doch, wie den Italienern überhaupt, bei aller förmlich triebhaften Opposition gewaltigen Eindruck geweckt hat und mit dem er sich, gewunden genug, auf seine Weise abzufinden sucht. Der große freie Blick, mit dem noch ein Ghiberti, der ja freilich in einer »gotischen« Werkstatt aufgewachsen war, die Kunst jenseits der Alpen betrachtet (Gusmin!), ist hier längst nicht mehr vorhanden, sondern von theoretischem Vorurteil getrübt. Das führt uns aber schon zu dem wichtigsten Schlußkapitel, zu Vasaris Stellung zu der schon vor ihm so reich ausgebildeten Theorie der Kunst.

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V. Vasaris ästhetischer und kunstkritischer Standpunkt.

Sein Verhalten ist von Obernitz in einem fleißigen, aber durchaus nicht genügenden Buche dargestellt worden; schon die Beschränkung des Stoffes auf dem Gebiet der Malerei führt zur Einseitigkeit, wenn auch von einem durchgebildeten System bei Vasari selbstverständlich nicht die Rede sein kann. Sein Standpunkt der Beurteilung wechselt, je nachdem er sich über ältere Künstler oder Zeitgenossen, über Toskaner oder Fremde, endlich, was bei einem bildenden Künstler begreiflich genug ist, über Berufsgenossen verbreitet, deren Schaffen dem seinigen verwandt oder entgegengesetzt war. Spricht er aber über allgemeine Fragen, so schöpft er aus dem schon ziemlich fest ausgebildeten System, das er vorfand und das sein Rüstzeug zum größten Teil dem unerschöpflichen Arsenal der alten Rhetorik entlehnt hatte. Daher fällt es schwer, ihm eigentlich leitende Grundsätze nachzuweisen, er geht überall von Einzelfällen aus und was er an allgemeinen Theorien heranzieht, hat nur scheinbar allgemeine Geltung für ihn. Daher die Widersprüche; er bringt es fertig, sich gegebenenfalls auf die geradewegs entgegenstehende Meinung zu berufen. Ihm, dem Künstler, fällt es noch nicht ein, sich ein »Lehrgebäude« im Sinne Winckelmanns zu errichten; er verwendet die allgemeinen Prinzipien nach seinem augenblicklichen Bedürfnis. Daraus ergibt sich, daß man bei einer Betrachtung von Vasaris Kunstanschauungen immer auf den Zusammenhang zu achten hat, in dem sie auftreten. Abgesehen davon, daß er häufig mit fremdem Gut wirtschaftet, ferner davon, daß er sich vortrefflich in die verschiedenartigsten künstlerischen Stimmungen zu versetzen weiß, überhaupt seinem vielerfahrenen und vielgewandten Geiste die »objektive« Betrachtung natürlich ist, so ist das (häufig sehr scharf und treffend formulierte Einzelurteil bei ihm viel wichtiger als alle Sätze a priori, die er als Leitfaden seiner Kritik hinzustellen bemüht ist.

Nur unter diesen Voraussetzungen können und dürfen wir das, was (in einem sehr bedingten Sinne) die Ästhetik Vasaris zu nennen ist, im Zusammenhang betrachten.

Seine beiden obersten Kategorien sind altüberliefertes Gut: die Zeichnung (disegno) und die Erfindung (invenzione), jener der »Vater«, diese die »Mutter« aller Künste. In diesem Betonen der »Zeichnung« liegt wieder der schon öfter erwähnte Toskanismus und wenn Vasari auch dem von ihm merkwürdig gut erkannten Tintoretto von dieser Seite her einen Vorwurf macht, so liegt darin die alte, schon von Lionardo in Theorie wie in Praxis festgehaltene Theorie der Farbe page 286 als bloßer Akzidenz, die den vorwiegend plastisch gestimmten Toskanern so natürlich erschien. Zugleich steckt aber in jenen beiden obersten Kategorien der verhängnisvolle Dualismus von »Form« und »Inhalt«, denn die »Erfindung« geht in erster Linie auf den Stoff, die »Idee« des Bildes, wie die »Zeichnung« in weiterem Sinne alles in sich begreift, was wir »Form« zu nennen gewöhnt sind. Vasari spricht diesen Dualismus auch gelegentlich offen aus. Lippos Erfindungen erscheinen ihm z. B. ebenso glücklich als sein disegno unglücklich. Seinem Manieristenprogramm getreu schätzt er auch die cose strane, wo er sie findet (Leben des Bagnacavallo), und ingegno pellegrino zählt zu seinen Lieblingsausdrücken.

Worin liegt nun aber eigentlich dieser hohe Wert des disegno? Vasari ist hier so wenig als seine Zeit zu einer entschiedenen Antwort gelangt; er schwankt stets zwischen naturalistischen und Grundsätzen der Stilisierung. Auf der einen Seite steht immer die alte Anschauung, die das Wesen der Malerei in eine Nachahmung der Natur setzen will, und sich darin nicht genug tun kann. Auch Vasari bringt wiederholt die uralten, von der Antike her übernommenen »Sperlingsgeschichten«, so unter anderem im Leben des Fra Giocondo. Die Figuren sollen zu »sprechen« scheinen — die Anekdote von Donatello, der seinem »Zuccone« zuruft: favella, favella, zählt auch hierher — und in der Biographie des letzten Künstlers heißt es ausdrücklich unter dem Eindruck jener Worte, die zweite Periode der Rinascita setze an Stelle von Statuen lebendige Personen. Und wenn es gelegentlich des Geschichtchens aus der Jugendzeit Leonardos von jenem Medusenhaupt, mit dem er seinen Vater Ser Piero so sehr erschreckt, als wäre es wirklich, verallgemeinernd heißt: questo è il fine che delle opere s’aspetta, so ist das Geist vom selben Geiste. Gleichermaßen wird die Malerei im Leben des Masaccio im Vorbeigehen definiert als un contraffar tutte le cose della natura viva. In diesem Zusammenhang fügt sich auch (an der gleichen Stelle) der derb charakterisierende Atelierausdruck ein: bucare il muro. Masaccios Raumkunst durchbricht die Wand für den Beschauer, ist »Illusionismus«, wie man einst sagen wird. Von Vasaris Standpunkt (freilich nicht dem unsrigen aus) ist es folgerichtig, wenn Giulio Romanos Malereien in der Camera de’ Giganti zu Mantua als Gipfel der Kunstleistung gepriesen werden, mit jener schon berührten warmherzigen »Objektivität« Vasaris, die sich in das jeweilige Thema so gut einzuleben weiß. Derselbe theoretische Standpunkt liegt dann auch einem andern berühmten, von Vasari sehr oft angewendeten Atelierausdruck zugrunde, dem terribile. Es mag sein, daß er letzten Endes aus antiker Phraseologie (δειυòς) herstammt, Vasari gebraucht ihn in der volks- und urtümlichen Prägung des »Dämonischen«. So wenn er von Raffaels Porträt Julius II. sagt: »es jage dem Beschauer page 287 Furcht ein, als wäre es lebendig«. Es ist der unmittelbar packende Eindruck des Lebens, dem die Renaissance ja tatsächlich in der Praxis ganzer weiter Gebiete nachgegangen ist, in der volkstümlichen Farbenplastik eines G. Mazzoni ebenso wie in der lange blühenden Porträtbildnerei in Wachs und natürlichen Stoffen.

Neben diese naturalistischen Tendenzen schieben sich aber, häufig nur durch mehr oder minder gewaltsame Kompromisse zu überbrücken, Concetti anderer Art, die nicht auf das Erfassen der stofflichen Wirklichkeit, sondern auf ihre Bearbeitung abzielen und gleichfalls in der Antike wurzeln. Da ist der Concetto des Selektionsprinzips, der Auswahl der schönsten Teile von verschiedenen Modellen, von Cicero in einer berühmten, vielangeführten Stelle seiner einflußreichen Schrift über die Erfindung dargelegt, eine Theorie, gegen die später Bernini auf das nachdrücklichste Widerspruch erhebt. Vasari benützt sie an verschiedenen Stellen, im Leben Giottos, am stärksten in dem Mantegnas, wo von einer eigenen dahin abzielenden Lehre des Meisters die Rede ist, die aus seinen Werken abgezogen scheint. Ein Lieblingsgedanke des Klassizismus, der noch bei Schiller anklingt, taucht hier empor: die Antike sei als Vorlage dem naturale, dem lebenden Modell, vorzuziehen, weil in ihr diese Auslese schon getroffen sei. Es ist nicht schwer einzusehen, daß hier die Wurzel des vom 17. Jahrhundert proklamierten Schönheitsideals in der Kunst liegt; der Gedanke des »Schönen« als zentralen Prinzips der Kunst klingt bei Vasari zwar wiederholt an, ist aber noch keineswegs zu herrschender Stellung gelangt. Der Begriff der »schönen Kunst« in dem Sinne der Späteren ist bei ihm noch nicht vorhanden; der Ausdruck bello, wo er bei ihm vorkommt, hat überhaupt noch fühlbar eine andere Resonanz als für uns, wobei freilich auf die schwankende und zu Kompromissen durchaus geneigte »Ästhetik« unseres Autors von neuem hingewiesen werden muß. Allerdings wird gelegentlich graziata bellezza als oberster Grundsatz der führenden Kunst der Architektur verkündigt, das ist aber eine Umschreibung von Vitruvs eurythmia. Werden vollends die Akte der Deutschen getadelt, obwohl sie »angezogen schöne Männer« seien, so liegt hier viel mehr eine Äußerung gänzlich verschiedenen nationalen Kulturwesens vor. Es ist der Punkt, an dem auch die besten Köpfe Italiens einer Kunst wie der Dürers ratlos gegenüberstehen.

Gleichwohl wertete Vasari Ausdruck und Charakteristik sehr hoch; die Würdigung der Gemälde in der Sixtina erfolgt fast ausschließlich von diesem Gesichtspunkt her. Anderseits heißt es doch aber wieder bei Giottino, der Ausdruck seiner Figuren sei überaus stark (wir würden in dem Sinne, der hier gemeint ist, wahrscheinlich das Wort »dramatisch« verwenden), ohne daß er aber die »Schön page 288 heit« gefährde. Gelegentlich wird auch die Frage des Häßlichen in der Kunst gestreift (Vita des Pier di Cosimo, anläßlich dessen carro della morte); Vasari hilft sich hier mit einem Hinweis auf die Tragödie, die doch auch »gefalle«. Man sieht aus allem dem, daß Überlegungen solcher Art unseres Autors starke Seite eben nicht sind; sie liegen ihm, dem Praktiker, auch keineswegs sehr am Herzen, obwohl er wie die neuere, angeblich »ästhetikfreie« Kunstgeschichte, fortwährend mit ästhetischen Wertbegriffen und Kategorien hantiert. Sie haben aber alle (zum Teil sehr verschiedenartige) literarische Ursprünge und auf diesen wenig geklärten Untergrund ist immer wieder hinzuweisen. Wie Vasari je nach seiner (eben berührten) Einstellung zwischen naturalistischer und idealistisch-klassizistischer Weise schwankt, so wechseln auch seine Kriterien. So kommt ihm gelegentlich (Vita Tizians) die Einsicht, daß Kunst doch trotz der Nachahmungetwas von Natur gänzlich Verschiedenes sei. Das Thema von der »gereinigten« Natur klingt öfter bei ihm an, es wird ja durch die Selektionstheorie gestützt. Durch dieses Auswahlverfahren wird jene grazia und perfezione erreicht, die die Natur an sich nicht haben kann. Aber konsequent ist Vasari auch hier nicht. Es ahndet ihm, daß die maniera (im guten wie im schlechten Sinn gebraucht), d. h. der Stil des Künstlers, seine persönliche Tat ist (Vita des Giotto, Proemion zum II. Teil); er führt ein merkwürdiges Wort seines Heros Michelangelo an, der Künstler könne nur von sich selber übertroffen werden, d. h. er sei nur mit sich selbst vergleichbar. In der Biographie des Peruzzi gebraucht Vasari einmal (vom Palazzo Chigi) den hübschen Ausdruck, er sei nicht murato, ma veramente nato. Es ist der Angelpunkt individualistischer Kunstkritik, das, was man mit einem treffenden Wort neuerer Zeit die »Inselhaftigkeit« des Kunstwerkes genannt hat. Trotz seiner Lehre vom absoluten historischen Fortschritt weiß Vasari das künstlerische Moment z. B. im Trecento, trotz dessen »Unvollkommenheiten« recht gut zu beobachten und mit Liebe hervorzuheben. Da meldet sich dann eben der Künstler in ihm und bringt, auf Augenblicke wenigstens, die angeflogene Theorie zum Schweigen. Freilich mischt sich dann gleich wieder herablassendes Mitleid ein; die kunstrichterliche Verurteilung des secolo infelice aus der vorgefaßten Meinung über die »primitiven Epochen« heraus, dieselbe Unklarheit, die der Kunstgeschichte von Vasari bis zum heutigen Tage anhaftet. Die Idee, den Künstler in seinem Werke selbst zu suchen, findet sich aber doch bei Vasari gar nicht selten. Meist sind es freilich nur Kategorien technischer Art, und getreu der offen ausgesprochenen Tendenz, das Alte dem Neuen zu Liebe zu mediatisieren, verlaufen auch diese Ansätze wieder im Sande der Theorie; die eigene Zeit, die es so herrlich weit gebracht, verrückt Vasari beständig das Konzept. page 289 Die Manier der großen Schlagworte, bei denen man sich viel und wenig denken, jedenfalls aber den Mund recht voll nehmen kann (was Detmold in einem geistreichen Büchlein köstlich verspottet), ist in Vasaris Zeit schon weitaus routinierter als in der des alten Ghiberti, der noch mit wenigen altväterischen Programmworten wie ordine, misura, doctrina, diligentia u. dgl. sein Auslangen fand. Die Ateliersprache (colore unito, sfumato u. dgl.) ist jetzt auch unvergleichlich mehr ausgebildet, schon zum Jargon geworden.

Die Ansätze zu innerer Kritik sind bei Vasari nur schüchtern; sie »mythologisieren« zumeist, getreu seiner pragmatischen Art der Berichterstattung. Was man bei Vasari als Künstlerpsychologie ansprechen könnte, steckt noch in Kinderschuhen. Die timidita des Geistes und eine certa natura dimessa, die er dem Sarto zuschreibt, ist deutlich viel mehr aus seinem Leben als aus seinen Werken abgeleitet. Vollends in das Gebiet naiver Künstleranekdotik gehört es, wenn Parri Spinellis manierierte Figuren mit ihrem gleichsam »erschreckten« Ausdruck — den Vasari übrigens nicht übel beobachtet hat — auf ein böses Erlebnis des Malers (der einmal das Opfer eines Überfalles war) zurückgeführt werden; die Erschütterung seines Innern habe sich von da auf die Gestalten seiner Phantasie fortgepflanzt. Im Grunde steckt ja darin — in naiv »mythologischer« Form — ein richtiger Gedanke: der von der Einheit der Künstlerpersönlichkeit mit seinem Werk, als Ausdruck derselben. Schon die ältere Zeit, vor allem Leonardo, hatte ihn gehabt: der Künstler bilde sich selbst, stehe sich selbst Modell im geistigen wie im körperlichen Sinne (die eigene Hand!). Umgekehrt werden Charaktereigenschaften, die Vasari aus den Werken herauszulesen glaubt, schlankweg auf die künstlerische Person reflektiert; der stärkste Fall ist der des Andrea del Castagno, dessen Figuren mit ihrem düsteren und trotzigen Ausdruck nun freilich herrlich zu dem rohen und wilden Gesellen passen, als den ihn Vasari schildert; die Krone des Ganzen ist ja dann die erwähnte apokryphe Geschichte des Mordes an dem armen Domenico Veneziano. Es ist eine Warnungstafel hahnebüchenster Art, wie gefährlich diese in der Kunstgeschichte immer versteckte Neigung ist, moralische Eigenschaften des Urhebers aus seinen Werken zu destillieren.

Das gleiche Schwanken, dieselbe Abhängigkeit von den Ideen seiner Zeit und ihren Voraussetzungen zeigt sich auch in Vasaris Begriff der Kunst. Vor allem dürfen wir ihm nicht unsere seit dem 18. Jahrhundert entwickelte Anschauung unterschieben; er hängt auf diesem Gebiet vielmehr noch, wie ja die Renaissance auf weiten Strecken überhaupt — was uns immer deutlicher zum Bewußtsein kommt — von mittelalterlicher Auffassung ab. In der Vita des page 290 Albertinelli heißt es z. B. ganz unbefangen, er sei von der Malerei zu einer arte più bassa, nämlich dem Schankgewerbe, übergegangen; wir müssen uns erinnern, daß jene schätzenswerte Tätigkeit, die wir heute noch mit einem Terminus, dessen Sinn sich verschoben hat, »Kochkunst« nennen, einst im Reigen der artes mechanicae, nicht allzuweit von den bildenden Künsten ihre Stelle hatte. Freilich ist Vasari ein Enkel jener Generationen, die im 15. Jahrhundert ihr Gewerbe als »freie« Kunst proklamiert, ja mit der Wissenschaft selbst identifiziert hatten. Aber Reste älterer Anschauung sind eben doch auch bei ihm noch vorhanden, so wenn berichtet wird, es habe einem Schüler Leonardos, dem Rustici, in seinem Ansehen als Nobile geschadet, daß er sich der Kunst zuwandte. In Vasaris eigener Zeit war hier allerdings schon eine gründliche Wendung auch sozialer Art eingetreten; die Zeit des cavaliere Bernini, der in Frankreich mit fürstlichen Ehren empfangen wird, ist nicht mehr allzu fern. Vor allem trennt sich jetzt die »hohe« akademisch organisierte Kunst vom Handwerk; das 15. und zum Teil noch das 16. Jahrhundert hatten dagegen diese Einheitlichkeit auch äußerlich in ihrem Werkstättenbetrieb aufrecht erhalten. Die Intarsia, die einst an den hochgestellten neuen Aufgaben der prospettiva, die Pollajuolo als achte Kunst auf sein Papstgrab gesetzt hatte, so stark beteiligt war, erscheint jetzt (Vita des Benedetto da Majano) als eine niedrige (bassa) Beschäftigung, eines ingegno alto e pellegrino nicht würdig. Raffaellino del Garbo, im Alter genötigt, seinen Lebensunterhalt durch Entwürfe für Stickereien zu suchen, verfallt damit einem lavoro meccanico — das ist zugleich der alte Begriff einer der vornehmsten unter den artes mechanicae, der Weberei. Der Lehrer des Perino del Vaga ist ein geringer Maler, der zugleich cose meccaniche in seiner offenen bottega annimmt, wie es schon in Cenninis giottesker Werkstatt und später noch Handwerksbrauch war. Ein Werkzeug des Marmorarbeiters, die seghe, wird in Tribolos Leben geradezu als ferramenti disonesti bezeichnet, die national-florentinischen Wachsvotive (boti) des 15. Jahrhunderts»in denen einst treffliche Meister tätig waren, als basse cose (Vita des Salviati). Vollends von Dello, der Truhen (cassoni) malte — eine der einträglichsten Branchen in der Malerwerkstatt des Quattrocento! — wird mit dürren Worten gesagt, das sei eine Beschäftigung gewesen, deren sich heute jeder Maler schämen würde. Es sind im Grunde antik-mittelalterliche Vorstellungen des Banausentums, die fortwirken, aber jetzt einen neuen Sinn erhalten. Der charakteristische Hochmut der »großen« Kunst tritt bereits unverhüllt hervor; wieweit dies in eine Halbvergangenheit unserer Tage hinabreicht, wissen wir, auch wie lange der Klassenstolz den »akademischen« Maler, zumal den »Historienmaler« zwang, nicht anders als in bitterster Not und in page 291 größter Heimlichkeit, sonst höchstens als spielende Nebenbeschäftigung, Entwürfe kunstgewerblicher Art zu übernehmen, die ihn unweigerlich in die Gesellschaft dessen rückte, den der Münchener Atelierjargon mit einem recht bezeichnenden Ausdruck »Flachmaler« im Gegensatz zum »Kunstmaler« nennt, oder gar jener Herabgekommenen und Gestrandeten, die wie Kellers Grüner Heinrich in einem Hinterstüblein Fahnenstangen bepinseln mußten. Es ist eben deutlich ein neuer Begriff von der Kunst, der sich um Vasari in der Manieristen- und Virtuosenzeit ausbildet. Hier tritt der oben berührte Dualismus, die Scheidung zwischen Form und Inhalt, in der auch manches mittelalterliches Erbteil steckt, seine verhängnisvolle Rolle an; die invenzione, das Stoffliche, bestimmt vor allem Wert und Würde des Kunstwerks. Schon bei Alberti fanden wir das »Historienbild« als Gipfel der Kunst gepriesen; was dort aber noch mehr literarische Velleität war, wird jetzt Grundsatz der neuen Akademien. Das Geschichtsbild im eigentlich römischen Sinne erhebt sich über die Poesie der Venezianer (als den tiefer stehenden Dichterwerken entnommen). Auch das ist im Grunde ein alter scholastischer Gedanke; die Dichtung wird als Fiktion unter die Darstellung des angeblich »Wirklichen« gerückt. Freilich war auch hier noch ein ausgesprochen italienischer Nationalzug, die Neigung zum Monumentalen, am Werke. Wie der Architekt aus Vasari spricht, wenn er ganz im Sinne dieser Zeit die Architektur als Universalkunst, der die übrigen zu dienen haben, hinstellt, so erscheint gelegentlich auch das räumliche Ausmaß der bemalten Flächen ganz unumwunden als Kriterium der Kunsthöhe. Es hat bei ihm einen ganz andern Hintergrund als bei dem alten Ghiberti, wenn er die großen wandfüllenden Fresken der Sienesen gegenüber der Teilung der Wand in kleine Felder, wie sie die eigentliche Giotteske im Brauche hatte, hervorhebt und auf die letztere, »die noch heute geübt wird«, abschätzig heruntersieht. So erklärt sich eine höchst bezeichnende Äußerung: Pontormos kleine Gemälde wären vollendete Kunstwerke, wenn sie nur (in der Weise der römischen Schule der terza età) im Fresko und im Goßen ausgeführt wären! Die Überschätzung der Kunstmittel erscheint hier unverhüllt, der technische Vorteil, vor allem der eigenen Zeit, als Wertmesser. Das Fresko ist die größte und männlichste Kunst, was gewiß seine Richtigkeit hat, wäre nur der Nachsatz nicht, der es als solches dem Tafelbild unbedingt überlegen nennt. Besonders die Temperatechnik wird als veraltete Technik vergangener Zeit ziemlich tief eingeschätzt (Vita des Ghirlandajo); an anderen Stellen (eigene Vita) nimmt sie Vasari freilich wieder, mit der ihm eigenen Objektivität von Fall zu Fall, gegen ihre Schmäher in Schutz, wie sie denn auch das 17. Jahrhundert noch gerne angewendet hat. Es ist wieder page 292 die Idee des absoluten Fortschritts, die unserem Autor die Feder ablenkt, fast gegen seinen Willen.

Alles das sind eben Dinge, die dem Manieristenprogramm entsprachen, das Vasari auch selbst (Vita des Lappoli) mit aller Schärfe entwickelt. Hier wird gefordert: 1. Reichtum der Erfindung (invenzione), also Betonung des Inhalts an erster Stelle. 2. Beherrschung des Nackten (nudo), dessen vielfach aufdringliche Rolle in dieser Zeit nur zu bekannt ist; Vasari selbst tadelt gelegentlich die Überfüllung der Historien mit solchen nackten Prahlhänsen, die häufig lediglich vorlaute Statisten sind; wir wissen ja schon, daß er gegen die Schwächen seines Zeitalters nicht blind ist. 3. Die facilità, d. h. das eigentlich Virtuosenmäßige, das Malen aus dem Handgelenk und aus vollkommener Herrschaft über das Material heraus. Als Beispiel bringt er selbstbewußt ein eigenes Werk, seine Geschichte der Esther in Arezzo, 12 Ellen lang und in bloß 42 Tagen gemalt.

Wie stark sich Vasari mit der alten Zeit verknüpft erweist, haben wir wiederholt bemerkt. So wie dem florentinischen Adeligen Rustici sein Künstlertum als Abrücken von seinem Stande angerechnet wurde, so hält Vasari, seiner ganzen Herkunft und Lebensanschauung nach ein Bourgeois, an den Traditionen seiner Kaste fest. In der Vita des Alfonso Lombardi, der signoriler Neigungen bezichtigt wurde, spricht er sich unverblümt dahin aus, daß eine Lebensführung dieser Art für den Künstler nicht passe. Und doch sah seine Zeit (wie in Einzelfällen schon das 15. Jahrhundert) die Künstler als conti und cavalieri, Tizian, Bandinelli sind ein paar Beispiele dafür, und sein eigener Landsmann, Leone Leoni, erbaute sich in Mailand ein wahrhaft fürstliches Heim, den Palazzo degli omenoni, das sich von Vasaris bescheidenem, aber von seiner Hand anmutig geschmücktem Hause in seiner Vaterstadt charakteristisch genug abhebt. Das ist überhaupt für ihn bezeichnend; obgleich Hofmann, erinnert er in seiner Stellung doch immer mehr an die der Künstler als valets de chambre an den fürstlichen Höfen, die im Norden vollends noch bis an die Schwelle der neuen Zeit nachwirkte; man denke an Schadow oder Haydn! Vasari wurzelt eben im kleinbürgerlichen Mittel, freilich hat auch der Mediceerhof immer ein etwas bourgeoises Gepräge behalten. Er steht auch noch im letzten Schein der goldenen Età; die Gewissenskämpfe, die ein Tasso oder ein Ammanati zu bestehen hatten, liegen ihm fern. Ist er auch von der Reaktion nicht gänzlich unberührt, wie er denn gegen die übermäßige Verwendung nackter Gestalten in Kirchen Bedenken äußern zu sollen glaubt (trotz seines Abgottes Michelangelo, der dafür das stärkste Beispiel gegeben hatte), so ist er doch frei von Prüderie und findet gelegentlich (Vita des Fiesole) treffende Worte gegen die Unsittlichkeitsschnüffler. Er meint ganz witzig, wie page 293 müßten jene, denen die unschuldigen gemalten Figuren so viel Pein machten, erst im Leben den wirklichen gegenüber in Versuchung fallen! Auch sonst hält er sich noch von dogmatischer Ängstlichkeit frei; bei dem angeblich häretischen Palmierbild des Botticelli erklärt er offen, ihn als Künstler gehe nur der trefflich gemalte Vorwurf an, nichts anderes, was er ruhig den Theologen überlassen wolle. Bald nach ihm (und schon um ihn) wird solche Unbefangenheit immer seltener; der Dialog des Gilio mit seinen Angriffen auf Michelangelo wird uns bald beschäftigen; ebenso der Niederschlag solcher Meinungen in Borghinis Riposo. Im 17. Jahrhundert verbündet sich ein höchst einflußreicher Modemaler, Pietro da Cortona, gar mit einem hohen Kirchenfürsten zu einem Buch über die Fehler der Maler gegen Dogma und heilige Geschichte, ein Thema, das sich, selbst im protestantischen Lager, endlos bis ins 18. Jahrhundert fortspinnt.

Vasari ist in allem, im guten wie im schlechten Sinne, der wahre Kirchen- und Ältervater der neueren Kunstgeschichte, nicht nur durch das höchst einflußreiche und bald überall nachgeahmte Beispiel seiner großen Künstlergeschichte mit der aus ihm übernommenen und ausgebauten historischen Konstruktion, sondern auch in der von ihm erstrebten und häufig erreichten weitherzigen Sachlichkeit den verschiedenartigsten künstlerischen Erscheinungen gegenüber. Nicht zum wenigsten aber auch in der geringen Klarheit über die Wertkategorien und Grundbegriffe, mit denen er fortwährend schaltet und die ihn häufig mit dem von ihm vertretenen System in Widerspruch geraten lassen. In seinen Viten, wie sie uns in höchst merkwürdiger zweifacher Fassung vorliegen, ist auch seine Bedeutung als Schriftsteller vollständig beschlossen; sie sind sein einziges und eigentliches Werk, das seinen Namen unsterblich gemacht hat; denn die schon 1567 druckfertigen, aber erst aus dem Nachlaß von seinem Neffen, dem jüngeren Giorgio Vasari, 1588 herausgegebenen Ragionamenti über die von ihm ausgeführten Malereien im Palazzo Vecchio zu Florenz können sich an Bedeutung mit ihnen in keiner Weise messen. Diese Dialoge, sieben an der Zahl (den einzelnen Sälen entsprechend), geführt zwischen dem Principe (Francesco Medici) und dem Autor selbst, sind freilich äußerst bezeichnend für die Zeit Vasaris und enthalten eine Fülle von Belehrung über die Ikonographie der Manieristenzeit. In dieser höfischen Kunst neuen Gepräges, in diesen mit Mythologie, Allegorik und Hieroglyphenwesen vollgepfropften Verherrlichungen des Mediceergeschlechtes tritt der literarische Einschlag so stark hervor wie in keiner früheren Zeit; Vasari, obwohl als Humanistenzögling selbst leidlich sattelgerecht, bekennt auch selbst, daß seine Freunde Vincenzo Borghini und G. B. Adriani ihm als Helfer bei page 294 gestanden seien. Es ist wieder die sinnreiche invenzione, die hier Triumphe feiert, und Vasari hat sich nicht wenig darauf zugute getan. »È lecito al pennello trattare le cose della filosofia favoleggiando«, sagt er selbst; das ist das Programm jener Anschauung vom Wesen der Kunst, das dereinst in einem selbst von der Literatur aus an die bildende Kunst herankommenden großen Geiste, Lessing, seinen schärfsten Gegner finden sollte. So ist das Buch in gewissem Sinne eine Bibel jener merkwürdigen, uns auch formal sich immer mehr aufschließenden Zeit des »Manierismus« und in diesem Sinne höchst bedeutend und merkwürdig, wenn auch in keinem Sinne der europäischen Bedeutung, die das biographische Hauptwerk des Aretiners erlangt hat, an die Seite zu stellen.

BIBLIOGRAPHIE.

Es dürfte nicht unangebracht sein, vorweg zu bemerken, daß die folgenden Seiten meines Wissens der erste Versuch einer vasarianischen Bibliographie sind, über deren Mängel und Lücken eben deshalb hinweggesehen werden möge.

Vasaris Hauptwerk ist in erster Auflage unter dem Titel erschienen: Le Vite de’ più eccellenti Architetti, Pittori et Scultori Italiani da Cimabue insino a’ tempi nostri descritte in lingua Toscana da Giorgio Vasari pittore Aretino, con una sua utile & necessaria introduzzione a le arti loro. Florenz 1550, bei Lorenzo Torrentino. Drei Teile in 2 Bänden in 4° mit Registern (Band I umfaßt Teil 1 und 2, Band II, Teil 3), im ganzen 992 Seiten. Das Buch ist heute eine große bibliographische Seltenheit und wird teuer bezahlt. Es ist Herzog Cosimo gewidmet. Über die Geschichte des Druckes vgl. die genauen Untersuchungen bei Kallab, Vasaristudien 447 ff.

Die zweite, ebenfalls selten gewordene Auflage erschien unter dem Titel (dessen Umstellung nicht ganz ohne Interesse ist): Le vite de’ più eccellenti Pittori, Scultori e Architettori, scritte da M. Giorgio Vasari Pittore & Architetto Aretino di nuovo ampliate, con i ritratti loro, et con l’aggiunta delle Vite de’ vivi et de’ morti, dall’anno 1550 insino al 1567. Florenz, bei den Giunti 1568, in 4° in 3 Bänden (Band I umfaßt wiederum Teil 1 und 2, die beiden anderen den am stärksten erweiterten 3. Teil), im ganzen 1012 Seiten. Eine bemerkenswerte Zutat sind die Holzschnittporträts, die nach Vasaris eigener Angabe in Venedig hergestellt wurden. Im zweiten Band ist der Brief des G. B. Adriani über die antiken Künstler, datiert 8. September 1567, unorganisch während des Druckes eingefugt worden (vgl. darüber die Notizen bei Comolli, Bibliografia ragionata I, 215). Dieser Auszug aus Plinius war schon vorher Florenz 1567 separat gedruckt worden (Lettera di G. B. Adriani a G. Vasari sopra gli antichi pittori nominati da Plinio). Als Schluß ist Vasaris eigene Biographie angehängt. Die zweite Auflage leidet übrigens noch viel mehr als die erste unter sinnstörenden Druckfehlern, denen die angehängten ziemlich reichlichen Errata corrige nur teilweise gerecht werden.

Ein paar Jahre nach dieser zweiten Auflage erschien eine erweiterte Bearbeitung der Biographie des Jacopo Sansovino, als letzter Druck, den Vasari noch selbst besorgt hat, doch ohne Datum und Druckort und allem Anschein nach im Todesjahr des Künstlers selbst (1570) in wenigen Exemplaren zur Leichenfeier hergestellt; die außerordentlich seltene Broschüre wurde von Jac. Morelli Venedig 1789 bei Zatta neu herausgegeben. In dieser Redaktion letzter Hand erscheint die Vita auch in den beiden großen Florentiner Ausgaben bei Lemonnier und Sansoni. Das Leben Michelangelos, von dem übrigens eine sehr seltene Sonderausgabe mit einer eigenen Vorrede an Alessandro Medici vom 6. Februar page 295 1567 (Florenz, Giunti 1568) existiert, wurde in neuer Ausgabe mit Kupferstichen Rom 1764 herausgegeben. Die Holzschnitte der zweiten Edition erschienen separat Florenz 1629 bei Giotti.

Welchen Anteil, freilich auch welche Gegnerschaft das Werk Vasaris besonders in Künstlerkreisen fand, beweist eine Anzahl von Exemplaren der zweiten Auflage, die mit mehr oder weniger ausführlichen handschriftlichen Postillen versehen sind, die freilich in den weitaus meisten Fällen mehr für ihre Urheber bezeichnend als für den Text irgendwie erheblich sind. Die wichtigsten darunter rühren von einem Zeitgenossen Vasaris selbst her, Federigo Zuccari, und befinden sich in dem Exemplar der Pariser Nationalbibliothek (Comolli, Bibliogr. II, 7; vgl. auch Mariette an Bottari in des letzteren Lettere pittoriche ed. Ticozzi V, 365). Bottari hat sie in seiner Ausgabe benützt und zum Teile mitgeteilt, sie sind auch in Milanesis Vasari-Ausgabe übergegangen. Sie beziehen sich namentlich auf das Leben vou Federigos Bruder Taddeo und bringen Kommentare und Zusätze mannigfacher Art (Vasari-Milanese vol. VII). In der Vaticana befindet sich ein Exemplar mit Noten, die von einem der Caracci (Agostino) herrühren sollen und schon von G. Mancini genützt wurden (Malvasia, Felsina Pittrice II, 135»Mariette in den Lettere pittoriche IV, 337; Comolli II, 7; Fiorillo, Kl. Sehr. I, 110 ff.). Vgl. die ausführliche Besprechung Janitscheks, Randglossen Agostino Caraccis zu Vasari, Repert. f. Kunstw. II, 26 (mit Proben). Ein Manuskript der Magliabecchiana in Florenz enthält Noten von der Hand des bekannten florentinischen Topographen De Migliore (Vasari ed. Milanesi II, 64); über französische Postillen in dem Exemplar der Bibl. Corsini (Vita des Filarete und G. Romano) vgl. Comolli II, 6, ebenda über ein Exemplar der Bibl. Imperiali mit Noten von der Hand des römischen Topographen G. Celio. Postillen eines anonymen Mailänders des 17. Jahrhunderts in einem Exemplar der ersten Ausgabe von 1550 wurden bekannt gemacht von Mongeri, Postille di un anonimo seicentista im Archivio Stor. Lombardo II (1876). Ebenfalls ein Exemplar der ersten Ausgabe mit hämischen Randbemerkungen des berüchtigten Padre Resta befand sich in der Bibliothek Cicognaras (Catal. ragionato I, no. 2390), jetzt in der Vaticana.

Posthume Ausgaben. 3. Ausgabe, Bologna 1647 von Carlo Manolessi besorgt, 3 voll. in 4°, lediglich ein Neudruck der Auflage von 1568, im übrigen recht fehlerhaft. Die Holzschnitte sind von den ausgedruckten Stöcken der Ausgabe von 1568 genommen, stehen ihnen daher weit nach, ein paar neue sind hinzugefügt. Über die verschiedenen Titelausgaben der einzelnen Bände (von 1648, 1663, 1681) vgl. die sorgfältigen Angaben bei Fiorillo, Kl. Schr. I, 118 f.

Eine sehr wichtige Ausgabe ist dagegen die (4.) römische, die, von dem berühmten italienischen Kunsthistoriographen Monsignore Bottari besorgt, zu Rom 1759 bis 1760 bei den Gebrüdern Pagliarini, 3 voll. in 4°, erschien. Sie enthält an Stelle der alten Holzschnittporträte des originalen Vasari Nachstiche derselben (auch einige neue Porträts), sauber ausgeführt von Francesco Bartolozzi und Antonio Capellari, die auch in einer Separatausgabe, Ritratti de Pittori ecc., Rom 1760, bei Pagliarini erschienen sind. Die Stiche dieser Bottarischen Edition erscheinen auch reichlich verwässert in den späteren Ausgaben. Besonders wichtig ist diese Ausgabe durch die umfänglichen gelehrten Noten Bottaris, die heute noch Wert haben und deshalb auch zum Teile in Milanesis Ausgabe übergegangen sind.

Nur wenige Jahre trennen die 5. Ausgabe von dieser am meisten geschätzten der älteren Editionen. Sie erschien in sieben Bänden mit Kupfern in den Jahren 1767 bis 1772, 4°. Der erste Band ist zu Livorno bei M. Coltellini, die weiteren sind in Florenz bei Stecchi und Pagani herausgekommen. Die Herausgeber waren der Cav. de’ Giudici aus Arezzo und zwei florentinische Maler, Tommaso Gentili und Ignaz Hugford; Bottari lieh seine Hilfe und steuerte manche Note dazu bei. Doch bezieht sich dies nur auf die zwei ersten Bände; die übrigen sind mager, auch fehlerhaft gedruckt.

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Größeren Wert hat die von dem bekannten, freilich nichts weniger als einwandfreien sienesischen Lokalhistoriker P. della Valle besorgte 6. Ausgabe, die in Siena 1799 bei Pazzini in elf Oktavbänden (mit ziemlich schlechten Nachstichen der Kupfer) herauskam. Die Vorrede enthält einen Bericht über die früheren Ausgaben; die Noten der älteren sind übernommen und durch neue vermehrt, die indessen nur für Siena einigermaßen ertragreich sind. Der Herausgeber selbst hat längere Exkurse, z. B. über die sienesischen Künstler beigesteuert; doch ist diese Ausgabe im ganzen von geringem Werte. Die 7. Ausgabe erschien in dem bekannten, schön gedruckten, aber sehr fehlerhaften Sammelwerk der Classici Italiani, Mailand 1807—1811, in 16 Bänden (mit Noten von D. Vicenzo Pagave) sie ist im übrigen ein bloßer, zum Teil verschlechter Wiederabdruck der sienesischen. Eine 8. Ausgabe bei Stef. Audin erschien Florenz 1822. 6 Bände 8°, insoferne bemerkenswert, als sie zum ersten Male auch die Briefe Vasaris nach dem in der Riccardiana zu Florenz bewahrten, von dem jüngeren Vasari angelegten Sammelband enthält. Diese sind auch wiederholt in der 9., von einer Gesellschaft von Florentiner Gelehrten besorgten Ausgabe, die 1832—1838 bei Passigli in Florenz erschien; ihre Anmerkungen sind zum Teile in Milanesis Werk übergegangen (vgl. die Note vor der Biographie des Cimabue I, 247).

Es hat selbstverständlich gar keinen Zweck, die zahllosen Text-, Hand-, Schulausgaben und Auswahlen, die das moderne Italien seinem Schriftsteller (der ja als Klassiker und Sprachzeuge gilt) gewidmet hat, auch nur auszugsweise anzuführen; sie sind — wie die große Gesamtausgabe Vasaris, Venedig 1818 — 1830 — von den älteren Ausgaben abgeleitet und besitzen keinerlei selbständigen wissenschaftlichen Wert.

Die erste auf modernen Grundsätzen beruhende Ausgabe wurde in den Jahren 1846 in Florenz bei Lemonnier begonnen (per cura di una Società di amatori delle arti belle); vier Männer, deren Wirken um die Erforschung ihrer heimischen Kunstgeschichte unvergessen bleiben wird, verbanden sich bei ihrer Herausgabe: der Historiograph der Dominikanerkunst Vincenzo Marchese, Carlo Pini und die Gebrüder Carlo und Gaetano Milanesi; 1870, im Geburtsjahr des geeinten Königreiches, kam der letzte (14.) Band des Werkes heraus, das in Oktavform, mit der Sorgfalt des bekannten Verlages ausgestattet, erschien. Die Ausgabe, eine Erneuerung der vorhergehenden Florentiner bei Passigli, zeigt schon die Vorzüge, freilich zum Teile auch die Mängel der folgenden, behauptet aber ihre Sonderstellung und ihren eigentümlichen Wert (s. u.), so daß sie noch heute mitunter herangezogen wird.

Diejenige Ausgabe endlich, die bis zum heutigen Tage nicht ersetzt und überholt ist, stellt sich als das Werk eines einzelnen Mannes dar, eben jenes Gaetano Milanesi, der sie acht Jahre nach dem Abschluß der Lemonnierschen, damals schon hochbetagt, im Florentiner Verlage Sansonis 1878 begann und 1881 zu Ende führte. 1885 erschien der letzte, der Registerband. Sie umfaßt in neun Bänden in Großoktav sämtliche Werke Vasaris, in Band I—VII die Viten, in Band VIII die kleineren Schriften, namentlich die Ragionamenti, sowie sämtliche bis dahin bekannt gewordenen Briefe Vasaris (die in den Ausgaben von Audin, dann Passigli gedruckten [54] Briefe des Sammelbandes der Riccardiana, vermehrt durch die in Gayes Carteggio sowie in neueren Publikationen erschienenen, endlich durch eine Anzahl ungedruckter Stücke; im ganzen 260 Nummern). Die Noten der älteren Ausgaben sind, wie schon erwähnt, zum Teile übernommen, ferner hat aber Milanesi eine große Anzahl von neuen sowie selbständige Abhandlungen und Exkurse beigesteuert die auf seiner gründlichen Kenntnis der Archive beruhen. Auch die Abweichungen der ersten Ausgabe sind, soweit sie Milanesi wichtig schienen, vermerkt, doch ist dies in viel zu geringem Maße geschehen. Daß die Denkmälerkenntnis des verdienstvollen Autors keine besonders große und eindringende war, erklärt sich aus seiner bestimmten und einseitigen Richtung; das mindert natürlich den Wert der fleißigen Arbeit ebenso wie die allzu geringe Vertrautheit mit der neueren, besonders ausländischen kunsthistorischen Literatur. Ein äußerer Mangel, der uns gelegentlich noch auf die ältere Lemonniersche zurückgreifen läßt, liegt in dem Umstand, daß Milanesi aus falsch verstandener Kritik die ja doch zum page 297 Werke innerlichst gehörigen Porträts der zweiten Auflage nicht mit aufgenommen hat. Ebenso hat er wertvolle eigene Abhandlungen, die er in der älteren Florentiner Ausgabe veröffentlicht hatte (z. B. die über die toskanische Miniaturmalerei), um Raum zu sparen fortgelassen.

Milanesis Verdienste um unseren Autor sind groß und bleibend; seine Ausgabe ist, wie gesagt, bis heute noch die Grundlage aller Forschung, aber sie kann weder im strengen Sinne des Wortes als eine philologisch-kritische, noch in ihrem Notenapparat als eine auch nur dem damaligen Stande des kunsthistorischen Wissens entsprechende bezeichnet werden; sie ist in ihrem charakteristischen toskanischen Regionalismus der letzte Ausläufer jener alten Editorentätigkeit Italiens, der sie in ihrem Geiste auch durchaus verwandt ist.

Es fehlt uns also bis zum heutigen Tage an einer mit den Mitteln moderner historischphilologischer Kritik hergestellten Grundausgabe unseres Hauptschriftstellers. Es ist überaus bezeichnend, daß alle Ansätze zu einer solchen, soweit sie bis jetzt zutage getreten sind, von der deutschen Wissenschaft herrühren; die Italiener stehen bei diesem ihrem nationalen Autor im Hintertreffen, und was Engländer oder Franzosen geleistet haben, fällt kaum irgendwie ins Gewicht. Nichts enthüllt mehr die kindlich zu nennende Unbefangenheit einerseits, die Hilflosigkeit und Ungeschicklichkeit anderseits, mit der unsere Disziplin, die man mit einem verdächtigen Euphemismus noch immer als eine »junge« zu bezeichnen liebt, diesen Problemen gegenübersteht; das Schauspiel, das sich bei diesen Gehversuchen in den ersten Schuhen bietet, ist nichts weniger als erbaulich.

Am rührigsten und erfolgreichsten, wenigstens nach gewissen Seiten hin, hat sich ein vor kurzem verstorbener deutscher Gelehrter, Karl Frey in Berlin, um das Problem der Vasari-Ausgabe bemüht. Freilich war dieser Erfolg in jedem Betracht nur ein halber oder viertelmäßiger; das liegt nicht zuletzt in der eigentümlichen Persönlichkeit dieses Mannes, dessen nicht überall sympathisches Charakterbild eben jetzt H. Mackowsky in einer vortrefflichen Studie mit ausgezeichneter Sachlichkeit umrissen hat (Repertorium f. Kunstw. 1917, 232 f.). Frey begann mit einer Schulausgabe Vasaris, von der vier Bändchen erschienen sind: Ausgewählte Biographien Vasaris zum Gebrauche bei Vorlesungen. I. Donatello, 60 S., Berlin 1884. II. Michelangelo. 444 S., Berlin 1887. III. Ghiberti, 115 S., Berlin 1886. IV. Brunellesco, 211 S., Berlin 1887. Mit dem letzteren geriet die Ausgabe ins Stocken. Frey ist einer Anregung seines Lehrers Hermann Grimm gefolgt, der Vasaris Vita di Raffaello da Urbino zum Gebrauche bei Vorlesungen, Berlin 1876 ediert hatte (48 S.). Voraus liegt noch desselben Autors Leben Raffaels von Urbino, italienischer Text des Vasari, Übersetzung und Kommentar I. Teil, Berlin 1872. Doch ist diese Anregung nur eine äußerliche; Frey wandelt ganz andere Wege als der höchst geistreiche, aber auch sehr schrullige und von moderner Forschung ganz abgekehrte Mann, dessen Publikationen aus seiner höchst persönlichen Beschäftigung mit Raffael, nicht aber mit dem Schriftwerk des Aretiners selbst herausgewachsen sind.

Schon bei diesen ersten Publikationen Freys ist der aufgewandte Apparat sehr bemerkenswert. Die Vergleichung der beiden Auflagen ist sorgfältig durchgefñnhrt, die abweichenden Stellen der ersten werden unter dem Text abgedruckt. Dazu kommen umfängliche Anhänge aus anderen Quellenschriften und Urkunden; Frey hat z. B. die ganze Biographie des Condivi seinem Michelangelobändchen eingefügt, die historisch wichtigen Teile der Kommentarien Ghibertis, ebenso Manettis Vita des Brunellesco, ferner Bruchstücke des Anonymus Magliabecchianus u. a. abgedruckt. Alles das ist in einer »Schulausgabe«, die von vorneherein kaum auf einen vollständigen Text des Autors berechnet war, zu recht- fertigen und ebenso dankenswert wie die Zusammenstellungen aller sonst auf die betreffenden Künstler bezüglichen Stellen Vasaris. In einem umfänglichen Notenapparat werden die älteren Ausgaben Vasaris herangezogen und kritisch beleuchtet. Besondere Mühe hat sich Frey mit der Feststellung der richtigen Orthographie und Interpunktion gegeben und dafür auch (in der Vita M. Angelos, II. Bändchen, S. 405—408) ein ganzes Programm mit scharfsinnig ausgeklügelten »Regeln« gegeben (dazu die sehr eingehenden Vorbemerkungen in page 298 der Einleitung zu diesem Bändchen S. V—XI). Auch hier ist schon eine gewisse Hypertrophie zu bemerken und Frey verliert sich nicht selten in Quisquilien ohne rechten Belang, tritt auch (ebenso wie in seinen sonstigen verdienstvollen Ausgaben des Magliabecchianus und Billi) rechthaberisch als Sprachrichter gegenüber den Italienern selbst auf, was sich nun freilich oft wunderlich genug ausnimmt, da ihm, dem Stammesfremden, weder Sprachgefühl noch selbst Sprachkenntnis in genügendem Maße zu Gebote stehen. Trotzdem ist diese ehrliche und mühevolle, wenn auch häufig ihren eigentlichen Boden verlierende Kleinarbeit des übergewissenhaften Forschers ein großes Verdienst, namentlich auch gegenüber den letzten italienischen Vasari-Ausgaben Milanesis, die in unbedenklicher und willkürlicher Modernisierung des Textes ein Erkleckliches geleistet hatten und von den Forderungen strenger Kritik kaum berührt sind.

Das alles waren aber nur Vorläufer zu der großen Gesamtausgabe, die der rastlos geschäftige Mann plante und deren erster (und zugleich letzter) Band, ein kolossaler Quartant von nicht weniger als 914 (+ XXIV) Seiten, endlich in München bei G. Müller 1911 herauskam. Man wiegt ihn mit einem eigentümlichen, aus Bedauern, Dankbarkeit und einer unbestimmten Rührung gemischten Gefühl in der Hand. Denn es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß der schon damals nicht mehr junge Mann sein Leben für ausreichend hielt, um das von ihm begonnene Unternehmen in diesem Umfang zu Ende zu führen. Die charakteristischen Vorzüge, namentlich aber die Mängel von Freys Arbeitsweise sind hier fast zu erschreckendem Maße gesteigert. Denn dieser Band enthält nichts als Vasaris Einleitung, dann die (ziemlich stiefmütterlich behandelte) Introduzione über die Technik, den Brief des Adriani (dem wieder mehr Sorgfalt geschenkt ist, als dieses nichtsnutzige Elaborat verdient), endlich von den Viten selbst nicht mehr als die drei ersten (Cimabue, Arnolfo, die Pisani), die mehr als die Hälfte des Bandes (S. 387—899!) einnehmen! Es ist im Grunde unerfindlich, wie sich ein Verleger auf eine solche Publikation einlassen konnte, die, wenn sie jemals hätte vollendet werden können, in ihrem Umfange die große Weimarer Ausgabe Goethes noch um ein bedeutendes hätte übertreffen müssen und deren erste Bände beim Erscheinen der letzten schon längst überholt und veraltet gewesen wären. Denn Frey hat in diesen ersten Band unser gesamtes dermaliges Wissen von jenen drei Künstlern zu drängen versucht, in Beilagen, Exkursen, Urkundenauszügen, Übersichtstafeln u. s. w., lauter Dinge, die einer Textausgabe im Grunde fremd sind und sie nur unnötigerweise belasten; es fehlte nur noch die Beigabe bildlichen Materials! Dabei ist nicht nur Ungedrucktes und jetzt erst zugänglich Gewordenes, wie die (allerdings für diesen Band eben nicht sehr ertragreichen) »Carte Vasariane« (s. u.) mitgeteilt, sondern in nicht geringem Maße auch schon vorher längst Bekanntes und Gedrucktes. Dazu kommt wie in allen Publikationen Freys der Mangel an Übersichtlichkeit, die Verzettelung in zahllose Einzelheiten, was die Benützung des dicken Bandes oft zu einer Qual macht, zumal jegliches Register fehlt. Die Arbeit des verdienstvollen und unermüdlich tätigen Mannes, die nun wohl auf immer ein Torso bleiben muß, ist geradezu ein Schulbeispiel für das mangelnde Orientierungsvermögen der kunstgeschichtlichen Disziplin auf einem Gebiete, das gerade Frey so viel verdankt. Im übrigen ist noch auf die sehr ausführliche Rezension Supinos zu verweisen: Una nuova edizione critica delle vite del Vasari (Rivista d’Italia 1912 Januar), die freilich größtenteils, besonders in eigener Sache, Realien enthält und auf die Frage der Textkritik sehr wenig eingeht. Über Freys eben erschienene posthume Ausgabe der Carte Vasariane s. u.

Auch von den Italienern selbst, die doch die zunächst Berufenen wären, ist nichts Besseres zu melden. Geradezu wie eine Karikatur von Freys Arbeitsweise berührt uns der erste (und einzig gebliebene) Band einer Vasari-Ausgabe, der aus Adolfo Venturis rascher Feder herrührt und Florenz 1896 herauskam (Le vite ecc., vol. I). Er enthält bloß die verhältnismäßig kurze Doppelbiographie des Gentile da Fabbriano und des Pisanello (Text der 1. und 2. Ausgabe). Auf 130 Seiten ist hier alles mögliche in eine Monographie der beiden Künstler gehörige Material zusammengehäuft, auch mit reichlichen und gut ausgeführten Bildbeigaben nicht gespart; das sind aber eben wieder alles Dinge, die in eine page 299 Monographie, nicht in eine Vasari-Ausgabe sich schicken. Von weiteren Bänden, die Freys Ausgabe womöglich noch an Zahl hätten überholen müssen, war auch nichts mehr zu hören.

Endlich sind unter der Direktion von L. Occhini und E. Cozzani eine Reihe von Einzelbändchen (Vite Vasariane) in Florenz bei Bemporad seit 1911 herausgekommen, die, von jüngeren italienischen Kunsthistorikern bearbeitet, mit Noten, Bibliographien, einigen Tafelbeigaben ausgestattet, sehr ungleich im Werte sind, übrigens mehr populären als wissenschaftlichen Zwecken dienen sollen und deshalb ganz billigen Preis haben (durchschnittlich I Lira). Ich kenne von diesen Bändchen, von denen bis zur italienischen Kriegserklärung einige zwanzig erschienen waren, nur einzelne, führe sie aber hier, soweit sie mir bekannt geworden sind, an. (Orsini, Orcagna; Lorenzetti, Jac. Sansovino; Scalia, Antonello de Messina; Sapori, Sodoma; Calzini, Raffael; Del Vita, D. Bartolommeo della Gatta; Mason Perkins, P. Laurati; Giglioli, A. Baldovinetti; Campetti, Fra Bartolommeo; Rusconi-Jahn, Duccio; Papini, B. Gozzoli; Urbini, Bandinelli; Supino, Die Pisani; Serra, L. Lotto; Salmi, Parri Spinelli; Miniati, Jac. di Casentino; Mario Labé, Perino del Vaga.) Voraus liegt ein ähnliches Unternehmen, die Letture Vasariane, die aber in Arezzo (seit 1910, Ed. Amici dei monumenti) in Einzelbändchen herauskamen (Salmi, Niccolo di Piero; Del Vita, Margaritone), sowie Vasaris Vita des A. del Sarto, die in ähnlicher Weise in Florenz 1909 (Soc. ed. Etruria) herauskam. Vasaris Leben des Lionardo mit Erläuterungen von C. Poggi, reich illustriert, in Pampalonis Coll. d’arte, Florenz 1919. Zu den Einzeldrucken ist auch noch die Ausgabe des Lebens des Donatello zu rechnen, die in Sempers Schrift: Donatello, seine Zeit und Schule, Wien 1875, aufgenommen ist. Eine mit eingehendem Kommentar versehene Einzelausgabe hat Herbert P. Horne, The life of Leonardo da Vinci, by G. V. with commentary, London 1903, herausgegeben.

So ist eine historisch-philologische Edition unseres Schriftstellers bis heute noch ein unerfülltes Desiderium. Zwar hat die alte Verlegerfirma Sansoni ungefähr gleichzeitig mit der Freyschen Ausgabe eine neue kommentierte Edition durch Zirkulare angekündigt, die in die bewährten Hände des trefflichen Gio. Poggi in Florenz gelegt werden sollte, es hat aber nichts mehr davon verlautet; offenbar waren das Erscheinen des Freyschen Wälzers, wohl auch mit die Widrigkeiten des Streites um die »Carte Vasariane« die Ursache, daß Verlag und Editor die Idee fallen gelassen haben, was zu bedauern ist.

Was die Übertragungen Vasaris anbetrifft, so behauptet die Übersetzernation χατ’ ἐξoχὴν, die deutsche, auch hier die erste Stelle, denn eine alte französische Bearbeitung der Vita Raffaels von Daret, Abregé de la vie de Raff. Sanzio, Paris 1651 (vgl. Müntz, Les historiens de Raffael p. 29), kommt nicht in Betracht. Etwas später fällt ein alter englischer (freilich dürftiger) Auszug aus Vasaris Biographien in Aglionbys Painting illustrated, London 1685. Recht bezeichnend als Beitrag aus der Zeit des englischen Praeraffaelitismus ist die von G. A. Bezzi übersetzte Lebensbeschreibung des Fra Angelico, London 1850, als Begleittext zu den von der Arundel-Society herausgegebenen Tafeln gedacht.

Die erste überhaupt unternommene Übersetzung unseres Autors rührt von zwei bekannten deutschen Kunstgelehrten, L. Schorn und E. Förster, her und erschien in den Jahren 1832—1849 bei Cotta in Stuttgart, sechs Bände und Register. Sie ist freilich auch nicht vollständig, die allgemeine sowie die technische Einleitung fehlen, dafür sind die älteren Holzschaittporträts in lithographischer Umzeichnung beigegeben. Im wesentlichen ist diese Übersetzung trotz mancher Fehler als gut und zweckentsprechend zu bezeichnen; die kleine einbändige Ausgabe von Jaffé (Berlin, Bard 1910) ist lediglich eine Auswahl daraus. Besonderen Wert bat die Schorn-Förstersche Übersetzung namentlich in ihrem ersten Band dadurch, daß C. F. v. Rumohr eine Reihe von wertvollen Noten beigesteuert hat. Vgl. Kugler in seinen Kleinen Schriften I, 528f.

Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich wieder eine neue deutsche Übersetzung hervorwagte. Leider fiel dieser von Jaeschke (im Verlag von Heitz in Straßburg 1904) unternommene Versuch recht unglücklich aus. Ein Grundfehler der neuen Arbeit lag schon page 300 darin, daß sie das einheitliche Werk Vasaris zerpflückte und die Biographien nach dem längst veralteten Einteilungsprinzip von »Schulen« ordnete. So war der zuerst erschienene II. Band den Florentiner Malern des 15. Jahrhunderts gewidmet. Die bis heute noch nicht vollendete Fortführung erschien dann sprungweise nach demselben einmal angenommenen unglückseligen Prinzip. Doch haben die neueren Herausgeber, Gronau und Gottschewski, es sich angelegen sein lassen, in den Noten nach Möglichkeit den Stand der neuesten Forschungsergebnisse festzuhalten. Die so wichtigen Einleitungen Vasaris fehlen auch hier durchaus. (Band I, 1. Hälfte, Trecento, bearbeitet von Wackernagel, Straßburg 1916. 2. Hälfte von Schubring. II. Florentiner Maler des Quattrocento von Jaeschke, 1904. III. Italienische Architekten und Plastiker des 15. Jahrhunderts von Gottschewski. IV. Mittelitaliener von Gronau, 1910. V. Oberitaliener von Gronau, 1908. VI. Florentiner Maler des Cinquecento von Gronau, 1906. VII, I. Hälfte, Italienische Architekten und Bildhauer des Cinquecento von Gottschewsky, 1910.) Eine Übersetzung, die Frey plante, ist nicht zur Ausführung gekommen.

Von Übersetzungen in andere Sprachen seien die alte französische von Jeauron und Leclanché, Paris 1839—1842, in 10 Bänden, und die 1913 in Paris neu aufgelegte von C. Weiß, die englische von J. Foster (unter Mitwirkung J. P. Richters), London 1885—1887, sowie die neue von G. Duc de Vere, London 1912 (10 Bände), angeführt. Ein Urteil über sie kann ich nicht abgeben. Ein mit praktisch englischem Geiste hergestelltes und recht nützliches Buch ist dagegen die von Louisa Maclehose besorgte, von Baldwin Brown mit sehr instruktiven Noten (auch reichlichen Abbildungen) versehene Übersetzung der technischen »Introduzione«: Vasari on Technique, London, Dent 1907 (cf. Burlington Magazine vol. X). Vgl. zum Thema auch Berger, Beiträge zur Entw.-Gesch. der Maltechnik IV, 21—38.

Zu Vasaris Werk kommt noch sein sehr umfangreicher und für die Geschichte des Hauptwerkes höchst bedeutsamer Briefwechsel hinzu. Von den älteren Ausgaben war bereits die Rede. Was zu seiner Zeit erreichbar war, hat, wie gleichfalls schon erwähnt wurde, Milanesi im VIII. Bande der Sansoni-Ausgabe zusammengebracht (1882). Ergänzungen lieferten Lonardo, (3) Lettere inedite di G. Vasari (1569, auf den Bau des Palazzo dei Cavalieri in Pisa bezüglich), in den Studi storici, Torino VI. (1897) und Gronau, Una lettera inedita di G. Vasari (an Herzog Cosimo, 1572), Revista d’arte IV, 62. Gherardi, Una lettera inedita di G. V. dell’anno 1547 (falsch datiert, richtig 1549, s. Kallab, Vasaristudien Reg. 153). Per Nozze Bacci — Del Lungo, Florenz 1895 (vgl. Arch. stor. Ital. 1895, 448). Das weitaus Wichtigste war aber die Entdeckung der sogenannten »Carte Vasariane« des Vasari-Archivs, dem größten Teil nach die an Vasari gerichteten Briefe umfassend und schon durch die Person der Korrespondenten, unter denen kaum einer der damaligen bedeutenden Zeitgenossen fehlt, überaus wichtig. Ein altes Verzeichnis dieses einst im Besitze des jüngeren Vasari, seines Neffen (und Herausgebers der Ragionamenti, s. o.), befindlichen Schatzes hatte bereits Milanesi im erwähnten (VIII.) Bande seiner Ausgabe, p. 230—231, gegeben, aus einer Notiz in jenem Sammelbande der Florentiner Riccardiana, der, wahrscheinlich von demselben jüngern Vasari herrührend, die älteste Sammlung der Briefe Vasaris selbst enthält und zuerst in Audins Ausgabe von 1822 gedruckt worden ist (s. o.). In Milanesis Tagen und bis in die letzte Zeit hinein mußten sie als verloren gelten; da gelang es dem verdienstvollen Gio. Poggi, damals Direktor des Museo Nazionale in Florenz, sie 1908 in Florenz selbst wieder aufzufinden, und zwar in dem trefflich geordneten Hausarchiv des Conte Rasponi-Spinelli, eines Nachkommen jenes Spinelli, der zu den Testamentsvollstreckern Vasaris gehört hatte; wunderbar genug, daß sie dieses Dornröschendasein unter den Augen und Spürnasen aller der eifrigen Lokal- und Archivforscher haben führen können. Welcher Wert ihnen innewohnt, ergibt sich schon aus der Bestätigung jener Angaben des Verzeichnisses im Codex Riccardianus. Außer Schreiben der Päpste von Klemens VII. bis Gregor XIII., der Mediceer und anderer Fürstlichkeiten sind vertreten Bembo, die Kardinäle Ridolfi und Carpi, Alessandro Farnese, dann Sadoleto, page 301 Giovio, Michelangelo, Vincenzo Borghini, Silvano Razzi, Pietro Aretino, Annibale Caro, Benedetto Varchi, G. B. Adriani, Claudio Tolomeo, Pollastra, Cosimo Bartoli, Leone Leoni und noch viele andere. Dazu kommt ein Libro de’ricordi Vasaris selbst, Aufzeichnungen für sein Vitenwerk u. a., also ein Schatz für die Biographie Vasaris, der noch der Nutzbarmachung wartet und die mit größtem Fleiße gesammelten Regesten Kallabs in ungeahnter Weise vermehren und berichtigen wird. Leider knüpft sich an diesen schönen Fund eine höchst unerquickliche Nachgeschichte, über die Steinmann, Zur Publikation des Vasariarchivs (im »Cicerone« II, 286), freilich höchst vorsichtig und zurückhaltend, berichtet hat. Dem Entdecker Poggi wurde nämlich sein Fund in ziemlich brutaler und die gerechte Empfindlichkeit der Italiener wenig schonender Weise entwunden; war dies auch nur ein Sturm im Glase Wasser, so handelte es sich doch um eine jener Imponderabilien, die in der schließlichen Stellungnahme Italiens in dem sich zusammenziehenden Weltgewitter leider eine Rolle spielen sollten! Es gelang nämlich Karl Frey, sich mit der finanziellen Unterstützung der deutschen Regierung von dem Besitzer das alleinige Veröffentlichungsrecht zu sichern. Auch Frey, der das Material zu einem sehr kleinen Teil im ersten Bande seiner Vasariausgabe bereits nützte, hat die Früchte seines Sieges nicht geerntet; erst nach seinem Tode ist nunmehr der Carteggio, von Freys Sohne herausgegeben, erschienen in einem umfangreichen, mit kritischem Apparat versehenen Bande unter dem Titel: Vasaris literarischer Nachlaß, München 1923. Am Vorabend des Weltkrieges erschien noch ein Teil des hierhergehörigen Materials, die für Vasari auch sehr wichtige Korrespondenz seines Freundes Vincenzo Borghini, herausgegeben von Lorenzoni, Carteggio artistico inedito di D. Vinc. Borghini, vol. I, Florenz, bei Seeber 1913.

Von sonstigen Quellen für Vasaris Hauptwerk, die uns dessen Entstehen verfolgen lassen, ist noch zu erwähnen die lateinisch geschriebene Biographie des Lambert Lombard (Lamberti Lombardi apud Eburones pictoris vita, Brügge, bei Hub. Goltzius 1565) von Domenicus Lampsonius. Einen schmeichelhaften Brief des letzteren an seine Adresse hat Vasari (Ed. Sansoni VII, 590 f.) selbst in der zweiten Auflage veröffentlicht; ein zweiter wurde zuerst von Bicchierai, Alcuni documenti artistici, Per nozze, Florenz 1855, bekannt gemacht. Das von Vasari unmittelbar angeregte Buch des Lampsonius über die niederländischen Künstler: Pictorum aliquot celebrium Germaniae inferioris effigies, una cum doctissimis D. Lampsonii ... elogiis, ist Antwerpen bei Hier. Cock 1572 erschienen. Der wichtige Brief des Lambert Lombard selbst an Vasari, auch einige Notizen über oberund niederdeutsche Künstler (von 1565) ist zuerst gedruckt in Gayes Carteggio III, 173, dann mit ausführlicher Einleitung (Lettre de L. Lombard à Vasari) Lüttich 1874. Vgl. Becker, Schriftquellen zur Gesch. der altniederländischen Kunst, Diss., Leipzig 1897, p. 65 f. und Greve, De Bronnen van Carel van Mander, in Hofstede de Groots Quellenstudien zur holländ. Kunstgesch. II, Haag 1903, p. 70 ff. Über Lombard jetzt die Abh. von Ad. Goldschmidt im Jahrb. der Preuß. Kunstsammlungen 1919, bes. die Literaturangaben auf S. 208. Dazu: Durand-Gréville, Vasari et les Flamands, Chronique des arts 1908, 86; Mély, Les artistes français et flamands du moyen-âge dans Vasari, ebenda 64.

Wie dann Vasari auch nach der zweiten Ausgabe seiner Viten Material zufloß, zeigt in lehrreicher Weise der an ihn gerichtete Brief des Gabriello Bombaso aus Reggio über einen Künstler seiner Vaterstadt, Prospero Spano (Clementi), von 1572, zuerst gedruckt in Tiraboschis Notizie de’ Pittori ecc. natii degli stati ... di Modena, Modena 1786, 169 (mit Kommentar), dann in den Lettere pittoriche ed. Ticozzi I, 545.

Die Darstellungen von Vasaris Leben sind heute entweder veraltet wie Cesare Guastis Vasari, Florenz 1885, oder unzureichend wie Carden, The life of G. Vasari, London 1910. Corr. Ricci, G. Vasari, in der N. Antologia 1911 (col. 154) ist eine kleine Gelegenheitsschrift. Ein künftiger Biograph wird sich auf Kallabs fleißiges Regestenwerk sowie vor allem auf das neue, im Vasari-Archiv lagernde Material stützen müssen. Nicht zugänglich ist mir eine »Bibliographia Vasariana« von Sidney Churchill, ohne Druckort (Neapel) 1912 erschienen, die auch ein Verzeichnis seiner Zeichnungen in Florenz und London enthält; Steinmann page 302 hat in seiner Rezension meiner Materialien (Monatsh. f. Kunstw. 1921) eingehend darüber berichtet. Von sonstigen bibliographischen Einzelheiten sind zu erwähnen: Ronchini, G. Vasari alla corte del Cardinale Farnese, Mem. di Storia Patria, Modena 1874. Descrizione delle opere eseguite in Arezzo da G. Vasari, omaggio della R. Accademia Petrarca per il IV. centenario della sua nascita, Arezzo (1911), mit Tafeln. Gamurrini, Le opere di G. Vasari in Arezzo, Arezzo 1911. Pasqui, La famiglia del Vasari e la casa ove nacque, Arezzo 1911 (mit Abbildungen). Viroli, L’opera e il soggiorno di G. Vasari in Rimini e l’abate Riminese Gio. Maria Faitani, La Romagna 1908 Okt. -Dez.

Eine zusammenhängende Darstellung der schriftstellerischen Tätigkeit Vasaris hat U. Scoti-Bertinelli in seiner Schrift: G. Vasari scrittore, Pisa 1905, versucht. Das Buch ist aber trotz mancher Verdienste im wesentlichen eine verunglückte Leistung; der Kern der ganzen Frage ist nicht erfaßt, was seinen Grund nicht zum wenigsten darin hat, daß dem Autor jegliches — bei Vasari, wie sich von selbst versteht, nun einmal nicht auszuschaltendes — Verhältnis zur kunstgeschichtlichen Forschung abgeht. Kallab hat dies in einer ausgezeichneten, eine selbstständige Abhandlung bildenden Rezension (in Wickhoffs Kunstgeschichtlichen Anzeigen I, 101) dargelegt, die ich ihres inneren und bleibenden Wertes halber noch einmal als Anhang zu seinen hinterlassenen »Vasaristudien« abgedruckt habe (S. 429 bis 454). Besondere Wichtigkeit hat darin auch die mühevolle chronologische Darlegung über den Fortgang des Druckes und die richtige Datierung der ersten Ausgabe, auf die schon hingewiesen wurde, und die nur dem unverständlich und überflüssig erscheinen kann, der mit aller bei Studien solcher Art aufzuwendenden philologischen Akribie nicht vertraut ist; freilich gehören die meisten »Kunsthistoriker« dazu! Eine weitere wichtige Besprechung des Buches rührt von Gronau (Repert. f. Kunstw. XXIX, 1906, 173) her. Eine schöne Würdigung des Schriftstellers Vasari auch in Heidrichs hinterlassenen Beiträgen zur Gesch. u. Methodik der Kunstgesch., her. von H. Wölfflin, Basel 1917.

Damit kommen wir auf das Buch, das den namhaftesten, ja im Grunde den ersten Versuch enthält, die so wichtige und vor allem zu leistende Textkritik und Textgeschichte Vasaris im Zusammenhang darzustellen, ich meine eben des früh verstorbenen Wolfgang Kallabs Untersuchungen, die ich, leider nur als Torso, aus dem Nachlasse meines unvergeßlichen jungen Freundes und Mitarbeiters veröffentlicht habe: Vasaristudien. Mit einem Lebensbilde des Verfassers, Wien 1908 (= Ilg-Lists Quellenschriften f. Kunstgesch. und Kunsttechnik, N. F. XV. Bd., XLIII + 454 Seiten). Es ist ein Buch, das trotz seiner fast völligen (äußeren) Ignorierung durch die kunsthistorische Presse — eine geistvolle und tief dringende Besprechung von Gargiulo steht an ganz anderer Stelle, in Croces Critica VII — Kallabs Name dauernd in der Geschichte unserer Disziplin festhalten wird; zugleich aber auch die beschämende und für die mangelhafte Fundierung unserer Wissenschaft bezeichnende Tatsache, wie lange es gebraucht hat, ehe man sich zu einer solchen Behandlung unseres Grundschriftstellers entschlossen hat, von dem, wie wir sahen, bis zum heutigen Tage noch keine wissenschaftlichen Anforderungen entsprechende Ausgabe existiert! Die Gerechtigkeit gebietet freilich hinzuzufügen, welch ungeheures Material zu diesem Grundproblem in den verschiedenen Büchern Karl Freys (Vasari-Ausgaben, Editionen des Anonymus Magliabecchianus und des A. Billi, in seiner Schrift über die Loggia de’Lanzi u. s. w.) vorliegt; aber dieses Material ist in so wunderlicher Weise verfilzt und verknäuelt, ungeachtet aller anscheinenden Akribie mit allerhand Nebensachen verquickt, daß es schwer wird, wirklich leitende Gedanken trotz aller Energie und Unverdrossenheit der aufgewendeten Arbeit zu erkennen.

Auf Kallabs Forschungen stützt sich im wesentlichen die allerdings nicht sehr tief dringende Darstellung Vasaris in Fueters Geschichte der neueren Historiographie, München 1911. Ziemlich gemeinplätzlich ist die Würdigung Vasaris bei Mary Pittaluga, E. Fromentin e le origini de la moderna critica d’arte. L’Arte XX (1917), 6 ff.

Der älteste Versuch, Vasaris Quellenmaterial darzustellen, heute freilich nur mehr von historischem Interesse, liegt vor in dem Aufsatz des wackeren alten Fiorillo, Über die Quellen Vasaris in seinen Kleinen Schriften, Göttingen 1803, 83.

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Einzelne Fragen der Textkritik sind noch in folgenden Schriften behandelt. Zusammenfassend in der bekannten geistreichen Weise des Autors von Berenson, Vasari in the light of recent publications in seinem Buche: Study and criticism of Italian Art, London 1901 (deutsch von Zeitler, Leipzig 1902). Kämmerer, Die neuere Quellenkritik Vasaris, Sitzungsberichte der kunsthistor. Gesellschaft in Berlin 1893. Gronau, Die Quellen der Biographie des Antonello da Messina, Repert. f. Kunstw. XX, 353. Morsolin, Valerio Vicentino nelle vite di G. Vasari, Atti del R. Istituto Veneto, Ser. VI, vol. IV (1885/86), J. P. Richter, Notes to Vasaris lives of the painters, London, Bell 1902. Modigliani. Guillaume Marcillat, Note critiche alla vita del maestro vetraio scritta dal Vasari, Annales internationales d’histoire, Congrès de Paris, 1900, 7. Section, Paris 1902, p. 157 f. Masaccio, Le fonti della biografia Vasariana, in Miscellanea dell’arte 1903, 155 (Zusammenfassung der Stellen von Landino an, Vergleich der 1. und 2. Auflage etc.). Cianci, G. Vasari e F. Solimena, Atti dell’Accademia Pontoniana IX (1904). Horne, A commentary upon Vasaris Life of Jacopo dal Casentino, Rivista d’arte VI (1909). Einen Beitrag zur Vasarikritik hat auch Chr. Hülsen, Morto da Feltre, Mitt. des Kunsthist. Instituts in Florenz II (1916) gegeben.

Die verschiedenen Ausgaben Vasaris sind zuerst zusammengestellt und kritisch beleuchtet in Comollis Bibliografia storica-critica dell'architettura civile, Rom 1798, II, 1 ff. Dazu Fiorillos Aufsatz: Literarisch-kritische Untersuchungen über die verschiedenen Ausgaben von Vasari, Kleine Schriften I, 99. Ein merkwürdiger Versuch, Vasaris Terminologie in einem Spezialfall darzustellen, rührt von John Grace Freeman her; The maniera of Vasari, London 1867. Es ist eine vollständige, alphabetisch geordnete Sammlung aller Stellen, in denen dieses wichtige Schlagwort vorkommt, mit fleißigen Registern versehen. Über Vasaris Sammlung von Handzeichnungen Wyatt, Il libro de’disegni del Vasari, Gazette des Beaux-arts 1859, vol. IV, 339 f. (mit Zusammenstellung der bezüglichen Äußerungen in Vasaris Viten). Vgl. auch die Anmerkung Wickhoffs in seinem Katalog der italienischen Handzeichnungen der Albertina (Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen XII. Scuola Venez. 17). Über Vasaris Haus in Florenz (heute verschwunden) und seine Gemäldesammlung bringt ein jüngerer Zeitgenosse, Bocchi in seinen Bellezze di Firenze (1591) wertvolle Angaben (in Cinellis Bearbeitung von 1677, p. 305 f.). Endlich ein Versuch allgemeiner Art: Obernitz, Vasaris allgemeine Kunstanschauung auf dem Gebiete der Malerei, Straßburg 1898, fleißig, aber nicht weit unter die Oberfläche dringend.

Das wichtige Kapitel der angeblichen Helfer Vasaris, das neuerdings wieder von Scoti-Bertinelli, freilich recht ungenügend behandelt wurde, ist gestreift in einer J. F. gezeichneten Notiz, Ein Helfer Vasaris, im Repert. f. Kunstw. III, 237. Der dort nach einer wenig zuständigen englischen Quelle gegebene Hinweis auf D. Silvano Razzi ist schon in der älteren italienischen Fachliteratur behandelt, vgl. Comollis Bibliografia II, 25, Note. Es handelt sich um die ungeheuerliche, seitdem immer wieder in der Literatur spukende Behauptung, die noch aus Vasaris eigenen Tagen stammt, nicht er selbst, sondern sein Freund D. Silvano Razzi sei der eigentliche Autor der Viten. Sie ist zuerst von dem eigenen Bruder des letzteren, D. Serafino Razzi, in einer Schrift über die Heiligen des Dominikanerordens aufgestellt worden. Das ganze seltsame Mißverständnis erklärt sich wohl durch das heute noch auf der Florentiner Nationalbibliothek liegende, druckfertiga, mit dem Imprimatur der geistlichen Zensur von 1615 versehene Machwerk: Compendio delle vite de’pittori (d. i. Vasaris Werk), ein einfacher und nicht einmal geschickt gemachter Auszug aus Vasari. Zuerst hat Janitschek in seiner Alberti-Ausgabe (Wiener Quellenschriften XI, 236) darauf verwiesen; ausführlichere Nachrichten bringt Scoti-Bertinelli I. c. 102, Note. Endlich sei noch der Vollständigkeit halber ein anderer alter Plagiator Vasaris erwähnt, weil er in der Biographie Correggios eine gewisse Rolle spielt. Das ist Ortensio Landi in seinem Buche Sette libri di cataloghi, 1552. Vgl. außer Meyer, Correggio (1871), p. 10, besonders O. Hagen, Correggio in Rom, Zeitschr. f. bild. Kunst 1916/17, 110.

Vasaris posthum (durch den jüngeren Giorgio Vasari) veröffentlichte Dialoge tragen page 304 den Titel: Ragionamenti di G. V.... sopra le invenzioni da lui dipinte in Firenze nel Pallazo di LL. AA. Serenissime con.... D. Francesco de Medici allora principe di Firenze insieme con la Invenzione della Pittura da lui cominciata nella cupola. Florenz 1588. Eine zweite, mit Vasaris Porträt geschmückte Ausgabe erschien in Arezzo 1762, die kommentierte Ausgabe F. Milanesis zuletzt Florenz 1906. Nichts als eine Buchhändlerspekulation ist der mit geändertem Titel erschienene, daher leicht irreführende Textabdruck: Trattato della Pittura, nel quale si comprende la pratica di essa divisa in tre giornate. Florenz 1619. Der letzte Dialog (Giornata III) ist separat noch einmal Florenz 1810 als Festschrift gelegentlich der zu Ehren Kaiser Franz I. im Salone veranstalteten Festlichkeiten gedruckt worden. Dazu jetzt die ausführliche Besprechung der Ragionamenti bei K. Escher, Die großen Gemäldefolgen des Dogenpalastes in Venedig und ihre inhaltliche Bedeutung für den Barock, Repert. f. Kunstw. XLI, (1919). 110 f.

Anzufügen wäre hier noch die wichtige »Descrizione« des Hochzeitsapparates zur Vermählung des Kronprinzen Francesco mit Giovanna d’Austria, Florenz 1566; zusammen mit einer anderen, im selben Jahr erschienenen von Dom. Mellini, wieder abgedruckt in Milanesis Vasari VIII, 519 f. Das Programm rührte von D. Vincenzo Borghini, dem Statthalter der Florentiner Akademie her; vgl. dessen eine ganze Schrift darstellende Eingabe an den Großherzog Cosimo vom 5. April 1565 bei Bottari-Ticozzi, Lett. pittor. I, 125—204.

Vasari hat, wie er selbst (Ed. Milanesi VII, 228) berichtet, die Absicht gehabt, ein zwischen ihm und Michelangelo im Ablaßjahr 1550 gehaltenes Gespräch über die Kunst drucken zu lassen; es ist aber nicht dazu gekommen.

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Sechstes Buch: Die Kunstliteratur der Manieristenzeit

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I. Historik und Periegese.

Unmittelbare Nachfolger hat Vasari im Laufe des 16. Jahrhunderts eigentlich nicht gefunden; die Flut der italienischen Künstlerleben beginnt erst in der folgenden Periode. Der Eindruck seines Werkes, das ja noch dazu 1568 in einer zweiten außerordentlich vermehrten Ausgabe erschien, war zu bedeutend und nachhaltig; wir haben gesehen, wie Gleich- oder Ähnlichstrebende, so M. A. Michiel in Venedig, vielleicht auch der Anonymus der Magliabecchiana still ihre Feder weglegten. Die bedeutendste Nachfolge hat sein Werk überhaupt nicht in Italien, sondern im Norden, bei den »Fiamminghi« gefunden, die jetzt auch in Italien eine neue Rolle spielen; ist doch der einflußreichste Bildhauer dieser Zeit jener Flandrer, den die Italiener Giambologna nannten und der auf seinem eigenen Gebiete eine Stellung einnimmt, die seine Landsleute auf dem Gebiete der Musik längst auf italienischem Boden innehatten.

Der einzige, der sich mit eigenem Recht als Nachfolger Vasaris ansehen läßt, ist Raffaele Borghini, obgleich sein 1584 in Florenz gedrucktes und D. Giovanni di Medici gewidmetes Buch: Il Riposo nur zum Teil eine historische Richtung verfolgt.

Über den Verfasser, der mit Vasaris gelehrtem Freund Vicenzo Borghini nicht verwechselt werden darf, ist so gut wie nichts bekannt; Künstler ist er jedenfalls nicht gewesen, manches deutet darauf hin, daß er geistlichen Standes gewesen sein möchte. Sein einziges im Druck erschienenes Werk, das die Florentiner Crusca zu ihren Sprachzeugen zählt, reicht an Lebendigkeit der Darstellung und geistiger Höhe auch nicht entfernt an Vasari heran, ist aber durch den reichen in ihm enthaltenen Stoff namentlich für seine eigene Zeit wichtig, auch durch die Einkleidung nicht ganz ohne Reiz. Nicht weil es in der Form eines in langatmige Vorträge sich verlierenden Gesprächs gehalten ist — das Vorbild ist nicht sowohl der göttliche Platon, als die Schulmeistern viel mehr zusagende Gepflogenheit des späten Altertums, von Athenäus bis zu Macrobius — sondern wegen des echt florentinischen Mittels, in das wir geführt werden. Ein bekannter Florentiner Edelmann und Schöngeist Bernardo Vecchietti — er spielt eine Rolle in der Lebensgeschichte des jungen Giambologna als dessen Mäzen — begegnet, die Kühle eines Maiabends auf dem Domplatz genießend, page 308 dem Bildhauer Ridolfo Sirigatti, einem Enkel des Ridolfo Ghirlandajo — auch seinerseits nicht mit dem Verfasser einer Perspektivlehre zu verwechseln, die Großherzog Ferdinand gewidmet, 1596 in Venedig gedruckt wurde und einen Ritter Lorenzo Sirigatti zum Urheber hat — und lädt ihn auf den nächsten Tag in sein Landhaus Il Riposo in der Val d’Ema ein; daher der Titel des Buches. An der Unterhaltung, die die Gesinnung der damaligen Kunstfreunde am großherzoglichen Hof von Florenz treu widerspiegelt, nehmen auch noch zwei andere edle Florentiner teil, Baccio Valori (der nach den Masken — visacci — der Schauseite benannte Palast dieser Familie ist noch erhalten) und Girolamo Michelozzi. Der Hausherr zeigt seinen Gästen die reichen Sammlungen seines Hauses und in deren Schilderung, mit der das Buch beginnt; liegt ein zeitgeschichtlich bedeutendes Moment. Sie enthielten Stücke von der Hand der besten florentinischen Meister, Zeichnungen und Kartons von Michelangelo — außer dem Ledakarton war ein Stück des berühmten zerschnittenen zur Schlacht von Pisa hier zu sehen — von Lionardo (Testa d'un morto), von Cellini (Perseus), Gemälde des Botticelli und Antonello da Messina, eine Reihe der noch immer hochgeschätzten flämischen Landschaften und, was besonders bemerkenswert ist, viele Modelle, Figuren, auch Gemälde des großen, damals auf der Höhe seines Ruhmes stehenden Flandrers Giovanni da Bologna, dem ein ganzes Kabinett eingeräumt war. Sehr bezeichnend für Zeit und Umgebung sind andere Sehenswürdigkeiten des Landhauses, so ein großer mit Kunst- und Natursachen gefüllter scrittojo, also das, was man im Norden einen »Kunstschrank« zu nennen pflegt, die Werkstätte (fucina) und Drechselbank (tornio) des Besitzers selbst. Denn Vecchietti erweist sich als eifriger Liebhaber auf diesen Gebieten, ganz im Geiste seiner Zeit. Auch hier fehlen die Seitenstücke weder in Italien noch im Norden; es sei nur an Erzherzog Ferdinand von Tirol und seine Glashütte oder das später zu erwähnende Museum eines Mailänder Patriziers Settala erinnert; vollends die Drechselarbeit ist bis tief ins 18. Jahrhundert hinein ein Schoßkind fürstlicher und vornehmer Kreise geblieben, und der eigentümliche Geschmack, der schon in dieser Zeit des »Manierismus« aufkommt, wird durch wenig Dinge besser beleuchtet als durch diese künstlichen Schnurrpfeifereien und Beweisstücke einer spielenden »Virtuosität«. Neben dem vornehmen Liebhaber erscheint aber die in Florenz seit dem alten Ghiberti eingebürgerte und so bezeichnende Gestalt des Künstlersammlers, denn auch Sirigattis Studio mit seinem Inhalt wird ausführlich geschildert. Auch dieses enthält flandrische Gemälde, dann die für die Zeit der »Kunst- und Wunderkammern« so unendlich charakteristischen naturalia, einträchtig neben den artificialia, Gipsabgüsse — nach Antiken, aber auch nach den für den Manierismus überaus bedeutungsvollen Medizeer page 309 gräbern — ferner Musikinstrumente, diese ein wichtiger, aus Ambras z. B. noch fast unberührt überlieferter, damals stark in den Vordergrund tretender Bestandteil jener alten Kunstkammern, endlich wiederum Kleinwerke des Giambologna.

Das Werk des Borghini besteht aus vier Büchern. Die beiden ersten sind theoretischer Art; es ist bedeutend, wie stark sich der lehrhafte Bestandteil (anders als bei Vasari, dessen Einleitung auch wesentlich praktischen Zwecken dienen soll) in den Vordergrund schiebt; das gleiche wird auch bei Karel van Mander zu beobachten sein. So enthält das erste Buch außer den schon erwähnten Angaben über die Örtlichkeit des Gesprächs hauptsächlich den langen Vortrag des Baccio Valori über den alten abgeleierten Vorwurf des Rangstreites der Bildkünste und eine philosophische Darlegung des Wesens der Kunst überhaupt, die sich in den Gedankenbahnen von Varchis berühmt gewordener Konferenz (Buch IV) bewegt, endlich das Gerippe der Kunstlehre nach den uns bereits hinlänglich geläufigen Kategorien von Erfindung (invenzione), Anordnung (disposizione), Stellungen und Gebärden (attitudini), Proportionen- und Farbenlehre. Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß der erste, schon durch seine äußere Stellung betonte Hauptteil, die Erfindung, jener sei, der nicht wie die anderen allein in das Belieben des Künstlers falle; der sachliche Inhalt erfordere hier ernste Aufmerksamkeit und Rücksicht. Was es damit auf sich hat, lehrt die ausdrückliche Berufung auf den 1564 erschienenen Dialog des Gilio über die Fehler der Maler gegen das decorum der heiligen Geschichten, nicht minder aber auch, was wieder sehr bezeichnend ist, der antiken Mythologie und Historie.

Wir werden der gerade angezogenen Schrift und dem Thema selbst noch weiter begegnen; hier mag es vorläufig mit dem Hinweis sein Bewenden haben, daß namentlich eine große Anzahl zeitgenössischer Kunstwerke in Florenz unter diesem Gesichtspunkt kritisch betrachtet wird. Borghini hat damit, wie sich gleichfalls noch zeigen wird, zur Verbreitung dieser Ideen in der florentinischen Lokalliteratur nachdrücklichst beigetragen.

Merkwürdig ist die Vorrede des zweiten Buches. Der Verfasser fühlt das Bedürfnis, sich als ein nicht zum Handwerke Gehöriger, der gleichwohl über Kunst schreibe, zu rechtfertigen; das deutet auf eine unterirdische Gegnerschaft des Elements, das diesen Stoff zuerst und ursprünglich zu literarischer Behandlung gebracht und gerade erst in Vasari seinen glänzendsten und einflußreichsten Vertreter entsendet hatte. Wie in versteckter Opposition gegen dieses letztere betont Borghini, daß er keineswegs für Künstler schreibe, sondern in erster Linie für Kunstliebhaber vornehmen Standes, in deren Gesellschaft mit ihrem charakteristisch höfischen Komplimentierton das Buch ja page 310 auch sofort einführt. Deren Mußestunden, die ja nicht allein rittermäßigem Sport gewidmet sind, soll es dienen; der Verfasser hat hier Gelegenheit, mit der ausführlichen Schilderung eines kunstgerecht angelegten Vogelherdes ein italienisches Kulturbildchen auszumalen, das heute, wie man zum Verdruß nordländischer Naturliebhaber weiß, noch immer Geltung hat.

Der weitere Vortrag, die Kunstlehre namentlich nach der technischen Seite hin umfassend, wird nun aber doch wesentlich dem einzigen Berufskünstler in der Gesellschaft, dem Bildhauer Sirigatti, in den Mund gelegt; er verläuft nach dem Einteilungsgrund der früher genannten Kategorien. Hier enthüllt sich der wichtigste und originellste, für die Kenntnis der theoretischen Anschauungen des Manierismus sehr bedeutende Teil des Ganzen; wiederum werden die Forderungen jener Kategorien an einer großen Zahl von Kunstwerken im öffentlichen Besitz von Florenz kritisch durchgenommen. Es ist der Niederschlag der zeitgenössischen Laienkritik, schon an sich sehr aufschlußreich, und wichtig dadurch, daß der erste eigentliche Kunstführer von Florenz, Bocchis Bellezze von 1591, diese Urteile zu einem großen Teil übernommen und zum Gemeingut gemacht hat.

Am umfangreichsten ist der historische, die Bücher III und IV umfassende Teil des Werkes; er nimmt gut zwei Drittel des Ganzen ein und dies rechtfertigt auch seine Einreihung an dieser Stelle. Der Vortrag ist auf die einzelnen Teilnehmer der Zusammenkunft verteilt. Den Anfang macht ein magerer und recht unbedeutender Abriß der antiken Künstlergeschichte, der nicht einmal aus erster Hand ist, sondern auf Adrianis Brief an Vasari beruht. Was dann folgt, ist zunächst nichts als ein ziemlich nichtsnutziger Auszug aus Vasari. Es ist sehr bezeichnend, daß Borghini (ebenso wie später im Norden van Mander) sich um die große historische Konstruktion des Aretiners eigentlich gar nicht kümmert und sie nur in den allergröbsten äußeren Umrissen übernimmt. Freilich war ihr eindrucksvoller, in Michelangelo gipfelnder Stufenbau ja schon in der zweiten Auflage stark verwischt worden. Die Reihenfolge Vasaris ist innegehalten, doch ist die Auswahl wunderlich und lückenhaft. Für die ältere Zeit sind vorwiegend die Maler und unter ihnen die Florentiner besonders hervorgehoben. Auffallend ist, wie gering schon der Anteil am Trecento geworden ist; es erscheinen bloß Cimabue, Giotto und von den Nachfolgern des letzteren T. Gaddi, Giottino, Spinello, Starnina und Lorenzo di Bicci, worauf sogleich Luca della Robbia angeschlossen wird. Die Sienesen, die Pisaner fallen ganz aus. Ghibertis Leben ist auffallend kurz, dagegen dasjenige Sartos sehr ausführlich behandelt, ebenso das Vasaris, dessen Werk mit dem gebührenden Lobe bedacht wird. Eigenes neues Material fehlt so gut wie gänzlich, am auffälligsten ist dies in der Lebensbeschreibung page 311 des Ridolfo Ghirlandajo, die doch dem Enkel desselben, eben jenem Sirigatti, in den Mund gelegt wird und von der man — ginge diese Vermutung bei der rein literarischen Anlage der Kompilation nicht von vorneherein fehl — am ehesten Neues erwarten könnte. Statt dessen erhalten wir nichts als einen höchst dürftigen Auszug aus der viel reichhaltigeren Vita Vasaris, der den 1560 gestorbenen Ridolfo noch wohl gekannt und als Mitarbeiter geschätzt hat. Dieses eine Ergebnis genügt schon, um das subalterne Verhältnis Borghinis zu seiner Quelle zu beleuchten; es ist das Verhältnis des Abschreibers und Epitomators, der sogar Wendungen seiner Vorlage wörtlich aufnimmt.

Von wirklichem, selbständigem Wert sind nur die Nachrichten, die Borghini über Vasari hinaus von seinen Zeitgenossen bringt; hier steigt er zum Range einer unmittelbaren Quelle auf, ohne daß wir freilich bis jetzt sagen könnten, woher er seine reichhaltigen und meist verläßlichen Nachrichten bezogen hat. Dieser Teil seines Werkes — er umfaßt die gute Hälfte des vierten Buches — sticht von der selbständigen und schleuderhaften Abschreiberei, deren er sich sonst befleißigt, auf das Merkwürdigste ab; er hat mit Fleiß und Umsicht ein wirklich wertvolles Material gesammelt und bearbeitet. Es betrifft zunächst Künstler, die im Sinne des Toskaners forestiere sind, vor allem venezianische Maler; in seinen Nachrichten geht er weit über das hinaus, was Francesco Sansovino in seiner ein paar Jahre vorher (1581) erschienenen Beschreibung von Venedig bietet. Vor allem ist hier die zweitälteste Biographie des großen Tintoretto zu nennen, unabhängig von Vasari und mit einer Fülle wertvoller Angaben ausgestattet, unter denen namentlich die Berichte über die Sammeltätigkeit des Künstlers (Modelle Michelangelos und Giambolognas) für den florentinischen Autor, aber auch für uns von besonderem Wert sind; eine eigene Notiz ist auch Tintorettos kunstübender Tochter Marietta gewidmet. Daran schließen sich die Nachrichten über die Werke des jüngern Palma, des Paolo Veronese, des Jacopo und Francesco Bassano. Es folgen der Mailänder Annibale Fontana, die Bolognesen Bartolommeo Passerotti, Prospero und Lavinia Fontana, dann Federigo Baroccio und F. Zuccaro, von sonstigen in Rom tätigen Künstlern Girolamo Muziano aus Brescia und Scipione Pulzone, der ausgezeichnete Bildnismaler aus Gaeta. Dann die in Florenz selbst tätigen Meister, die beiden Flamänder Giovanni Strada und besonders Gian Bologna, zu dem Borghini persönliche Beziehungen gehabt hat und von dem er auch vorher schon vieles zu berichten hatte. Als älteste zeitgenössische Biographie des damals einflußreichsten Meisters in Florenz ist sie höchst bemerkenswert; übrigens kennzeichnen beide Künstler, die schon bei Vasari auftauchen — sie hatten ihm auch Material über ihre Landsleute zu page 312 kommen lassen (Vasari Mil. VII, 584) — den Einfluß der niederländischen Kolonie in Florenz. Von Einheimischen behandelt Borghini den damals schon hochbetagten Ammanati, den er gleichfalls persönlich gekannt haben muß, da er u. a. ausführliche Nachrichten über einen noch ungedruckten Architekturtraktat des alten Meisters bringt, sowie eine Reihe von Bildhauern aus der so wichtigen, aber bis vor kurzem wenig beachteten Periode der Florentiner Spätrenaissance, als Vincenzo de’ Rossi, G. B. Lorenzi, Valerio Cioli, G. A. Dosio, Stoldo Lorenzi, G. Bandini dell’Opera, G. Caccini. Von Malern den Vasarischüler Girolamo Macchietti, B. Buontalenti, B. Naldini, Santi di Tito, Aless. Allori und seinen Schüler G. Bizzelli, Aless. Fei und Fr. Morandini. Wie in den vorhergehenden, auf Vasari fußenden Teilen ist der Katalog der Werke das Wichtigste, in der Art der älteren Florentiner Kunstliteratur; das anekdotisch-biographische Element tritt fast ganz zurück. Nicht selten werden dagegen zeitgenössische Gedichte auf Künstler, von Pier Capponi u. a. (darunter solche auf Vasari) mitgeteilt; auch dergleichen gehört zu dem eigentümlichen Mittel, aus dem heraus das Buch entstanden ist. Im übrigen ist es bezeichnend, wie diesem Florentiner seine Heimatstadt noch immer als Mittelpunkt der italienischen Kunst erscheint, obgleich schon Vasari die Einsicht aufgegangen war, daß sich der kunstpolitische Schwerpunkt längst nach Rom verschoben hatte, und obwohl Borghini selbst der oberitalienischen, besonders der führenden venezianischen Malerei große Aufmerksamkeit schenkt. Freilich ist nicht zu vergessen, daß Gian Bolognas für ganz Europa vorbildliche und einflußreiche Werkstätte noch immer in Florenz ihren Sitz hatte.

Das weitaus wichtigste Werk der Nachfolge Vasaris ist aber nicht in Italien, sondern im Norden erwachsen, eben in der Heimat jener Fiamminghi, deren Rolle in Italien keineswegs ausgespielt war, wie wir gerade gesehen haben, sondern noch tief ins 17. Jahrhundert hineinreicht. Es ist die Welt jener auf Italien eingeschworenen romanistischen Niederländer, der nordländischen Mitläufer der südlichen Manieristen. Diesem Kreise entstammt das große theoretisch-historische Werk des Karel van Mander (1548—1606), eines aus dem vlaemischen Süden herstammenden, doch in Haarlem ansässigen Malers, das zuerst 1604 in Alkmaar erschienen ist. Da es im Grunde außerhalb des Planes dieses Buches und der Kräfte des Autors liegt, im Folgenden auf die außeritalienische Kunstliteratur näher einzugehen, und diese nur soweit berücksichtigt werden soll, als sie die führende italienische weiterspinnt oder auf sie zurückwirkt, so soll hier von diesem Grundwerk des nordischen Manierismus nur in knappster Weise die Rede sein.

Doch ist es notwendig, zuerst auf seine Vorgänger, die wir z. T. schon kennen, einzugehen; das Hegemonentum der italienischen, page 313 vor allem der führenden toskanischen Kunstgeschichtschreibung ist vielleicht nirgends klarer zu erfassen als hier. Wir wissen, daß es Italiener waren, die zuerst der nordländischen, besonders der niederdeutschen Kunst Beachtung geschenkt haben, ja sie zuerst dargestellt haben: der (1391 geborene) Antiquar Cyriacus de Pizzicolli von Ancona ist der erste, der auf die großen führenden Meister der germanischen und romanischen Niederlande Jan van Eyck und Rogier van der Weyden aufmerksam wird. Dann hat Facius gerade diesen bereits eigene kurze »Viten« gewidmet, sie sind es, die auch bei Filarete und Gio. Santi auftreten; Rogier war ja vollends den Italienern durch seinen römischen Aufenthalt schon nahegerückt worden (s. Buch II). Ghibertis merkwürdiger Bericht über den Kölner »Gusmin« gehört auch hierher. Dürers Notizen in seinem niederländischen Tagebuch von 1520 aber, das Persönlichste, Farbigste und am unmittelbarsten Erlebte, was wir über die altniederländische Kunst besitzen, waren niemals für die Öffentlichkeit bestimmt; und auch Michiels Berichte aus oberitalienischen Sammlungen, die ihnen an Erlebniswert halbwegs nahekommen, sind in der Form, wie sie uns vorliegen, noch private Aufzeichnungen. Der Brief des Summonte an den Letztem berücksichtigt, was in Neapel fast selbstverständlich ist, die hier immer besonders hochgeschätzten Niederländer, ist aber auch intim. Daß in den ältesten ziemlich gleichzeitigen einheimischen Zeugnissen vom Anfang des 16. Jahrhunderts, Pelerins Perspektivlehre und Lemaires Couronne Margueritique, schon durch das Verhältnis ihrer Autoren zu Italien — noch deutlicher ist es bei Scheurls Elogium auf Dürer — bereits das italienische Vorbild wirksam wird, ganz im Zusammenhang mit ihrer Zeit, wurde schon erwähnt (Buch III). Vasaris erstes Vitenwerk von 1550 faßt dann dies alles zusammen; unter seinem unmittelbaren persönlichen Einflusse stehen dann nicht nur die ersten Niederländer, die sich schon im Geiste des italienischen Humanismus um ihre einheimische Kunst bemühen, Dom. Lampsonius und Lambert Lombard, die ihm Material für seine zweite Auflage liefern, sondern vor allem ein Landsmann, Lodovico Guicciardini, des berühmteren Francesco Neffe und seit der Jahrhundertmitte in Antwerpen eingeheimatet, mit seiner vielaufgelegten Descrittione de' Paesi Bassi von 1567. Er nennt Vasari, dessen Angaben er übernimmt, aber auch aus eigener Anschauung erweitert (der vergessene Name des Hubert van Eyck taucht bei ihm zum ersten Male auf): was er aber über ihn hinaus in der Schilderung seiner Zeitgenossen namentlich bringt, hat Vasari dann auf unmittelbarem oder mittelbarem Wege genützt. Guicciardini, der ganz in altflorentinischer Weise diese erste große Übersicht der niederländischen Kunst von 1400 an bis auf seine eigene Zeit in die Darstellung einer bestimmten Stadt (seines Wohnsitzes Antwerpen) verflicht, hat auch page 314 in seiner Scheidung der verstorbenen und lebenden Künstler an der heimischen Weise festgehalten, in universeller Weise, da er nicht bloß die Maler (wie seine Nachfahren) berücksichtigt. Durch ihn, und in noch höherem Maße durch das zu internationaler Bedeutung aufsteigende Werk Vasaris von 1568 ist also dem nieder-(und hoch-)deutschen Gebiet zum ersten Male eine Gesamtdarstellung zu teil geworden. Guicciardini hat sich natürlich auch auf einheimische Quellen gestützt; faßbar ist für uns bis jetzt nur die Schrift eines fleißigen, wenn auch nicht immer verläßlichen Genter Lokalhistorikers, des Marcus van Vaernewijck, aus einer alten Malerfamilie stammend, der gerade ein Jahrhundert nach Rogier seine römische Studienreise absolviert hat, die jetzt schon fast unumgänglich ist. Guicciardini selbst folgt auch darin der seit dem alten Villani eingebürgerten florentinischen Elogienweise, daß er den Nachdruck nicht auf den Katalog der Werke, sondern auf die knappe und präzise Künstlercharakteristik legt.

Auf vieldurchpflügtem Erdreich erwächst mithin Van Manders Hauptwerk, die erste universalhistorische Darstellung der Kunst (in florentinischer Weise) im Norden. Auch für ihn ist wie für Borghini (gegenüber Vasari) die enge Verbindung von Theorie und Geschichte bezeichnend. Van Mander erfüllt in noch viel höherem Grade als der Aretiner das Zeitideal des gelehrten Künstlers. In ungewöhnlichem Maße sprachenkundig, als Übersetzer geschätzt, gehört er der in seiner Heimat völkisch entwickelten Richtung der Reederijker (Rhetoriker), dem gelehrten Lehrdichtertum, an. So ist sein großes historisches Werk von einem höchst charakteristischen Lehrgedicht ausgesprochen niederländisch-romanistischer Prägung eingeleitet, dem Grondt der edel vry Schilder-Const. Auf dieses folgen erst die drei historischen Bücher, deren erstes der antiken Künstlergeschichte (nach Plinius, dessen Kritik durch den gründlich gebildeten, von der ernsten holländischen Philologie berührten Maler sehr merkwürdig ist), das zweite die italienischen Maler, aus Vasari übersetzt, doch mit eigenen, noch wenig gewürdigten Zusätzen über Zeitgenossen, die van Mander auf seiner Romfahrt kennen gelernt hatte, das dritte endlich, in dem van Manders besonderes Verdienst und Ruhm hauptsächlich beschlossen liegt, die hoch- und niederdeutschen Maler von den Eycks bis auf seine eigene Zeit herab (darunter auch Dürer und Holbein) behandelt. Von ganz unmittelbarem Wert sind natürlich die Nachrichten über seine zweite holländische Heimat, die bis dahin stark im Hintergrunde gestanden war. Daran schließen sich aber noch zwei sehr merkwürdige, den Gedankengang des Theoretikers weiterspinnende Teile: eine Auslegung der »Malerbibel«, d. i. der Metamorphosen Ovids, im Grunde die Wiederbelebung einer im Norden nie völlig ausgestorbenen mittelalterlichen Allegorik, darum auch außerordentlich geschätzt und page 315 noch im 17. Jahrhundert durch Sandrart verdeutscht, und als letzter (6.) Abschnitt ein Abriß antikischer Symbolik und Kunstmythologie.

Van Mander ist deshalb eine so wichtige Erscheinung, weil er der erste ist, der im Norden dem längst gegebenen italienischen Vorbild auf historischem Gebiet wirklich nachgelebt hat; es ist zugleich das erste Zeugnis des sich immer mehr steigernden europäischen Einflusses Vasaris. Freilich dauert es noch Jahrzehnte, bis die übrigen Länder Ähnliches hervorbringen. Zwar ist van Mander nicht ohne Vorgänger; er erwähnt selbst ein Werk seines Lehrmeisters Lukas d’Heere in Gent, der die berühmten Maler reimweise besungen hatte, aber diese Schrift ist verloren und die davon bekannt gemachten angeblichen Bruchstücke sind eine Fälschung neuerer Zeit.

Dieser Vlaeme ist ein typischer Vertreter jenes niederländischen »Manierismus« der Romanisten, deren Eigenart gleich der ihrer Genossen auf italienischem Boden erst heute richtig eingeschätzt zu werden beginnt. Für ihn kommt alles Heil von der Antike und von Welschland; die Forderung der von da ab unerläßlichen Romfahrt ist von ihm mit klaren Worten aufgestellt worden und er hatte sie durch sein eigenes Beispiel bekräftigt. Wo er nicht auf völkischem Boden steht, wie in den Lebensbeschreibungen seiner Landsleute, ist er durchaus von antiken und italienischen Quellen abhängig, freilich mitunter auf merkwürdigen Umwegen. Außer Vasari ist ihm — eine sehr bemerkenswerte Sache — der seiner toskanischen Heimat so früh entfremdete Lionardo, anscheinend jedoch in einer namenlosen Handschrift, vorgelegen und den alten L. B. Alberti benützt er in der Aneignung durch W. Rivius (Buch IV), führt ihn daher auch immer treuherzig unter diesem Verstecknamen an. Bemerkenswert ist es, daß er, gleich wie Borghini, die große national überlieferte Geschichtskonstruktion Vasaris nicht versteht und bei Seite läßt, bemerkenswert auch der einzige Versuch einer Periodenbildung in den Leben seiner landsmännischen Künstler, wo er von der mit den Eycks beginnenden oude moderne Manier — die seiner Überzeugung nach übrigens auch aus Italien stammt, womit er ja den Sachverhalt wenigstens geahnt hat — die moderne schlechthin scheidet, die in Technik wie in Auffassung von der Antike und vor allem von den in Italien gewonnenen wissenschaftlichen Voraussetzungen abhängig ist. Das Mittelalter, das den Italienern doch zumindest in der großen Heroenzeit ihres Trecento halb lebendig blieb, ist für den Enkel der Gotik vollkommen versunken und vergessen. Trotzdem ist van Mander nichts weniger als ein sklavischer Nachbeter italienischer Lehre und Form; er wahrt seine nordisch vlaemische Eigenart, wie diese »Romanisten« überhaupt, deren richtige Würdigung namentlich der uns viel zu früh genommene Heidrich in knappen page 316 und klaren Zügen gegeben hat. Es ist sicher mehr als bloße Äußerlichkeit, wenn er in seinem Lehrgedicht die ausgesprochen welschen Theoreme der Perspektive, Proportionslehre und Anatomie so nebensächlich behandelt; für den gebürtigen Vlaemen ist es ebenso charakteristisch, mit welchem Nachdruck er gegenüber dem florentinisch-römischen Dogma vom disegno, dem er sich ja ehrfürchtig beugt, auf der venezianischen Farbe als wesentlichstem Teil der Malerei — das dürfte seine Herzensmeinung sein — besteht. Vielleicht weist ihm noch mehr das nordniederländische Mittel, in dem er seßhaft geworden ist, als das südniederländische, aus dem er stammt, die Wege, wenn er mit vollster Überzeugung die Landschaft als eine eigene Gattung hinstellt. Seinen vielfach sehr merkwürdigen theoretischen Äußerungen werden wir noch gelegentlich begegnen.

Die Einzelbiographie nimmt in der Zeit Vasaris und nach ihm einen noch breiteren Raum ein als vorher. Der Aretiner hatte schon mit seiner Apotheose Michelangelos den ersten Schritt getan; damit ereignet sich im Laufe der Geschichte zum erstenmal der Fall, daß einem noch lebenden Künstler ein biographisches Einzeldenkmal gesetzt wird; man wird gut tun, sich zu erinnern, daß es dem Ethos der gesamten alten Zeit und noch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein durchaus zuwider war, einem Künstler, gleichviel welcher Art und wäre es selbst einem Dante, ein öffentliches Denkmal in Stein oder Erz zu setzen; seine Grabstätte trägt ja anderen, intimem, privaten Charakter, und die auch in Italien höchst seltenen Ausnahmen, wo ein Dichter des nationalen Altertums auf öffentlichem Platze geehrt wurde (Virgil, Livius, Ovid), gehören auf ein ganz anderes Blatt, das eines halbmythischen Heroenkultus. Der übrigens auch ganz einzig dastehende und wieder nur bei einem Michelangelo denkbare Fall, daß das Leben eines großen Künstlers durch die bildende Kunst dargestellt wird — die um 1620 in der Casa Buonarroti durch den jüngern Michelangelo angeordneten Fresken — trägt ebenfalls durchaus privaten Charakter, den des Ahnenkults.

Die Biographie, auf die gerade angespielt wurde, ist das drei Jahre nach Vasaris erstem Vitenwerk zu Rom 1553 erschienene Leben des Michelangelo Buonarroti, geschrieben von Ascanio Condivi; der achtundsiebzigjährige Meister hatte damals noch fast ein Jahrzehnt seines reichen Lebens vor sich. Der Verfasser, aus Ripatransone (in den Marken) gebürtig, war als Künstler herzlich unbedeutend, fast ein Dilettant zu nennen; es ist ja bekannt, daß der alte, schwer zugängliche Meister (wie ihm schon bei Lebzeiten nachgesagt wurde) von Schülern im eigentlichen Sinne des Wortes nur solche um sich page 317 sah und duldete, die ihm durch keinerlei Eigenart oder Bedeutung lästig fielen; zu diesen, deren Individualität von der gewaltsamen Größe des Einsamen nichts zu fürchten und zu leiden hatte, gehört eben auch unser Condivi.

Schon die Vorrede (an Julius III.) ist äußerst bezeichnend für den Michelangelokult, durch den die Vita, Vasaris Spuren folgend, zu einem so merkwürdigen Denkmal ihrer Zeit wird. Es ist sehr kühn — und nichts bezeichnet besser die herrschende Stimmung der Renaissance — daß der Fürst der Christenheit und der Künstlerwelt (des disegno!) hier einander entgegengestellt werden durften, jeder auf dem Gipfel seiner Welt thronend.

Von Condivis Verhältnis zu Vasari war schon früher flüchtig die Rede; er nennt ihn nirgends, auch nicht in der Vorrede an den Leser, wo er mit deutlicher Spitze gegen jenen als Grund seiner Veröffentlichungen angibt, daß das Leben des Meisters von Leuten, die ihn nicht so genau kennten, wie er sich zuzutrauen glaubt, falsch und lückenhaft dargestellt worden sei. Ja Vasari wird versteckt, aber doch deutlich genug beschuldigt, daß er sich Condivis Notizen angeeignet habe. Der arme, wackere Condivi, der erst 1574 gestorben ist, hat aber ein noch viel unverschämteres, unmittelbares Plagiat, das erst in neuerer Zeit aufgedeckt wurde, in der zweiten Auflage des ihm an schriftstellerischem Geschmack und Ansehen weit überlegenen Aretiners hinnehmen müssen; sein eigenes redlich gemeintes Bemühen wurde derart vergessen, daß die Herausgeber des 18. Jahrhunderts Mühe hatten, ein Exemplar des überaus selten gewordenen Werkchens aufzutreiben.

Tatsächlich haben wir hier die intimste Schilderung Michelangelos, die wir besitzen, vor uns. Frey hat sogar gemeint, daß in Condivis Schrift eine Art offizieller Berichterstattung, von dem alten Meister selbst veranlaßt, ja teilweise förmlich in die Feder diktiert, vorläge. Das Verhältnis des Autors zu seinem Heros erinnert auch an das Goethes nicht sowohl zu Eckermann, als zu dem viel subalterneren, in seinem Hause Sekretärdienste leistenden Riemer. Sein Buch ist sicher aus persönlichen Mitteilungen entstanden und der Umstand, daß sachliche Unrichtigkeiten in nicht geringer Zahl tatsächlich vorhanden sind, mag sich aus der getrübten Erinnerung des Greises selbst auf der einen, aus Mißverständnissen des Hörers und Aufzeichners auf der andern Seite unschwer erklären lassen. Diese ganz intimen Züge finden sich besonders in der Jugendgeschichte; aber unmittelbar erlebt ist sicher auch die in ihrer Schlichtheit erschütternde Szene, wie der greise Meister von der Leiche der einzigen Frau, die ihm in Leben und Gesinnung wirklich nahegestanden hat, von Vittoria Colonna Abschied nimmt.

page 318

Condivi steht an Wissen und Bildung weit unter Vasari, sein ungepflegter, holperiger Vortrag zeigt, daß er kein Literat von Beruf gewesen ist, aber gerade das macht ihn, der eine ehrliche Haut war, trotz seines subalternen Wesens, menschlich anziehend und hebt sein Werk aus der Literatenclique heraus; es genügt die Erinnerung an Francisco de Hollanda um das zu verstehen. Nicht daß er von literarischen Ansprüchen und Absichten ganz frei wäre. Er hat im Gegenteil ziemlich weitreichende schriftstellerische Pläne im Busen getragen — freilich nicht verwirklicht. Sehr merkwürdig ist vor allem seine Nachricht über einen von Michelangelo geplanten Traktat von den menschlichen Bewegungen und ihrer Anatomie; da der Meister sich zu alt fühlte, um selbst noch diese Arbeiten zu übernehmen, hatte Condivi die Äußerungen, die er ihm und dem Arzt Colombo gegenüber gemacht hatte, aufgezeichnet und gesammelt und dachte sie mit Hilfe eines gelehrten Mannes herauszugeben. (Einen fernen Reflex dieser Bestrebungen haben wir vielleicht in dem später zu erwähnenden unvollendeten Werk des Vincenzo Danti zu erblicken.) Aus dem Inhalt erfahren wir nur die merkwürdige Kritik der Proportionslehre Dürers (c. 60): dieser spreche nur von den Maßen des (ruhenden) Körpers, über die sich sichere Regeln nicht geben ließen. Seine Figuren seien bolzensteif (ritte come pali); von dem, um was es sich in Wahrheit handle, von Ausdruck und Bewegung des menschlichen Körpers (atti e gesti) verlaute nichts. Diese Äußerungen sind sehr charakteristisch für die Zeit und den Meister, der die große wirkungsvolle Geste in die Kunst Italiens (und bald auch der übrigen Länder) bringt und vor allem den nackten Körper zum Organ des Ausdrucks macht. Ebensowenig wie zu der Ausführung dieses Plans ist Condivi zu einem andern gekommen, die Gedichte Michelangelos, die er seit geraumer Zeit gesammelt hatte, herauszugeben; das hat erst des Meisters Neffe, der jüngere Michelangelo Buonarroti, 1623 besorgt, und ebensowenig ist es zu der beabsichtigten Publikation über die Villa Giulia (c. 58) gekommen.

Condivis Bedeutung liegt besonders darin, daß er den Namen des großen alten Meisters nicht wie Francisco de Hollanda zum Aushängeschild eigener Absichten macht, sondern seine freilich recht geringe Individualität vollkommen in den Dienst des Großen stellt, weil er eben Eigenes nicht zu bieten hat; er geht restlos in der Verherrlichung des unnachahmlichen (inimitabile) Meisters auf, der auch über der vom Bildungspöbel (volgo) so bewunderten Antike steht. Gewiß, er hat seinen Heros oft nicht verstanden, so z. B. in der Äußerung über Donatello und die Nachwirkung seiner Bronzen, aber wir danken ihm Äußerungen persönlichster Art, die er verzeichnet hat und die tief in das Leben seines Helden hineinleuchten, so das page 319 Wort von der »Tragödie« des Grabmals Julius II., das Justi in seinem wundervollen Buch von der Tragödie dieses Künstlerlebens geleitet hat. Auch die Verteidigung der platonischen Liebe geht aus Michelangelos eigenstem Wesen hervor und ist um so ergreifender, als sie sich von einem tiefdunklen Hintergrunde abhebt, den schönrednerische Pastorenphrasen ebensowenig zu verkleistern vermögen als etwa bei einem Platen. In das innere künstlerische Heiligtum eines großen Geistes zu blicken, war diesem ehrlichen aber beschränkten Menschen, der Condivi nun einmal war, freilich versagt; ihm wie seiner Zeit überhaupt erscheint das Wirken des auf überragender Höhe einsam durch Wolken schreitenden Geistes als dämonisch furchtbar; das Wort formidabile, das gelegentlich, bei der Beschreibung der Sixtinischen Decke, fällt, klingt an Vasaris terribile so deutlich an, daß es eine allgemeine Zeitempfindung ausdrücken muß. Sonst haftet Condivi überall am Inhalt und vermag das, was die Form angeht, nur stammelnd und in den Floskeln übernommener Schulweisheit auszudrücken.

Schon der bis dahin nicht erhörte Umstand, daß einem lebenden Künstler eigene in Druck gelegte Biographien gewidmet werden — mag es sich auch um den »unnachahmlichen« Meister, das Idol dieser Zeit handeln — zeigt, daß die Anschauungen über diese Menschenart auch nach der gesellschaftlichen Seite hin sich gründlich geändert haben. Von dem »Virtuosentum« (der Name gehört ja schon in diese Periode) wird später noch ein Wort zu sagen sein. Daß vollends der Tod dieses Heros der Kunst einen überwältigenden Eindruck machen mußte, liegt auf der Hand. Einer der berühmtesten Rhetoren des damaligen Florenz, der uns gerade in seinem Verhältnis zu Michelangelo bereits bekannte Benedetto Varchi, hiel